A Throw of Dice/Schicksalswürfel

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Indien 1929, Stummfilm, s/w, 76 Min.
Regie: Franz Osten
Kamera: E. Schunemann
Musik: Nitin Sahwney
Zwischentitel: Englisch (dt. Übersetzung einblendbar);
Darsteller: Seta Davi (Sunita), Himansu Rai (König Sohan), Charu Roy (König Ranjit), Modhu Bose, Sarada Gupta, Lala Bijoykishen, Tincory Chakrabarty

Ein Märchenfilm in indischen Gewändern: das Gute gegen das Böse, Sanftmut und Gewalt, Begehren und Liebe, zwei Könige, eine schöne Frau, Intrigen, Mord, ein gezinktes Würfelspiel und die Erlösung in der Gestalt eines unschuldigen Kindes. Der gierige und skrupellose König Sohan neidet seinem Vetter Ranjit dessen Reich. Sohan beschließt, Ranjit während einer Tigerjagd töten zu lassen, doch dieser Plan schlägt fehl. Ranjit wird in die Hütte eines Eremiten und Heilers gebracht und lernt dort dessen Tochter Sunita kennen. Beide verlieben sich ineinander, und Sohans Wut und Neid auf den vom Glück Begünstigten kennt keine Grenzen mehr. Er macht sich Ranjits einzige Schwäche zu Nutze und raubt diesem bei einem Spiel mit gezinkten Würfeln das Königreich, die Freiheit und die geliebte Frau. Alles scheint verloren, da bringt die verspielte Neugier eines Kindes die glückliche Wende…

Rapid Eye Movies präsentieren mit „A Throw of Dice/Schicksalswürfel““ in ihrer Reihe „Bollywood Classics“ ein Werk des nahezu vergessenen Regisseurs Franz Osten (eigentlich Franz Ostermayr). Der Film ist durch das „British Film Institute“ vorzüglich rekonstruiert, Nitin Sawhney komponierte die Musik, das London Symphony Orchestra unter der Leitung von Stephen Hussey besorgte die Einspielung.

Wer allerdings „Bollywood“ erwartet, wird hier enttäuscht werden. Der Schauplatz ist gleichwohl Indien, wir sehen eine Tigerjagd, Elefanten, Schlangenbeschwörer und Feuerschlucker.
Der Regisseur versammelt also die Ingredienzen des exotischen Anderen in all ihrer Pracht und hat doch einen zarten, nahezu filigranen Film gedreht, in dem die Figuren wie hinter einem Schleier verborgen bleiben. Der Kameramann E. Schunemann taucht seine Bilder in weiche und fein nuancierte Grautöne, die dieser Geschichte ihren märchenhaft unwirklichen Glanz verleihen.

Osten, dessen Heimatfilme in Deutschland erfolglos geblieben waren, findet in der fremden Kultur den Raum sowohl stringent und präzise, als auch mit poetischer Freiheit zu erzählen.
Vervollkommnet wird diese Erzählweise durch die außerordentliche Musik von Nitin Sawnhney, der bereits für „The Namesake“ der Regisseurin Mira Nair den Score komponierte. In einer klugen und ausgewogenen Mischung westlicher und östlicher Elemente leistet Sawhneys Musik in „Schicksalswürfel“ das, was Musik in einem Stummfilm leisten sollte: sie wird zur Stimme eines Erzählers. Im Verzicht auf sprachliche Zeichen ermöglicht alleine die Musik einen ganz und gar sinnlichen Kommentar zu den Bildern; leitmotivisch begleitet und vertieft sie das Geschehen um den gierigen Sohan, den arglosen Ranjit und die hilflose, dem Tun der Männer ausgelieferte Sunita.

Der nun bereits achtzig Jahre alte, monumental ausgestattete und durchweg an Originalschauplätzen gedrehte Film ermöglichte damals, und ermöglicht auch heute, den Blick in eine ferne und phantastische Welt jenseits des eigenen Erfahrungshorizontes. In diesem Sinne ist er pures und lustvoll zu genießendes Kino. Wer immer sich für Filme jenseits des Mainstream interessiert, für den ist „Schicksalswürfel“ eine außergewöhnliche Ergänzung der hauseigenen DVD-Sammlung.

Die Extras der vorliegenden DVD sind dagegen etwas spärlich gehalten, sie bieten lediglich ein ausführliches Interview mit dem Komponisten; wünschenswert wäre eine Ergänzung (und sei es in Form von Produktionsnotizen) zum dem wahrlich ungewöhnlichen Leben und Werk eines Regisseurs, zu dessen Wiederentdeckung REM einen dankenswerten Beitrag geleistet.

Birgit Schimmer, 1.2.2008