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Jenaer Kunstverein e.V.; Städtische Museen Jena,
Kulturstiftung Jena [Hrsg.]:
Rausch und Ernüchterung.
Die Bildersammlung des Jenaer Kunstvereins
– Schicksal einer Sammlung der Avantgarde im 20. Jahrhundert
BESTELLEN
Jena, Quedlinburg 2008, Verlag Busstert und Stadeler,
207 S., zahlreiche Abbildungen
Ab 1912 legte der Jenaer Kunstverein, neun Jahre zuvor unter
dem Eindruck des gleichzeitig entstandenen Deutschen Künstlerbundes
in Weimar gegründet, auf Anregung des Kunsthistorikers Botho Graef
eine Bildersammlung ausschließlicher Werke der Hochmoderne an. Kurz
vor Beginn des Ersten Weltkrieges eröffnete die Kunstsammlung mit
einer Ausstellung internationalen Ranges, die Werke von Munch, Hodler
sowie von Hauptvertretern der expressionistischen Künstlervereinigung
„Die Brücke“ zeigte. Auf dem von August Macke entworfenen
Ausstellungsplakat ist ein aufsteigender Kranich zu sehen, wie als Sinnbild
für die aufstrebenden europäischen Avantgarden. Von Anfang an
zeichnete sich der Verein durch herzlichen und engen Kontakt zu den geförderten
Künstlern aus. Besonders Ernst Ludwig Kirchner zeigte sich zeit seines
Lebens Botho Graef verbunden, mit dessen Hilfe der Verein eine Freistellung
Kirchners vom Militärdienst erwirkte und dem Künstler während
dessen schwerer seelischen Krise im ersten Weltkrieg einen Ort der Ruhe
bot.
Anlässlich des Todes von Graef überreichte der
Künstler 1917 dem Vereich eine Sammlung von 260 Holzschnitten, Radierungen
und überwiegend in geringen Auflagen entstandenen Lithographien im
Andenken seines väterlichen Freundes und Förderers.
Unter dem Vorsitz des Malers und Kunsthistorikers Walter
Dexel näherte sich der Verein in den 20er Jahren neben seiner Konzentration
auf den Expressionismus mannigfaltigen Richtungen der Avantgarde wie dem
Futurismus, dem Kubismus, dem magischen Realismus oder der Neuen Sachlichkeit
an. Regelmäßig fanden Ausstellungen von Künstlern des
benachbarten Bauhauses statt, unter diesen Klee, Gropius, Meyer und Kandinsky.
Während der Weltwirtschaftskrise geriet der Verein zunehmend in finanzielle
Schwierigkeiten, Verkäufe mussten erwogen werden. Unter dem Druck
der nationalsozialistischen Gleichschaltung wurde schließlich der
Besitz des Vereins in die Verwaltung des Jenaer Stadtmuseums überführt.
1937 fielen 86 Werke der Jenaer Sammlung der Beschlagungswelle im Rahmen
der Ausstellung „Entartete Kunst“ um Opfer, ebenfalls die
gesamte Botho-Graef-Sammlung. Unter der Leitung Paul Merkels stellte der
Verein bis 1944 dennoch regelmäßig aus. Nach der Gründung
der DDR löste sich der Verein schließlich 1949 auf. 1977 präsentierte
das Stadtmuseum noch einmal Restbestände der Sammlung.
In RAUSCH UND ERNÜCHTERUNG erzählt die Kunsthistorikerin
Maria Schmidt die bewegte und wechselhafte Geschichte des Jenaer Kunstvereins,
der 1990 neu gegründet wurde, auf spannende und ausführliche
Weise. Dabei gelingt es, die Möglichkeiten engagierter Personen innerhalb
einer ereignisreichen Phase der europäischen Kunst zu verdeutlichen
und aufzuzeigen, wiesehr sich die oft bürgerfeindlich gebärdende
Avantgarde von einem liberalen Bürgertum profitierte.
Wer hingegen angesichts des viel versprechenden Titels eine inhaltliche
Beschäftigung mit den Entwicklungen der bildenden Kunst der Moderne
in deren Widersprüchlichkeit zwischen rationalen und irrationalen,
regressiven wie progressiven Dimensionen erwartet, wird enttäuscht.
Vielmehr versteht sich die Publikation als gewissenhafte Chronik des Vereins
und als kritisches Werkverzeichnis der mittlerweile weit verstreuten Sammlung.
Ein Beitrag von Günther Gercken über die Botho-Graef-Sammlung,
in dem einzelne Lithographien Kirchners vorgestellt werden, und Andreas
Hüneke, der dem Verbleib einzelner Werke der Jenaer Sammlung nach
ihrer Beschlagnahmung durch die Nationalsozialisten nachspürt, vervollständigen
den Band. Abgerundet wird die Publikation durch 42 hochwertige Farbtafeln,
die neben den bedeutenden Gemälden der Sammlung auch Drucke Kirchners
zeigen, einer sorgfältig recherchierten Chronik aller Ausstellungen
des Vereins und der vollständigen und reich bebilderten Inventarliste
des Bestandes der Sammlung von 1929, in der über 500 Werke verzeichnet
sind.
Matthias Abel
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