Der Rattengott – Die Nacht der Verwandlung

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Label: '84 Entertainment
Laufzeit: 75 Min.
Regionalcode: 2
Produktionsjahr: 1976
Produktionsland: Jugoslawien
Regie: Krsto Papic
Bildformat: 1.66:1 (4:3 Vollbild)
Ton: Deutsch, Kroatisch (DD 2.0)
Untertitel: Englisch (optional)
Extras:
Französischer Trailer, Artwork-Galerie, VHS-Langfassung (ca. 76 Min., Kroatisch DD 2.0)
12-seitiges Booklet mit Text von Dr. Marcus Stiglegger

Es ist immer wieder erstaunlich, welche scheinbar vergessenen Filme von unabhängigen DVD-Labels wiederentdeckt werden. Noch erstaunlicher ist es dann, zumindest im vorliegenden Fall, wenn man sich daran erinnert, das Werk doch schon einmal gesehen zu haben; und zwar im Fernsehen. Wie Marcus Stiglegger im Booklet dieses wunderbar gestalteten Mediabooks anmerkt, wurde „Der Rattengott“ Anfang der achtziger Jahre vom ZDF in der Reihe „Der phantastische Film“ ausgestrahlt und, das sei an dieser Stelle ergänzt, 1999 noch einmal wiederholt, wodurch eine neue Generation von Horror-Fans die Möglichkeit hatte, dieses ungewöhnliche Werk kennenzulernen. Die ZDF-Version ist es auch, die der Veröffentlichung von 84-Entertainment zu Grunde lag, was spätestens im Abspann deutlich wird.

Erzählt wird die Geschichte von Ivan Gajski, einem jungen Autor, der in den Wirren der Wirtschaftskrise nach dem 1. Weltkrieg versucht, durch das Verkaufen seiner Bücher mehr schlecht als recht über die Runden zu kommen. Als Ivan seine Wohnung verliert, übernachtet er in der verlassenen Zentralbank der Stadt. Um Mitternacht wird er dort Zeuge einer dekadenten Orgie der gehobenen Gesellschaft, die sich aber alsbald als eine Versammlung von Ratten in Menschengestalt entpuppt, die das System unterwandern und die Weltherrschaft an sich reißen wollen. Ivans einzige Hoffnung, gegen die Übermacht der Ratten anzukämpfen, sind der Wissenschaftler Professor Boskovic und dessen hübsche Tochter Sonja.

Auf der ersten Blick ist „Der Rattengott“ ein Horrorfilm und erinnert in einigen Szenen, vor allem in denen, die das Element der Transformation behandeln, zuweilen an Neil Jordans 1984 entstandenen Märchen-Horror „Die Zeit der Wölfe“. Doch ist „Der Rattengott“ letztendlich weniger Horror als eine Groteske mit sozialkritischem Unterbau. Regisseur Papic stellt in seiner Parabel eine Welt ohne Hoffnung dar. In den wirtschaftlichen Unruhen nach dem Krieg ist der Kampf ums nackte Überleben der alltägliche Begleiter der Bewohner der im Film namenlos bleibenden Stadt geworden. In dieser Ausnahmesituation bemerkt niemand die Solidarisierung der Rattenwesen im Untergrund, die sich als Untertanen ihres Anführers, dem Rattengott, verstehen.

Offenkundig mag die aus dem Untergrund emporsteigende Macht der Ratten als Metapher für die durch die Wirtschaftskrise erstarkte Bewegung der Nationalsozialisten interpretiert werden. Folgt man dieser Lesart, bietet der Film einige Hinweise, die diesen Gedanken unterstreichen. So erinnert bspw. die gedeckte Tafel in der Tanz- und Orgienszene der mysteriösen Gesellschaft, die Ivan heimlich von der Galerie aus beobachtet, in ihrer Form an ein Hakenkreuz, das allerdings noch unvollständig ist; lediglich die Hälfte des Symbols ist vorhanden. Durch Verweise wie diesen lässt sich der Film einerseits leicht in die Richtung einer politischen Satire rücken. Andererseits wirkt er aufgrund seiner düsteren, traumartigen und diffus-bedrohlichen Atmosphäre sehr eng mit der Literatur Franz Kafkas verknüpft; speziell „Der Prozess“ hat in einigen Szenen großen Einfluss auf die Handlung.

Das Mediabook von 84 besticht zunächst äußerlich durch das beeindruckende Covermotiv und ist ein echter Blickfang in der DVD-Sammlung. Von der Bild- und Tonqualität sollte man keine Quantensprünge erwarten. Über gehobenes VHS-Niveau geht „Der Rattengott“ nicht hinaus, fasziniert aber so noch mehr in der Rolle als gehobener Schatz mit entsprechender Patina. Überhaupt ist es für den wirklichen Film-Sammler zunehmend erfreulich zu sehen, dass viele unabhängige DVD-Labels nicht primär dem 'Glattheits-Wahn' erliegen, der heutzutage vom breiten Publikum gefordert wird. Die eigentliche Stärke einer VÖ wie „Der Rattengott“ ist der Release selbst und die befriedigende Erkenntnis, dass es noch immer Filmliebhaber gibt, die sich vergessener Klassiker annehmen und dafür sorgen, dass das Publikum die Chance bekommt, sie überhaupt kennenzulernen.
Neben dem französischen Trailer und einer Artwork-Galerie sind besonders die VHS-Langfassung des Films (in kroatischer Sprache) und der bereits erwähnte Booklet-Essay, in dem Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger einen fundierten Text über 'Transformationen im Film' im Allgemeinen und über den „Rattengott“ im Speziellen beisteuert, die beiden Highlights unter den Extras.

HD-Liebhaber werden an „Der Rattengott“ vermutlich wenig Interesse haben. Sammlern und Liebhabern des düsteren, abseitigen Mystery-Horrors sei aber eine ganz klare und dringende Kaufempfehlung ausgesprochen.

Kai Naumann