Rapoon

Time Loop Anomalies

Label: Zoharum Records
Format: CD
Veröffentlichung: 2012

Miles Davis trifft auf Karlheinz Stockhausen um von Throbbing Gristle gesamplet zu werden. Ein bisschen mag diese schräge Beschreibung wie Lautréamonts berühmte „Begegnung eines Regenschirmes mit einer Nähmaschine auf dem Seziertisch“ aus den „Gesängen des Maldoror“ (1869) klingen, und trifft doch sehr genau den Nerv des neuen Albums von Robin Storey alias Rapoon. Denn auch das ist unbeschreiblich, surreal und kombiniert all das, was eigentlich nicht zusammen gehört. Seit 1992 hat der 1955 in England geborene Klangkünstler eine beeindruckende und nur schwer überschaubare Diskographie mit seinem Projekt Rapoon vorgelegt, die nun mit „Time Loop Anomalies“ um einen weiteren Titel ergänzt wird.

In siebzig Minuten arbeitet sich das Album durch zahlreiche Genres, beginnt im Jazz, verliert sich in abstrakten field-recordings, findet in elektronischen Beats einen neuen Halt, um schließlich in Ambient-Loops zu versinken. Rapoon bewegt sich in diesem Sog nicht nur in konzentrischen Kreisen durch die Musikgeschichte, sondern vollziehen diese Bewegung auch in der Klangästhetik nach. Das musikalische Material wird geloopt, mit Effekten angereichert, überdehnt, verzögert, manipuliert und bleibt so in ständiger Bewegung. Nicht nur zwischen den Genres, auch zwischen einzelnen Klängen und Strukturen sind die Grenzen fließend, tendenziell offen und werden bei Rapoon einem fortwährenden Auflösungsprozess unterzogen.

Das erste Stück „Sputnik Remix“ beginnt mit melancholischem Jazz, erinnert an einen Mix aus Miles Davis und Bohren und der Club of Gore und stimmt damit sehr trügerisch auf das Folgende ein. Keines der kommenden Stücke wird diesen Stil erneut aufgreifen. Während „Eartbound and Emotional“ mit seinen minimalen Xylophon-Patterns, den Spokenwords und dem Ritualgesang vorsichtig auf Philip Glass verweist, wird das Album im weiteren Verlauf zunehmend experimenteller. Verrauschte und modifizierte Samples dominieren die Stücke, die sich in abstrakte Texturen auflösen. Die Stimmung alteriert zwischen Noise und Ambient und wird erst im letzten Drittel des Werkes durch elektronische Beats wieder konkretisiert. Das Stück „Pig Drum Ritual“ trägt seine charakteristischen Merkmale schon im Titel und zeichnet sich durch eine rituell-perkussive Grundstimmung aus, die durch eine orientalische Melodiebegleitung ein gewisses Worldmusic Flair erhält, aber auch durchaus an das Werk von Muslimgauze erinnert. Im letzten Titel „One Year Out End“ löst sich das Album im akustischen Flimmern auf und beendet seine Exkursion durch die Musikgesichte der Extreme im Grundrauschen.

„Time Loop Anomalies“ ist kein besonders homogenes Album. Es vereint unterschiedliche Genres, denen jeweils auch ein eigener Sound verordnet wurde und verwehrt sich gegen eine stilistische Einheit. Dennoch ist dieses Werk gerade als Experiment attraktiv und scheint als musikalische Versuchsanordnung nach Unregelmäßigkeiten bzw. Anomalien in den durchexerzierten Strukturmodellen zu forschen. Wird ein musikalisches Genre als Struktur mit einer gewissen Regelhaftigkeit verstanden, so scheint Rapoon deren Abweichungen durch stilistische Kollisionen zum Vorschein bringen zu wollen. Es gilt also genau hinzuhören, auch wenn es einige Durchgänge braucht, bis „Time Loop Anomalies“ zündet und seine kreative Ladung freigibt.

Patrick Kilian