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Christian Hißnauer
Von Mythen, Legenden und Verschwörungstheorien
– und wie man sie nicht widerlegt
Alexander Straßner: Die
Dritte Generation der „Roten Armee Fraktion“. Entstehung,
Struktur, Funktionslogik und Zerfall einer terroristischen Organisation.
Westdeutscher Verlag (jetzt: GWV Fachverlag), Wiesbaden 2003. ISBN 3-531-14114-7,
426 Seiten, € 36,90
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In der öffentlichen Debatte versteht man zurzeit unter
Terrorismus vor allem die islamistische Gewalt der al-Qaeda. Nach den
Anschlägen vom 11. März 2004 hieß es dann auch allerorts;
der Terror kommt nach Europa. Eine irritierende Aussage denkt man an die
IRA, die ETA, die Roten Brigaden, die Action Directe und natürlich
die RAF. Trotz der Flut an Veröffentlichungen über den internationalen/islamistischen
Terrorismus in den vergangenen Jahren, erscheinen hierzulande regelmäßig
eine Vielzahl von Büchern, die sich mit der RAF und anderen linksterroristischen
Gruppen beschäftigen, die Deutschland in den 70er und 80er Jahren
im Atem hielten. Dabei ist augenfällig, dass sich die meisten Autorinnen
und Autoren auf die (so genannte) erste und zweite Generation der RAF
beziehen. Die dritte Generation der RAF jedoch, die für die Anschläge
z.B. auf Alfred Herrhausen oder Detlev Karsten Rohwedder verantwortlich
gemacht wird, ist bisher kaum analysiert worden. Ist sie tatsächlich
ein „Phantom“, wie Gerhard Wisnewski, Wolfgang Landgraeber
und Ekkehard Sieker in ihrem Buch „Das RAF-Phantom“ (1992/97)
behaupteten? Die „Phantomdebatte“ beherrschte sicherlich die
mediale Auseinandersetzung über die dritte Generation. Mittlerweile
diente das Buch sogar als Ideenlieferant für einen ProSieben-Fernsehfilm
(DAS PHANTOM, D 2000, R Dennis Gansel).
Alexander Straßner hat sich in seiner Doktorarbeit, die nun in Buchform
vorliegt, mit eben dieser „phantomhaften“ dritten Generation
auseinandergesetzt. Er tritt an, nicht „zuletzt wilden und nicht
selten vorgeschobenen Spekulationen aus eigentlichen Selbstlegitimierungsgründen
um vermeintliche und unterstellte staatliche Vernichtungsprogramme […]
endgültig […] eine klare Absage“ zu erteilen (18). Straßner
will also u.a. den Verschwörungstheorien über die Nicht-Existenz
der dritten Generation und den angeblichen Morden von Stammheim und Bad
Kleinen entgegentreten. Daran werden dann auch die Probleme seiner Arbeit
deutlich.
Verschwörungstheoretikern wird immer wieder vorgeworfen,
nur die Quellen und Fakten zu zitieren, die ihren Argumentationslinien
nutzten und andere zu unterschlagen. Will man die dabei herauskommenden
Theorien widerlegen, so ist es jedoch wenig überzeugend, wenn man
ähnlich arbeitet und argumentiert. So betont Straßner z.B.
das Peter Jürgen Boocks Aussagen „so wenig nah an der Realität“
(22) seien. An anderer Stelle wird Boock jedoch zum Kronzeugen ernannt:
„Das zusätzliche Geständnis Boocks, der eingestand, die
Waffen für die Stammheimer Gefangenen präpariert zu haben, zertrümmerte
den Stammheim-Mythos endgültig“ (177). Auch der Umgang mit
den RAF-Bekennerschreiben irritiert. Sie werden als authentisch bezüglich
der Herkunft und bezüglich des Inhalts bezeichnet, da es sich beim
RAF-Terrorismus um einen „Erklärungsterrorismus“ handele.
Allerdings werden die Schreiben, die in einigen Fällen eine Tatbeteiligung
leugnen, kategorisch zwar hinsichtlich der Herkunft, nicht aber hinsichtlich
des Wahrheitsgehaltes als authentisch dargestellt (S. 164f.). Man kann
sich an solchen Stellen dem Eindruck nicht erwähren, dass nur der
Argumentation genehme Aspekte berücksichtigt, andere wegdiskutiert
resp. als Verschwörungstheorie oder Realitätsverlust der RAF
abgetan werden. Offizielle Quellen der Bundesregierung oder des Verfassungsschutzes
hingegen werden völlig unkritisch übernommen. Aber es gibt ja
noch eine Instanz der Autorität: die Wissenschaft. So stellt Straßner
dann auch fest: „Wissenschaftlich dagegen ist sie [die 'Phantom’-These,
CH] längst unhaltbar geworden“ (S. 162, Fußnote!). Es
ist bezeichnend für die Arbeit, dass diese Feststellung in einer
Fußnote getroffen und nicht weiter diskutiert oder erläutert
wird.
Am Ende bleibt der Eindruck, dass Straßner den selbst
gesetzten Anspruch in seine Arbeit nicht erfüllen kann. So bleibt
– mit Bertolt Brecht - am Ende der „Vorhang zu und alle Frage
offen“.
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