Prurient

Through the Window

Label: Blackest Ever Black
Format: Vinyl, CD
Veröffentlichung: Februar 2013
Spieldauer: ca. 34 Min.

„Listen at night in the hills watching as headlights approach.“

Diese Zeile wurde dem Album als Höranweisung beigefügt, bereitet damit eine gewisse Rezeptionshaltung vor und generiert gleichzeitig eine Bildwelt, ohne diese dann jedoch akustisch zum konkreten Programm zu machen. Eher assoziativ verweist dieser Satz auf kollektive Imaginationen, die dann von der Musik aufgegriffen, verdichtet und im subjektiven Hörerlebnis ausgestaltet werden. Schon alleine die Zeitangabe „at night“ macht deutlich, dass hier eher innere Bilder evoziert werden sollen, die nicht auf ein Sehen, sondern vielmehr auf ein Fühlen zurückgreifen. Mit „Through the Window“ schließt der New Yorker Noise-Künstler Prurient (Dominick Fernow) übergangslos an das 2011 veröffentlichte Album „Bermuda Drain“ und die kurz darauf folgende EP „Time’s Arrow“ an. Während er sich auf seiner letzten Split-LP „Worship Is The Cleansing Of The Imagination“ (2013; zusammen mit JK Flesh) vor allem an Ambient-Strukturen orientierte, bezieht er sich mit seinem neuen Album dezidiert auf die Soundästhetik der beiden Vorgänger. Auch hier dominieren technoide Rhythmen, repetitive Synthesizerfiguren und drückende ‚four-on-the-floor’ Bässe. Einst für seine performativen Noise-Installationen, die er nur mit einem Mikrophon vor dem Verstärker durchführte, bekannt geworden, ist Prurient nunmehr fast im Club angekommen. Nur sehr dezent setzt er seine Stimme als leises Flüstern zwischen die ansonsten tanzbaren Beats, hat dabei auch die Noisepassagen domestiziert sowie dramatisch reduziert. Insgesamt tastet sich Fernow auf diesem Wege immer weiter an sein zweites Projekt Vatican Shadow heran, das sich dezidiert im Genre Techno verorten lässt.

Das Album beginnt mit dem fast zwanzigminütigen Titeltrack „Through the Window“: Eine elektronische Bassdrum, eine rhythmische Hi-Hat und ein pulsierender Synthesizer entwickeln eine Atmosphäre, die sofort Bilder aus einem John Carpenter Film vor das innere Auge ruft. Die Strategie scheint gelungen! Plötzlich bricht der Beat ab, eine modulierte Melodie und Fernows bedrohlich flüsternde Stimme dominieren von nun an: „Tiny things laugh under the sun – wilting like insects“ lautet die erste Zeile. Dann kehrt der stampfende Beat zurück und treibt das Stück als minimalistische Konstante voran, monoton und hypnotisierend. Als zweites Stück folgt „Terracotta Spine“, ein fast klassischer Industrial Track, bestimmt durch ein aggressives Rhythmus-Pattern, Delays und unangenehm schneidenden Noise. Zum Abschluß dann das zehnminütige „You Show Great Spirit“, das – fast wie ein Zwillingsbruder des Eröffnungstracks – durch einen gerade Bass-Rhythmus, geflüsterte Vocals und eine unverleugbare Club-Ästhetik definiert wird. Eine komplexe Dramaturgie, subtile Wechsel und tiefe Texturen machen dieses Stück zu einer der besten Prurient-Kompositionen der letzten Jahre. Textuell verweist der Song auf das gespenstische „Palm Tree Corpse“ vom Album „Bermuda Drain“, erzählt die morbide vorher-nachher Geschichte eines Mordes und bindet die beiden Werke damit nicht nur klangästhetisch, sondern auch inhaltlich aneinander.

„Through the Window“ ist ein konsequentes Album, mit dem sich Prurient immer weiter von seinen Wurzeln entfernt, unberechenbarer und vielseitiger wird. Während er sich von den zerstörerischen Feedback-Exzessen zu lösen scheint, gelingt es ihm dennoch die düstere und kalte Stimmung in den neuen Kontext zu übertragen und für diesen fruchtbar zu machen. Das Artwork des Albums zeigt eine zerdrückte Medikamentenkapsel gegen Blasenentzündung auf schwarzem Grund – ob dies ein möglicher Hinweis auf die möglichen Konsequenzen für die Befolgung der vorausgeschickten Höranweisung sein könnte, bleibt spekulativ.

Patrick Kilian