Barbara Nitke Kiss of Fire A Romantic View of Sadomasochism Kehrer
Verlag Heidelberg 2003. ISBN 3-933257-94-8.
Mit dem paranoiden Rechtsruck der amerikanischen Politik und Gesellschaft wurde auch die alltägliche Situationen sexuell alternativ lebender und empfindender Menschen vor große Schwierigkeiten gestellt: „SM-Praktizierende machen etwa 10 % der Bevölkerung aus und sehen sich gleichwohl schweren gesellschaftlichen Vorurteilen ausgesetzt. Wie selbstverständlich verlieren sie wegen ihrer sexuellen Interessen den Arbeitsplatz, kommen nicht durch Sicherheitsüberprüfungen oder verlieren das Sorgerecht für ihre Kinder. Im Kampf für die Bürgerrechte der Betroffenen dient Barbara Nitkes Werk einem wichtigen Zweck. Es stellt die SM-Praktizierenden als Individuen vor und macht es damit schwer, sie zu diskriminieren,“ so Charles Moser vom Insititute for Advanced Study of Human Sexuality in San Franzisko. Es ist schon traurig, dass im vierten Jahrzehnt 'sexueller Aufklärung‘ ein solches Engagement noch lobende Erwähnung finden muss. Doch Aufklärung tut gerade in einer Zeit kultureller Verelendung Not, und das hier vorliegende Fotowerk der New Yorker Fotografin Barbara Nitke erleichtert den Zugang zu einem schwierigen und tabubelasteten Thema durch ihren unmittelbar emotionalen und zärtlichen Impuls. Barbara Nitke, Jahrgang 1950, lebt seit den siebziger Jahren in der Ostküstenmetropole. Sie lehrt dort an der School of Visual Arts und ist Präsidentin des Camera Club of New York. Neben Einzelausstellungen weltweit sind einzelne ihrer Arbeiten auch in öffentlichen Dauerausstellungen in den USA und Europa zu sehen. Nach jahrelanger Tätigkeit als Standfotografin beim Pornofilm fand sie in ihren Freunden und Bekannten des sadomasochistischen Interessenverbandes Eulenspiegel Society Inspirationen und Kooperation. In einer langen Entwicklung gelang Nitke als einer zunächst Außenstehenden die Annäherung an sonst zutiefst scheue Individuen. Der passionierte Sklave wynn erzählte ihr von seinen Erfahrungen mit temprorären Piercings: „Er sagte, der Schmerz der Nadeln habe Endorphine durch seinen Körper rasen lassen, so dass sein Geist sich losgelöst habe und fortgeflogen sei, mit Lichtgeschwindigkeit durch die Welt, dass er einen Rausch an Farben gesehen habe, zauberhaft und unbeschreiblich schön. Er sei herausgeflogen aus seinem Körper...“ Um solche transzendentalen Momente wenigsten in Ansätzen Bild werden zu lassen, benutzte sie einen schwarzweißen Infrarotfilm, der eine starke Körnung erzeugt und hellen Flächen eine milchige Aura verleiht. In der Körperfotografie ist diese Methoden bislang selten zur Anwendung gekommen, die Ergebnisse bestätigen aber die Richtigkeit der ästhetischen Entscheidung: Statt in plastischer Schärfe erscheinen hier die Körper der agierenden Paare fast unwirklich und traumgleich. In der eingefrorenen Bewegung bleibt der Eindruck von Zeitlupe – ein romantisches Flair selbst in Momenten rauher Aktion und sexueller Domination. In seiner Einleitung bezeichnet A.D. Coleman Nikes Fotografien als ein „Hohelied des Sexus“, das das „Foto-Erotische“ mit einem sicheren Gespür für die Intimität und Sensibilität ihrer Modelle verwirklicht. In ihrer früheren Beschäftigung als Setfotografin bei Pornofilmproduktionen habe sie gelernt, sich als Mitarbeiterin durch 'Nichtpräsenz‘ zu qualifizieren. Im Rahmen der sehr privaten Szenarien, die sie in Kiss of Fire umsetzt, kommt ihr diese 'Abwesenheit‘ zugute: Die Inszenierung bleibt den Subjekten vor der Kamera überlassen, die sich ganz in einander vertiefen können. Nitke beobachtet und dokumentiert, bleibt distanziert und garantiert zugleich jene Nähe, die der scheinbar unbemerkten Zeugenschaft intimer Situationen eignet. Mit diesem eindrucksvollen Band bestätigt Barbara Nitke das Fazit ihres Vorwortes: „Egal, wie wir in der Liebe gepolt sind – wahre Freiheit heißt: Den Mut haben, zu sein, wer wir sind.“ :ms: |
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