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DAS LOCH IN DER TÜR
Bewertung: 2,5/5
OT: The Nightcomers
Anbieter: Kinowelt-Arthaus
GB 1971
R: Michael Winner
Ton: deutsch (Mono), englisch (Mono)
Untertitel: deutsch, holländisch
Bild: 1:1,85 (16:9 anamorph)
FSK: ab 16 Jahren
Bonusmaterial: Trailer, Teaser
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DAS LOCH IN DER TÜR ist einer jener Filme, die
man als Jugendlicher in den achtziger Jahren auf SAT 1 bewunderte und
völlig fasziniert zurückblieb: Ein sadomasochistischer Thriller,
fast schon obszön in seiner Direktheit, besetzt mit Marlon Brando
und Stephanie Beacham, mit der atmosphärischen Bildwelt eines aufwändigen
Kostümfilms. Eben ein Film, wie er nur in den Siebzigern entstehen
konnte. Leicht schmuddelig aber stellenweise inspiriert – wie die
meisten Filme seines berüchtigten Regisseurs Michael Winner. Ähnliches
ließe sich auch über seinen DEATH WISH sagen. So erzählt
DAS LOCH IN DER TÜR mit viel Freude an Sleaze und Grausamkeit die
Vorgeschichte von Jack Claytons stilvollem Geisterdrama SCHLOSS DES SCHRECKENS,
führt ausführlich vor, wie sich der Gärtner Quint (Brando)
eines viktorianischen Landsitzes das Kindermädchen und die beiden
Kinder des Hauses sexuell hörig macht. Das macht auch bei wiederholtem
Sehen Spass, vor allem wenn – wie auf dieser DVD – das Bild
in brillianter Schärfe beeindruckt. Auch das leichte Breitwandformat
ist der Bildkomposition zuträglich. Amüsant, dass dieses durchaus
sexploitative Werk in Kinowelts Arthaus-Edition erschienen ist, aber so
ändern sich die Zeiten – und man sollte nicht darüber
klagen.
*
Ein wohlbekanntes Profil schiebt sich über eine sonnendurchflutete
englische Parklandschaft: Peter Quint (Marlon Brando). Wir schreiben das
späte 19. Jahrhundert – das viktorianische Zeitalter –
und Quint ist Gärtner in einem monumentalen adligen Landhaus. Der
desinteressierte Vormund (Harry Andrews) verlässt das Anwesen und
überlässt Neffe Miles Christopher Ellis) und Nichte Flora (Verna
Harvey) der Obhut von Mrs. Grose (Thora Hird), der Lehrerin Miss Jessel
(Stephanie Beacham) sowie des Gärtners Quint. Im hermetischen Kosmos
dieses Landhauses wird sich das psychosexuelle Drama entfalten, dessen
Auslöser Peter Quint ist, der mit Mrs. Jessel eine ausschweifende
sadomasochistische Liaison unterhält und die Kinder mit seiner fatalistischen
Weltsicht und groben Streichen amüsiert.
Marlon Brandos Darstellung des ungehobelten Arbeiters im
vordergründig kultivierten Ambiente eines reichen Anwesens bietet
zahlreiche schauspielerische Kabinettstückchen: Im Umgang mit den
Kindern ist Quint ein origineller Spielkamerad, dessen bizarre und mitunter
grausame Ideen Flora und Miles ganz vereinnahmen. Gleich zu Beginn bläst
er mittels einer Zigarre eine Kröte auf bis sie zerplatzt. Miles
wird er später den Umgang mit Pfeil und Bogen lehren, was schließlich
sein eigenes Schicksal besiegelt. Nachts dagegen verwandelt sich Quint
in einen autoritären Sexmaniac. Bereits in der Nacht von Miss Jessels
Ankunft begibt er sich auf ihr Zimmer, entblößt ihre Brust
und streicht grob über eine Brustwarze. Seine Mine bleibt dabei stoisch
– fast stumpf. Diese erste Begegnung, der die Frau mit erschreckter
Starre begegnet, zeichnet den Weg in ein einseitig ausgerichtetes sadomasochistisches
Verhältnis vor. In einer zentralen Sequenz fesselt er Miss Jessel
in mehreren bizarren Posen, was die Kinder heimlich beobachten. Später
wird Mrs. Grose die beiden dabei erwischen, wie sie diese Sexspiele nachahmen.
Tagsüber trichtert Quint den Kindern seine Lebensphilosphie
ein: Liebe sei manchmal Hass, Leben sei Tod – eine unbewußte
Transgressionsphilosophie vermittelt er in einfacher Sprache. Dabei bemerkt
er offenbar nicht, wie sehr seine zynische Weltsicht die Kinder überfordert.
Als Miss Jessel – von Mrs. Grose alarmiert – die Kinder vom
Anwesen wegbringen will, ziehen diese den für sei einzigen naheliegenden
Schluss: Sie töten Quint und Miss Jessel, auf dass sie im Tod vereint
und glücklich seien und das Anwesen niemals verlassen müssen.
Henry James‘ auch diesem Film zugrundeliegende Schauernovelle
„The Turn of the Screw“ wurde bereits 1961 unter dem Titel
„The Innocents“ (Schloß des Schreckens; Regie: Jack
Clayton) verfilmt. Während sich Claytons klassischer Gothic-Horrofilm
dicht an der Vorlage hält und dabei die Geistergeschichte als Metapher
für viktorianische Sexualängste nutzt, geht der berüchtigte
Brite Michael Winner (auch: „Death Wish“; Ein Mann sieht rot;
1974) den umgekehrten Weg: Er erzählt, wie es zu der Besessenheit
der beiden Kinder Miles und Flora kommen konnte, denen Quint und Mrs.
Jessel später als Geister begegnen. Und es obliegt Marlon Brando,
den schädlichen Einfluss des rauhen Gärtners Quint auf die kindlichen
Seelen überzeugend zu vermitteln.
Winners Bildsprache in „The Nightcomers“
ist expressiv: Zur Akzentuierung benutzt er blitzartige Zooms, etwa in
den letzten Einstellungen, in denen die Leichen in die Gesichter der Kinder
überblendet werden, deren Augenpartie eingezoomt wird. Auch innere
Montage wird oft bemüht, etwa wenn sich zu Beginn über den Garten,
durch den die Kinder laufen, Brandos schattiges Profil schiebt –
begleitet von den Vorspanntiteln. Er wird der Schatten im Leben dieser
Kinder sein – das kündigt sich bereits hier an. Diese Inszenierung
lässt Brando viel Raum zur Entfaltung seiner zynischen, verrohten
Figur: Er beherrscht die Szenerie, wenn er sich buchstäblich Zugang
zu den Räumen verschafft – hier nimmt er Aspekte seiner Rolle
aus „L’ultimo tango à Parigi“ vorweg. Doch er
bekommt auch seine zärtlichen Momente zugestanden, etwa wenn er mit
den Kindern im kalten Licht des Wintermorgens einen Drachen steigen lässt.
Hier parallelisiert ihn die Kamera mit den Kindern, und Jerry Fieldings
Komposition lässt die musikalischen Leitmotive zu einer übermütigen
Melange zusammenfließen. Peter Quint ist letztlich ein großes
Kind, das sich über die fatalen Konsequenzen seines Einflusses kaum
bewußt ist. Brando erinnert hier an den alten Paten, der kurz vor
seinem Tod alberne Spiel mit dem Enkel treibt. „Brando: brutal and
beautiful“. In diesem oft übersehenen Film soll die Werbung
ausnahmsweise Recht behalten. „The Nightcomers“ ist ein schmutziges
wie virtuoses kleines period-Drama mit grandioser Besetzung und einem
zersetzenden Blick auf die Ära der verdrängten Sexualität...
Marcus Stiglegger
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