Walter Murch
Ein Lidschlag, ein Schnitt Alexander Verlag, Berlin. Mit einem Vorwort von Francis Coppola. Deutsch von Ulrich von Berg. 151 Seiten, Broschur, Fadenheftung. Euro 15,50 /SFr 27,70. ISBN 3-89581-109-2 “Walter ist Filmphilosoph, Filmtheoretiker und [...] ein begabter Regisseur. Nichts fesselt mich mehr, als stundenlang zuzuhören, wenn Walter seine Theorien über das Leben und über das Kino ausbreitet und dabei eine Spur unzähliger Leckerbissen an Weisheit streut, wie Hänsel und Gretels Spur aus Brotkrumen: Orientierung und geistige Nahrung zugleich.“ Francis Ford Coppola im Vorwort Es ist bereits lange Jahre her, dass der Filmcutter und Regisseur Karel Reisz in „Geschichte und Technik der Filmmontage“ einen sehr systematischen Einblick in die Geheimnisse seiner Zunft gewährte. Nun ist ein weiterer Schnittmeister angetreten, uns mit einer essenziellen Disziplin des filmischen Mediums vertraut zu machen: Walter Murch. 1943 in New York geboren, ist Murch Cutter, Sound-Designer, Regisseur und Drehbuchautor. Bei den Filmen American Graffiti, Der Pate III, Die unerträglichen Leichtigkeit des Seins, Der Englische Patient und Der talentierte Mr. Ripley war er für Ton und Montage verantwortlich. Vor nicht allzu langer Zeit hat er Orson Welles’ Film noir Im Zeichen des Bösen unter Berücksichtigung der umfassenden Notizen des Autors, die von der Produktionsfirma ignoriert worden waren, neu geschnitten, und 2000 begann Murch auf Anregung Coppolas mit dem Neuschnitt von Apocalypse Now; von 1977 bis 1979 war er bereits als Sound-Designer und Co-Editor an der Erstfassung dieses Films beteiligt gewesen. Zu seinen zahlreichen Auszeichnungen gehören ein British Academy Award (Der Englische Patient) und der Oscar für den besten Sound (Apocalypse Now). Murch erweist sich von den ersten Seiten an als weniger formalistischer Zeitgenosse im Vergleich zu Reisz, und so lässt sich der für Filmfans wie für Filmschaffende ebenso interessante erste Teil des Buches ohne weiteres als kundiger Essay zur zeitgenössischen Filmästhetik begreifen. Er beginnt mit der grundlegenden Frage: Warum funktionieren Schnitte? Wie der Titel bereits andeutet, sieht Murch im Lidschlag bereits den Schlüssel zur Fähigkeit des Lesers, völlig disparate Segmente in der Kombination als Kontext zu begreifen. Der Autor geht in seiner Argumentation meist anekdotisch vor, erzählt von den Tonnen an Filmmaterial, die bei Apocalypse Now ausgewertet werden mussten, wendet sich aber auch immer wieder der Inspiration zu, die er aus den Reaktionen von Laien bezieht: Wenn etwa jemand die Filmmontage definiert als „Schneide die misslungenen Stellen raus“ (S. 22), so führt das in diesem Buch umgehend zu einer materialphilosophischen Reflexion. Immer wieder betont Murch, wie wichtig das 'Gefühl’ bei der Auswahl der Montage-Segemente ist, dass es immer vor Handlung, Rhythmus, Augenspur etc. gehe (S. 29). Die Zusammenarbeit mit dem Regisseur vergleicht er mit der Arbeit des Psychoanalytikers, der die Vision des Träumers festhalten und ihr letztlich einen Sinn verleihen möchte. Von der Archivierung möglicher Einstellungen auf Fotos kommt er bald auf die Vorzüge des digitalen Schnittsystems Avid zu sprechen, um das sich der zweite Teil des Buches dreht. In der Mitte bereits zieht er seinen Schluss: „Ein guter und sorgfältig geschnittener Film [...] greift die Gefühle und Gedanken der Zuschauer auf, führt sie fort und entwickelt sie auf aufregende Weise weiter, weswegen sie sich ihm genauso hingeben, wie der Film sich ihnen hingibt“ (S. 70). Francis Ford Coppola war mit George Lucas einer der ersten, der in der digitalen Bildbearbeitung eine mögliche Zukunft des Kinos erkannte. Sein erster Schritt in diese Richtung, Einer mit Herz, war seiner Zeit somit weit voraus. Murch, der gleichzeitig diesen Weg beschritten hat, fasst im zweiten Teil des Buches die Geschichte des digitalen Schnitts zusammen, leitet ihn aus den 70er Jahren her und begründet, warum gerade Avid sich durchsetzen konnte. Als Vorzüge des digitalen Schnitts nennt er: die hohe Geschwindigkeit, die geringen Kosten, den geringen Personalbedarf, den leichten Zugriff, die Archivierung verschiedener Fassungen, die erweiterten Möglichkeiten der Tonbearbeitung und die Integration von elektronischen Spezialeffekten. Dabei kommt er auf Aspekte zu sprechen, die Thomas Koebner als „Atelierästhetik“ bezeichnet: dass etwa in der Frühzeit des Avid die Bildauflösung so gering war, dass Cutter gerne Großaufnahmen wählten, um sicher zu gehen. Die ästhetischen Auswirkungen der Technik, die man auch als Filmwissenschaftler nur von einem Praktiker erfahren kann. Was Murchs Buch so sympathisch macht, ist der äußerst positive, fast utopistische Gestus, mit dem er seine Thesen vorträgt. „Wir stehen jetzt wahrscheinlich da, wo die Malerei 1499 stand. Wir haben also, wenn wir aufpassen, noch ein paar gute Jahrhunderte vor uns“ (S. 136). Das mag vielleicht etwas zu optimistisch sein – betrachtet man die zunehmende Dominanz interaktiver Neuer Medien gegenüber dem narrativen Spielfilm, doch Walter Murchs Buch macht Lust, sich auch weiterhin kreativ und theoretisch mit dem Medium zu beschäftigen. Und dabei die Arbeit einer ganzen Zunft von Filmschaffenden umso mehr zu schätzen zu wissen. Fazit: Essenzieller, gut verständlicher und persönlicher Einblick für Filmpraktiker und –theoretiker. Marcus Stiglegger |
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