MIND GAME

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Regie: Masaaki Yuasa
Länge: 103 (Min)
Produktionsort/-jahr: Japan 2004
FSK: 16
Anbieter: Rapid Eye Movies
Veröffentlichungsdatum: 05.06.2009
Bildformat: 16:9
Ton/Sprache: Dolby Digital 5.1, Deutsch, Japanisch
Extras: Interviews, Making Of (Animationsdesign), Musik Clips, Bildergalerie,
Remix Clips, Kinotrailer

Im Sekundentakt wechselnde Momentaufnahmen aus dem Leben verschiedener Figuren, scheinbar zufällig hintereinandergeschnitten, in einem sprunghaft sich ändernden Zeichenstil, zusammengehalten nur durch den atmosphärisch dichten, tristen Score. So beginnt Masaaki Yuasas experimenteller Animationsfilm MIND GAME – als sinnliche wie auch kognitive Reizüberflutung, die einen nach dieser ungewöhnlichen Exposition etwas ratlos aber sicher auch neugierig hinterlässt. Anderthalb Stunden später dann, die von postmodernem Zeichenspiel, existenzialistischen Fragestellungen und grenzenloser visueller Fabulierlust geprägt sind, wird man wieder an diese wundersame Anfangsmontage erinnert. Und plötzlich ergibt alles einen Sinn und die entwaffnend optimistische, lebensbejahende Botschaft des Films erhält spätestens dann genügend Zeit, sich zu entfalten.

Der Plot ist dabei so abstrus wie unberechenbar: Der junge, zutiefst neurotische Mangazeichner Nishi trifft per Zufall seine Schulhofliebe Myon wieder und landet mit ihr in der Bar, die sie mit ihrer Schwester Yan betreibt. Droht der Film mit Nishis offensichtlicher Faszination für Myons überdimensionierte Brüste zunächst noch das Klischee des schlüpfrigen Erwachsenen-Animes zu bedienen, so fühlt man sich im nächsten Moment an Hemingway erinnert, als zwei Auftragskiller den Laden betreten und für Unruhe sorgen. Der feige Nishi wird von einem der Killer höchst unwürdig ins Jenseits befördert, wo Gott persönlich (und in stets wechselnder Erscheinung) seiner jammernden Seele den Weg ins Nichts weist. Mit der festen Absicht das Leben nun so zu gestalten, dass es sich wenigstens lohnen würde dafür zu sterben, überlistet Nishi den Allmächtigen jedoch und springt buchstäblich wieder ins Leben zurück. Im zweiten Anlauf nun gar nicht mehr der zögerliche Feigling, überwältigt Nishi die Gangster und rast mit den beiden Schwestern im Schlepptau, dicht gefolgt von einer Horde aufgebrachter Yakuza, davon. Die wilde Verfolgungsjagd findet ihr jähes Ende, als die drei von einem riesigen Wal verschlungen werden, dessen Inneres sich – Disney’s PINOCCHIO lässt grüßen – als unerwartet wohnlich entpuppt.

Wie in seinen surrealistischen Kurzfilmen (CAT SOUP, HAPPY MACHINE) oder der abstrakten SciFi-Serie KAIBA, beschränkt sich Regisseur Yuasa in MIND GAME nicht auf die gängigen Erzähl- und Stilmuster des Mainstream-Animes, sondern verweist immer wieder auf die trickfilmgeschichtliche Avantgarde. MIND GAME erinnert mehr an Bakshi denn an Otomo; blickt lieber zurück auf Disneys experimentelle Phase der frühen 40er als hinüber zum Studio Ghibli. Dass die oberste Instanz im Universum des Films als polymorphe Gottheit erscheint, die wirkt, als sei sie einem heimlichen Traum Derridas entsprungen, ist bezeichnend für das postmoderne Selbstverständnis des Regisseurs: Yuasas virtuoser Umgang mit Farben und Formen, Zeit und Raum wirkt völlig entfesselt und befolgt keine Regel, die nicht schon im nächsten Augenblick wieder gebrochen werden könnte. Nach Belieben vermischt er konventionelle Zeichentricktechnik mit aufwändiger 3-D Animationen oder rotoskopierten Spielfilmelementen, ohne Rücksicht auf stilistische Kohärenz. Es zählt allein die Wirkkraft des einzelnen Moments – was zwar dem Erzählrhythmus nicht immer gut bekommt, aber größtenteils zu visuell erstaunlichen Ergebnissen führt.

Dem möglichen Vorwurf der selbstzweckhaft eklektischen Effekthascherei entgeht Yuasa durch den selbstreflexiven Subtext. Im Innern des Wals, wo sich Nishi (der bereits in der Mangavorlage seinem Schöpfer Robin Nishi nachempfunden wurde) und seine Freunde in kreativen Exzessen ergehen, um die tatsächliche Isolation zu überspielen und sich dabei im positiven Sinne neu zu erfinden, drückt sich das ambivalente Verhältnis des Films zum postmodernen Zustand aus. Doch würde auch dies nirgendwo hinführen, bliebe nicht das alltägliche Leben „da draußen“, in Form von subjektiven Erfahrungsfragmenten, ein ständiger Referenzpunkt. Nicht für die Kunst, denn die speist sich schon lange am liebsten aus sich selbst, sondern für die Hoffnungen und Sehnsüchte der Figuren. Es gehört zu den beeindruckendsten Leistungen dieses virtuos inszenierten Films, ein Hohelied auf die Primärerfahrungen des Lebens anstimmen zu können, ohne dabei verlogen zu wirken.

Die DVD-Veröffentlichung von MIND GAME ist, wie von Rapid Eye gewohnt, auf grundsolidem Niveau. Das gilt für die tadellose Bildqualität, wie auch für das dezent witzige Menü-Design und die Extras, unter welchen sich neben einem 22-minütigen Interview mit den Filmemachern auch das Musikvideo zum Titelsong von Boredoms-Mitglied Seiichi Yamamoto finden lässt. Der Ton indes liegt sowohl auf japanisch als auch in der deutschen Synchronisation vor, die sicher nicht lieblos gestaltet ist, jedoch haben die deutschen Sprecher erhebliche Mühe den ausdrucksstarken Bildern gerecht zu werden. Wie immer gilt auch hier: wer sich nicht vor Untertiteln fürchtet, sollte sich die wesentlich lebhaftere japanische Originaltonspur gönnen.


Dennis Schanz