Mädchen am Sonntag – 99euro-films III

4 / 5 Sterne

BESTELLEN

Anbieter: Good! Movies www.goodmovies.de
Extras: Trailer, deleted Scenes, Carte Blanche Kurzfilm, Regisseur Interview Musik, Galerie

Die vom Filmfest Oldenburg initiierte Reihe der „99euro-films“ geht in die dritte Runde. Nach zwei Kurzfilmsammlungen ist im Rahmen dieses Manifestes unter der Regie von RP Kahl nun erstmals ein Projekt in Spielfilmlänge entstanden, das ein einfühlsames Portrait vier junger Schauspielerinnen entwirft. Beinahe nebenbei gelang Kahl ein eigenwilliges Werk, das die Grenzen des Dokumentarischen immer wieder zugunsten einer assoziativ-essayistischen Erzählweise sprengt.

„Die Zeiten, in denen ich arbeite, da geht’s mir gut. Und die Zeiten dazwischen, da bin ich noch nicht dahinter gekommen, wie ich mit dieser Zeit gut klarkomme und das ist einfach das Problem.“ Was Laura Tonke, eine der interessantesten Schauspielerinnen des deutschen Gegenwartskinos, gleich zu Beginn nüchtern formuliert, ist bezeichnend für das Prinzip, nach dem RP Kahls MÄDCHEN AM SONNTAG vorgeht: direkt und ungeschminkt. Vier Schauspielerinnen sind es, die nacheinander portraitiert werden und die Kahl über ihre berufliche und private Situation reflektieren lässt.

Das Konzept des Films, der die Frauen nie bloßstellt, sondern sich ihnen einfühlsam und respektvoll nähert, basiert auf der 1966 entstandenen Dokumentation ROMY SCHNEIDER – PORTRAIT EINES GESICHTS, für die der damals noch junge Hans Jürgen Syberberg die legendäre Schauspielerin einen Tag lang begleitet hatte und eine bis dato kaum beachtete Seite an ihr präsentierte. Romy Schneider war zu diesem Zeitpunkt bereits nach Frankreich gegangen, um dem Bild der SISSI zu entkommen und dort von Visconti als äußerst begabte Schauspielerin jenseits des früheren Rollenklischees neu entdeckt worden. Und doch zeigte sie in den Interviews, die sie Syberberg gab, keinen ungetrübten Optimismus, sondern all die Nachdenklichkeit, die Unsicherheit und Selbstzweifel, die sie später bis an die Grenzen der Selbstaufgabe in ihre Rollen einbringen sollte.

RP Kahl

Man sollte nicht unterschätzen, welchen Einfluss das von Syberberg gezeichnete Bild vom Berufsstand der Schauspielerin auf Kahls Film hatte, auch wenn weder Romy Schneider noch Syberberg selbst je direkt angesprochen werden. Denn die gesamte Stimmungslage, die Melancholie und die Geduld des Kamerablicks sind aus dieser Perspektive abgeleitet und in die gegenwärtige Kinosituation verlängert worden. Dass also die Wahl der Schauspielerinnen neben der bereits erwähnten Laura Tonke auf Katharina Schüttler (SOPHIIIIE!, 2002), Inga Birkenfeld und Nicolette Krebitz (JEANS, 2002) fiel, ist so naheliegend wie konsequent, zeichnen sich doch alle vier durch eine leidenschaftliche Hingabe an ihren Beruf und, daraus resultierend, eine Vorliebe für Independent- und Autorenprojekte aus. Dennoch wird hier kein Beruf verklärt, im Gegenteil kommen die MÄDCHEN AM SONNTAG immer wieder auf die Risiken und Unsicherheiten, die mit dem Beruf des Schauspielens einhergehen, zurück. Zur größten Angst wird, neben der generellen Selbstunterschätzung, man könne als talentlos auffallen, die Ungewissheit darüber, „wie lang es noch geht. Die Frage ist nur, was macht man dann…“.

Ein solches Konzept könnte leicht thesenhaft, belehrend oder melodramatisch wirken, doch gelingt es Kahl, all das zu vermeiden. So passt sich seine Inszenierung den Gedankengängen seiner „Mädchen“ an, die mal jenseits aller normativen Sprachregelungen ungebremst drauflos plappern, ins Anekdotische verfallen, zwei Sätze zugleich beginnen und keinen beenden, mal aber auch ernsthaft und klar über ihre Probleme reflektieren oder gar nichts sagen, sondern nach Worten erst suchen müssen. Diese Spontaneität wird zum Konzept der Ästhetik. Zunächst verzichtet Kahl auf all das, was solche Dokumentarformate gewöhnlich ausmacht, die Erzählerstimme beispielsweise, die Einstreuung der Interviewfragen oder auch Einspielungen fremden Filmmaterials, mit dem die schauspielerische Leistung oder das sonst vermittelte Bild der Interviewten veranschaulicht würde. Damit wird der nötige Freiraum geschaffen, mit dem vorhandenen Material zu experimentieren und das Elliptisch-Fragmentarische der Gespräche in filmische Strukturen zu übersetzen.

So befreit sich die Montage von den Konventionen ihres Formats, erlaubt sich immer wieder erzählerische Auszeiten und lässt den Film ins Essayistische hinübergleiten. Wenn Nicolette Krebitz resigniert, in den meisten produzierten Filmen sei doch alles gleich und ziemlich langweilig oder wenn Laura Tonke in einem Anflug von Zynismus bemerkt, die Verleihung der Goldenen Kamera hätte ihr prompt ein dreiviertel Jahr der Arbeitslosigkeit eingebracht, vermag es Kahls Montage, diesen Aussagen einen Entfaltungsfreiraum zu ermöglichen, indem er ihnen beinahe meditative Naturaufnahmen folgen lässt. In solch filmischen Leerstellen öffnet sich das Potenzial eines gedanklichen Raumes, entsteht ein Spalt zwischen dem, was das Filmbild zeigt und den Assoziationen, die es auszulösen vermag.

In diesem Freiraum werden die Sprünge zum Reflex auf das Wesen des Dokumentarischen, das ja wie jeder Spielfilm auch einen Standpunkt zum Dargestellten finden muss, zeichnen sie doch eben diese Suche nach. Kahls Methode besteht vor allem darin, Vorschläge zu machen und Präsentationsformen auszutesten, anstatt sich an verbindlichen, fest fixierten Positionen abzuarbeiten. Damit gelingt es dem Film, sein Material in seiner Funktion des Portraitierens zu nutzen und ihm zugleich jene Unverbundenheit zu belassen, die sich erst auf Zuschauerseite zu einem eindeutigen Bild zusammenfügen lässt. So formuliert sein Essay nicht die einzig gültige oder gar wahre Aussage über seine Schauspielerinnen, über die Schauspielerei als solche oder gar die gegenwärtige Deutsche Filmindustrie, er deutet vielmehr Optionen solchen Nachdenkens an.

„Eine Idee haben, etwas erzählen wollen und dies mit Begeisterung und Liebe zum Film umsetzen“ – dieses Motto stand 2001 am Beginn der Initiative „99euro-films“, die junge Filmemacher wieder dazu bringen wollten, sich statt auf ein möglichst hohes Budget wieder auf ihre kreativen Impulse zu besinnen und ohne den Druck, allerdings auch ohne die Hilfe finanzieller Mittel mit den Möglichkeiten des filmischen Erzählens zu experimentieren. Bislang waren nach diesen Grundsätzen zwei Dutzend Kurzfilme von unterschiedlichsten Regisseure und ebensolcher Qualität entstanden. RP Kahl war einer der Mitbegründer dieses Manifests und er hat mit MÄDCHEN AM SONNTAG bewiesen, dass dieses Konzept nicht nur theoretisch interessant, sondern tatsächlich praktikabel ist. „Wir brauchen mehr Mädchen am Sonntag“ hieß es nach dem Kinostart im Januar in der FAZ. Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen.

Sebastian Lauritz