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Michel Houellebecq
Gegen die Welt, gegen das Leben
DuMont: Köln 2002
Leben und Werk des amerikanischen Horrorschriftstellers
Howard Phillips Lovecraft sind zweifellos ein rätselhaftes Faszinosum.
Unzählige Biographen haben sich an seiner Vita abgearbeitet, und
keinem ist es wirklich gelungen aus den unzähligen erhaltenen Briefen
und wenigen anderen bekannten Quellen ein kohärentes Bild der widersprüchlichen
Persönlichkeit des „Einsiedlers von Providence“ zu zeichnen.
Lovecrafts einsames Dasein scheint geradezu hinter seinem Werk verschwinden
zu wollen, das wie kaum ein anderes das moderne Horrorgenre geprägt
hat. Radikal bricht er mit den traditionellen Schauergestalten der „Gothic
Fiction“ seiner Vorgänger. Seine Erzählungen sind nicht
bevölkert von Geistern, Vampiren oder Werwölfen, statt dessen
raunen sie von dunklen „äußeren Göttern“,
mächtigen Dämonen von fremden, unvorstellbar weit entfernten
Sternen, miteinander verbunden in einer schwindelerregenden Mythologie.
Sie sind die einzigen und wahren Herrscher eines kalten, feindseligen
Universums in dem der Mensch nicht mehr ist als ein trivialer Zufall sind,
Metaphern für die Blindheit und Gleichgültigkeit des kosmischen
Geschehens.
Der Gott des Christentums, so war sich Lovecraft sicher,
ist nicht mehr als eine reine Hybris des Menschengeschlechts, das sich
absurde Vorstellungen von der eigenen Rolle im Weltgeschehen macht. Und
so genügen schon vage Andeutungen auf das Grauen aus den Tiefen des
Alls um das Weltbild von Lovecrafts Helden zusammenbrechen zu lassen.
Überhaupt scheint es die einzige Aufgabe dieser blassen, kaum psychologisierten
Männer meist mittleren Alters, die seine Geschichten bevölkern,
zu sein, als Wahrnehmungsorgan, als Sensor zu fungieren damit der unsagbare
Schrecken weiter getragen werden kann. Jener kurze Blick hinter den Schleier
einer scheinbar wohlgeordneten Realität ist es dann auch von dem
die eigentliche Wirkung von Lovecrafts Geschichten auf den Leser ausgeht,
„eine Ahnung von der schrecklichsten Vorstellung, auf die das Menschenhirn
kommen kann: der unheilvollen Ausschaltung jener ehernen Naturgesetze,
die unser einziger Schutz und Schirm vor den Anschlägen des Chaos
und der Dämonen des unausgeloteten Weltalls sind“.
Es mag wenig verwundern das Michel Houellebecq sich in
diesem sinnentleerten mechanistisch-materialistischen Kosmos zu Hause
fühlt. Sein Essay über Lovecraft, als Erstlingswerk 1991 von
der französischen Öffentlichkeit fast unbemerkt geblieben, ist
voll von jugendlicher Bewunderung für diesen „Großen
Alten“ der fantastischen Literatur. Sehr genau untersucht Houellebecq
die literarischen Techniken, mit denen es diesem gelingt „objektives
Entsetzen“ zu erzeugen, ein Grauen, das anders als in den feinfühligen
psychologischen Horrorgeschichten eines Henry James oder Sheridan LeFanu
durch das Erzeugen von größtmöglicher Rationalität
(beispielsweise durch die exzessive Verwendung von wissenschaftlichem
Vokabular) von jeglicher Anfechtbarkeit befreit ist. Das Übernatürliche
ist bei Lovecraft nicht mehr dem Bereich des mythischen oder märchenhaften
zugeordnet sondern selbstverständlicher Teil der materiellen Welt
geworden und genau darum wirken seine Erzählungen so ungemein überzeugend.
Dem Leser geht es wie Lovecrafts Protagonisten: Auch sein Weltbild gerät
für einen kurzen Moment ins Wanken.
Doch Houellebecq will mehr bieten als nur stilistische
Analyse. Der letzte Teil des Buches ist einer Reflektion über Lovecrafts
Leben gewidmet, schon der Titel nennt es „Anti-Biographie“.
In gewisser Weise, so schreibt Houellebecq im Vorwort zur Neuauflage,
hätte er „dieses Buch als eine Art ersten Roman geschrieben“.
Damit trifft er die Sache sehr genau, denn spätestens ab hier bekommt
der Text die ausschweifende Allgemeingültigkeit eines literarischen
Manifestes. Lovecrafts schattenhafte Persönlichkeit wird hier einmal
mehr zur Projektionsfläche gemacht, mit der Hoellebecq sich, noch
Jahre vor seinen ersten Romanen, einen literarischen Übervater erschafft.
Es fällt schwer, ihm bei dieser Charakterisierung Lovecrafts
zu folgen, mit der er letztlich vielleicht doch mehr sich selbst meint.
Er stilisiert ihn zum Prototyp des verkannten Genies, der unfähig
den Alltag zu meistern im Leben scheitert um in der Kunst zu obsiegen.
„Ein aufs Minimum reduziertes Leben, in dem alle Lebenskräfte
auf die Literatur und den Traum übertragen wurden. Ein beispielhaftes
Leben“. Besonders die Lovecraft´sche Anti-Erotik und das Desinteresse
am Geld, im Leben wie im schriftstellerischen Werk, werden immer wieder
hervorgehoben und vereinnahmt. „Der Wert eines menschlichen Wesens
bemisst sich heute nach seiner wirtschaftlichen Effizienz und seinem erotischen
Potential." Ein Satz der bereits hier Hoellebecqs folgendes Werk,
seinen Kampf gegen den wirtschaftlichen und sexuellen Liberalismus, dessen
Allmacht die Menschen in Abhängigkeit hält, zusammenzufassen
scheint.
Lovecrafts augenscheinlicher Rassismus hingegen, der gerade
in der populärkulturellen Rezeption seines Werks gerne unter den
Tisch fallen gelassen wird, wird zur kleinkarierten Borniertheit eines
reaktionären Gentlemans heruntergestutzt und letztlich gar zum eigentlichen
Motor für Lovecrafts großartiges Schaffen verklärt. Dabei
greift eine solche Individualpsychologie mit Tunnelblick viel zu kurz.
Lovecrafts fruchtbarste Schaffensperiode in den 20er und 30er Jahren fällt
in eine Zeit größter sozialer Umwälzungen: voller neuer
naturwissenschaftlicher Kenntnisse, aber ohne den Halt eines verbindlichen
Glaubenssystems, eine Phase des Umbruchs zwischen zwei Weltkriegen geprägt
von erschütternder wirtschaftlicher Instabilität. Es ist dieses
„unpersönliche Maschinenzeitalter“, aus dem Lovecraft
sich in seinen Geschichten davonträumt, und damit bringt er keine
absolut individuellen Ängste zum Ausdruck, sondern vielmehr die Verwirrung,
Orientierungs- und Haltlosigkeit seiner ganzen Generation.
Steffen Köhn
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