|
Alexei Monroe
Interrogation Machine
Laibach and NSK
BESTELLEN
MIT Press 2005, 315 Seiten, zahlreiche sw und Farbabb.
Während ihrer nunmehr über zwanzig Jahre
dauernden Existenz hat die slowenische Musikgruppe Laibach als Gründer
der Neuen Slowenischen Kunst (NSK) die unterschiedlichsten Phasen ihres
kreativen Ausdrucks durchlaufen. Die musikalischen Anfänge waren
noch stark von atonalen Klangcollagen geprägt, wie sie seit Ende
der 1970er bis Mitte der 1980er auch von vielen anderen Künstlern
bekannt sind. Dieser radikale Rückbau von Klang, Ton und Struktur
der Musik bis hin zur Unkenntlichkeit und Beliebigkeit von Lärm entsprang
dem dekonstruktivistischen Moment und dem pessimistischen Realismus der
frühen Punkbewegung. Nun untersucht das international verfügbare
Buch 'Interrogation Machine' auf tiefgehende Weise das Konzept der neuen
Slowenischen Kunst und deren erfolgreichem Projekt: Laibach. Grund genug,
sich etwas eingehender damit auseinanerzusetzen...
Die spezifische Form von 'Anti-Musik’, wie sie Laibach
zunächst kultivierte, erhielt durch die englische Band Throbbing
Gristle mit dem Terminus Industrial Music auch eine Begrifflichkeit, die
aber bei genauerer Betrachtung die teils sehr individuellen Konzepte lediglich
auf akustische Gemeinsamkeiten reduziert. Auch Laibach bewegten sich in
ihrer Frühphase zusammen mit vielen Künstlern aus dem slowenischen
Teil des damaligen Jugoslawiens in einer dem Punk angelehnten Subkultur,
aus der später dann auch z.B. die Neue Slowenische Kunst (NSK) hervorgehen
sollte. Dieser frühen eher atonalen Phase folgte schließlich
die für Laibach so typische kollagenhafte Arbeit mit akustischen
bzw. musikalischen Zitaten. Diese Arbeitsweise ist zwar bereits um das
Jahr 1950 herum als musique concrete durch den französischen Komponisten
Pierre Schaeffer eingeführt worden, sie erlebte aber besonders in
den 1980ern ihre Aufnahme in der populären Kultur, was sicherlich
auch durch die aufkommenden technischen Neuerungen in Form von sogenannten
Samplern begünstigt wurde. Laibach greifen nun für lange Zeit
konsequent auf Vorhandenes zurück, kombinieren Musikfragmente aus
anderen Liedern mit Sprachfetzen aus Reden, Filmen und Theaterstücken,
ergänzen diese mit eigenem Instrumentarium oder nehmen gar vorhandene
Lieder und inszenieren diese in einem völlig neuen musikalischen
Gewand. Damit erschaffen sie das musikalische Pendant zur restlichen Konzeption
von Laibach und der NSK. Eine Originalität im Sinne eine wird in
Frage gestellt, sogar als unmöglich angesehen. Dazu Ivan Novak in
einem Interview (Black 34, 2003): "Uns interessiert nicht, wer innovativer
oder der bessere Trendsetter ist. Schon in unseren Anfangstagen haben
wir das Nichtexistieren einer Art Originalität propagiert. Wenn uns
heute Leute fragen, ob Rammstein nicht schamlos bei uns klauen, dann können
wir nur sagen, dass selbst wenn ja, man es nicht unbedingt Diebstahl nennen
kann, denn sie beziehen sich auf etwas, das vor ihnen entstanden ist,
so wie wir uns genauso auf etwas bezogen haben, das vor unserer Zeit kam.
Das ist ein ganz einfacher Prozess. Wir inspirieren uns alle auf irgendeine
Art und Weise und jeder hat das Recht so zu handeln. So etwas wie die
alleinige Urheberschaft hat ausgedient. Laibach sind zu einem gewissen
Maße immer noch originell in der Art, wie wir Dinge kombinieren;
selbst wenn wir die Originalität an sich verneinen."
Eine besondere Rolle im Rahmen der künstlerischen Strategie
von Laibach und der NSK ganz grundsätzlich kommt dem kalkulierten
Tabubruch zu. Oft ist ein solcher Tabubruch der Schlüsselmoment der
NSK-Inszenierung, oft zwingt dieser den Rezipienten, sich mit einem gesellschaftlich
und kulturell verankerten Tabu auseinander zu setzen. Die Übertragung
des ethnologischen Begriffes Tabu auf die Neurosen der westliche Gesellschaft
geht auf Sigmund Freud zurück, der in Totem
und Tabu (1913) vier Punkte der Gemeinsamkeit nennt: „1.
In der Unmotiviertheit der Gebote, 2. in ihrer Befestigung durch eine
innere Nötigung, 3. in ihrer Verschiebbarkeit und in der Ansteckungsgefahr
durch das Verbotene, 4. in der Verursachung von zeremoniösen Handlungen,
Geboten, die von den Verboten ausgehen.“ Diese Tabudefinition erscheint
zunächst etwas sperrig, da sie primär den pathologischen Zwangscharakter
beschreibt. Das Tabu hat oder braucht keine rationale Begründung
(„Unmotiviertheit“), es ist somit in gewisser Weise willkürlich.
Betrachtet man sich Tabus der westlichen Industriegesellschaft, so haftet
diesen dagegen meist eine bestimmt rationale Erklärung an, die als
Begründung für die „innere Nötigung“, das Tabu
zu achten, herhalten muss. Ehebruch ist z.B. vor allem in Gesellschaften
ein Tabu, deren Integrität vordergründig auf der Institution
einer funktionierenden Ehe aufbaut. Die Misshandlung des Ehebruchs unterläuft
dann die auf dieser Integrität basierende Machtstruktur und stellt
sie in Frage. Die spezielle Ausprägung dieser Machtstruktur lässt
sich auf eine bestimmte, rational nachvollziehbare Basis zurückführen,
ist aber letztlich willkürlich. Ebenso könnte die Macht auf
einem anderen Modell basieren.
Im Bruch des Tabus liegt zugleich der Reiz: die Überschreitung der
Tabugrenze zu begehren, um das verbotene 'Andere’ zu erlangen. Mit
der Änderung gesellschaftlicher Wertvorstellungen kann sich die spezielle
Ausprägung von Tabus „verschieben“, so wird heute der
Ehebruch vermutlich als weniger harter Taburuch empfunden wie etwa in
den 1950er Jahren. Deutlich wird immer wieder die „Ansteckung“
durch das Tabu bzw. den Tabubruch: Wer das Tabu bricht, wird selbst zur
tabuisierten Person/Gruppe. Solche Mechanismen greifen in der westlichen
Gesellschaft vor allem an der Schnittstelle von Politik und Moral. Wer
als Journalist oder Künstler ein zeitgenössisches Tabu bricht,
wird umgehend selbst zum Tabu, und es besteht die Gefahr, in der Auseinandersetzung
mit der tabuisierten Person selbst „angesteckt“ werden, wie
die Diskussion um Norman Finkelsteins Polemik über die Holocaust-Industrie
belegt. Hier zeigen sich auch Aspekte von Freuds 4. Punkt: Es haben sich
gesellschaftliche Rituale und Verhaltensweisen etabliert („Gebote“),
wie mit einer bestimmten Thematik zu verfahren ist. Der seduktive Aspekt
des Tabu-Modells wird in einem späteren Satz von Freud deutlich:
„Der Mensch, der ein Tabu übertreten hat, wird selbst tabu,
weil er die gefährliche Eignung hat, andere zu versuchen, dass sie
seinem Beispiel folgen. Er erweckt Neid; warum sollte ihm gestattet sein,
was anderen verboten ist? Er ist also wirklich ansteckend, insofern jedes
Beispiel zur Nachahmung ansteckt, und darum muß er selbst gemieden
werden.“ Dieser Punkt ist für die Kunst an sich sehr wichtig,
erklärt er doch, dass ein Kunstwerk bzw. eine Aufführung in
konkreter Weise als „Beispiel“, also Vorbild empfunden wird
und somit als „Versuchung“ wirken kann. Interessant bleibt
an diesem Aspekt, dass dem tabubrechenden Medium explizit seduktive Qualitäten
zugestanden werden: der Tabubruch, die Grenzüberschreitung selbst
ist verführerisch. Und das Bewusstwerden dieser Verführungskraft,
das den Rezipienten in eine Krise stürzen soll, gehört zur Strategie
der NSK.
Schlüsselbegriffe im Werk der NSK und Laibach sind
nicht primär Ironie und Pastiche (diese Elemente treten später
in den Vordergrund), sondern Macht, Terror, Angst, Manipulation und Offensive.
Die Notwendigkeit, Macht mit Musik und Performance zu thematisieren wird
offenbar angesichts einer verschärften „politisch-ökonomischen
Krisensituation“. Laibach selbst benutzen ihre Auftritte als Akte
des Terrors, der Machtdemonstration, die den 'Einzelnen’ im Publikum
vereinnahmen und faszinieren soll, sein Bewusstsein leert und ihn mit
dem Kollektiv des restlichen Publikums verschmilzt. Nach Laibach ist der
Rockkonzert die prototypische Urform einer totalitären politischen
Machtbehauptung. In der Programmatik von Laibach wird diese Publikumsunterwerfung
jedoch möglich als bewusstseinserweiternder Prozess, „um mit
der Umnachtung des Verstandes den Konsumenten in die Lage der erniedrigenden
Zerknirschtheit und völligen Gehorsams/Opferbereitschaft zu bringen,
um mit dem Zerstören jeglicher Spuren der Individualität den
Einzelnen in die Masse zu verschmelzen und die Masse in ein einziges gedemütigtes
Kollektiv.“
Das künstlerische Programm von Laibach perfektioniert
in gewisser Weise die Idee der Industrial Culture, wie sie von der britischen
Gruppe Throbbing Gristle entwickelt worden war: „Industrial Music
for Industrial People.“ Massenproduktion, Wiederholungsstrukturen,
Maschinenlärm ('bruitismus’), Sampling (Ton-Recycling) und
vor allem Coverversionen liegen als künstlerische Strategien nah,
um der globalen kapitalistischen Industriegesellschaft einen entlarvenden
Spiegel vorzuhalten. Auf einer nächsten Stufe wurde die Gruppe Laibach
tatsächlich zur Popband, als sie mit 'Opus Dei' (1987) und der Maxi
'Sympathy for the Devil' (1989) weltweit große Charterfolge verbuchen
konnten.
Die Gruppe Laibach war zugleich die Keimzelle wie
auch der Anfang der Neuen Slowenischen Kunst, die 1984 ausgerufen wurde.
Und auch die Foto-Collagen, Gemälde und Skulpturen des Künstlerkollektivs
Irwin bedient sich ähnlicher Strategien wie die Band und bleiben
deren „Perspektive“ treu. Die klassische Avantgarde wie auch
die Retroavantgarde von Irwin (NSK) reduziert(e) das Kunstwerk auf sein
Medium, seinen materiellen Träger - mit der Folge dass es nicht mehr
um Intention, Mitteilung oder Inhalt ging. Der Betrachter von modernen
Kunstwerken beginnt hinter der medialen Oberfläche, die mit vertrauten
Zeichen besetzt ist, ein Inneres – nach [dem Kunstwissenschaftler
Boris] Groys der submediale Raum – zu vermuten, von dem aus eine
wahre Botschaft der modernen Kunst ausgesendet wird. Dieser Verdacht ist
der Motor für die Avantgarde; sie muss verdächtig wirken, und
zwar in dem Sinne, dass bekannte und vertraute Zeichen befremdlich, im
neuen Kontext dem Betrachter gezeigt werden. Das Plattencover der LP Opus
Dei etwa zeigt ein Motiv, das oft kritisiert wurde und nur auf dem Innencover
deutlich erkennbar abgedruckt werden konnte: Ein Hakenkreuz aus vier gleichen
Äxten ist in das unregelmäßige schwarze Laibach-Kreuz
eingefügt. Dies erklärt zudem die ungleichmäßige
Form des Kreuzes, dessen Balken leicht gegeneinander versetzt erscheinen:
das Axtkreuz wird darin immer mitgedacht. Was auf den ersten Blick wie
ein totalitäres Bekenntnis erscheinen mag, lässt sich in der
Tat auf eine äußerst vielschichtige Idee zurückführen,
denn es basiert auf einer klassischen Fotomontage des jüdischen Künstlers
John Heartfield, der in der Weimarer Zeit damit das zerstörerische
Potential des Naziregimes bloßstellte (und von Laibach in dem Stück
„Herzfelde“ gewürdigt wurde). Es sind die Beile des Schlachters,
die wie ein Windrad in Aktion treten werden... Es fällt schwer, dieser
Symbolik eine positive Konnotation abzugewinnen. Zudem wird das neu kombinierte
NSK-Emblem mit anderen Elementen verbunden: einem Zahnrad, einem Dornenzweig,
Hirschgeweihen und Fackeln: Das Zahnrad erinnert zugleich an den RAD der
Nazis wie auch an die technokratische Maschinerie des Kapitalismus’,
der Dornenzweig an das religiös motivierte Martyrium Christi, die
Hirschgeweihe an die mitteleuropäische Folklore und die Fackeln an
den Pathos totalitärer Feiern. Zusammen genommen stehen diese Einzelbilder
in einem ambivalenten Widerstreit: Politik und Religion, Volkstum und
Technokratie, Fortschritt und Tradition, Pathos und Ernüchterung.
Das Cover der Maxi-CD 'Tanz mit Laibach', auf den
ersten Blick eine Hommage an die deutschen Elektropioniere DAF (Deutsch-amerikanische
Freundschaft) und deren Lied „Der Mussolini“, ziert ein türkischer
Fez mit schwarzer Quaste, einem Totenkopfaufnäher, dem Titelschriftzug
und dem Laibachkreuz. Auch dieses Cover steht in der Tradition der Retroavantgarde:
einen solchen Fez trug die moslemische Freiwilligendivision Handschar
der deutschen Waffen-SS, nur dass auf deren Kopfbedeckungen über
dem SS-Totenkopf ein Reichsadler prangte. (Diese Divisionen trugen eine
Kopfbedeckung ohne Schirm, damit sie beim gebet ungehindert ihre Stirn
auf den Boden Pressen konnten.) Bei näherem Hinsehen wurde auch der
Totenkopf von Laibach präpariert: Er hat ein Einschussloch zwischen
den Augen. Die neue Kombination verbindet die Absage an das ursprüngliche
Symbol (durch das Schussloch) mit der traditionellen türkischen Kopfbedeckung
und dem gewohnt ambivalenten Laibach-Symbol, dem Zahnradkreuz. Wieder
zeigt sich: das „Schwarz und Weiß ist kein Beweis“ („Geburt
einer Nation“) – das Lied thematisiert nicht wirklich die
Band DAF als vielmehr das zwiespältige Verhältnis zwischen Deutschland
und den USA während des Irakkrieges.
Die hier ausgeführten Beispiele mögen belegen,
dass die Neue Slowenische Kunst, insbesondere Laibach und Irwin als deren
lebhafteste Inkarnationen, furchtlos die einst programmatisch entworfene
Strategie verfolgt, mit dem „Verdachtsmoment der Avantgarde“
(Groys) arbeitet und ihren Finger auf immer neue Wunden der Gesellschaft
legen – bzw. zeigt, dass die alten Wunden längst nicht verheilt
sind. Monroes umfassende Darstellung, die mit zahlreichen Farbtafeln und
Schwarzweißdokumenten illustriert ist, bietet die Chance einer ersten
und zugleich eingehenden und anspruchsvollen Annäherung an diese
"möglicherweise letzte wahre Avantgarde des 20. Jahrhunderts".
M. Stiglegger/G. Musch
|