KOMA 69

IL FUTURISMO

CD, 9 Tracks, im Jewelcase KATAKOMBEN REKORDZ

„Schönheit gibt es nur noch im Kampf. Ein Werk ohne aggressiven Charakter kann kein Meisterwerk sein. Die Dichtung muss aufgefasst werden als ein heftiger Angriff auf die unbekannten Kräfte, um sie zu zwingen, sich vor den Menschen zu beugen.“ - Fillipo Tomaso Marinetti

Der italienische Futurismus ist, zusammen mit dem Dadaismus, im Bezug auf radikale Jugendkulturen wie Punk oder Industrial, sicherlich die wegweisendste Spielart moderner Kunst.
Gerade im (Post-)Industrial Umfeld berufen sich einige Künstler indirekt oder direkt auf die zynisch-sarkastische Radikalität des Futurismus, die erstmals durch Fillipo Marinettis „Futuristisches Manifest“ am 20. Februar 1909 in der französischen Zeitung Le Figaro begründet worden war. Seine brutal destruktiven Fantasien fanden in der Zeit der Umbrüche vor und zwischen den Weltkriegen einen idealen Nährboden vor. Nichts sollte den Großangriff überstehen, eine heute noch weit verbreitete futuristische Attitüde, auch wenn den Künstlern die eigene futuristische Tradition oft nicht mehr bewusst ist.

Mit dem Futurismus wurde auch den Begriff „Avantgarde“ in die Kunst gebracht, ein militärischer Begriff, passend für eine Bewegung, die den Krieg als „letzte Hygiene in dieser Welt“ gesehen hat.

Am 11. März 1913 veröffentliche Marinettis Mitstreiter Luigi Russolo sein Manifest „L'arte dei rumori“, ein Schriftstück, das die Abkehr von jedweder Harmonie forderte, und die Schönheit des Geräusches pries. Russolos Erfindung, die Intraumatori, waren auch wichtige Pionierarbeit im Bereich der elektronischen Musik. Die wenigen verfügbaren Aufnahmen dieser mannshohen Krawallkästen sind beeindruckend und brachialer als mancher moderne „Noise“.

Verwunderlich, dass sich nun eine verhältnismäßig zahme Gruppe wie Koma69 daran macht, dem Futurismus ein musikalisches Denkmal zu setzen. Es ist die dritte Veröffentlichung dieser Gruppe, die mit ihren beiden Vorgängerwerken zumindest in der etablierten Gothic-Presse als meisterlich abwegig beschrieben wurde. Das erste Stück ist viel versprechend, dunkle minimalistische Musik zu kratzendem dunklen Gesang. Ein ungewöhnliches Stück, das durchaus dem Geist des Futurismus gerecht wird. Leider folgt bereits beim zweiten Stück die Ernüchterung. Dabei ist die Musik keinesfalls schlecht, nein sie ist sogar überdurchschnittlich gut. Aber den Futurismus hört man aus derart wenig dynamisch, atonalen oder disharmonischen Popsongs wirklich nicht heraus. Textlich bewegt man sich auf gehobenem Gothic-Niveau, ohne jedoch wirklich radikal zu sein. Diese Unentschiedenheit widerspricht jedoch den Grundprinzipien des Futurismus. In einem im Booklet abgedruckten Text, der zwar sehr interessant und gut formuliert ist, feiert man die eigene Provokanz, doch genau diese lässt sich nur rudimentär, in einigen wenigen Ansätzen, erspüren. Der große, alles vernichtende Rundumschlag, den der Futurismus anstrebte, verebbt in teilweise süßlichen Gothic-Kompositionen. Zum Vergleich, auch ein tausendmal gehörtes Power Electronics Machwerk voller „bösartiger“ Symbolik wäre keinen Deut besser gewesen, da einem solchen der innovative Charakter völlig fehlen würde, und es durch diesen Mangel ebenfalls gegen ein elementares Prinzip der Futuristen verstoßen hätte.

Koma69s „Il Futurismo“ läuft etwa 53 Minuten, und wechselt zwischen sehr guter und allzu abgeschmackter dunkler Popmusik hin und her. Ein Album, das man durchaus mehrfach hören kann, allerdings erschließt sich auch dann nicht der beabsichtigte Kontext zum Futurismus. Was bleibt, ist die wirklich klug strukturierte und angenehm hörbare Musik. Ein sehr ambitioniertes Scheitern. Vielleicht liegt hier die Parallele zu den italienischen Vordenkern, die, nachdem in zwei Kriegen die kampfbegeisterten Künstler in großer Zahl gefallen waren, selbst in völliger kultureller Bedeutungslosigkeit versunken sind.

Daniel Novak