Amos Kollek Reihe: SUE, FIONA, BRIDGET

4,5 / 5 Sterne

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Anbieter: Monitorpop
Regie: Amos Kollek
FSK : 16
Audiosprache: Englisch (Deutsch [Sue])
Untertitel: Deutsch, Englisch, Niederländisch
Format: PAL, 16:9/4:3, Colour
Sound: 5.1/2.0 DOLBY DIGITAL
Region: 2
Time: á ca. 110 min
Cover: Digipak in O-Card
Bonus: Kommentar, Trailer, Galerie, Bios

Seit John Cassavetes' unabhängig produzierten New-York-Dramen in den sechziger Jahren gibt es ein spezifisches New-York-Kino, das durch Namen wie Martin Scorsese und Abel Ferrara bekannt wurde. Die Stadt, ihre Menschen, Einsamkeit und nicht selten Gewalt durchziehen diese Filme, von denen TAXI DRIVER und BAD LIEUTENANT mit zu den berühmtesten zählen. Auch jene Trilogie der Einsamkeit, die der israelische Regisseur Amos Kollek zusammen mit der Schauspielerin Anna Thomson (THE CROW) gedreht hat, lassen sich hier einordnen, mit dem Unterschied, dass für Kollek nicht nur der Film noir Pate stand, sondern speziell auch die New Yorker Szenefilme von Paul Morrissey (FLESH, TRASH) und natürlich Cassavetes selbst. Außer in BRIDGET bezieht er sich seltener auf Genrestrukturen, sondern konzentriert sich ganz auf seine Protagonistinnen, deren jeweiliges Martyrium ausreichen dramatisches Potential birgt.

SUE (1998) ist der erste Teil der Trilogie und lief auch in deutschen Programmkinos mit einigem Erfolg, was erklärt, dass er als einziger der drei mit deutscher Synchronisation vertreten ist. SUE ist ein schonungsloser und trauriger Film über die Einsamkeit einer attraktiven Frau, die in New York um ihre Existenz kämpft. Durch ihre Labilität und auch Naivität verliert sie nach und nach alles: ihre Arbeit, ihre Wohnung und ihre Beziehungen. Sie wird zu einer Suchenden, einer Metropolen-Drifterin. Ihre zunehmende Isolation lässt sie für ihr Mitmenschen befremdlich erscheinen. Meist führt ihre Kommunikation über den Weg der Sexualität, was vieles verkompliziert. Dem sympathischen Journalisten Ben kann sie sich nicht öffenen, und auch die selbstlose Freundschaft der Barkeeperin Linda weist sie aus Bindungsangst zurück. Am Ende bleibt ihr nur noch die anonyme Sexualität...

Amos Kollek erzählt im separten Kommentar, er habe Anna Thomson beim Vorsprechen für einen geplanten anderen Film getroffen. Er war jedoch derart beeindruckt von ihrer Verletzlichkeit und eigenwilligen sinnlichen Ausstrahlung, dass er beschloss, mit ihr SUE zu drehen, der auf Erlebnissen mehrerer Bekannter des Regisseurs basierte. Dieser Film bedient sich noch eines vergleichsweise glatten Stils angesichts der Undergroundthematik, doch auch hier wurden bereits Szenen mit versteckter Kamera gedreht und Laien in kleinen Auftritten mit einbezogen. Was vor allem an der physischen Präsenz von Anna Thomson irritiert, ist ihr so offensichtlich operativ veränderter Körper, ihre aufgespritzten Lippen, die ihrem Lächeln immer etwas Verkrampftes und Unechtes geben, und ihre schweren Brüste, die immer wieder auch in Dialogen thematisiert werden.

Vergleichsweise radikaler geht Kollek bei dem zweiten Teil FIONA (2001) vor, den er nur mit der Hauptdarstellerin und seinem kameramann in den Straßen von New York drehte. Kollek nennt FIONA seinen liebsten Film, denn er sei in absoluter Unabhängigkeit entstanden. Und tatsächlich gelingen ihm hier ganz erstaunliche Bilder, geprägt von rohen Korn des 16 mm Materials und dem Verzicht auf zusätzliches Licht. Dieses permanente Rauschen gibt dem Film einerstaunlich Initimität, die an die gelungensten Momente des Dogma-95-Kinos erinnern.

FIONA macht uns mit der Geschichte einer dreißigjährigen Frau vertraut, die nach ihrer Geburt auf den Straßen New Yorks ausgesetzt wurde und nur noch dafür lebt, sich an ihrer Mutter zu rächen, von der sie nur eine billige Perlenkette hat. Als Kind wird sie von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht und gerät wie ihre Mutter ins Prostituierten- und Drogenmilieu. Fiona kennt keine moralischen Grenzen, schläft mit Männern und Frauen, liebt und tötet - etwa drei Polizisten, die einen ihrer potentiellen Kunden verhaften wollen. Dies ist eine verstörende Schlüsselsequenz des Films, die erklärt, warum sie sich später einem frustrierten Polizisten namens Ernie zuwendet, mit dem sie fliehen möchte. Ohne es zu wissen, lernt sie zuvor ihre Mutter kennen, mit der sie die Nacht verbringt. An dem Perlenkettchen erkennt die Frau ihre Tochter und begeht Selbstmord. Fionas Plan, die Stadt zu verlassen, endet tragisch.

FIONA saugt den Puls der Stadt New York förmlich in seine Bilder und lärmigen Klänge auf. Kollek dreht meist mit Handkamera, u.a. in einem echten Crack-Haus - mit Prostituierten von der Straße, die sich selbst darstellen. So fängt er erschütternde Szenen von Selbstaufgabe und Sucht zwischen Einsamkeit, Sehnsucht und Gewaltausbrüchen ein. FIONA ist ein rückhaltloses Drama, beklemmend, leidenschaftlich und tieftraurig. Vermutlich der beste Film der Trilogie.

2002 folgte BRIDGET. Diese bizarre Tragikomödie ist der Abschluss von Kolleks Triologie über das Schicksal junger Frauen in New York. Erstmals integrierte Kollek Genreversatzstücke aus Film noir, Beziehungskomödie und Gangsterfilm in sein Konzept, was auch den etwas gefälligeren Stil des Films erklärt. Dabei verlässt er auch erstmals New York, um die Handlung in Miami und Israel fortzuführen: Bridgets erklärtes Ziel ist es, das Sorgerecht für ihren Sohn Clarence wiederzubekommen. Sie möchte ihn von seinen Pflegeeltern freikaufen. Da ihr Geld als Kassiererin und Peep-Show Girl nicht ausreicht, begibt sie sich auf eine Odyssee durch mehrere Städte, um das nötige Geld aufzutreiben. Sie lässt sich auf seltsame Deals ein und wird dabei bald von ihrer zwielichtigen Vergangenheit eingeholt. Merkwürdige Leute säumen ihren Weg: der geistig zurückgebliebene Pete, dessen Vater ihr eine Millionen Dollar bietet, wenn sie seinen Sohn heiratet und fünf Jahre bei ihm bleibt; Drogenhändler, für die sie nach Beirut reist; schließlich wird sie von den Feinden ihres Ex-Mannes erpresst. Aber anders als Sue und Fiona lehnt sich Bridget gegen ihr Schicksal auf...

BRIDGET, der auf der 52. Berlinale aufgeführt wurde, bleibt vor allem wegen einer befremdlichen Sequenz in Erinnerung: Zu Beginn sehen wir Bridget mit einer Freundin (das deutsche Model Jascha Schulz, hier als Yasha Young) auf einer Party, wo sie von dubiosen maskierten Männern rekrutiert werden, um nackt Liegestützen zu absolvieren (siehe Coverfoto). Wer zuerst aufgebe, werde erschossen... Als Bridgets junge Freundin versagt, bekommt sie tatsächlich eine Kugel in den Kopf, und Bridget wird nackt auf die Straße geschickt. Als sie den Fall anzeigen möchte, wird ihr jedoch nicht geglaubt... - Insgesamt aber wirkt BRIDGET unausgegelichten und stilistisch schwer greifbar. Die rauhe und zugleich tiefgehende Sensibilität der vorangehenden Filme blitzt hier nur in einigen Momenten auf.

Das relativ junge Label Monitorpop hat diese eindrucksvolle Trilogie in sehr schön gestalteten Digipaks mit Steckhülle herausgebracht. Jeder DVD ist ein separater und äußerst informativer Kommentar beigegeben, der jedoch als einzelnes Feature anwählbar ist und nicht zum Film läuft (Laufzeit zwischen 10 und 20 Minuten). Die weiteren Extras (Trailer, Bios, Fotos) ähneln sich ebenfalls. Außer SUE liegen die Filme nur in deutsch untertitelten Versionen vor. Der Schwarzlevel bei allen drei Filmen ist leider etwas hell, was wohl an der NTSC-Umspielung liegt, doch nach dem Vorspann hat man sich bereits daran gewöhnt - bzw. die Einstellung selbst reguliert. Für Fans des unabhängigen amerikanischen Kinos sind diese drei Filme in ihrer Einheit absolut sehenswert, und zumindest SUE und BRIDGET können als Pflichtprogramm betrachtet werden. Bleibt abzuwarten, was Monitorpop zukünftig an Filmkunst zu bieten hat...

Marcus Stiglegger