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Johnny Was – The Last Days of a Good Guy
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Produktionsland & -jahr: UK/ Irland/ Dänemark,
2005
Laufzeit: ca. 90 Minuten
Genre: Action/ Thriller/ Drama
FSK: Keine Jugendfreigabe
Regie: Mark Hammond
Drehbuch: Brendan Foley
Kamera: Mark Moriarty
Schnitt: Leif Axel Kjeldsen, Anne Osterud
Darsteller: Vinnie Jones (Johnny), Eriq La Salle (Julius), Patrick Bergin
(Flynn), Lennox Lewis (Ras), Roger Daltrey (Jimmy), Samantha Mumba (Rita)
Bildformat: 16:9 (1:1,78)
Ton: DD 5.1
Sprachen: Deutsch, Englisch
UT: Deutsch
Johnny Doyle versteckt sich seit Jahren in einem
heruntergekommenen Mietshaus eines Londoner Vororts vor seiner Vergangenheit.
Die wird wieder quicklebendig, als Flynn, sein ehemaliger Chef aus der
IRA, aus dem Gefängnis ausbricht und sich bei ihm einquartiert. Und
ehemalig, das gibt es für einen überzeugten IRA-Mann nicht.
Als wäre das nicht genug, muss Johnny auch noch mit den Schreien
eines Kleindealers umgehen, den der örtliche Drogenboss Julius wieder
mal ein Stockwerk unter ihm foltert. Eine Etage höher betreibt Ras
einen Reggae-Piratensender, mit dem er auch die Nachbarschaft beschallt.
Der stets gewaltbereite Flynn will einen neuen Krieg mit den Engländern
anzetteln und gerät unterwegs mit Julius aneinander. Der prostituiert
zudem für Drogen die hübsche Rita, auf die Johnny ein Auge geworfen
hat. Er kann sich nicht länger zurückhalten und muss bald eine
Entscheidung treffen.
Es fällt schwer, Johnny Was einem Genre zuzuordnen.
So vertrackt Johnnys Situation ist, so unbestimmt gestaltet sich auch
der Film. Er bedient sich der Muster verschiedener Gattungen vom Psychodrama
über die Komödie bis hin zum Gangsterfilm. Dabei spielt er mit
seiner eigenen Identitätsschaffung.
Es ist anzuraten, den Film mit der englischen Tonspur zu
sehen. Die deutsche Synchronisation vermag nur schwerlich die verschiedenen
Akzente des Englischen vom Irischen über das Britische bis hin zum
Jamaikanischen nachzuvollziehen und ist enervierend interpretativ-bevormundend
in der Rezeptionssteuerung. Besonders die schwarzen Figuren verlieren
einiges an Authentizität, wenn ihr Pattwa schlicht in grammatikalisch
falsches Deutsch transformiert wird. Aus diesen sprachlichen Ausprägungen
beziehen die Figuren ihre Identität, erhält der Film den Eindruck
eines multikulturellen Englands. Hier ergeben sich weitere Besonderheiten:
Die schwarze Rita ist Irin, der bullige Ras predigt Frieden, Julius’
Jamaikanische Herkunft ist fragwürdig. Die britische Leitkultur indes
spielt wie die Polizisten lediglich eine abseitige Rolle.
Auch in der Besetzung der Schauspieler aus anderen Metiers
zeigt sich der Film abwechslungsreich. Vinnie Jones, wenn auch inzwischen
im Filmgeschäft etabliert, war Fußballprofi. Jimmy wird von
The Who-Frontmann Roger Daltrey gespielt. Ex-Box-Schwergewichtsmeister
Lennox Lewis modelliert mit sichtlicher Spielfreude die Rolle des Ras
nach eigenen Bekannten, was komische Akzente setzt. Die Figur der Rita
übernimmt R’n‘B-Sängerin Samantha Mumba (The Time
Machine) , der nicht anzusehen ist, ob sie mehr als die von Drogen betäubte
Gespielin hätte verkörpern können.
Vinnie Jones hat nicht die Präsenz eines Bob Hoskins
aus Long Good Friday oder eines Michael Caine aus Get Carter. Auch die
Gangsterwelt des Vororts von London erinnert nicht an den Glam der Kray-Zwillinge
aus den 60er Jahren. Zudem spielt Jones betont zurückhaltend. Die
Dramatik ergibt sich weniger aus seinen Aktionen, als vielmehr aus den
Irrungen der im Mietshaus neu geschaffenen Konstellationen der Parteien,
denen er fast passiv zuschaut. Das sonst elektrisierte Kraftpaket mit
dem eindringlichen Blick bleibt unentschieden in einer verharrenden Pose.
Erst gegen Ende erwacht sein Tatendrang aus Filmen wie Snatch oder Lock,
Stock and Two Smoking Barrels. Doch kümmert er sich weniger um die
eigene Zukunft als vielmehr um Rita. Der Hüne rührt an, wenn
er sie durch die verschlossene Tür wispernd dazu auffordert, mit
ihm zu fliehen. Doch kann er wirklich entkommen?
Inhaltlich weist Johnny Was in der Übermacht des Vergangenen
Parallelen zum amerikanischen Film noir der 40er Jahre auf, freilich im
Setting der Britischen Hauptstadt der Jetztzeit. Johnny wird verfolgt
von Gewissensbissen und Erinnerungen an einen fatalen Bombenanschlag,
aufgrund dessen er sich von Flynn distanzierte. Ihn suchen Bilder vom
Anschlag heim, die der Film in farbentsättigten Rückblenden
nachliefert. Sein gemartertes Wesen läßt sich an der Architektur
des Mietshauses veranschaulichen. Grob nach Freud unterhält das Es
Julius in der unteren Etage seinen Gangsterbetrieb, während im oberen
Geschoss das Überich Ras zur Vernunft auffordert. Das Ich Johnny
tendiert mal nach unten, mal nach oben. Er verharrt jedoch in seiner rückwärts
gerichteten Sicht, die sich schon im Titel ankündigt. Johnny gestaltet
sein Leben nicht aktiv im Hier und Jetzt, sondern er ist Spielball der
äußeren Einflüsse. Bis weit gegen Ende des Films bleibt
der Zuschauer gespannt, welche Entscheidung Johnny treffen wird.
Ästhetisch geht der Film eigene Wege. Hier gibt es
keine trüben Regenschauer bei Nacht mit spiegelnden Straßen,
keine dunklen Hinterhöfe, keine hinter Trenchcoat und Hutkrempe versteckten
Phantome. Die von entspanntem Reggae unterlegten Szenen spielen meist
bei Tag. So bricht sich die Gewalt - einem abrupten Wärmegewitter
im Sommer gleich - Bahn in die sonnendurchfluteten Einstellungen. Sie
liegt in der Luft, explodiert allerdings jedesmal wieder überraschend
und unvorhergesehen. Umso mehr verstören Folter, Prostitution und
Mord. Nicht in einer von der übrigen Gesellschaft geographisch abgeschotteten
Unterwelt, sondern lediglich ein Stockwerk tiefer in einer ruhigen Wohngegend
hausen Dealer, Killer und IRA-Bomber.
Mit seinem bunten Schauspielerensemble, den Wirrungen zwischen
den Figuren und der freien Selbstbedienung verschiedener Genres präsentiert
Johnny Was einen multikulturellen Ausschnitt Englands ohne feste Grenzen
von Landeszugehörigkeit, Ethnizität und Loyalität, in dem
das Individuum höheren Mächten ausgeliefert scheint. Hat Vinnie
Jones auch nicht genügend Präsenz, um den Film vollends zu tragen,
so fördert doch sein Spiel mit der aus anderen Filmen bekannten Figur
des eisenharten Recken der Handlung.
Im etwas knapp ausgefallenen Bonusmaterial finden sich
Trailer für weitere Kinofilme desselben Verleihs, und ein 16-sekündiges
Interview. Im etwa fünfminütigen Making-of ist nichts über
die Entstehung des Films selbst zu erfahren. Vielmehr erläutern die
Darsteller, wie sie ihre Rollen angelegt haben. Allerdings liefert der
aufwendig gestaltete, schmucke Pappschuber den Reggae-Soundtrack auf einer
Extra-CD gleich mit.
Ingo Stelte
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