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JENA PARADIES
Bewertung: 4/5
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Anbieter: epiX
Regie: Marco Mittelstaedt
Darsteller: Stefanie Stappenbeck, Luca de Michieli, Bruno F. Apitz, Hans-Jochen
Wagner
Drehbuch: Karen Matting, Marco Mittelstaedt
Kamera: Judith Kaufmann
Land / Jahr: Deutschland 2004
Länge: ca. 83 Minuten
Bonus: Interviews mit Stefanie Stappenbeck, Marco Mittelstaedt und Karen
Matting, Portrait von Judith Kaufmann, Portrait der Stadt Jena, Jena in
360°-Ansicht, Trailer, Fotogalerie, epiX-Trailershow
Jeannette (Stefanie Stappenbeck) lebt in Jena „seit
Louis“, ihrem 10jährigen Sohn (Luca de Michieli), den sie allein
großzieht. Ein Job als Hilfsgärtnerin beim örtlichen Fußballverein
hält sie und Louis über Wasser. Dass sie jeden Tag zu spät
zur Arbeit kommt, weil sie ihren Sohn erst noch zur Schule bringt, muss
ihr Chef Harry (Bruno F. Apitz), Platzwart und Trainer des „SV Schott
Jena“, einfach hinnehmen. Louis geht immer vor, in Jeannettes Leben.
Doch so harmonisch, wie sie es sich und anderen gerne vorgaukelt, ist
das Zusammenleben von Mutter und Sohn nicht. Louis wünscht sich mehr
als „immer nur wir beide“. Wenn er schon keinen Vater hat,
möchte er wenigstens seinen Opa und seine Oma besuchen, mit denen
Jeannette jeden Kontakt abgebrochen hat. Auch Jeannette gesteht sich erst
langsam ein, dass sie neben Louis Wohlergehen auch noch ein paar Träume
im Kopf hat. Erst dient ihr noch Louis Geburtstag als Vorwand, um die
erwachsenen Jungs der Fußballmannschaft zu einer Grillpartie einzuladen.
Sie nimmt nicht zur Kenntnis, dass Louis zu dem Trainer Harry, in dem
er einen Ersatz für Vater und Opa sehen will, eine viel engere Beziehung
hat. Später schickt sie Louis demonstrativ zum Spielen, um etwas
Zeit für ein Treffen mit dem neuen Nachbarn Philipp (Hans-Jochen
Wagner) zu gewinnen.
epiX vergleicht Marco Mittelstaedts JENA PARADIES
mit SOMMER VORM BALKON von Andreas Dresen. Was Mittelstaedt und Dresen
gemeinsam haben, ist die Bereitschaft, die Glücksmomente im Alltag
aufzuspüren. So freut sich der Zuschauer mit den nicht grade erfolgsverwöhnten
Mitgliedern des SV Jena über ein gelungenes Tor und würdigt
den übermütigen Flickflack des Schützens als große
sportliche Leistung. Genauso findet er Jeannettes braun gestreiftes Sommerkleid
hübsch, einfach weil er sieht, wie glücklich sie während
ihres kleinen Rendezvous mit Philipp darin ist. Doch das Glück ist
vergänglich. Der Abstieg des Vereins ist unabwendbar, Philipp ist
verheiratet und mehr als einen gemeinsamen Sommerabend kann er Jeannette
nicht geben. Das darauf folgende Leid ist ebenso tief empfunden, wie die
Freude. Jeannette treibt die Sehnsucht aus dem Haus, Harry die Angst vor
der Zukunft zu einem Selbstmordversuch. Harrys dramatische Geste öffnet
allerdings beiden die Augen und lässt sie trotz der Enttäuschung
den Blick wieder mutiger nach vorn richten.
Stilistisch unterscheiden sich die beiden Filme jedoch
stark. Während der Kameramann Andreas Höfer SOMMER VORM BALKON
in schmucklosen Bildern erzählt, unterstreicht Judith Kaufmann die
Reize der Protagonisten und nicht zuletzt die der Stadt Jena. Ihre Einstellungen
sind sonnendurchflutet und zeigen unzählige Schattierungen von Grün.
Sie macht die Sehnsüchte spürbar, die sich an langen Hochsommertagen
in solch einer kleinen Stadt entwickeln und die auch leicht in Melancholie
umschlagen können. Vermittelt Höfer dem Betrachter, dass auch
alltägliche Geschichten Stoff fürs Kino sein können, so
zeigt Kaufmann, dass auch der Alltag die Schönheit besitzen kann,
die man sonst nur aus dem Kino kennt.
Im sonst sorgfältig gestalteten Menü der DVD
fehlt eine Kapiteleinteilung, doch davon abgesehen findet der Benutzer
leicht zu den Einstellungen und den zahlreichen Extras.
Die direkt in die Kamera gesprochen Kommentare Stefanie Stappenbecks und
die durch Texttafeln vermittelten Interviews mit Marco Mittelstaedt und
Karen Matting (Drehbuch) bleiben stellenweise etwas oberflächlich.
Wie gut alle miteinander gearbeitet haben und wie groß das Vertrauen
zueinander war, hört man gerne, es vermittelt aber wenig über
die konkreten Probleme und Arbeitsweisen der Filmschaffenden. Aber dadurch,
dass die Interviews recht ausführlich sind, enthalten sie doch einige
Einzelheiten, die die allmähliche Entwicklung eines Filmprojekts
verdeutlichen. So wird geschildert, wie sich durch einen zufällig
gefundenen Drehort ganz ungeplant ein wichtiges Motiv für den Film
ergab, oder dass sich ein großer Teil der Ausstattungsgegenstände
in den Schuppen rund um das „Ernst-Abbe-Sportfeld“ finden
ließ, wo sie vor Jahrzehnten verstaut und dann vergessen worden
waren. Auch die Aussagen der munter plaudernden Stefanie Stappenbeck werden
dann informativ, wenn sie sich über die Leistungen des Requisiteurs
nicht nur beeindruckt zeigt, sondern auch Beispiele für seine Herangehensweise
gibt.
Der aufschlussreichste Beitrag ist Martin Richlings Porträt
Judith Kaufmanns (Kamera), das einer Ausgabe des „Film-Dienst“
(09/2006) entnommen wurde. Richling beschreibt detailliert Kaufmanns bisherigen
Werdegang, ihren Arbeitsansatz und die von ihr eingesetzten Techniken.
Eine 360°-Aufnahme von Jena ist hübsch anzusehen,
kommt aber schon im Vorspann und in der Gestaltung einzelner Menüpunkte
vor. Im Grunde ist es sympathisch, auch einen, für die Entstehung
des Films vielleicht eher unwichtigen, historischen Abriss der Stadt Jena
anwählen zu können. Doch eine Geschichte wie Jeannettes könnte
sich in jeder kleineren deutschen Stadt abspielen, nicht nur in „Paradies“,
dem titelgebenden Teil von Jena.
Ines Schneider
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