J-Horror Theatre Eine japanische Filmreihe von Produzent Takashige Ichise Nach seinem Erfolg mit der RING- und GRUDGE-Reihe lud der japanische Produzent Ichise in Zusammenarbeit mit der Genrefilmfirma Lionsgate aus den USA sechs Regisseure ein, um den populären heimischen Horrorfilm einen Schritt weiter zu bringen. Folgende Filme erschienen in der Reihe: INFECTION (aka Kansen) von Masayuki Ochiai (2.10.2004) PREMONITION (aka Yogen) von Tsuruta Norio (2.10.2004) REINCARNATION (aka Rinne) by Takashi Shimizu (7.1.2006) Nach der Häfte der Veröffentlichungen wurde die Reihe aus unbekannten Gründen offiziell eingestellt, die bereits gedrehten Filme erschienen schließlich als eigenständige Filmproduktionen: RETRIBUTION (aka Sakebi) von Kiyoshi Kurosawa (24.2.2007) KAIDAN von Hideo Nakata (4.8.2007) Der sechste Film ist nie entstanden. Ungeachtet des gescheiterten Konzepts verdanken wir Ichises Engagement fünf bemerkenswerte und ungewöhnliche Horrorfilme, die mitunter gezielt die Erwartungen des Publikums an einen J-Horrorfilm brechen. Das Label Eye See Movies bringt nun in Zusammenarbeit mit AV Visionen die Filme dieser Reihe auf schön gestalteten DVDs heraus. * KAIDAN Titel in Originalsprache : Kaidan Hideo Nakata wurde mit RING zur Legende des J-Horror-Kinos. Ungeachtet des internationalen Einflusses, den dieser epochale Geisterfilm hatte, drehte er jedoch erst mit dem vertrackten Thriller CHAOS sein absolutes Meisterwerk. Für KAIDAN kehrte er zum traditionellen Kino zurück. Mit visuellem Aufwand verfilmte er ein klassisches Kabuki-Stück, das bereits im allgemeinen Titel KAIDAN (nicht zu verwechseln mit dem episodischen Klassiker von 1966) auf seine Essenz verweist: 'Geistergeschichte'. Der Film entfernt sich vom stilisierten Kabuki-Stil, behält aber zahlreiche Elemente bei: so beginnt und endet alles mit einem Erzähler; die Schauplätze sind meist traditionelle Innenräume mit papierwänden; und der Schauspielstil und streng reduziert. Wie zu erwarten geht es um einen Fluch: Shinkichi Fukami verkauft in Edo Tabak und ist dazu verdammt, mit einem grausamen Familienfluch zu leben, denn vor 250 Jahren tötete sein Vater den Geldleiher Soetsu, weshalb ihn dieser mit seinen letzten Worten verfluchte. Bald darauf ermordete Shinkichis Vater seine Frau und tötete sich selbst. - Dem Sohn passiert ähnlich Grauenvolles, als er aus Eifersucht seine Ehefrau in spe verwundet und diese an einer Entzündung der Wunde stirbt. Shinkichi flieht, will ein neues Leben mit der jungen Ohisa anfangen, aber der Geist seiner verstorbenen Frau verfolgt ihn und treibt ihn zum Mord. Auch in einer neuen Ehe gibt es kein Entrinnen, und langsam häufen sich erschreckende Visionen und blutige Gewaltakte. Klassisch mythisch erzählt, in bunter, getsochen scharfer Bildästhtetik entfaltet und von dumpfen Teiko-Drums untermalt will Nakatas Film an die großen Klassiker des japanischen Kinos anknüpfen. Das macht KAIDAN auf angenehme Weise altmodisch. Aber zugleich leidet die Dynamik daraunter, die Erzählung trägt nicht über fast zwei Stunden, sondern wirkt merkwürdig gedehnt. Das mag beabsichtigt wirken, es hilft der Erzählung kaum. Und so entfesselt sich die Dramatik erst sehr spät, wenn die zornige yu-rei endlich auftaucht. So gehört KAIDAN letztlich weder zu den stärksten Werken der J-Horror-Theatre-Reihe, noch zu Nakatas Höhepunkten. Die DVD ist liebevoll gestaltet und bietet das gesamte japanische Bonusmaterial. Leider erschöpft sich dieses in wenig aussagekräftigen Interviews und Making-Ofs, sowie Premiere-Aufnahmen etc. Am Interessantesten ist noch die theatrale Erzählung der Urgeschichte. Der Film selbst ist gelungen gemastert und bietet eine akzeptable deutsche Synchronisation. Besonders gelungen ist das gediegene Digi-pak-Cover. Für Komplettisten des Genres und der reihe ist KAIDAN von großem Interesse, aber er bleibt eine Liebhaberangelegenheit. * RETRIBUTION - SAKEBI Originaltitel Sakebi Kiyoshi Kurosawa kann problemlos als Meister des japanischen Horrorkinos bezeichnet werden. Mit CURE und PULSE inszenierte er psychologische Meilensteine des Genres, die vor allem auch im westli9chen Ausland deultiche Spuren hinterlassen haben. Zudem gehören seine Filme zu jenen eigenständigen Kunstwerken, die sich nicht für ein Remake eigenen (Wes Cravens Produktion von PULSE-US belegt dies). In seinem langsamen Erzählduktus und ruhigen, sorgfältig komponierten Einstellungen entfaltet er ein schleichendes Grauen, das mehr mit dem Unheimlichen als mit drastischen Schocks arbeitet - obwohl auch diese wohldosiert vorkommen. RETRIBUTION ist ein unheimlicher Polizeifilm, der mit einem mysteriösen Mord beginnt: Eine Frau in einem roten Kleid wird tot in einer schlammigen Salzwasserpfütze in der Nähe des Hafens von Tokio gefunden. Yoshiko Noboru (Hayama), ein erfahrener, etwas melancholischer Polizist, untersucht den Fall und kommt schnell zu einem beängstigenden Schluss: Die Indizien deuten darauf hin, dass er selbst das abscheuliche Verbrechen begangen hat. Verzweifelt versucht er sich zu erinnern, während ein Geist in einem roten Kleid ihn zu quälen beginnt. Inzwischen geschehen weitere Morde. Doch die Lösung des Rätsels liegt in der Vergangenheit, im Verdrängten, das seinen Fluch auf die Gegenwart ausweitet. Ein klassisches Thema also für einen J-Horrorfilm. Und es ist gerade die Qualität dieses Films, dass er die Formelhaftigkeit der Erzählung geradezu hypnotisch langsam dekonstruiert und daraus eine eigene Qualität schöpft. RETRIBUTION ist so ein großer und schöner Film, der auch bei mehrmaligem Sehen überzeugt - wenn sein dezentes Vorgehen auch merkwürdig anachronistisch anmutet. Wie die US-DVD von Lionsgate enthält die DVD von Eye See das Making Of und ein interessantes Interview mit Kurosawa, der in den folgenden Jahren offenbar immer pessimistischer wurde, sich vom Filmemachen zurückzog und sich der Umweltpolitik widmete. RETRIBUTION ist der Höhepunkt der Reihe und auch für den Fans der künstlerischen Weltkinos ein sicherer Tip. * REINCARNATION - RINNE Originaltitel Rinne Takashi Shimizu ist eine Kuriosität selbst im an Kuriositäten reichen japanischen Film: Über die Hälfte seines Werkes machen unterschiedliche Varianten des Films JU-ON aus, den er sogar als THE GRUDGE in mit einer amerikanischen Darstellerin neu drehte. JU-ON wurde so zum Inbegriff des Rachegeisterfilms aus Japan, mehr noch als THE RING. Neben dem apokalyptischen Psychothriller MAREBITO ist REINCARNATION nun ein weiterer Sonderweg in Shimizus Werk: Der metafilmischen Kommentar zu J-Horror-Geisterfilm: Die junge Schauspielerin Nagisa Sugiura wird für einen Horrorfilm gecastet, der auf der wahren Geschichte eines Massakers beruht, das ein Geisteswissenschaftler in einem abgelegenen Hotel angerichtet hatte. 35 Jahren zuvor ermordete der wahnsinnige Professor elf Menschen, darunter seine eigene Frau und seine Kinder. Nagisa wird von den Geistern der Ermordeten verfolgt, weshalb sie zunehmend glaubt, eine Reinkarnation der Tochter des Professors zu sein. Auch andere erleben Visionen und finden sich am einstigen Tatort ein, wo sich Film und Vergangenheit unentwirrbar vermischen. Philosophisch-existenzielle Fragen tauchen hier auf, wie bei Kurosawa, doch Shimizu ist der Spezialist der äußeren Spannung. So dienen ihm eine unheimliche Puppe und jede Menge Untote als Garanten für einen spektakulären und unterhaltsamen Spuk, der immer wieder neue Wendungen bereit hält. REINCARNATION gehört so zu den echten genrewerken der Reihe - ähnlich wie INFECTION -, die einen spannenden Filmabend garantieren. Das hohe Reflexionsniveau von RETRIBUTION erreicht der Film indes nicht. Die DVD ist mit amüsanten Interviews und Making Of solide ausgestattet und auf jeden Fall einen Blick für Genrefans wert. * Infection - Kansen Evil is Contagious Masayuki Ochiai ist ein eher kommerzieller Vertreter des J-Horrors. Er feierte einen großen Erfolg mit PARASITE EVE (1997) und etablierte sich 2008 in Hollywood mit dem Geisterfilm SHUTTER. INFECTION kehrt zum Erstling zurück und präsentiert beklemmenden Body-Horror mit bizarren Mutationen und einer Verschmelzung der Realitätsebenen. Dabei bleibt der Film atmosphärisch distanziert und kühl - ein Konzept, das vor allem durch die Auflösung nachträglich gerechtfertigt wird. In einem verfallenden Krankenhaus gerät eines Nachts alles außer Kontrolle. Ein Patient stirbt durch die Fahrlässigkeit einer Schwester. Man will den Kunstfehler tarnen und präpariert die Leiche. Dann liefern Sanitäter einen Patienten ein, der mit einem entsetzlichen Virus infiziert ist, der seine Organe zu grünem Schleim zersetzt. Während das Personal noch an eine medizinische Sensation glaubt, verfallen die Infiziert bald dem Wahnsinn, verstümmeln sich selbst und attackieren ihre Kollegen. Ein ambitionierter junger Arzt macht schließlich eine erschreckende Entdeckung. Konzentriert und minimalistisch inszeniert, mit knalligen Toneffekten aufgewertet, zieht der Film den Zuschauer schnell in seinen Bann. Ähnlichkeiten zu Lars von Triers Horror-Soap GEISTER fallen auf. Die Urängste eines verlorenen Krankenhauspatienten nehmen vielfach Gestalt an: verwahrlostes Personal, rücksichtlose Karrieristen und ruhelos wandelnde Geister durchstreifen die Korridore eines Krankenhauses, das man in dieser Trostlosigkeit allenfalls in HALLOWEEN 2 gesehen hat. Das vielschichtige Spiel mit Realitäten, das der Film zusehends steigert, entschädigt schließlich für die eher geisterbahnartigen grünen Glibbereffekte. Die DVD enthält den Film in solider deutscher Synchro und als untertiteltes Original in gut aufgelöstem 16:9-Bild. Entgegen dem Cover geht der Film 92, nicht 152 Minuten. Es ist kein Bonusmaterial enthalten. * Premonition - Yogen If you see it... you will die Mit RING 0 drehte Norio Tsuruta bereits einen atmosphärisch stimmigen, wenn auch inhaltlich wirren J-Horrorfilm. PREMONITION erweist sich gerade umgekehrt als effektiv: In kargen, minimalistischen Bildkompositionen, die durchaus an seinen Kollegen Kiyoshi Kurosawa erinnern entfaltet er einen verschachtelten Alptraum. Sein Spiel um Vorahnung und Katastrophe inspirierte später den Hollywood-Thriller PREMONITION (2007) mit Sandra Bullock. Eine Zeitung verändert Hideki Satomis Leben auf grauenvolle Art. iIn einer Zeitung liest er vom Tod seiner kleinen Tochter. Und tatsächlich verbrennt sie wenig später bei einem tragischen Unfall. Hidekis Ehe scheitert, er lebt weiter als verinsamter Lehrer. Immer wieder liest er dunkle Ankündigungen über Verunglückte und Mordopfer. Ohne diese verhindern zu können muss er miterleben, wie Menschen abscheulich ums Leben kommen, wie er scheinbar die Mitschuld trägt an deren Tod. Schließlich verstrickt er sich in einer Dimension zwischen Vision und Realität und erlebt schließlich den fatalen Unfall seiner Familie erneut. Basierend auf dem Manga „Newspaper of Terror“ entwickelt Tsuruta eine ähnliche Idee wie Stephen Kings "Dead Zone": Die Frage nach einem Eingreifen in die Zukunft. Doch PREMONITION ist ein vertracktes Vexierspiel, melancholisch und konzentriert. Die DVD ist solide synchronisiert und bietet einiges an Bonusmaterial. Interviews mit japanischen Filmschaffenden sind ja meist eher unergiebig, so auch hier, doch vor allem die Special-Effects-Doku dürfte einige interessieren. Während der Stil des Films eher unaufdringlich wirkt, hat er an unerwarteten Stellen erstaunliche Effekte aufzuweisen. PREMONITION ist J-Horror vom Feinsten - ganz ohne weißgewandete und langhaarige Geister, und doch dicht und spannend. Marcus Stiglegger
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