IGORRR
HALLELUJAH
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LP, 11 Tracks im Gatefold (inklusive CD) Ad Noiseam
Je näher man musikalisch dem scheinbaren Chaos
kommt, desto mehr Advokaten der obsoleten Theorien melden sich zu Wort
und werfen dem Künstler vor, willkürlich zu sein und ohne Finesse.
Am liebsten wird dann behauptet, das könne ja jeder. Es gibt wenige
Aussagen, die einen Stümper und Schwätzer offensichtlicher der
Lächerlichkeit preisgeben.
In der bildenden Kunst ist das Chaos bereits die Ordnung
und gemeinhin akzeptiert; in der Musik jedoch wird noch schnell abgeschmettert,
sobald etwas sich zu anarchisch gebärdet. IGORRR ist einer dieser
Künstler, dem selbst von versierten Musikredakteuren der Vorwurf
gemacht wird, „zufällig“ und „chaotisch“
zu sein. Oft entzündet sich der Vorwurf hierbei schlicht an der Unkenntnis
der realen Musiktheorie und an der Überforderung des Hörers.
Aber genug die beschützende Hand über die Wahnsinnigen
dieser Welt gehalten: HALLELUJAH ist das neueste Opus des jungen Franzosen,
der sich IGORRR nennt, und es ist sein mittlerweile viertes Album. Da
neue Musikrichtungen Pflicht für jeden selbsternannten Avantgardisten
sind, nennt der Künstler seinen Stil Baroquecore – und was
auch immer man sich darunter vorstellen mag, es trifft mit hoher Wahrscheinlichkeit
zu. HALLELUJAH ist definitiv nicht für Personen geeignet, die gerne
EINER Musikrichtung pro Album folgen. In einer chaotisch anmutenden Art
und Weise werden hier unzählige Genres abgegrast, von Barock über
Chanson bis hin zu BreakCore und Black Metal. Und damit es nicht langweilig
wird, gibt es noch ein wenig Jazz und Klezmer dazu.
Erstaunlicherweise funktioniert dieses nur scheinbare Chaos
bemerkenswert gut. Wirken die kruden Wechsel am Anfang noch geradezu beunruhigend
und enervierend, so begreift man schnell auf intuitive Weise, wie man
sich dem Album nähern kann. Selbst die wildesten Übergänge
sind technisch bemerkenswert realisiert und musikalisch formal einwandfrei,
so dass sich ein assoziativer roter Faden schnell einstellt und die Kakophonie
zur Reise durch die verschiedensten Bereiche der Musik und Emotionalität
wird. Zwischen komisch und pathetisch, tragisch und brutal – hier
wird nichts ausgelassen. Und bewegt man sich einmal schnurgerade auf einen
abgeschmackten Bereich zu, so wird gerade rechtzeitig damit gebrochen:
Mit humorvollen Intermezzi inmitten eines absolut brutalen Black Metal
Gewitters oder mit modernen Noise/Glitch Geräuschen im süßlichen
Akustikgitarren-Geklimper.
Man könnte diese Musik als das musikalische Äquivalent zu William
Burroughs „Cut-Up“ Literatur verstehen. Dafür spricht
auch der Fakt, dass IGORRR nur im Ausnahmefall Samples verwendet. Tatsächlich
wird jede Passage mit teils bemerkenswert talentierten Gastmusikern einspielt.
So ist diese Scheibe nicht schlicht der Remix eines talentierten Fricklers,
sondern ein durchgeplantes Kunstwerk.
Die an eine Mischung aus Beksinski und Dix erinnernde Gestaltung
des Albums setzt dem Ganzen dann optisch noch die Krone auf. Hier sei
ganz dringend zur Doppel-LP geraten, welcher die CD ebenfalls beiliegt.
Im Fazit kann man nur sagen, dass es sich bei diesem
kantigen und bezaubernd unbequemen Stück Musik um ein ganz großes
Ereignis handelt. Musikzerstörung war selten betörender und
präziser. Vielleicht das beste Album des Jahres 2012.
Daniel Novak
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