Vom Hirschkäfer zum Hakenkreuz 4 / 5 Sterne Anbieter: Absolut
medien Um historische Ereignisse filmisch zu vermitteln, stehen mehrere grundsätzlich verschiedene Genres dokumentarischer Umsetzung zu Verfügung: die Reportage erzählt vom zeitgenössischen Geschehen aus der subjektiven Sicht des Augenzeugen; der Dokumentarfilm dagegen bemüht sich um einen möglichst strukturierenden und reflektierten Überblick, bedient sich dabei aber bereits einer weitgreifenden Palette von Stilmitteln: Kommentar, Neumontage historischen Filmmaterials, neu gedrehtes Material, im Extremfall auch nachgestellte Spielszenen; noch weiter geht der Essayfilm: Hier betont der Filmemacher deutlich seine subjektive Sicht auf das Geschehen, verweist auf die eigene Position im Geschehen und ordnet es deutlich nach eigenen Interessen und Gesichtspunkten. Hier wird die filmische Dokumentation endgültig zum Artefakt, zum eigenständigen Kunstwerk. Filmemacher wie Alain Resnais und Chris Marker haben diese Kunst in der Konzentrationslagerdokumentation NACHT UND NEBEL und in der transkulturellen Meditation SANS SOLEIL auf vollendete Weise präsentiert. Auch die Natur/Kultur-Trilogie von Godfrey Reggio, KOYAANISQATSI, POWWAQATSI und NAQOYQATSI verhalf dem Essayfilm zu weltweiter Popularität. Das seltene Beispiel eines deutschen Essayfilms, der auch in Kinos lief und nun eine DVD-Auswertung (absolut medien) erfährt, inszenierten und montierten die in Hamburg tätigen Filmemacher Madeleine Dewald und Oliver Lammert: In VOM HIRSCHKÄFER ZUM HAKENKREUZ analysieren sie auf assoziative Weise die Beziehungen zwischen dem deutschen Kulturfilm und totalitärer Politik und verfolgen diese Spuren anhand des Hirschkäfers – der bereits im Kulturfilm der 20er Jahre eine symbolische Bedeutung zugewiesen bekam – bis in die Gegenwart. Oliver Lammert in :Ikonen: Heft 4: "Wir haben schon vor über zehn Jahren angefangen, uns mit dem Themenkomplex Faschismus und Avantgarde zu beschäftigen. Damals studierten wir noch an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg und wollten ein kleines Filmporträt über meinen Großvater Svend Noldan machen. Mein Großvater war Maler und hat preisgekrönte Industriefilme wie KLEINE LAUS GANZ GROSS für die BASF gedreht, davon wusste ich. Bis wir bei unseren Recherchen im Bundesarchiv auf Filme wie SIEG IM WESTEN und DER EWIGE JUDE stießen, für den der Großvater die Trickarbeiten gemacht hat, war er in meinen Augen immer der liebenswürdige Humanist gewesen. Ich konnte das nicht verstehen, zumal er zeitlebens mit dem linken Theaterregisseur Erwin Piscator befreundet war und in den 20er-Jahren zu dem Kreis der Berliner Dadaisten, um George Grosz und John Heartfield gehörte. Unser Fund war ein Schock für mich, sein Engagement für die Nazis veränderte mein Bild von ihm und auch die Konzeption unseres Films DAS ERBE DER BILDER. " Der komplexe und immer wieder überraschende Film zieht eine spannende Verbindungslinie zwischen dem Kulturfilm des Dritten Reiches, neuesten technolgischen Perspektiven des Mediums sowie dem 'konservativen Avantgarde-Begriff' eines Teiles der Gothicszene. Nach längerer Ankündigung sind nun beide Filme, HIRSCHKÄFER und DAS ERBE DER BILDER, auf einer DVD erschienen. Beide Filme sind unbedingt empfehlenswert als herausragende Beispiele für die Tradition des Essayfilms sowie als Dokumente für oft bizarre Verknüpfungen, die uns die Geschichte bietet. Obwohl die Edition technisch nicht makellos geworden ist (so ist der Menüschriftsatz extrem klein ausgefallen, auch an Übersichtlichkeit mangelt es etwas - und die Essays hätte man besser in einem gedruckten Beiheft untergebracht), ist sie eine wichtige Ergänzung zur Kinopräsentation des Films. Marcus Stiglegger |
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