Harald Steinwender

Sergio Leone

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(Bertz & Fischer 2009)

Christian Schmitt

Kinopathos

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(Bertz & Fischer 2009)

Die Reihe Deep Focus im Berliner Bertz & Fischer Verlag stand von Anfang an für hochqualitative Filmtheorie in ansprechender Aufmachung - eine wissenschaftliche Reihe für ein großes Publikum. Schade war es, dass es dauerte, bis man weitere Bände mit tiefschürfenden Erkenntnissen zu Filmästhetik und -theorie vorliegen hatte. Doch in den letzten Monaten wurde auf spannende Weise Abhilfe geschaffen. Gleich zwei neue Bände locken den intellektuellen Filmfan mit attraktiven Themen.

Mit fast 400 Seiten monumental angelegt ist Harald Steinwenders (http://themroc-filmblog.blogspot.com/) Dissertation über Sergio Leone: "Es ware einmal in Europa". Wie Ritzer ist auch Steinwender ein Kenner der Materie, der sich von elitärem Kanondenken entfernt: Ihm gilt die italienische Filmgeschichte zwischen Fellini, Sergio Corbucci und Mario Bava als gleichermaßen bemerkenswert, und so zeigt auch diese Regiestudie große Zusammenhänge auf - von Leones Anfängen im 'peplum' (Sandalenfilm) bis hin zu seinem epochalen Gangsterfilm ONCE UPON A TIME IN AMERICA. Da tauchen intelligente Beobachtungen über das Amerikabild europäischer Künstler ebenso auf wie Binnenexkurse über Eastwoods Rollengeschichte und die Eigenheiten der italienischen Genreparodien.

An TODESMELODIE schließlich entwickelt Steinwender den linken Diskurs Leones und schließt damit an die Tradition politisch motivierter Filmpublizistik an, die mit der Generation Karsten Wittes weitgehend abgeschlossen schien. Das abschließende Kapitel widmet sich dem langwährenden Einfluss Leones auf die jüngere Filmgeschichte und mag belegen, warum dieses Buch auch heute, 25 Jahre nach Leones Tod, unbedingte Relevanz besitzt.

Der Bertz & Fischer-Verlag beweist hier ein großes Talent, spannende junge Autoren zu finden und angemessen zu präsentieren. Was den Bänden von Ritzer und Steinwender, die beide an der Mainzer Filmwissenschaft - geleitet von Oksana Bulgakowa und Norbert Grob - absolvierten, zugute kommt - ihre Distanz zum Kanondenken, ihre konsequente Recherche in der Geschichte des Genrefilms, ihre umfassende Materialsammlung und der essayistische, lesbare Stil - lässt sich für den dritten aktuellen Band nicht durchweg bestätigen.

Der Münsteraner Christian Schmitt, der philosophisch-literarischem Umfeld entstammt, untersucht in seinem "Kinopathos" "Große Gefühle im Gegenwartsfilm". Anhand populärer und daher massenwirksamer Filme wie TITANIC, PEARL HARBOR oder BREAKING THE WAVES analysiert der Verfasser, wie Pathos mit filmischen Mitteln erzeugt wird. Dazu erklärt er zunächst, wie nach klassischem Vorbild die "pathetische Rede" funktioniert, welche sich medial adaptieren lässt, und zeigt ihr ideologisches Potenzial auf (am Beispiel von BOWLING FOR COLUMBINE). Es folgen Ausführungen zur (filmischen) Semiotik des Pathetischen, zu Sinnlichkeit, Spektakel, Affektbildern usw.

An dieser Beschreibung fällt bereits auf, dass Schmitt sowohl thematisch sowie teilweise von den gewählten Beispielen her (TITANIC, GLADIATOR) die selben Themen bearbeitet, die Marcus Stiglegger in seinem in der selben Reihe (!) erschienen Buch "Ritual & Verführung. Schaulust, Spektakel und Sinnlichkeit im Film" (2006, Deep Focus Band 3) einige Jahre zuvor ausführlich analysierte. Dieser Band jedoch wird von Schmitt an keiner Stelle erwähnt (nicht einmal als Fußnote), so dass es mehr als erstaunlich erscheint, wie sehr sich die Ansätze gleichen (hier wie dort gibt es Kapitel zu Sinnlichkeit, Spektakel, Pathos und Tragik, hier wie dort gibt es Exkurse zum Musical und zu taktilen Tendenzen im gegenwärtigen Kino). Falls Schmitt das frühere Buch nicht kannte, muss man die Rechercheleistung rügen, falls er es doch kannte, ist absolut unverständlich, warum dies verschwiegen wird - zumal Stigleggers Band ja wie gesagt im selben Verlag erschienen ist...

So oder so bleibt Bertz & Fischer der bedeutendste Verlag für deutschsprachige Filmliteratur - Bücher wie jene von Harald Steinwender belegen, warum.

Maria Nicoli