Hikikomori

Far From The World

Label: Steelwork Maschine
Format: CD (Digipack)
Veröffentlichung: April 2011


„Hikikomori“ ist die japanische Bezeichnung für Menschen, die sich in eine selbst gewählte Isolation begeben und alle Kontakte nach Außen abschneiden. Ebenso wie es zahlreiche soziologische Erklärungen für dieses Phänomen gibt, taucht es in unterschiedlichen Kulturen mit unterschiedlichen Motivationen immer wieder auf: vom mittelalterlichen Säulenheiligen bis zum indischen Sadhu – freiwillige Exklusion scheint eine anthropologische Größe darzustellen. Das französische Dark-Ambient Projekt Hikkumori spielt mit diesem Traum und entwirft auf „Far From The World“ eine akustische Welt voller Einsamkeit.

Schon direkt das erste der zehn unbetitelten Stücke erzeugt mit seiner drückenden, von Drones bestimmten, Klangstruktur ein Gefühl von Beklemmung und Beengung. Auch die folgenden Titel atmen in jedem Klang eine undurchdringliche Bedrohlichkeit, die den Hörer zu verschlucken droht. Anders als viele Ambient und Experimental Werke, die als akustische Reise aufgebaut sind, mutet „Far From The World“ eher wie ein sperriger Fremdkörper an, der eine düstere Kulisse schafft, die den Hörer nicht mitnimmt, sonder vielmehr auf sich zurückwirft. Die zwischen vier und elf Minuten dauernden Stücke sind aus einer vielschichtigen Collage aus Synthesizer-Flächen, teils perkussiven loops und verfremdeten field-recordings aufgebaut. Durch die meist eher temporeiche Modulation kommt der Hörer nicht zur Ruhe und verharrt in konstanter Anspannung. Im dritten Stück tauchen knirschende, an Schritte im Kies erinnernde Geräusche auf, deren Rhythmik fast Marsch-artig ausfällt und zur allgemeinen Beklemmung beiträgt. Auch ansonsten sind die effektreich entstellten field-recordings eine sehr bereichernde Komponente des Albums, da ihre Herkunft meist nur erahnbar ist, und sie als Zeichen ihre Beziehung zu dem Bezeichneten zu verlieren drohen. Nur manchmal lassen startende Motoren oder klirrendes Glas Erinnerungen eine konkrete Außenwelt wach werden. An den anderen Stellen dominiert das – von Derrida beschworene – Spiel der Zeichen, das hier jedem Klang seine Bedeutung erst durch seinen Kontext durch andere Klänge verleiht.

„Far From The World“ ist ein spannendes Album, aber wohl eher für den Genre-Fan bestimmt ist – wo es aber hoffentlich seine Hörer finden wird. Die monochrome Gestaltung des Digipacks, sowie der Verzicht auf jegliche Informationen tragen zur Stimmigkeit der Platte bei und verleihen dem Werk eine geheimnisvolle Aura. Nicht unbedingt ein Album für den Sommer, aber dafür sicher für den Herbst!

Patrick Kilian