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Haze
4,5 / 5 Sterne
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(Shinya Tsukamoto, REM-DVD)
Tiefe Schwärze. Nichts als das Dunkel umfängt
den Protagonist und Betrachter in den ersten Sekunden von „Haze“,
der ersten rein digital gedrehten Produktion des japanischen Avantgarde-Regisseurs
Shinya Tsukamoto. Haze, übersetzt ein dunstiger Schleier, umgibt
dann auch die folgende 49minütige Odyssee des namenlosen Mannes.
Ähnlich dem kanadischen Independentfilm „Cube“ erwacht
dieser, lediglich in Unterwäsche gekleidet, im architektonischen
Nichts: Eingeengt in klaustrophobische Betonschächte begibt er sich
kriechend auf die Suche nach der Freiheit und dem Licht. Auf seinem Weg
wird er Zeuge von der Schlachtung einer Gruppe junger Männer und
begegnet einer mutigen Leidensgenossin, die den Ausbruch aus dem Labyrinth
wagt. Aufgetaucht aus der dunklen Alptraumwelt offenbart sich die reale
Oberfläche seiner blutigen Reise.
Brutal, unausweichlich und voller Symbolkraft zieht „Haze“
den Betrachter ins Geschehen: Intime Nahaufnahmen und ein ohrenbetäubender
bis nervenaufreibender Sound und Score von Chu Ishikawa lassen den Herzschlag
im Ohr des Verlorenen zum eigenen werden. Experimentell wie im wütenden
Cyborg-Frühwerk „Tetsuo“ vertraut Tsukamoto der Reduktion
und Kraft des Archaischen. Rationale Erklärungsversuche für
das Grauen, seien es ein Krieg oder das sadistische Spiel eines Triebtäters,
entlarven nur die vollkommende Fremdbestimmung des Gefangenen. Wie schon
in Tsukamotos „Tokyo Fist“ und „A Snake of June“
ist das Individuum dem Beton-Moloch Stadt ausgeliefert. Natur wird hier
lediglich noch in Form von Visionen erinnert: Koi-Karpfen und das Meer,
beides Metaphern für das Leben, Erfolg und Mut gehören einer
vergangenen Zeit an. Hoffnungslos gefangen im Rhythmus der urbanen Maschine
schwindet die Aussicht auf persönliche Freiheit oder wie der Gefangene
feststellt: „Wahrscheinlich haben sie alle geglaubt einen Ausweg
zu finden und deswegen sind sie hier geblieben.“
Freiheitskämpfer Shinya Tsukamoto folgt mit „Haze“
motivisch seinen schon in früheren Filmen formal fokussierten Dichotomien
von Natur/Kultur, Fremd/Selbst und Innen/Außen. Die Bedrohung und
kathartische Überschreitung der Körpergrenzen als Mittel zur
Rückeroberung des Selbst, ist wie in „Tetsuo“, „Tokyo
Fist“ und „Vital“ bestimmend. Im Geiste von Horkheimers
und Adornos Kunstverständnis in der Dialektik der Aufklärung,
sind Tsukamotos Werke asketisch und schamlos. Als Regisseur, Autor, Cutter
und Schauspieler ist Grenzüberschreitung sein Programm: Erst durch
die bataillesche Schmerz- und Todeserfahrung kann das Leben zurück
erobert werden und der Kampf gegen die Entfremdung der Moderne beginnen.
Bedarf es nach iek in unserer virtuellen Wirklichkeit einer
gewaltsamen und erschütternden Erfahrung um das Empfinden zu revitalisieren,
dann verweisen Tsukamotos Techniken nicht nur auf die japanische Kollektivgesellschaft
des 21. Jahrhunderts. Oder wie Foucault formulierte: „Der Tod Gottes
schenkt uns nicht einer begrenzten und positiven Welt wieder, sondern
einer Welt, die sich in der Grenzerfahrung entfaltet, die sich im Exzess,
der die Grenze übertritt, bildet und auflöst.“
Nicole Traut
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