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Neuer Guitar/Noise (FRühjahr 2004)
Vorgestellt von Ivo Ritzer
The Hospitals
S/T
(LP/CD In The Red Records 2003,
11 Tracks)
Seitdem Crypt Records 1997 das Signing von aktuellen Gruppen
eingestellt hat, gibt es nur ein Label, welches diese Lücke zumindest
ansatzweise schließen kann: In The Red Records. Larry Hardy veröffentlicht
dort kontinuierlich ein ähnliches Programm, das mit Band wie den
Horrors, den Piranhas oder den Necessary Evils mit einer noch stärkeren
Blues- und Noise-Komponente versehen ist.
Was sich 2002 mit dem Release des furiosen Debütalbums
der Hunches schon angekündigt hat, setzt sich auf In The Red Records
nun mit der Platte der Hospitals fort: der totale Lärm-Krieg. Die
Hospitals, das sind Schlagzeuger/Sänger Adam Stonehouse und Gitarrist
Roddy Meyer aus Portland, Oregon. Gemeinsam erschaffen sie einen schier
unglaublich verzerrten Feedback-Punk, der seine Wurzeln sowohl bei minimalistischen
New Yorker-Avantgarde-Gruppen wie Suicide und Pussy Galore als auch bei
japanischen Noise-Künstlern á la Boredoms oder Ruins hat.
Die Hospitals schaffen bei allen Distortion-Ausschweifungen allerdings
das große Kunststück nie der absoluten Technisierung des Krachs
zu erliegen. Stattdessen schimmert trotz absenter Melodien immer wieder
stark der ursprüngliche Blues-Einfluss unter den Noise-Eskapaden
hindurch, welcher die Hospitals letztlich doch für die Label-Philosophie
Larry Hardys legitimiert. Dieser nennt das Album der Hospitals „the
aural equivalent of a knife assault“ – treffender kann man
es wahrlich nicht beschreiben.
Zodiac Killers
Society’s Offenders
(LP/CD Rip Off Records 2003, 12 Tracks)
Obwohl erst gut 10 Jahre im Musikgeschäft aktiv, ist
Greg Lowery schon heute eine lebende Legende. 1991 definiert er mit Supercharger
den Lo-Fi-Garage-Punk neu und konsterniert damit überfällig
jene, die zu dieser Zeit (und auch heute noch) ungeniert unter dem Etikett
Punk-Rock firmieren. 1993 gründet er das Label Rip Off Records, welches
in den kommenden Jahren zur Heimat von großartigen Bands wie den
Statics, Loli & the Chones, oder den Reds werden wird und bis heute
nie eine auch nur mittelmäßige Platte veröffentlicht hat.
1994 spielt er bei den Rip Offs, die dem Lo-Fi-Punk schließlich
zu einiger Popularität im Untergrund verhelfen und eine Vielzahl
von Epigonen auf den Plan rufen. 1997 entwickelt er mit den Infections
seinen Sound in eine stärker rockende Richtung weiter und hält
dabei ein Niveau meilenweit über sonstigen Greaser-Punk-Standards.
1998 werden die Zodiac Killers gegründet – Lowerys auch heute
noch aktuelle Band.
Zwei Alben haben die nach dem legendären Serienkiller
benannten Zodiac Killers bereits auf Rip Off Records veröffentlicht.
Mit The most thrilling experience (1998) und Have a blast (2001) kredenzten
sie beide Male mit hyperaktiven, nicht einmal einminütigen, primitiv
herausgerotzten Songs Punk-Rock-Aggression in Reinkultur. Auf Society’s
Offenders präsentieren sich die Zodiac Killers nun mit neuem Line-Up
und auch modifiziertem Sound. Die hasszerfressene Kamikaze attack der
Vorgängeralben wurde zugunsten eines etwas moderateren Tempos und
erhöhten Rock’n’Roll-Faktors à la Infections reduziert,
was dem neuen Album streckenweise einen dezenten Power-Pop-Anstrich verleiht,
nicht unähnlich der großartigen Debütscheibe der Marked
Men, welche ebenfalls kürzlich auf Rip Off Records erschienen ist.
Zwar sind die Angry Samoans durchaus weiterhin eine unübersehbar
große Inspirationsquelle für die Zodiac Killers, doch erinnern
die neuen Stücke jetzt stärker an die Ramones, Kids, PVC, Gears
oder Pack, was sie um ein vielfaches eingängiger, aber auch variabler
und interessanter macht. Geblieben ist dennoch die rohe Garagen-Produktion
und die nihilistische Misanthropie der Songtexte: Titel wie Execute me,
My boyfriend is a masochist, Nuclear nightmare, oder Microwave slave sprechen
bereits für sich. Das tut der Name Greg Lowery ebenfalls. Er steht
auch heute noch immer für all das, was Punk-Rock im besten Sinne
des Wortes bedeutet.
The Von Zippers
The crime is now!
(CD Estrus 2003/LP Alien Snatch! 2003, 11 Tracks)
Üblicherweise schließen sich Rock’n’Roll
respektive Punk-Rock und ernsthafte politische Agitprop à priori
per Definition aus. Ausgerechnet die Von Zippers, jene kanadischen Punk-Rocker,
welche in den 1990er Jahren mit Bühnenoutfits bestehend aus deutschen
Reichswehr-Uniformen des Ersten Weltkriegs, Pickelhauben und Lederhosen
sowie trashigen Party-Songs zu einiger Berühmtheit gelangten, liefern
mit The crime is now! jetzt das wohl politischste Garage-Punk Album aller
Zeiten ab. Al Charlton, der mittlerweile 44-jährige Band-Leader,
welcher auch 1977 schon in der ersten Punk-Szene Calgarys aktiv gewesen
ist, besingt nun nicht mehr wie anno dazumal den Hot rod monkey oder die
Truckstop nun, sondern rechnet schonungslos polemisch mit dem amerikanisch-kanadischen
Way of Life ab, kritisiert Kriegstreiberei ebenso wie Umweltverschmutzung
und fordert auf, soziale Verantwortung in einer Zeit zu übernehmen,
die sich über radikalen Individualismus definiert. Dabei bewahrt
sich Charlton immer einen ausgesprochen jugendlichen, aber weniger naiven
als vielmehr idealistisch-sozialistischen Blickwinkel und scheut auch
nicht davor zurück, konkret zu werden (angesprochen werden etwa das
Gentechnik-Unternehmen Monsanto in Science gone way too far und Calgarys
Bürgermeister Dave Bronconnier in Blue suit bullies).
Nun machen die Von Zippers aber noch immer keine Politik, sondern Musik.
Und die hat sich im Vergleich zu dem Album Bad generation (1999) und der
Compilation Blitzhacker (2000) nur wenig verändert. Noch immer wird
ein lässiges Konglomerat aus 60s-Fuzz und 70s-Punk-Rock gespielt,
wobei letzterer Anteil etwas verstärkt und ersterer etwas reduziert
worden ist. So gibt es zwar noch immer verzerrten Gesang, dreiakkordige
Gitarrenriffs und ein polterndes Schlagzeug, aber keine Farfisa-Orgel
mehr. Dafür präsentieren sich die Von Zippers aber mit einer
bisher unbekannten Rock-Breitseite und vor allem so viel Blues-Einfluss
wie nie zuvor. Besonders bemerkbar macht sich das bei Songs wie Little
black heart, Put on the brakes oder Friday is the spice of life, in denen
die dreckigste Mundharmonika jenseits von Walter Daniels wütet. All
das ist so mitreißend gespielt, dass bisweilen ganz in Vergessenheit
gerät, mit was für einem Unikat von Album man es hier zu tun
hat, das 2003 sicherlich ungeschlagen bleibt.
The Little Killers
S/T
(LP/CD Crypt Records 2003, 12 Tracks)
Über Crypt Records schreiben, heißt sich ein
Stück weit in Jugenderinnerungen zu verlieren. Gegründet bereits
1983 gab es von Beginn bis Mitte/Ende der 1990er Jahre kein anderes Label,
das dem Liebhaber von Lo-Fi-Punk-Rock, Broken-Blues und Garage-Trash ein
ähnlich vielseitiges geschweige denn qualitativ ebenbürtiges
Programm bieten konnte. Neben Veröffentlichungen von heute legendären
Underground-Bands wie den Cheater Slicks, Oblivians, Gories, Headcoats,
Teengenerate etc. etc. machte sich der New Yorker Label-Chef Tim Warren
auch besonders um vergessene Perlen der Musikgeschichte verdient, indem
er diverse obskure Ausgrabungen liebevoll auf Compilations presste, die
von Rhythm & Blues bis zu Rockabilly, von Soul bis zu Funk und von
Surf bis zu immer wieder 60s-Punk reichten. Aufgrund chronischer Erfolglosigkeit
entschloss sich Warren 1997 schließlich frustriert, nie wieder Platten
von aktuellen Bands herauszubringen, zu sehr musste er sich dafür
selbst in den finanziellen Ruin stürzen. Stattdessen konzentrierte
sich Crypt Records in den Folgejahren ganz auf die Fortführung der
hauseigenen Sampler-Reihen. Umso überraschender war Ende 2002 die
Nachricht, dass Tim Warren eine neue Band unter Vertrag genommen habe.
Diese neue Band, das sind die Little Killers aus New York.
Hört man ihr Debütalbum, so ist man zunächst vielleicht
etwas verwundert darüber, wie wenig spektakulär es zur Sache
geht. Die Little Killers spielen, sozusagen als Antithese zu all den selbstreflexiven
New Yorker Hipster-Avantgarde-Rock-Bands, unprätentiösen 1970er-Punk-Rock’n’Roll
in der Tradition der Saints, Real Kids oder New York Dolls, wobei sie
sich gerade im Vergleich zu den früheren Veröffentlichungen
auf Crypt Records erstaunlich wenig wild, wenig manisch präsentieren.
Bodenständig und fast schon bedächtig rockt sich das Trio durch
straighte Garage-Nummern mit starkem Rhythm & Blues-Einfluss, die
in ihrer wundervollen Fokussierung auf das Wesentliche einen zeitlosen
Charme entfalten können. Ein sympathisches Album, das große
Lust darauf macht, die Band auf ihrer Europa-Tournee im Sommer 2004 live
zu sehen und auf weitere Veröffentlichungen aus dem Hause Crypt Records
setzen lässt. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
The Come N’ Go
Rhythm N’ Blood
(LP/CD Voodoo Rhythm 2003, 12 Tracks)
Das Schweizer Garage-Label Voodoo Rhythm ist eine Institution.
Seit 1993 bietet Beat Zeller, Frontmann der 60s-Punk-/Psychobilly-Band
The Monsters, dort jeder Form obskuren Trash-Rock’n’Rolls
verlässlich eine Heimat. Im vielseitigen Programm des Labels findet
sich etwa der Swamp-Blues von Hipbone Slim and the Knee Tremblers neben
dem Fuzz-Punk der Get Lost, der Garagen-Rhythm & Blues von King Khan
and his Shrines neben dem Neo-Rockabilly der Hormonauts und der Country
& Western-Trash von DM Bob and the Deficits neben dem Soul-Punk der
Del-Gators.
Die neuste Voodoo Rhythm-Entdeckung ist die Bieler Band
The Come N’ Go, welche mit ihrem Debüt-Album Rhythm N’
Blood gleich ein Meisterwerk des Primitiven vorlegt. Das Quartett hat
sich ganz dem rohen Blues-Punk verschrieben, wie er in den 1990er Jahren
von Bands wie den Oblivians, den Reatards oder den Revelators wunderbar
zelebriert worden ist. Dazu geben The Come N’ Go noch einen gehörigen
Schuss Rockabilly-Trash und 60s-Garage, den sie ähnlich hysterisch
aufkochen wie die großen Cramps auf deren frühen Platten. The
Come N’ Go drehen dabei sämtliche Regler komplett und permanent
in den roten Bereich, was in Verbindung mit der extremen Verzerrung und
Übersteuerung aller Instrumente ein immenses Lärm-Inferno entstehen
lässt, wie man das in solchem Ausmaß selbst in der Garage-Szene
bisher eigentlich nur von den japanischen Lo-Fi-Ikonen Guitar Wolf kannte.
Im Gegensatz zu diesen setzen The Come N’ Go aber auch Mundharmonika
und Slide-Gitarre ein, so dass die Songs allen Noise-Anklängen zum
Trotz immer sehr ursprünglich bleiben und sich auf das einzig wirklich
Wichtige im Leben beschränken: dem Blues zu huldigen.
Ivo Ritzer
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