Frank
Schnelle (Hrsg.):
David Fincher
Berlin: Bertz 2002, 272 Seiten, 774 Fotos, Hardcover, ISBN
3-929470-81-0, EUR 19,90
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„Ich will Filmbücher, die Spaß machen,
die ich auch selbst gerne lesen würde,“ gab Verlagschef Dieter
Bertz auf der vergangenen Buchmesse in Frankfurt bekannt. Mit dem vorliegenden
Buch über den amerikanischen Filmemacher David Fincher dürfte
er seinem Ziel sehr nahe gekommen sein. Dabei erscheint es zunächst
problematisch, ein Buch über den Schöpfer von nur fünf
großen Spielfilmen als eine Autorenanalyse zu schreiben. Doch diese
Filme sind stark: SE7EN, THE GAME und FIGHT CLUB rangieren unter dem besten
amerikanischen Genrefilmen der letzten zehn Jahre. Und nach einsamen Vorstößen
von Kai Mihm in epd-Film und Theo Bender in „Splitter im Gewebe“
(Bender Verlag) hat der Berliner Frank Schnelle nun einige Filmjournalisten
um sich versammelt, um einem auf den ersten Blick spektakulären,
auf den zweiten Blick jedoch äußerst vielschichtigen Oeuvre
Rechnung zu tragen.
Nahezu bewundernswert ist die sorgfältige Struktur
und Stringenz dieses Lesebuches, das immerhin zehn eher heterogene Texte
zu einer umfangreichen Gesamtschau koppelt. Geschickt bereits das erste
Kapitel: Statt einer Einleitung werden die Vorspänne von SE7EN und
FIGHT CLUB eingehend untersucht. Bereist hier zeichnen sich die Interessen
des Regisseurs ab: „Into the Mind of a Psychopath“.
Die vielschichtigen Erzählstategien Finchers untersucht
dann der Herausgeber selbst als „Tricks, Täuschungen und Doppelstrategien“,
wobei bereits hier dem strak unterschätzten Planspiel THE GAME interessante
Aspekte abgewonnen werden. Auch die von Fincher produzierten BMW-Werbekurzfilme
werden einer eingehenden Betrachtung unterzogen (www.bmwfilms.com). Vergleiche
zu David Lynch und Ridley Scott und Anmerkungen zum Einsatz von Subliminalbildern
(1/24stel-Sekunden-Einstellungen) runden den Text ab.
Über SE7EN und THE GAME spricht dann Brigitte Desalm
mit dem Regisseur, ein Interview, das der Zeitschrift Steadycam entnommen
wurde. Und Todd Doogans Gespräch über FIGHT CLUB rundet diese
Selbstdarstellung ab. Lars-Olav Beier untersucht dann den wechselseitigen
Einfluss zwischen Werbespot, Musikvideos und Spielfilmen im Werk von Fincher,
wobei die ökonomische Erzähltechnik und Montage z.B. in ALIEN
3 deutlich wird. Wie in allen Texten werden auch hier ausführliche
Bildfolgen gelungen eingesetzt, um einen Eindruck des analysierten Materials
zu vermitteln.
Die zweite Hälfte des Buches widmet sich den einzelnen
Filmen: Michael Esser belegt, dass ALIEN 3 oft zu Unrecht als mißratenes
Nebenwerk Finchers eingestuft wird – zu viele Elemente entsprechen
selbst im nachbearbeiteten Ergebnis noch seinen Interessen. Camille Paglias
„Masken der Sexualität“ kommen dabei zu analytischen
Ehren.
Daniela Sannwald nimmt sich SE7EN vor, wobei sie die dualistische
Struktur des Films darlegt und am Ende die „rechte Lesart“
des Films (als „moralistisch und kulturpessimistisch“) zurückweist.
Auch hier interessante Illustrationen, z.B. auf S. 147: Ein Vergleich
von Warhols „100 Cans“ und dem Gluttony-Tatort.
Michael Kohler verdeutlicht noch einmal das perfide Spiel
aus THE GAME, das gerade bei wiederholtem Sehen die Radikalität seiner
Konstruktion offenbart und somit vielleicht zu einem der ehrlichsten Hollywood-Filme
der neunziger Jahre gerät. Über das haarsträubend konstruierte
Ende kann das natürlich nicht hinweg trösten. Der Autor macht
daraus eine Tugend: „...weshalb am Ende eigentlich Fincher selbst
Conrad Van Orton die CRS-Rechnung präsentieren müsste“
(S. 164). Paranoide Denkmuster werden dabei eingeführt, wobei diese
Ausführen vergleichsweise flach bleiben (siehe hierzu Oliver Keutzers
Text in „Kino der Extreme. Kulturanalytische Studien“, Gardez
Verlag). Die Menschheit als Spielball eines undurchschaubaren Machtsystems
– ein Thema, das kinotypischer nicht sein könnte.
In FIGHT CLUB werden solche Paranoia-Strukturen auf die
nächste Ebene gebracht: Der Zuschauer selbst wird zum Opfer einer
vorsätzlich täuschenden Dramaturgie, die letztlich die radikale
Subjektivierung der filmischen Erzählung anstrebt. Brigitte Desalm
erklärt hier die technischen Finessen, die den hyperrealistischen
Effekt der Inszenierung ermöglichen. Hier hat man es zugleich mit
einem der wenigen aktuellen Filme zu tun, in dem sich die digitale Effekttechnik
nicht verselbständigt, sondern dem Film metaphorische Kraft verleiht
– etwas wenn sich Norton in einem virtuellen Möbelkatalog bewegt.
Unheimlich bleibt auch das infernalische Schlussbild der einstürzenden
Kreditkartentürme, das nach dem 11.9.01 eine neue Qualität bekommt.
„Kammerspiel des Terrors“ nennt Georg Seeßlen
seinen wohlmeinenden Text, der unglücklicherweise Finchers unergibigsten
Film PANIC ROOM behandelt. Natürlich kann er die genrespezifischen
Qualitäten dieses Thrillers herausarbeiten: die atemberaubende Kameraführung,
das enorme Tempo, die gesellschaftskritische Charakterkonstellation. „Keine
Scheu vor Standardsituationen“ habe dieser Hollywoodfilm –
das ist zweifellos wahr, doch gehen die spärlichen anderen Qualität
in der ökonomischen Kosten/Nutzen-Rechnung von PANIC ROOM auf.
Interessant bleibt die Schlußbetrachtung Seeßlens:
„Für alle Helden von Finchers Filmen ist es eine mal geheime,
mal offene Sehnsucht, zugleich zu einer verlorenen Körperlichkeit
und zu einer verlorenen Spiritualität zu gelangen. Die Gefahr der
'Faschisierung‘ besteht dabei für alle, nicht bloß für
Brad Pitt aus FIGHT CLUB. Seine Heldinnen führt Fincher schneller
aus dieser Gefahr als seine Helden“ (S. 209). Und: „Finchers
Filme sind immer auch Filme über den Zorn. [...] Im Zorn werden die
Widersacher gleich, Täter und Opfer, Männer und Frauen“
(S.215-216).
Dieses erste deutschsprachige Buch über David Fincher
ist ein hervorragendes Beispiel für 'funktionierende‘, bewußtseinserweiternde
und unterhaltende Filmliteratur, informativ und attraktiv gestaltet, intelligent
und originell. Wer sich mit diesen großartigen Hollywoodfilmen beschäftigen
will, wird nicht darauf verzichten können.
Marcus Stiglegger
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