Neue Experimental/Elektronik (Winter 2003)

µ-ZIQ

Bilious Paths

(CD, 12 Tracks, Planet MU Rec./EFA)

Guilty Connector und Tabata

s/t

(8 Tracks, CD, Even Stilte Records/A-Musik)

SO

s/t

(10 Tracks, CD, Thrill Jockey Records/EFA)

Mit seinem mittlerweile sechsten Album landet Elektronik-Experimentalist Mike Paradinas alias µ-ZIQ einmal wieder punktgenau zwischen allen Stühlen und Stilen: harte 2-Step-Rhythmen rattern unter melancholischen, moll-lastigen Flächen („Johnny Maastricht“), Downbeat-Electro trifft auf Gabber („Silk Ties“), völlig zersplitterte und verzerrte Soundfragmente kommunizieren mit jenen hochgepitchten Vocals („Meinheld“, „Siege of Antioch“), die auch Kollege Square-pusher so gern benutzt. Doch „Bilious Paths“ versammelt die einflussreichsten Genres elek-tronischer Tanzmusik der letzten Dekade nicht allein, um sie – wie es das de(kon)struktive Aphex Twin-Konzept vermuten ließe – lustvoll zu zerhäckseln. So bleibt im besten Track des Albums, „On/Off“, der Abgrund klanglicher Entstrukturierung zwar stets präsent, doch ge-lingt es Pasadinas gleichzeitig, seine stilistischen Exzesse und dramaturgischen Ausschwei-fungen in ein geradezu eingängiges Hip-Hop-Gerüst zu integrieren. Zugegeben, nicht alles, was einem auf den „Bilious Paths“ begegnet, erreicht die Konsequenz und Transparenz von Klassikern wie „Phi*1700“. Aber die Komplexität, mit der Pasadinas seine disparaten Mate-rialien arrangiert sowie die Konsequenz, mit der er seit 1993 seine ganz eigene Soundästhetik verfolgt, weisen das Album als Werk eines notorischen Elektronik-Autoren und Modernisten aus: eines Musikers, der auf der Suche nach neuen Ausdrucksformen immer auch die wech-selnden Bedingungen und Einflüsse seines Schaffens reflektiert.

Fruchtbare interkulturelle Begegnungen genießen in Krisenzeiten der „Clashs“ bzw. „Crashs of Cultures“ besonderes Ansehen. Dies gilt auch im Fall der beiden verspäteten Nationen Japan und Deutschland, die sich im 20. Jahrhundert auf vielfältige, wenngleich nicht immer friedliche Weise inspirierten. Die beiden japanischen Gitarren- bzw. Noise-Musiker Tabata Mitsuru und Kohei Nakagawa haben sich dem Erbe des deutschen Krautrocks der siebziger Jahre angenommen: Wer also seine „Can“- oder „Amon Duul“-Platten längst auf dem Flohmarkt verkauft hat, kann durch den „Guilty Connector“ spannende, jedoch nicht wirklich un-schuldige Verbindungen zu dieser Phase experimenteller Klangforschung knüpfen. Stücke wie „An Asterias Amurensis“ oder „The Dawn / It´s all in This“ basieren zwar einerseits auf der meditativen Kraft psychedelischer Gitarrenriffs und monotoner Rhythmik, blenden jedoch die zeitliche Distanz zwischen damals und heute nicht aus: Die extrem verhallten Klangräume in „The Bugs Tag“ reflektieren den immensen Einfluss des Dub, die kompakten, scheinbar bewegungslos verharrenden Arrangements von „Tempus est quaedam pars aeternitatis“ beschwören Ritualmusik. Kohei Nakagawa und Tabata Mitsuru zelebrieren ihre Ästhetik des Amorphen ausgiebig und sehr traditionsbewusst, ihr Album „Guilty Connector“ empfiehlt sich deshalb durchaus als musikalisches Reanimationsprogramm. Doch was ist, wenn man seine Krautrock-Sammlung noch besitzt?

Markus Popp alias „Oval“ oder „Microstoria“ gehört zu den Künstlern, die sich nicht nur am Rande musikalisch bewohnbarer Welten am wohlsten fühlen, sondern sich bei ihren Grat-wanderungen auch immer wieder neu erfinden können. Dieses Mal gelingt ihm das mit Hilfe der japanischen Sängerin Eri als SO, deren zart hingehauchte Texte dem Oval-typischen Konzept-Sound ungewohnt organische Momente abgewinnen. Die zehn Stücke, allesamt unbetitelt, entstanden scheinbar in einem Prozess permanenter klanglicher Umstrukturierungen, so, als hätten Popp und Eri verschiedene Demo-Versionen einzelner Songs immer wieder ausge-tauscht und mithilfe altertümlicher Effektgeräte gegenseitig geremixt. Das Ergebnis lädt nicht nur zu musikhistorischem Nachdenken ein (z.B. „Track 10 klingt wie eine entrhythmisierte Hommage an `My Bloody Valentine´“), sondern provoziert auch eine unbändige Lust am Metaphorisieren (etwa: „SO´s Sound weckt Assoziationen an verliebte Festplatten“). Vielleicht liegt darin das Geheimnis dieses Albums: Popp und Eri gelingt durch den dezenten Ein-satz von Stimme, Gitarre und minimalen Akkorden eine subtile Vermenschlichung des Digi-talen, die nicht nur im Produktionsprozess verharrt, sondern diesen beim – wachenden oder träumenden – Hören ergänzt und vollendet.

Oliver Keutzer