DIE FARBE
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Genre: Mystery/Horror
Firma: Sphärentor Filmproduktionen
Produktionsjahr: 2010
Produktionsland: Deutschland
Regionalcode: 0
Lauflänge Hauptfilm: ca. 85 Min.
Lauflänge Bonusmaterial: ca. 43 Min.
Sprache: Deutsch/Englisch 5.1 + Stereo
Untertitel: en, fr, es, zh, ru, da, de
„Niemand vergisst sie. Die Farbe.“
Der Schriftsteller H.P. Lovecraft (1890-1937) ist
aus dem Kanon populärer Kultur nicht mehr wegzudenken. Seine zahlreichen
Erzählungen changieren zwischen Horror, Mystery und Science-Fiction
und beschäftigen sich vordergründig mit dem Einbruch fremdartiger
Kräfte in unsere durch Rationalität geprägte Welt. In ihnen
wird der Mensch seiner vorherrschenden Stellung in der Welt beraubt und
erkennt sich selbst als Spielball einer unheimlichen Intelligenz, die
bereits lange vor ihm existierte und die er nicht verstehen kann.
Im Zentrum von Lovecrafts Schaffen steht sein 'Cthulhu-Mythos',
der sich nach dem Tod des Autors zum medienübergreifenden Phänomen
entwickelte. Die Legende von den Großen Alten, die einst vor Urzeiten
von den Sternen kamen und über unsere Erde herrschten, inspiriert
bis heute zahlreiche Werke der Literatur sowie Theater und Film. Außerdem
ist sie oft Grundlage für viele Computer-, Rollen- und Hörspiele
sowie Musik (u.a. besonders in Gothic und Metal).
Für filmische Adaptionen und Interpretationen ist Lovecrafts
Phantasie eine regelrechte Fundgrube. Seine 'Weird Tales' bilden u.a.
die Vorlage für Gore-Klassiker wie Stuart Gordons RE-ANIMATOR (nach
Herbert West – Der Wiedererwecker) oder Dan O' Bannons THE RESURRECTED
(nach Der Fall Charles Dexter Ward). Der 'Cthulhu-Mythos' dient als Inspiration
für bedeutende Großproduktionen wie Ridley Scotts ALIEN oder
John Carpenters THE THING, und auch wiederkehrende Artefakte und Ortsnamen
aus Lovecrafts Werk haben sich bis heute einen festen Platz in zahlreichen
Horrorfilmen erobert: So taucht z.B. das fiktive Buch 'Necronomicon' in
Sam Raimis THE EVIL DEAD als Sammlung von Zaubersprüchen zur Erweckung
der Walddämonen auf, und Dunwich (der Ort aus Lovecrafts Das Grauen
von Dunwich) ist Schauplatz der Handlung in Lucio Fulcis PAURA NELLA CITTÁ
DEI MORTI VIVENTI (Ein Zombie hing am Glockenseil).
Eine hollywood-typische Blockbusterproduktion nach Lovecraftscher
Vorlage wurde bislang nicht umgesetzt. Erst kürzlich stellte Universal
die bereits weit gediehene Vorproduktion zu Guillermo Del Toros geplanter
Verfilmung von AT THE MOUNTAINS OF MADNESS ein. Es scheint so, als bliebe
Lovecraft auch in Zukunft für die Traumfabrik eher ein bedeutendes
Nischenprodukt anstatt als erfolgversprechendes Zugpferd an der Kinokasse
zu fungieren.
So haben sich in den letzten Jahren vermehrt unabhängige
Filmemacher der dystopischen Fiktionen des Künstlers angenommen und
häufig mit beeindruckender Ambition umgesetzt. Der amerikanische
Stummfilm THE CALL OF CTHULHU von 2005 ist hier vermutlich das bekannteste
Beispiel.
Im Jahr 2010 lieferte auch das deutsche Independentkino seinen Beitrag
zum Lovecraft-Kult: DIE FARBE ist die Verfilmung der Erzählung The
Colour out of Space, einer Mischung aus Horror und Science-Fiction. Die
Vorlage gehört nicht zum 'Cthulhu-Mythos', sondern ist eine eigenständige
Horrorstory, die selbstverständlich dennoch das typische Motiv apokalyptischer
Invasion beinhaltet.
1975 macht sich Jonathan Davis auf die Suche nach seinem
verschwundenen Vater. Die Spur führt ihn in den Schwäbisch-Fränkischen
Wald nach Deutschland, wo sein Vater nach dem 2. Weltkrieg stationiert
war. Dort macht Davis die Begegnung mit einem verschrobenen Einheimischen,
der ihm eine seltsame Geschichte erzählt: In den dreißiger
Jahren stürzte in dieser Gegend ein mysteriöser Meteorit ab,
von dem eine unheimliche Kraft ausging, die sich sowohl auf die umgebende
Natur als auch die Menschen des Ortes auswirkte...
Anders als The Colour out of Space spielt DIE FARBE nicht
in Amerika, sondern im Vorkriegsdeutschland; die Rahmenhandlung in den
siebziger-, die Haupthandlung in den dreißiger Jahren. Abgesehen
von dieser Transposition hält sich der Film jedoch eng an die Vorlage,
fokussiert sich in seiner Mise-en-scène auf Andeutungen und Abstraktionen
und fängt so den Geist des Lovecraftschen Schreckens gekonnt ein.
Gedreht wurde die DIE FARBE auf HD und in schwarz-weiß,
was der Atmosphäre eindeutig zu Gute kommt, zumal die parasitäre
Invasion – im Film visuell durch hell leuchtende Farbe dargestellt
– so ihren Charakter als Fremdkörper in dieser Welt voll entfalten
kann. Leider liegt in diesem sehr positiv hervorzuhebenden Kunstgriff
auch der einzige Kritikpunkt an diesem Film: Wie nämlich im No-Budget-Independentfilm
nicht unüblich, wurde das Set-Design farblich nicht für eine
spätere Schwarz-Weiß-Präsentation eingerichtet; soll heißen,
der Film wurde komplett in Farbe gedreht und diese in der Nachproduktion
entfernt, wodurch leider selten der Eindruck entsteht, man sehe einen
Schwarz-Weiß-Film, sondern vielmehr einen Farbfilm auf einem Schwarz-Weiß-Fernseher.
Allerdings weiß das durchgehend gut gesetzte Licht und die Dramaturgie
von Hell und Dunkel diese leichte Irritation filmischer Authentizität
gekonnt zu relativieren.
Ansonsten überzeugt DIE FARBE auf ganzer Linie. Die
Hauptakteure spielen allesamt gut, die Musik ordnet sich erfrischend unaufdringlich
den Bildern unter, das narrative Element der Kamera wird ausgeschöpft,
die Special-Effects werden punktuiert eingesetzt und wachsen weit über
ihre scheinbaren Möglichkeiten hinaus. Insgesamt steht der Film ganz
unter dem Signum des Minimalismus, und genau darin liegt auch das Geheimnis
seiner eindringlichen Wirkung.
Auch die DVD von DIE FARBE wird der künstlerischen
Intention der Macher gerecht. Angefangen beim wunderschönen, spartanischen
Titelcover bis hin zum unaufgeregten Bonusmaterial ist sie ein würdiger
Vertreter des Films auf dem Heimvideomarkt.
Regisseur Huan Vu und Mitproduzent Jan Roth führen
per Voice-Over durch ein Making-Of, das die Dreharbeiten lediglich durch
Set-Fotos widerspiegelt. Interessanterweise fällt der Informationsgehalt
dieser Rückschau so bedeutend informativer aus als bei den typischen
'Blicken hinter die Kulissen', ihren gewohnten Interviews mit der Filmcrew
und den obligatorischen Lobpreisungen aller Beteiligten.
Die DVD ist eine absolut gelungene Veröffentlichung
mit Fingerspitzengefühl und spürbarer Liebe zur literarischen
Vorlage.
DIE FARBE beweist eindrucksvoll, dass sich der Independent-Genrefilm
in keiner Weise hinter thematisch ähnlich gelagerten Großproduktionen
verstecken muss. Nicht nur Freunde des Lovecraft-Kosmos, sondern jeder
Befürworter gut gemachter, unabhängiger Filmkunst sollten sich
DIE FARBE nicht entgehen lassen.
Kai Naumann
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