Dernière Volonté

Commémoration

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(Hau Ruck!/Tesco 2004) 2 CD 22 Tracks

Als sich die Popmusik in den achtziger Jahren auf die unterschiedlichsten experimentellen Pfade begab, um nach neuen Klängen und Ideen zu suchen, hatten zahlreiche Phänomene noch keinen Namen. Die Enttäuschung über den kommerziellen Ausverkauf des Punk und der neue Kult der Coolness brachten einige Gruppen der New Wave auf einen Sound, der seine Grundstruktur direkt aus der militärischen Marschmusik des 19. und frühen 20. Jahrhunderts herleitete. In einigen frühen Stücken von Death in June sind solche Einflüsse zu spüren: "We drive east" etwa. Doch eine andere britische Band sollte diese Mischung aus Snaredrums, Pauken, pathetischen Streichenmelodien und männlich-markanten Vocals perfektionieren: In the Nursery. Obwohl das Projekt um die Zwillinge Humberstone heute längst als etablierte Soundtrackformation tätig ist und die Vergangenheit im Umfeld von Death in June lieber vergessen würde (sie waren auf der Compilation "From Torture to Conscience" und auf der 12" "Sonority" vertreten), haben sie auf ihren Alben "Stormhorse" und "L'esprit" einen unverwechselbaren Sound geprägt, der Elemente der Miltärmusik mit Hilfe des begnadeten Avantgarde-Drummers Q (auch in der Freejazz-Gruppe Left Hand, Right Hand) und eines harmonischen Frauengesangs zum Pop erhob. Es sollte jedoch zehn weitere Jahre dauern, bis dieser Stil einen Namen bekam: Military Pop.

In the Nusery haben sich heute längst von ihren ursprünglichen Elementen verabschiedet und experimentellen Soundscapes gewidmet, und auch der Industrialpionier Boyd Rice hat sich mit seiner Idee einer "Gothic Marching Music" zunächst nicht durchsetzen können, als sich aus Frankreich eine Gruppe meldete, die unter dem Namen Derniére Volonté den frühen Military-Pop von In the Nursery wieder aufgriff und in etwas entschlackter Form weiterentwickelte. Der französischen Sprache hatten sich schon die Humberstones bedient, auch die euphorischen Keyboard-Meldoien tauchten hier wieder auf - ganz ungeschminkt im Achtziger-Retro-Sound. Geoffroy D., der Frontmann von Dernière Volonté, beharrt jedoch ganz auf dem männerbündischen Charme dieses Konzepts. Seine Phantasien kreisen um eine erträumte Welt der kammeradschaftlichen Treue, der homoerotischen Verbundenheit ("Mon Mercenaire"), er widmet sich ganz der 'Feuerwelt'. Wie ernst es ihm damit ist, zeigt das Foto auf der nun vorliegenden Compilation "Commémoration", auf dem wir ein weinendes Kind vor einem zerbombten Haus sehen. Als wollte uns diese CD daran gemahnen, dass die 'Wolfszeit' noch lange nicht vorbei ist...

"Commemoration" ist eine Zusammenstellung von vereinzelten Tracks aus den Jahren 1998 bis 2003. Es lassen sich also alle Facetten der musikalischen Entwicklung von Derniére Volonté nachvollziehen, von atmophärischen Ambientracks über elegische Klavierpassagen bis hin zu pathetischen Popsongs. Dabei hat sich Geoffroy D.s Stimme immer weicher und harmonischer entwickelt, was das militärische Element in letzter Zeit oft zugunsten der Pop-Geste in den Hintergrund treten lässt.

Die beiden CDs versammeln also Compilationtracks, seltene Singles und bislang unveröffentlichte Versionen, wobei vor allem die beiden Hau Ruck-7"es (CD 1 2-5, CD 2 2-4) sehr positiv auffallen und als abwechslungsreiche Miniaturen bestehen. "Ultime Soupir" (CD 1, 8) baut dagegen eine extrem bedrohliche Atmosphäre auf und entstammt der weitgehend übersehenen Compilation "La Liste Noire" (1998). Abwechslunsgreicher von den Sounds her ist CD 2, wo auch Harmonium und mittelalterliche Elemente zum Tragen kommen.

Wer mit der Musik dieser Gruppe noch nicht allzu vertraut ist, wird mit Sicherheit gefallen daran finden, den bereits gewonnenen Fans wird sie vermutlich etwas konzeptlos erscheinen, was in der Natur der Zusammenstellung liegt. Zugleich nutzen sich die extrem eingängigen Passagen beim mehrmaligen Hören etwas ab, lassen die Brüche vermissen. So hält man mit "Commémoration" also zugleich ein typisches Beispiel für den Military Pop in Händen wie auch einen Beleg für die kreativen Grenzen dieses Konzepts. Man kann gespannt sein, in welche Richtung sich eine genuine neue Veröffentlichung der Band bewegen wird.

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