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Jan Distelmeyer
Das flexible Kino
Ästhetik und Dispositiv der DVD &
Blu-ray
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Berlin: Bertz + Fischer, Paperback, 288 Seiten, 136
Fotos, ISBN: 978-3-86505-217-9
Im September 1994 begann irgendwo in Amerika die Zeugung
der DVD. 1997 kam sie auf die Welt und schon 2002 war sie der wichtigste
Umsatzträger der internationalen Filmwirtschaft. 2006 hat sie mit
der Blu-ray eine durchaus vielversprechende Schwester bekommen, allerdings
führt sie den Markt noch immer deutlich an, ja bisweilen meint man
sogar, so schreibt Jan Distelmeyer, man habe mit ihr – u.a. zum
Nachteil der Blu-ray – „unglücklicherweise das perfekte
Produkt entwickelt” (S. 23).
Der immense wirtschaftliche Erfolg der DVD ist aber nur die Schaumkrone
auf einem Meer aus miteinander verwobenen Wirkungsmächten. Der inhaltsschwere
VIDEO_TS-Ordner, der die ihn konservierende Scheibe aus Polycarbonat letztlich
zur DVD-Video macht, ist Distelmeyer zufolge keineswegs ein bedingungsloser
„Meilenstein der Technikgeschichte” (S. 63) – bekanntlich
bietet die DVD-ROM noch viele Nutzungsmöglichkeiten mehr. Entscheidend
an „DVD & Blu-ray” – das kaufmännische „&”
soll ihren „Zweckverband” (S. 16) ausdrücken –
sind vielmehr die Kategorien von „Ästhetik und Dispositiv”.
Der Autor gewährt einen effektiven „Doppelblick” (S.
32) auf diese zwei Seiten jener bunt glänzenden Medaille, deren Besonderheit
signifikanterweise darin besteht, dass man sie sowohl dem Film, als auch
dem Digitalen um den Hals hängen kann.
Der dem Kino entstammte Film und jenes ominöse Digitale
sind zwei Pole, in deren Spannungsfeld gleichermaßen Kulturpessimismus
und Innovationsglaube gedeihen. Denn der Film ist ins „Zeitalter
seiner digitalen Verfügbarkeit” (S. 207) eingetreten und „DVD
& Blu-ray” bilden hier laut Distelmeyer die Brücke, über
die er gegangen ist oder vielmehr immernoch geht. Sie stehen zwischen
den alten und den neuen Medien, weil sie Heimkino schaffen, aber auch
einen Abglanz des Digitalen beinhalten. Dieser Abglanz funkelt im ersten
„D” und dahinter im „V”: Digitalizität und
Versatilität sollten die DVD im Vergleich zur eindimensionalen VHS
ausmachen, die Blu-ray – neben gesteigerter Klang- und Bildqualität
– noch mehr. Digitalizität und Versatilität – beide
Begriffe sind auf fast rhetorische Weise kryptisch und wirken dabei so
komplex, dass sie ein heuristisches Potential bieten, welches Distelmeyer
gründlich ausschöpft.
Vielseitig, wandelbar, also versatil ist die DVD zunächst deshalb,
weil sie verschiedene Sprachen, Untertitel, Audiokommentare, technische
und historische Informationen, Interviews, Making-Of-Dokumentationen,
Spiele, Deleted Scenes, weitere (Kurz-)Filme und Trailer, Easter Eggs
und vieles mehr bereithält. Mit der Fernbedienung als „Zepter”
in der Hand (S. 55) wird aber nicht nur dieses Multimedia-Angebot individuell
und beliebig oft verfügbar, auch wird die Filmzeit bis auf den einzelnen
Frame kontrollierbar. Dem Zuschauer/Nutzer wird ein „Machtspiel”
(ebd.) ermöglicht, das es so bislang nicht gegeben hatte. Dies führt
zu vielfältigen „Positionen/Haltungen der Nutzerinnen und Nutzer”,
zu mannigfaltigen Arten und Weisen der Rezeption – alles Eigenheiten
des Digitalen – und auch darauf zielt der Versatilitätsbegriff.
In einem ganzen Kapitel widmet sich Distelmeyer den konkreten
Erscheinungsformen von DVD-Inhalten und in einem anderen dem Verhältnis
der DVD zum Video- und Computerspiel, worin er den Zusammenhang von Interaktivität
und Digitalizität verhandelbar macht. Er eröffnet Strukturverwandschaften
zum Themenpark, zum postmodernen Blockbuster-Kino und geht der Frage nach
der Integrität der gewonnenen Erkenntnisse anhand des Text/Paratext-Paradigmas
nach. Die DVD wird als Phänomen höchst verschiedenartiger Ursprünge
erfahrbar. Weit über die technisch-apparative und wirtschaftliche
Dimension hinaus wird sie begriffen als Dispositiv, dem eine Antwortfähigkeit
auf die foucaultsche Frage nach den „Dringlichkeiten”, hier
den Dringlichkeiten der „Digitalizität” und der „Flexibilisierung”,
zugestanden wird. Und während der Autor mit seinen Ausführungen
zur Ästhetik von DVD & Blu-ray auch Martin Seels Erscheinungsbegriff
mobilisiert – und ebenso Kants Ästhetik – so bleibt er
dabei stets am Gegenstand, oder besser an den Gegenständen –
er handelt erfrischenderweise nach der Prämisse, nicht vorwiegend
„die DVD” als gedachten Standard, sondern vielmehr singuläre,
„produzierte Optionen” (S. 29) zu untersuchen. Zahlreiche
Abbildungen, oftmals Stills aus Menüs und anderen DVD-Inhalten, dienen
als unverzichtbares Anschauungsmaterial.
„Flexibel” also ist das Kino dank der DVD geworden,
so dass es im Tauziehen zwischen Filmprojektor und Flashplayer nicht zerreißt.
Bertz+Fischer gibt das Buch mit einem Cover heraus, das diese Idee mit
allein typografischen Mitteln veranschaulicht. So können sich die
analogen und spurhaften Zeichen der alten Welt ja nur flexibel in die
Breite dehnen, wenn man sie wie die Bildschirme per Farbmischungsverfahren
in dynamische Projektionen verwandelt...
Mit der These von der DVD als Bindeglied zwischen dem
Kinofilm und dem Digitalen wäre ihr wieder jene gewisse Kurzlebigkeit
attestiert, was ja, wie auch Distelmeyer schreibt, bereits seine Tradition
hat (vgl. S. 9). So meint man schließlich, jene Utopie (wenn nicht
Dystopie) eines ganz und gar entstofflichten und darin interaktiven Kinos
als nunmehr sichtbaren Flecken in der Ferne zu erkennen.
Marcel Barion
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