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Contagious Orgasm & Dirk Geiger
Fallen Empires
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Label: ant-zen.audio
& visual arts
Format: CD
Veröffentlichung: 23. April 2013
Spieldauer: 55.50 min.
tracklist:
1. exceed the limit, 2. banished kings, 3. black heart, 4. fettered soul,
5. defeated shadows, 6. jiyuu,?7. resistance, 08. defeated shadows (philipp
münch remix), 9. resistance (richter magnitude scale remix by p·a·l)?
Weltreiche und Imperien sind in
den Augen ihrer Zeitgenossen meist monolithische Granite. Im Leben der
Menschen bilden sie die ordnende Konstante an der die Welt gemessen wird.
Ihr Untergang, auch wenn er meisten schleichend und wenig plötzlich
kommt, bringt Umwälzungen und Unsicherheiten mit sich, wie dies Hieronymus
410 n. Chr. in einer emblematischen Frage ausgedrückt hat: „Wenn
Rom untergehen kann, was mag dann überhaupt noch in dieser Welt Bestand
haben?“.
Während die alten, mittlerweile unter Sand oder in
Büchern vergrabenen, Imperien durch konkrete Grenzen auf einer Landkarte
und Herrschaft in Form einer militärisch gesicherten Befehlsgewalt
charakterisiert waren, könnten sich die modernen Weltreiche weniger
deutlich greifbar in Form globaler, biopolitischer Produktionslogiken
oder synchronisierter Kommunikationsnetzwerke darstellen, wie Michael
Hardt und Antonio Negri das 2000 in ihrem Buch „Empire“ skizziert
hatten. Der Untergang zukünftiger Riesenreiche würde damit möglicherweise
nicht durch Säbelklirren oder Pulverdampf sondern durch Computerviren
und digitale Störungen des Systems eingeleitet – dieses Szenario
scheinen Contagious Orgasm & Dirk Geiger auf ihrem gemeinsamen Album
„Fallen Empires“ zu orchestrieren, das damit keinen Blick
in die Historie sondern in eine imaginierte Zukunft darstellt.
Der japanische Noise-, Electro- und Experimental-Künstler
Hiroshi Hashimoto arbeitet bereits seit 1987 mit seinem Projekt Contagious
Orgasm an einer mittlerweile schier unüberschaubaren Diskographie,
die nicht nur eine Vielzahl an stilistischen Facetten umfasst, sondern
auch durch eine große Menge an Kollaborationen gekennzeichnet ist.
Mit „Fallen Empires“ veröffentlicht Hashimoto nun sein
erstes gemeinsames Werk mit dem deutschen Ambient- und IDM-Musiker Dirk
Geiger. Neben seinen eigenen Projekten ist Geiger seit 2002 außerdem
mit seinem eigenen Label „Raumklang-Music“ sehr aktiv.
Eingeleitet wird „Fallen Empires“ durch japanische
spoken words und tribal-percussions, zwei wichtige Konstanten des gesamten
Albums. Nach wenigen Sekunden verstummen diese klar identifizierbaren
Klangquellen, um durch elektronisch-verfremdete Loops abgelöst zu
werden. Eine kalte Ästhetik, dunkle Synths sowie Kinderstimmen als
Mikro-Samples desorientieren den Hörer und erzeugen eine bedrohliche
Atmosphäre. Diese Ambivalenz bewahrt sich „Fallen Empires“
für die gesamte Albumdauer: organische Rhythmen treffen immer wieder
auf elektronische Beats, spoken words und field-recordings werden durch
markante Synthesizer durchbrochen, rituell-akustische Passagen interagieren
mit kalten Glitch-Strukturen. Einen Höhepunkt bildet das unheimliche
und durch eine minimalistische Klaviermelodie sowie stoische Synths-Akzente
getragene „jiyuu“.
Das Album funktioniert in diesem Kontext eher konzeptionell
als intuitiv, bleibt irritierend, brüchig und fragmentarisch. Teils
entfalten die Stücke Collagencharakter, scheinen sich selbst zu dekonstruieren
bzw. zu zerfallen und damit die Titel des Albums programmatisch zu antizipieren.
Abgeschlossen wird „Fallen Empires“ schließlich durch
zwei Remixes, die von Philipp Münch und P.A.L beigesteuert wurden
und das Album dramatisch beendenden. Auch das minimalistische Artwork,
das ein weißes und von zerbrochenem Glas eingerahmtes Fenster auf
schwarzem Grund zeigt, unterstützt die Atmosphäre des Werkes.
Imperien kommen und fallen, und wenn es stimmt, dass
sie bald nicht mehr in Gestalt staatlich codierter Riesenreiche, sondern
als anonyme Netzwerke und Datenregime regieren, wird sowohl ihr Kommen,
wie auch ihr Zerfall, womöglich leise und unmerklich verlaufen. Mit
„Fallen Empires“ haben Contagious Orgasm & Dirk Geiger
ein Album geschaffen, das diese Bewegung mit seinen zurückhaltenden
und komplexen Arrangements in Klang übersetzt hat: Störgeräusche,
aufgehängte Loops in Endlosschleife, abgestürzte Beats und Rauschen
bilden hier die akustischen Artefakte des künftigen Kollaps. Vorsichtig
lässt sich dabei in die dystopische Zukunft reinhören...
Literatur:
Michael Hardt / Antonio Negri: Empire, Cambridge, MA: Harvard University
Press 2000 (dt.: Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt / New York: Campus
Verlag 2002).
Patrick Kilian
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