Come Cani Arrabiati
(dt. Wie tollwütige Hunde; Italien 1976)

Camera Obscura
Italian Genre Cinema Collection No. 12?
Format: Blu-ray
Regie: Mario Imperoli
Darsteller: Jean Pierre Sabagh, Paola Senatore, Annarita Grapputo, Cesare Barro, Luis La Torre
Bildformat 2.35.1
Tonformat: Italienisch (DTS-HD 2.0 Mono)?
Untertitel: Deutsch, English
Laufzeit: 98 Minuten + Extras?
Extras: Audiokommentar von Marcus Stiglegger u. Christian Keßler, Booklet von Kai Naumann, Featurettes mit Kameramann Romano Albani, Regie-Assistent Claudio Bernabei sowie dem Filmhistoriker Fabio Melelli

„Wenn ein Mörder stirbt, ist keine Zeit für Tränen“ – diese ebenso bittere wie apathische Zeile steht als Epitaph unter dem 1976 auf das sensationsgierige Genre-Kino-Publikum gehetzten Films „Come Cani Arrabiati“ (dt. „Wie tollwütige Hunde“). Die metaphorische Tollwut scheint sich dabei von den auf das Celluloid gebannten Protagonisten der Handlung, einer Gruppe junger Gewaltverbrecher, auf den Film selbst übertragen zu haben, der als wilder Stilmix aus Polizei-, Terror- und Home-Invasion-Film durch den Projektor gejagt wird. Keine leichte Unterhaltung, stellenweise sogar recht unangenehm für den Betrachter – wildes Kino im wahrsten Sinne.

Eine Reihe brutaler Gewalttaten führen die Polizei auf die Spur einer großbürgerlichen Jugendbande, deren einziges Motiv für ihre Verbrechen in einem nicht anders artikulierbaren Zustand der Langeweile und des Überdrusses zu liegen scheint. Nicht Armut, Habgier oder politische Verblendung treiben die Gruppe in einen Strudel aus Raub, Mord und Vergewaltigung, sondern die kannibalische Logik einer spätkapitalistischen Gesellschaft, die weniger ihre eigenen Kinder frisst, als vielmehr diese zu gefräßigen Kannibalen erzieht. Und obwohl der Film als Zeitdokument seiner eigenen Gegenwart auf den politischen Terror der Roten Brigaden verweist, wie dies auch in den Featurettes sowie im Audiokommentar von Marcus Stiglegger und Christian Keßler vollkommen überzeugend dargestellt wird, beschreibt dieser Film dennoch auch ein anderes gesellschaftliches Symptom. Während Kai Naumann die kritische Reflektion der Jugendkriminalität im Beiheft zur Blu-Ray mit Stanley Kubricks „A Clockwork Organge“ (GB, 1971) vergleicht, erinnert die Ausweglosigkeit der Taten, die gesellschaftliche Hilflosigkeit, aber auch die Sinnlosigkeit der motivlosen Gewalt, zudem entfernt an Michael Hanekes wesentlich später entstandenes Terror-Drama „Funny Games“ (AU, 1997). In beiden Filmen steht ein soziales Milieu junger, vermögender und vollkommen hemmungslos agierender Bürgerkinder im Fokus, das im Französischen mit dem Begriff „Jeunesse dorée“ (dt. „vergoldete Jugend“) umschrieben werden könnte. Während diese Schicht in Filmen wie „Les tricheurs“ von Marcel Carné (F, 1958) oder „Das süße Leben“ von Federico Fellini (F u. I, 1960) erstmals portraitiert wurde, führt „Come Cani Arrabiati“ die Konsequenzen aus reicher Geburt, sozialer Verantwortungslosigkeit und genusssüchtiger Langweile bis in zum brutalen Exzess fort. Der Film dekliniert dabei die Logik einer Gesellschaft, die nicht nur durch bittere und gewaltstiftende Armut, sondern auch durch ebenso destruktiven Wohlstand begrenzt ist. „Come Cani Arrabiati“ entwickelt hierbei die schematischen Umrisse einer dystoptischen und dezidiert nach-politischen Gesellschaft, in der die ideologischen Kämpfe zwischen links und rechts von neuen Frontverläufen abgelöst wurden – Terrorismus ist hier nicht mehr einer 'Sache’ verpflichtet, sondern Ausdruck von 'Leere’ und Folge der Abwesenheit eines Anliegens. Genau wie „Funny Games“ verdammt er den Zuschauer zum hilflosen wie schaulustigen Voyeur, der – von den Taten gleichzeitig abgestoßen und belustigt – zwischen einem 'Nicht-hinsehen-wollen’ und 'Nicht-wegsehen-können’ schwankt und dabei zum Komplizen dieser Ordnung gerät. Am Ende werden die Täter zu zufälligen Opfern des Egoismus und der Habgier ihrer Elterngeneration und dabei vordergründig folgerichtig bestraft. Eine Rechnung, die jedoch nur scheinbar aufgeht, aber: „Wenn ein Mörder stirbt, ist keine Zeit für Tränen“.

Von Camera Obscura als Nummer 12 der „Italian Genre Cinema Collection“ veröffentlicht, glänzt diese unentdeckte Perle des italienischen Genre-Kinos nicht nur durch ihren besonderen Wert als filmisches Zeitdokument, sondern auch durch ihren klaren und definierten Bildtransfer. Gewürdigt und komplettiert wird diese vorbildliche Veröffentlichung durch das kundige Booklet von Kai Naumann, den unterhaltsamen und kurzweiligen Audiokommentar der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger und Christian Kessler, sowie die sehr ausführlichen Featurettes mit Kameramann Romano Albani, Regie-Assistent Claudio Bernabei sowie dem Filmhistoriker Fabio Melelli. Es ist ein Glück, dass „Come Cani Arrabiati“ nach Jahren im Zwinger nun endlich wieder von der Kette gelassen wird und nun auf ein hoffentlich weniger sensationslustigeres aber dafür kritischer ausgerichtetes Publikum trifft, das nicht nur dessen Schauwerte, sondern auch sein gesellschaftskritisches Potential zu schätzen weiß. Ob Michael Haneke der Film gefallen würde, ist fraglich – wahrscheinlich würde er ihn ablehnen, vielleicht aber auch gerade nicht...

Patrick Kilian