Carnivàle

TV-Serie auf DVD

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Das Lamento war groß. Kaum hatte HBO die zweite Staffel abgedreht, kam die erschreckende Nachricht für die Fans: Carnivale wurde gecancelt, abgesetzt. Das Finale der zweiten Staffel soll noch ein paar lose Enden flicken, dann sei Schluß. Der Aufschrei und die Proteste der Fans blieben ungehört, die Quoten waren einfach zu mies, um das Experiment fortzusetzen. Wer sich also heute auf Carnivàle einläßt muss vorallem mit einem rechnen: Das Ende wird offen bleiben, viele Fragen sind ungeklärt. Doch auch ohne dieses forcierte offene Ende ist Carnivàle enigmatisch. Ein Plädoyer für eine tote Serie.

Warum sich also heute noch Carnivale anschauen, wenn die Tage der Serie ohnehin gezählt sind, das Ende unbefriedigend bleibt? Ähnlich wie bei Twin Peaks ist Carnivàle nicht am Serienfinale, an der Auflösung aller Handlungsstränge festzumachen: Hier werden die Grenzen des Fernsehen ausgeweitet, die üblichen Serienformate sprengt. USA in den 30er Jahren: Ein dicke Staubschicht bedeckt alles, die Hitze scheint unerträglich, der Dustbowl flimmert. Der junge Ben beerdigt gerade seine Mutter, als ihn ein vorüberfahrender Zirkus, eine Freakshow, aufliest. Ehe sich Ben versieht, sitzt er in einem Lastwagen vollgestopft mit fahrendem Volk: Eine Reise zu
den dunklen Seiten der USA. Jeder der Mitreisenden schleppt eine Geheimnisse mit sich: Zum Beispiel Sophie, die Tarotkarten legt und per Telepathie von ihrer komplett gelähmten und stummen Mutter die Zukunft eingeflüstert bekommt. Oder Lodz, der absinthsüchtige blinde Magier, der sich nicht nur am Alkohol, sondern auch an Macht berauscht.

Oder der kleinwüchsige Chef der Truppe, gespielt von Twin Peaks-Veteran Michael J. Anderson, der versucht, die oftmals streitbaren Persönlichkeiten zusammenzuhalten. Ben hingegen hat mit sich selbst zu kämpfen: Er hat eine Begabung, die er nicht kontrollieren kann - und die einige Leute sehr interessiert. Carnivàle ist eine geschickte Kombination aus Mystery und Historiendrama versehen mit etwas American Gothic. Man spürt, wie unter der staubigen Oberfläche etwas brodelt, was größer als die jeweiligen Charaktere ist und sich irgendwann bahnbrechen wird, ein Antagonismus sich herauskristallisiert. Ein ständiges Warten auf den kommenden Sturm. Ganz im Sinne einer Mythopoesie werden hier eigene mythologische Versatzstücke geschaffen - und in eine real aussehende Welt gepflanzt. Der visuelle Stil der Serie ist einzigartig und greift das Thema der 30er Jahre auf und kann natürlich nicht auf den Sepia-Filter verzichten: In kräftigen Brauntönen ist die Erdnähe, das Vergängliche in den Bildern zu spüren, die Bilder werden
surreal, Traumsequenzen mischen sich mit dem vermeindlich Realen.

Hervorragend auch die Schauspieler, besonders Clancy Brown als Brother Justin wirkt als Pfarrer mit Engelszugen und diabolischem Fanatismus glaubwürdig - seine tief brummende Stimme wurde bisher vorallem für Animationsfilme entdeckt, hier hat sie endlich den richtigen Charakter erhalten. Die Serie ist das visuelle Äquivalent zu den mystisch aufgeladen Stücken von 16 Horsepower oder eines späten Johnny Cash - wer sich für diese Art der dunklen Americana interessiert, dem sei das indrucksvolle und bildgewaltige Carnivàle empfohlen. Die erste Staffel der Serie ist als UK Import erhältlich, die zweite Staffel wird im August in Groß-Britannien veröffentlicht.

Martin Kreischer