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Nils Petter Molvær
Baboon Moon
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Label: Sula Records /Columbia
Format: CD
Veröffentlichung: 16.09.2011
Für sein neues Album holte sich der norwegische Jazz-Trompeter Nils
Petter Molvær den Schlagzeuger Erland Dahlen (Madrugada) und den
Noise/Experimental Gitarristen Stian Westerhus (Monolithic/PUMA) als Unterstützung.
Während Molværs frühere Alben noch eine stark elektronisch
beeinflusste Richtung verfolgten, nähert sich „Baboon Moon“
dem progressiven Jazz-Rock an. Hierbei spielen nicht nur Dahlens treibende
Beats, sondern auch Westerhus’ dynamisches und forderndes Gitarrenspiel
eine tragende Rolle. Molvær übernimmt vielfach die Rolle des
Zeremonienmeisters. Er lenkt und dirigiert die Kompositionen mit seinen
dunklen und hypnotisierenden Trompetenläufen und hält das Album
souverän zusammen.
„Mercury Heart“, das erste Stück der Platte
verkörpert deren ganzen Geist in verdichteter Weise und eröffnet
das Tableau bestehend aus ruhigen, ja fast ins Ambient eintauchenden Passagen
und den voluminösen Einsätzen von Schlagzeug und Gitarre. Molværs
Trompete erinnert hierbei nicht nur entfernt an den späten Miles
Davis und tritt mit einer messerscharfen Präzision auf, in der jeder
Ton eine tiefe Dramatik atmet. „A Small Realm“ bewegt sich
dann noch näher in den Ambient-Bereich und lässt Molvær
viel Raum, sich zwischen leisen Echos und sphärischen Flächen
voll zu entfalten. Das dritte Stück „Recoil“ wird dann
stark von Dahlen und Westerhus dominiert und von einem kraftvollen Rhythmus
nach vorne getragen. Gerade dieser Track antizipiert auch die musikalische
Herkunft von Westerhus, der mit seiner Band Monolithic eigentlich im avantgardistischen
Math-Rock beheimatet ist.
Ein zentrales Moment des Albums sind allerdings die dezidiert
kontemplativen Passagen, auf die Molvær, Dahlen und Westerhus immer
wieder zurückkommen. Diese zwar immer in einer gewissen Anspannung
gehaltenen Ruhemomente zeichnen sich durch eine erratische Undurchdringlichkeit
aus, in der die Komposition fast tiefenpsychologische Dimensionen erreicht.
In zahllosen Schichten werden melodische und rhythmische Klangelemente
übereinander getragen, verlieren sich und werden von der hauchzarten
Trompete durchbrochen. Vor allem Westerhus verleiht diesen Momenten durch
die Setzung bewusster Dissonanzen eine besondere Atmosphäre, die
immer am Abgrund zu schwanken scheint. Wo andere progressive Ensembles
mit Acht oder mehr Musikern auftreten oder Post-Rock-Bands Wände
von Verstärkern benötigen, gelingt es Nils Petter Molværs
Trio eine akustische Reise zu gestalten, die ganz ohne Pomp auskommt.
Die nicht enden wollende Vielseitigkeit von „Baboon
Moon“, die dem Hörer auch nach wiederholten Durchgängen
immer wieder neu in ihren Bann zieht und das Album bei jedem Durchlauf
in einem anderen Licht und aus einer andern Facette erstrahlen lässt,
ist nur schwer beschreibbar. Aufwühlung, Anspannung, Ruhe bis zu
Phasen innerer Meditation sind Eindrücke, die nicht nur auf das Album
als Ganzen anwendbar sind, sondern sich auch innerhalb der einzelnen Stücke
abwechseln. Im vorletzten Stück „Coded“ finden diese
unterschiedlichen Pole schließlich eine rituelle Einheit und verschmelzen
in einem gemeinsamen Punkt, bevor der fulminante Titeltrack das Album
mit seinem tribal-artigen Schlagzeug und repetitiver Gitarre beschließt.
Das einzige, was an „Baboon Moon“ kritisierbar
wäre, ist seine relativ kurze Spieldauer. nach nur 43 Minuten wird
der Hörer wieder aus jener Welt verstoßen, die zuvor so kunstvoll
errichtet wurde. Und dennoch ist Nils Petter Molværs „Baboon
Moon“ ein Meisterwerk, das weit über die Grenzen des Jazz bedeutsam
ist.
Patrick Kilian
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