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Autodigest
A Compressed History of Everything Ever Recorded, Vol.
1
(Crónica 006-2003, CD, 11 Tracks)
Leere und Abwesenheit von musikalischer Struktur sind 2003
selten so radikal thematisiert worden wie in diesen 11 Stücken von
Autodigest. Tiefer Hall wechselt zu hochfrequentem Sirren, in Phasen völliger
Stille purzeln millisekundenlange Soundschnipsel, die in der Tat wie das
klangliche Endprodukt gnadenloser digitaler Komprimierung erscheinen.
Endgültig dominant wird dieser Eindruck ab den letzten Momenten von
Track 4 („Compression 4“), die in ihrer quietschenden Hochgeschwindigkeitskakophonie
an das Arbeitsgeräusch vorsintflut-licher Tape-Decks mit „High-Speed-Dubbing“-Funktion
erinnern. Doch wo jene Decks rein funktional ein schnelleres, wenngleich
mit grauenhaftem Qualitätsverlust verbundenes Kopie-ren von Musikkassetten
ermöglichten, wenden sich Autodigests krasse Soundexplorationen wesentlich
anspruchsvolleren kulturellen und philosophischen Problemfeldern zu: Die
in der weitgehenden Verweigerung stilistischer Referenz begründete
Selbstbezüglichkeit ihrer Äs-thetik lässt, so ihr Anspruch,
Raum und Zeitkategorien zu einem eher punktuellen Zustand abstrakter Erfahrbarkeit,
einer Art reinen musikalischen Da-Seins implodieren. In dieser mo-menthaften,
präsentischen Rezeptionsweise verblassen kulturelle Antagonismen
derart, dass – hier wird das Theoriegebäude des französischen
Soziologen und Medienwissenschaftlers Jean Baudrillard bemüht –
eine Befreiung aus den Fängen des Hyperrealen möglich wird,
eine Emanzipation von der sonst unentrinnlichen Gewalt gesellschaftlicher
Simulakra. Hier liegt das einzige Problem dieses Albums: Autodigests Musik
ist viel reichhaltiger und vielschichti-ger als die quasipolitischen Platitüden,
mit denen sie überfrachtet wird. Ein Werk, dessen Be-deutung, dessen
„message“ ihm derart von außen aufgedrückt werden
muss, scheint mir in seiner ästhetischen Autonomie beschädigt.
Es darf nicht für sich selbst sprechen, es besitzt sein subversives
Potenzial nur noch als behauptetes. Es befreit nicht von Ideologie, es
ist, so hätte Adorno gesagt, selbst Teil von Ideologie.
So ganz wollen aber auch Autodigest selbst nicht auf metaphorische
Referenzen verzichten und bezeichnen „A Compressed History of Everything
Ever Recorded“ als „audio equivalent of a Black Hole“:
als ein undefinierbares, amorphes und damit verstörendes Artefakt,
das sämtliche musikalischen Strömungen und Entwicklungen aufsaugt
und in seinem Inneren transformiert. Dass Laute und Klänge ein Schwarzes
Loch verlassen, also seinen Ereignisho-rizont, die Grenze seines Gravitationsfeldes,
nach außen durchstoßen, stellt die uns bekannten Naturgesetze
auf den Kopf. Ein wahrhaft revolutionäres Ereignis, auf dessen baldige
Wieder-holung sich im Fall Autodigest sicherlich zu warten lohnt.
Oliver Keutzer
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