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29 PALMS
5 / 5 Sterne
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Kinostart oder DVD in Deutschland noch nicht bekannt.
Über Frankreich auf DVD erhältlich.
Geht es nicht in jedem Kunstwerk um die selben Dinge?
Wirklich, ich denke es gibt nichts außer Sex, Liebe und dem Bösen...
Bruno Dumont
Ein Location-Scout und seine Geliebte durchstreifen die
kalifornische Wüste auf der Suche nach geeigneten Motiven für
einen Werbespot. Doch wo auch immer sie anhalten, treffen sie auf umfassende
Leere. Wo zu Beginn der Reise noch Felder aus Windrädern die Einöde
variieren, scheint sich zusehend alles zu entziehen. Staub, Steine, einige
knorrige Bäume... Dazu kommt die innere Leere zweier Menschen, die
einander ihre tatsächlichen Bedürfnisse kaum vermitteln können:
Sie ist Russin, spricht kein Englisch und nur wenig Französisch.
Er ist Amerikaner und versucht, sich ihr mit seinen wenigen Brocken Französisch
mitzuteilen. Es kommt zum Miss-, meist jedoch Unverständnis. Und
während die junge Frau in ihrer Verlegenheit die Diskussion mit einem
„je t’aime“ beendet, wird er zusehend aggressiver.
Die Welt um das kleine Wüstenstädtchen Twentynine
Palms ist feindlich: Wenn das Pärchen über die Straße
geht, wird es bereits von vorüberfahrenden Rednecks beschimpft. Und
tatsächlich scheinen der cooler Fotograf und das filigrane Model
im Kaputzen-Shirt so gar nicht in diese erstarrte Umgebung zu passen.
Doch meist sind die Straßen menschenleer und niemand stört
sich daran. Einmal gehen sie in einen Supermarkt mitten in der Wüste,
der eine ernorme Produktpalette vorrätig hält – und keine
Kunden weit und breit. Solche Bilder haben etwas Bizarres – und
stehen wohl genuin für das, was der französische Filmemacher
Bruno Dumont über Amerika denkt: Konsumismus, latente Aggressionen,
aber meistens: Leere (darin ähnelt er seinem Kollegen Jean-Luc Godard).
Vorbei ist die cineastische Verklärung des europäischen Blicks
auf die USA aus den wehmütigen Filmen von Wim Wenders: Das Amerika
von TWENTYNINE PALMS ist eine Chiffre, ein Symbol jener existenziellen
Leere, die mehr und mehr von dem Film und seinen Protagonisten selbst
Besitz ergreift. Und irgendwann stellt sich die bange Frage: Was existiert
jenseits dieser Leere?
Selten hat man im aktuellen Kino unromantischere Liebesszenen gesehen
als in den Filmen Bruno Dumonts. Wo ist das 'edle Gefühl’ des
klassischen Kinos geblieben, wenn wir in langen Sequenzen das Maschinelle
der Selbstbefriedigung unserer Protagonisten bezeugen müssen? Monotones
Aufeinanderprallen der Leiber, dann ein Orgasmusschrei als verzweifelte
Existenzbezeugung – die wiederum nur Unsicherheit hinterlässt.
Für die Frau ist die immer wieder behauptete „amour“
der Rettungsanker, für ihn möglicherweise die Hoffnung auf den
nächsten Sex. Einmal halten sie mitten in der Wüste, um am Rande
eines Felsmassivs miteinander zu schlafen, doch sie bricht ab: Sie sei
zu trocken. Das nackte Paar besteigt den Sandsteinfelsen und drapiert
sich kunstvoll in der Sonne: Zwei verletzliche, blasse Leiber, einander
abgewandt, zu einem Tableau erstarrt. Dieses Bild atmet all die verzweifelte
Poesie dieses Films, man wird es kaum vergessen. Ebenso wenig wie einen
Moment, wo die Frau im Swimmingpool des Motels treibt – einer künstlichen,
blauen Oase mitten im Staub – nur beschattet von einer einzelnen
Palme...
Neben das Nichts stellt Dumont hier mehr und mehr den Untergang:
Wie der anonyme Mostertruck aus Steven Spielbergs Horrorszenario DUELL
(1971) taucht immer wieder ein mysteriöser Van auf: In der Einsamkeit
der Wüste wird jedes Wesen unvermittelt zum potenziellen Feind. Und
so kann man nach dem ersten Erscheinen dieser 'Drohung’ kaum noch
davon sprechen, in diesem Film ereigne sich kaum etwas – vielmehr
zieht Dumont die Schraube der Eskalation derart langsam an wie selten
ein Film zuvor: Zwei Stunden Leere in Cinemascope – ohne Musik und
nennenswerte Dialoge – münden schließlich in ein Inferno
sinnloser Zerstörung, das man so nicht erwartet hat – und auch
nicht wirklich herbeisehnte. Dumont, der zuvor Philosophielehrer war,
entwirft in seinem bislang dritten Spielfilm eine Welt ohne Sinn und Bedeutung.
Seinen nicht einmal mehr sinnsuchenden Protagonisten bleibt kaum ein Ausweg:
keine zärtlichen Emotionen, kein zwischenmenschliches Vertrauen,
kein Verständnis. Sie irren durch eine kalte Welt ohne Bezüge.
Dumonts Reise begann vergleichsweise konventionell mit DAS LEBEN JESU
(1996), einem Drama um latenten Rassismus auf dem französischen Land,
das in selbstzweckhafte Gewalt mündet. Sein zweites Werk L’HUMANTIÉ
(2000) zeigt die Leere des ländlichen Mittelstandes, der nicht einmal
durch einen Mädchenmord aus dem stupiden Gleichgewicht gerät;
und TWENTYNINE PALMS nutzt wie L’HUMANITÉ Bilder der öden
Weite als Spiegelbild der Seele seiner Handelnden. Eine Selbstvergewisserung
in der Sexualität erklärt Dumont für gescheitert. Was einst
‚poetisch’ verklärt wurde, erscheint hier reduziert auf
eine leerlaufende Instinktwelt. Bruno Dumont hat Film als philosophisches
Medium neu erschlossen: Er nutzt das audiovisuelle Instrumentarium, um
sein Publikum rückhaltlos mit Sinnleere und Vergänglichkeit
zu konfrontieren. Wesentliches Mittel ist dabei die (an konventionellen
Erwartungshaltungen gemessene) dramaturgische 'Unzuverlässigkeit’
seiner ‚Erzählung’. Es reicht ihm statt dessen, eine
Ausgangssituation zu schaffen, die zugleich den Leerlauf der Existenz
demonstriert und das katastrophische Chaos fataler Entwicklungen ermöglicht.
Die Filme von Bruno Dumont sind unangenehm und gnadenlos, Angriffe auf
die Sinne, die Geduld und die Ethik des Zuschauers. Dabei ist jener unbedingte
Wille zur 'Poesie’ aus dem traditionellen französischen Sozialdrama
(etwa des poetischen Realismus’ eines Marcel Carné) gewichen.
Was bleibt, sind existenzielle, elementare Dramen über Leben und
Vergehen – über eine Existenz angesichts des alles verschlingenden
'Nichts’.
TWENTYNINE PALMS, ein Film, der einem linearen, illusionistischen
Erzählkino amerikanischer Prägung ferner kaum sein kann, erweist
sich als ein bedeutender Schritt in Richtung filmischer Philosophie –
fähig Dinge zu reflektieren und Emotionen zu erzeugen, an denen Worte
mitunter scheitern müssen. – TWENTYNINE PALMS ist momentan
nicht für eine deutsche Kinoauswertung angekündigt, obwohl der
Film deutsch koproduziert wurde. Eine hervorragend gestaltete, englisch
untertitelte DVD aus Frankreich liegt vor.
Marcus Stiglegger
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