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Lust for Life
Interview mit Oskar Roehler
Der Regisseur Oskar Roehler, dessen neuer Film DER ALTE
AFFE ANGST gerade in den Kino zu sehen ist, wurde am 21.1.1959 in Starnberg
geboren. Nach einer bewegten Jugend zwischen London, Rom und Nürnberg
ging er Anfang der achtziger Jahre nach Berlin, wo er zunächst als
freier Journalist arbeitete. 1984 veröffentlichte er seinen Erzählungsband
„Das Abschnappuniversum“, der einige seiner späteren
Themen bereits vorwegnimmt, „obwohl es natürlich eine andere
Sache ist, sich literarisch auszudrücken. In Drehbüchern arbeitet
man viel salopper und spontaner. Heute erinnern mich meine teils autobiografischen
Geschichten an ‘Sommerhaus, später’.“ Es folgten
Drehbücher für unabhängige deutsche Filmemacher wie Nikolaus
Schilling, Christoph Schlingensief und Mark Schlichter, in denen er seiner
Neigung zur urbanen Subkultur und zum zynischen Humor frönte. Das
exzessive Beziehungsdrama SYLVESTER COUNTDOWN (1997) war nach dem etwas
schrägen Splatterfilm GENTLEMAN, einer Hommage an Bret Easton Ellis’
Serialkiller-Roman „American Psycho“, Roehlers Kinodebüt.
Gefällt Dir der Vergleich von GENTLEMAN mit „American
Psycho“?
Roehler: Ich selbst habe ihn mir auf die Fahne geschrieben.
Mich interessierte damals diese amoralische Haltung. Natürlich ist
GENTLEMAN KILLER etwas anders, wir hatten nur geringe Möglichkeiten.
Der Film kam auch seinerzeit nicht besonders gut an, wenn ich ihn jedoch
heute an der Filmhochschule zeige, können die Studenten mehr damit
anfangen.
Hast Du konkrete Vorbilder?
Roehler: Das ändert sich natürlich immer wieder.
Momentan ist es sicher Woody Allen. Eines meiner nächsten Projekte
wird sicher eine Komödie. Dann mag ich natürlich Abel Ferrara,
dessen SNAKE EYES und BAD LIEUTENANT sicher für jeden interessant
sind, der Filme machen möchte. Von Patrice Chéreau mag ich
vor allem DAS FLEISCH DER ORCHIDEE. Und Oliver Stone ist einer meiner
absoluten Favourites.
Stimmt es, daß Du einen Dokumentarfilm über
Ferrara drehen wolltest?
Roehler: Naja, nach BAD LIEUTENANT wollte ich unbedingt
ein Making Of seines nächsten Films machen, aber es war auf allen
Ebenen unglaublich schwierig. Erstmal gab es kein Geld, niemand interessierte
sich dafür. Und dann ist es fast unmöglich, mit ihm in Kontakt
zu kommen. Das hängt mit den Drogen usw. zusammen, er steckt da in
seinem Sumpf. Leute von der Berlinale haben erzählt, er bräuchte
schon für den Flug seine Dosis Heroin...
SYLVESTER COUNTDOWN erinnert in seiner hysterischen
Sexualität an die Filme von Andrzej Zulawski...
Roehler: SYLVESTER COUNTDOWN sollte ein originärer
Film sein, ohne Vorbilder, der ganz aus seinem Stoff heraus entstand,
mit einfachsten Mitteln realisiert. Erst konnte kein Redakteur mit dem
Drehbuch etwas anfangen, dann waren sie von dem Ergebnis ziemlich begeistert.
Daß es da um Sex geht, liegt in der Natur der Geschichte, in der
Beschaffenheit der Beziehung in diesem Fall. Sex als filmischer Gegenstand
interessiert mich nicht an sich, lieber würde ich einen erotischen
Film aus kindlicher Perspektive machen, über erste Erfahrung, etwa
wie in ES WAR EINMAL IN AMERIKA.
Dennoch ist die Gestaltung der Sexszenen sehr originell,
etwa wenn man in GIERIG die Genitalgeräusche hört, das ist selten...
Roehler: Also, wenn Sex, dann nur noch originell, verbunden
mit interessanten, witzigen Ideen, nicht einfach als dramaturgische Dreingabe.
GIERIG zeigt auch deutlich Deine humorvolle Seite.
Roehler: Ja, es ist eine schwarze Komödie, ein sehr
künstlicher Film, sehr melodramatisch. Auch mein nächstes Projekt
nach dem neuen Film, UMNACHTUNG, den ich gerade drehe, geht in diese Richtung.
Für Bioscop bereite ich eine böse Komödie mit vielen Dialogen
vor, in der es um Sexual- und Konsumverhalten geht.
Musik scheint in Deinen Filmen eine große Rolle zu spielen.
Roehler: Ja, wobei ich mich immer am Thema orientiere. Bei SYLVESTER COUNTDOWN
war es Clubmusik, die uns Berliner DJs zusammengestellt haben, in GIERIG
wollte ich unbedingt Pergolesis „Stabat Mater“ verwenden,
weil ich dieses Stück liebe. In meinem neuen Film wird „Lovestreet“
von den Doors und „Devil in Disguise“ von Elvis vorkommen...
Was kannst Du über UMNACHTUNG schon sagen?
Roehler: Es ist ein Frauenschicksal, die Geschichte einer
Schriftstellerin Ende der achtziger Jahre, die Personen aus ihrem Leben
begegnet. Die Hauptrollen spielen Hannelore Elsner, Vadim Glowna und Matthieu
Carrière.
Ja, dann viel Glück für die restlichen
Dreharbeiten und Deine zukünftige Arbeit.
Anmerkung: Dieses Interview wurde vor den Dreharbeiten zu
DIE UNBERÜHRBARE geführt.
Filmografie: DEUTSCHFIEBER (1991, DB, R: Nikolaus
Schilling), TERROR 2000 (1992, DB, R: Christoph Schlingensief), SHEILA
(1994, Kurzfilm), EX (1995, DB, R: Mark Schlichter), MISTER PROPER (1995,
Kurzfilm), HARD (1995, Dokumentarfilm), UNITED TRASH (1995, DB, R: Christoph
Schlingensief), FAMOUS NOTHING (1996, Kurzfilm), GENTLEMAN (1996), DIE
120 TAGE VON BOTTROP (1997, DB, R: Christoph Schlingensief), SYLVESTER
COUNTDOWN (1997), LATIN LOVER (1998, Fernsehfilm), GIERIG (1998), DIE
UNBERÜHRHBARE aka UMNACHTUNG (1999), SUCK MY DICK (2001), DER ALTE
AFFE ANGST (2002)
Das Gespräch führte
Marcus Stiglegger
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