Heroin im wüsten Land

Das Gespräch mit Julia Ostertag zu ihrem neuen Film führte Julia Reifenberger

 


Weit hinter dem Auge der BetrachterIn, irgendwo zwischen Amygdala und Unterleib, lagert sich das filmische Werk Julia Ostertags an. Ihre frühen experimentellen Kurzfilme not that kind of girl und vor allem Sexjunkie, der 2006 auf dem Porn Film Festival Berlin im Kurzfilmwettbewerb Hetero ausgezeichnet wurde, stehen ohne Frage in der Tradition des Cinema of Transgression eines New York der 80er. Kompromisslos nah bei sich selbst untersucht Ostertag darin in grobkörnigen Bildern ein zerrissenes sexuelles Sein: Sexualität als Manifestation völliger Einsamkeit und zugleich als wiederkehrendes Erlösungsmoment. Nach den Dokumentationen NO American Dream und Gender X, der Transgenderidentitäten der Berliner Transsexuellen-Szene porträtiert, ist 2008 Julia Ostertags erster Lang-Spielfilm erschienen. In Saila durchstreift eine junge Frau ein postapokalyptisches Ruinenland, in dem die einzige Überlebensstrategie Gewalt ist. Die Frau als Raubtier im Parallelraum, auf einer alptraumhaften Suche, deren Ursprung und Ziel im Dunklen bleiben. Auf dem Female Eye Film Festival in Toronto gerade zum besten Experimantalfilm gekürt, ist Julia Ostertags Saila rätselhaft, stilistisch radikal und in jeder Hinsicht aktueller, junger deutscher„Underground“.

1. 2008 hast Du, nachdem Du zuvor eine Reihe experimenteller Kurzfilme und Dokumentationen gedreht hast, mit Saila deinen ersten Lang-Spielfilm vorgestellt, an dem Du zwei jahre lang gearbeitet hast. War es schwierig, den Film zu finanzieren und umzusetzen?

J.O.: An normalen Maßstäben gemessen war es eigentlich unmöglich den Film zu machen und vor allen Dingen zu finanzieren. Denn ich muss ganz offen sagen, dass es hier in Deutschland eigentlich keine Förderinstitution für derartigen Stoff gibt. Vielleicht liegt das in der Natur eines solchen Filmes „Underground“ auch in dem Sinne zu sein, dass man so etwas nicht nach den normalen Regeln der Filmwirtschaft auf die Beine stellen kann. Im Rückblick muss ich sagen, vielleicht war es besser, gar kein Geld zu haben als ein bisschen, denn dann hätten ja vielleicht manche Leute für Geld gearbeitet und andere nicht und das hätte unter Umständen die Crew gespalten. So war ja klar, das ist alles D.I.Y., wir sind hier alle dabei weil wir Spass haben.

2. Du hast beim Dreh nicht mit Schauspielern gearbeitet, sondern mit Laien, z.T. aus der Punk-Szene. Wie hast Du Deine Darsteller und überhaupt die ganze Crew gefunden?

J.O.: Das Projekt hatte eine riesen Eigendynamik. Irgendwann gab es ein paar erste Szenen, in denen Saila in verlassenen Gebäuden irgendwelche grausamen Dinge mit Männern anstellt, die aber sehr ästhetisch aussahen und in denen auch Blut vorkam. Und diese Art von Aufnahmen hat die Aufmerksamkeit von bestimmten Leuten auf sich gezogen. Und durch Mundpropaganda hat sich dann eine Art „Film-Bewegung“ gebildet.
Ich habe gemerkt, dass in Berlin eine Menge Menschen durch Hartz IV irgendwo zwischen den Stühlen hängen und eigentlich kreativ sind, aber im Grunde überhaupt keinen Raum haben, das zu entfalten. So kamen dann im Verlauf der Dreharbeiten erstaunliche Talente zum Vorschein. Ein Mitwirkender hat sich zum Beispiel immer um die Props gekümmert. Dem hab ich die Szene ungefähr beschrieben, die ich im Kopf hatte und am nächsten Tag stand er mit den unglaublichsten Gegenständen da. Oder er ist an dem Ort, an dem wir gerade gedreht haben, einfach um die Ecke gegangen und hat genau das gefunden, was gefragt war.
Was meine Hauptdarstellerin, Kathryn Fischer, betrifft: Es ist natürlich schon ein Glücksfall, jemanden zu finden, der Gender-Studies studiert hat, aber auch als Stripperin jobbt, und das hier in Deutschland. Wir kannten uns schon vor der Arbeit zu Saila. Als ich mich dann entschlossen habe, jetzt einfach anzufangen zu drehen, habe ich überlegt, wen ich mir in der Rolle der Saila vorstellen könnte. Und da kam eigentlich nur sie in Frage.

3. Wie kann man sich die Arbeit am Set von Saila vorstellen? Inwieweit entstanden die Szenen aus dem Moment heraus, wie exakt habt Ihr ein Drehbuch umgesetzt, wie stark hast du die Schauspieler geführt oder inwiefern haben sich die Figuren quasi von selbst, aus dem Spiel, entwickelt?

J.O.: Wir haben nicht mit dem Original-Script gearbeitet, sondern ich habe die Szenen jeweils auf "no budget"-Format und die Lokalitäten umgeschrieben. Das Script bekamen die Leute frühestens 3 Tage vor dem jeweiligen Dreh per Mail, aber nie mehr als eine Din a 4-Seite, aber meistens auch nicht alle Darsteller, denn sie sollten ja einfach sie selbst sein und nicht soviel drüber nachdenken, wie das denn nun zum Teufel wieder funktionieren sollte. Und natürlich waren die Szenen nicht wirklich „durchchoreographiert“, zumindest nicht die Massenszenen.
Mit den Darstellern, die eine Einzelperformance hatten, habe ich hingegen schon über ihre Figur und ihre Gefühle während der Aktion gesprochen, um eine gewisse Emotionalität aufzubauen. Es gibt verschiedene Typen von Darstellern und ich denke, man muss mit jedem anders umgehen. Aber was für mich schon feststand, waren die Bilder, die ich bekommen wollte - ich musste nur den Weg finden, die Leute dazu zu bekommen, so auszusehen, wie ich sie mir vorstellte. Ich glaube, dass meine Darstellerin der Saila einerseits einen ziemlich intuitiven Zugang zu der Figur hatte, aber auch überschneidungen mit der Figur da waren. Nach den ersten Takes hatte sie der Figur dieses Gesicht gegeben.
Oft war nicht ganz kontrolliert, was da vor der Kamera passiert. Also z.B. die Szenen mit dem Feuer. Da war eine Menge Abenteuerlust und Risikobereitschaft im Spiel. Oder die Tatsache, dass wir meistens ohne Genehmigung gedreht haben. Wir hatten ja auch Leute dabei, die zu dem Zeitpunkt keine ganz mustergültige Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland hatten. Es war aber einfach so: Go for it ! Also es war schon unglaublich. Und dadurch auch Adrenalin pur, weil es absolut um irgendetwas ging. Damit ist ein solches Drehen natürlich auch etwas, das man so nicht wiederholen kann. Im Grunde genommen auch Filmemachen als Performance.

4. Die Laiendarsteller aus der Szene, die Drehorte, die östlich von Berlin liegen und die ja tatsächlich so aussehen wie im Film, die spontan zusammengesuchte Ausstattung, die sich selbst entwickelnde Dynamik am Set: All das sind ja fast schon Objects trouvés. Steckt für Dich in dieser Arbeitsweise auch ein dokumentarischer Ansatz, auch wenn Saila natürlich eine Fiktion ist?

Ich sträube mich gegen diese Idee des dokumentarischen Ansatzes, denn in dem Moment, in dem ich Menschen in eine Umgebung verpflanze, und ihnen sage, wie sie sich verhalten sollen, ist es für mich eine Inszenierung. Sicherlich gibt es einige Szenen in denen ich mir entweder eine Situation oder die Fähigkeit einer Person so "zunutze" gemacht habe, dass sie rückwirkend dokumentarisch WIRKT. Ich würde das aber AUTHENTISCH nennen wollen.
Diese Unterscheidung ist mir wichtig.
Und zudem wähle ich einen Ausschnitt mit der Kamera. Vieles in Saila basiert ja gerade darauf, dass Dinge weggelassen werden. Z.B. Autos, alles was auf Zivilisation hindeutet. Das war eine Regel. Da darf nichts sein, was auf die jetzige Zeit verweist. Wir haben jedesmal vor den Drehs die Bierflaschen eingeweicht und die Etiketten entfernt. Oder die Durchsuchungen im Film, das gab es bei uns am Set auch. Handys weg, das durfte auch nicht zufällig im Bild erscheinen, weil das alles kaputtgemacht hätte. In diesem Sinne habe ich schon gewisse Squatter-Gewohnheiten – wobei ich ja selbst kein Squatter bin – oder Dinge, mit denen dort geliebäugelt wird, im Grunde überhöht. Ich muss auch sagen, ich liebe diese Ästhetik. Es sind schon Leute auf mich zugekommen und haben gemeint, der Film wäre ja wahnsinnig romantisch. Und ich finde das auch. Da gibt es schon fast sowas wie eine Verklärung der Destruktion.

5. Drückt sich für dich in Saila ein bestimmtes Lebensgefühl, ein Zeitgeist aus? Wenn ja, wie würdest du dieses Gefühl beschreiben?

J.O.: Ich glaube, in dem Film drückt sich sehr viel Lebensgefühl aus. Wenn man darunter versteht, einer seltsamen Welt quasi mit einem Wissen um die Sinnlosigkeit der Existenz und dem Scheitern der Zivilisation, so wie sie sich uns darstellt, und des Kapitalismus mit einem gewissen Heroismus zu begegnen. Oder mit einem Fetischismus, der entgegengesetzt wird. Also einer eigenen Ästhetik, die gegen diesen Konsumkapitalismus und dessen Symbole gesetzt wird. Und wenn so Entwertung und Abriss und vielleicht sogar Selbstverletzung eine gewisse Schönheit oder Glamourosität bekommmen, weil sie etwas in Frage stellen. Oder weil die Verletzung eines Körpers seine Verwundbarkeit und Vergänglichkeit dokumentiert und nicht das ewige Leben. Und ich glaube, dieses Lebensgefühl besteht auch in dem Gefühl einer gewissen Bedrohung, mit der ich groß geworden bin, ganz klar. Die sich auch in Werken widerspiegelt von Künstlern die z.B. durch den Kalten Krieg geprägt sind. Also beispielsweise bei Tarkowski oder Derek Jarman in „The Last of England“, wo sich eine Angst vor der Ausgrenzung immer mit der vor einer Rücksichtslosigkeit der Politik verbindet. Wo aus der Angst vor der Zerstörung des Planeten eben auch eine Ästhetik bezogen wird, die die Zerstörung und die eigene Vergänglichkeit eigentlich miteinbezieht. Während der Mainstream ja genau das zu verwischen versucht.

6. Ich habe gelesen, der kreative Impuls für Saila war das Konzept des „man-eaters“, und dass Du das Gefühl hattest, eine solche Figur nur in einer gesetzlosen Umwelt zeigen zu können. Was verstehst Du unter einem solchen Konzept, und was interessiert Dich daran?

J.O.: Ich habe mit der Figur der Saila angefangen. Ich sage immer, ich wollte eine starke Frauenfigur schaffen, die zu keinem Zeitpunkt Opfer ist und für deren Verhalten es in dem Sinne auch keine Erklärung gibt. Bei der Beobachtung von Mainstram-Filmen, in denen Frauen überhaupt mal aggressiv werden, ist mir aufgefallen, dass weibliche Gewalt immer eine Rechtfertigung braucht. Da gibt es oft eine erlittene Verletzung und nur durch diese extreme Erniedrigung bekommt die Frau jetzt die Berechtigung, auch einmal Täter zu sein. Wohingegen männliche Gewalt per se existiert und auch im Mainstream-Film so dargestellt wird. Der transgressive Film und manche Underground-Werke nehmen sich da aus. Und ich wollte mich da ganz bewusst auch ausnehmen und keine Hintergründe bieten. Eben nicht sagen: Diese Frau ist wahnsinnig, diese Frau hat dies oder jenes erlebt oder durchlitten. Wenn ich eine solche Figur in der Realität ansiedeln würde, würde das Ganze leicht zu einer Sozialstudie werden. Das würde immer darauf hinauslaufen, dass es eine Fahndung gibt, und solche Geschichten enden ja meistens, wie wir wissen, mit dem Tod oder dem Freitod der Frauen. Und das hat mich überhaupt nicht interessiert, in welchem Sinne Saila sich schuldig macht. Ich wollte das wirklich im Paralleluniversum. Das fand ich viel reizvoller als die Konsequenzen, die ein solches Verhalten im wirklichen Leben hätte oder die Sozialisation einer solchen Person.
Ich wollte sie so darstellen wie sie genau zu diesem Zeitpunkt ist und sie dadurch gerade irritierender wirken lassen. Das bedeutet auch den Zuschauer dazu aufzufordern, sich mit ihr vielleicht um so stärker zu identifizieren oder abgeschreckt zu sein.
Vielleicht ist das gewissermaßen die konsequente Fortsetzung von Sexjunkie und dieses Archetypus der Spinne oder Gottesanbeterin, die Männer für Sex benutzt und dann auffrißt. Ich glaube, dass das eine männliche Ur-Angst ist. Das gefällt mir daran. Und dann die Unverwundbarkeit. Ich selbst würde wahrscheinlich immer wieder Opfer meiner eigenen Gefühle werden und dadurch im Grunde verletzlich sein. Ich wollte eine Frau zeigen, der das nicht passiert. Das ist ja das, was Frauen so anhängt: Ja, Frauen sind ja nicht so und Frauen wollen nicht nur Sex und diese Klischees.

7. Gibt es Reaktionen von Seiten einer feministischen Bewegung auf Deine Filme?

J.O.: Tja, ich bin mir ja auch nicht sicher, was das Wort „Feminismus“ überhaupt bedeutet. Alice Schwarzer hat den Feminismus im Grunde verdorben. Und wenn bei dem Wort „Feminismus“ alle an Alice Schwarzer denken, kann man das Wort so eigentlich nicht mehr verwenden. Aber ich habe schon Reaktionen von Frauen bekommen. Bei einigen Vorführungen kamen Frauen zu mir und meinten: „Mann, das ist ja sexy!“ Und was mir sehr gut gefällt ist folgendes Zitat: „I found it very empowering. It’s the story of a female rapist.“ Also das fällt schon auf fruchtbaren Boden. Ich habe allerdings auch gehört, dass manche Frauen, z.B. in der Linken in Hannover etwas verärgert waren. Aber leider haben sie nicht die Chance genutzt, das in der Diskussion mit mir mal auf den Tisch zu bringen. Ich hab dann aber auch gehört, dass das die gleichen Frauen sind, die manchmal schon verärgert oder verwundert sind, wenn jemand in der Linken einen kurzen Rock trägt. Und dann kann ich mir natürlich denken, woher das kommt. Es ist sehr schade, dass gerade in Deutschland die sogenannte Linke oder die Anarchisten oder wie auch immer oft so ein problematisches Verhältnis zu Sexualität und Erotik haben. Das ist in Spanien oder Schweden oder auch in den USA ganz anders. Da wird das Moment des Politischen in einer von Frauen inszenierten Sexualität oder Erotik viel stärker wahrgenommen. Nächste Woche läuft Saila beispielsweise in Toronto beim Female Eye Film Festival. Und ich bekomme von der Kuratorin dort jede Woche mehrere begeisterte Mails, dass sie sich so freut, so ein experimentelles Werk gefunden zu haben und ein so radikales - ich will nicht sagen radikal feministisches, weil das gefällt mir eben nicht. Aber diese Aspekte gefallen ihr bei dem Film natürlich auch. Ich glaube, es geht einfach darum, überhaupt zu so "nischigen" und düsteren Themen als Frau zu arbeiten - und im Stil so experimentell zu sein.

8. Deine Filme vor Saila erklären sich ja in hohem Maße. Du suchst nicht nur im Bild die Nähe zum Geschehen, alles wird auch verbal genauestens seziert. Saila fällt dem gegenüber durch seine Wortkargheit auf. Was hat Dich dazu bewogen, Deinen Inszenierungsstil zu wechseln? Und gibt es den Forschergeist, der Deine frühen experimentellen Filme auszeichnet, für Dich in Saila auch noch?

J.O.: Der Inszenierungsstil war eine bewusste Entscheidung nachdem klar war, ich drehe in dieser Form, eben auch mit Laien. Gute Dialoge zu schreiben und sie von Laien gut sprechen zu lassen ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, wenn man für jede Szenen noch nicht mal einen ganzen Drehtag hat. Das muss man sich von der technischen Seite vorhalten. Aber dann gibt es natürlich auch die Überlegung: In einer Welt, die aus den Fugen geraten ist, und in der es keine Werte mehr gibt, worüber reden die Leute dann überhaupt noch? Man hätte den Darstellern dann so eine komische schnoddrige Gang-Sprache schreiben müssen, so wie das in vielen Filmen ist. Aber das ist ja auch furchtbar, da wird auch immer das Gleiche gesagt. Das kam für mich nicht in Frage, denn ich wollte auf keinen Fall, dass das Ganze in eine unfreiwillige Komik abgleitet, und das passiert eben am schnellsten über die Sprache. Es gab eine Zeitlang die Überlegung, Saila einen Off-Text sprechen zu lassen. Aber dann habe ich mich gefragt, warum soll ich etwas erklären? Ich hatte das Gefühl, dem Film damit vielleicht eher etwas wegzunehmen. Weil ich finde, das Rätselhafte ist eine Stärke in Saila.
Und ich glaube, mir ging es außerdem viel um das Visuelle. Deshalb finde ich es konsequent, dass der Fim jetzt so geworden ist. So genau hatte ich das nicht geplant, dass der Film so viel auf Bildern und Sounds und so wenig auf gesprochenem Wort beruht. Das hat sich erst in der Arbeit ergeben. Aber ich bin jetzt sehr glücklich, dass das Ganze dadurch noch radikaler ist und von vornherein klar ist, dass ich gar nicht versuchen will, eine klassische Geschichte zu erzählen. Da sind ja manche Leute geradezu verprellt. Die Fähigkeit, experimentelle Arbeiten anzusehen, nimmt einerseits ab. Aber andere Leute wiederum freuen sich dann um so mehr, dass so etwas überhaupt noch existiert.
Was den Forschergeist betrifft: Das war ja im Grunde eine Strategie der Self-Exploitation. In Not That Kind Of Girl habe ich angefangen, der Frage nachzugehen, was es eigentlich ist, das mich an der Verbindung von Sex und Gewalt interessiert. Und bei Sexjunkie verfolge ich diese Fragestellung weiter, jetzt eben ziemlich offen. Das ist für mich eine bestimmte Form, die zu einer bestimmten Aufbruchsstimmung gehört. Eben zum Studium. Ich bin niemand, der sich wiederholen möchte. Ich bin ganz froh, mich von einer bestimmten Linie ein bisschen wegentwickelt zu haben. Die Forschung hat aber eigentlich gar nicht aufgehört, ich habe den Fokus nur von mir weg auch auf andere verschoben. Ich habe Beobachtungen in meiner Umwelt gemacht, auch wenn die nicht eins zu eins in den Figuren in Saila umgesetzt sind. Wie viele Künstler - oder in diesem Falle Filmemacher - fühle ich mich doch eher den Menschen verbunden, die eine etwas grenzwertige Einstellung zum Leben haben bzw. vielleicht nicht unbedingt die stabilsten und geradlinigsten Charaktere sind. Meine Filme bewegen sich von mir selbst und meiner Gefühlswelt als Zentrum weg. Und ich finde das eigentlich sehr befreiend.

10. Welche Pläne und Vorhaben stehen bei Dir aktuell an?

J.O.: Ich bin mitten in einem neuen Projekt, einem Dokumentarfilm über die politische D.I.Y. Punk- und Hardcore-Szene, europaweit. Ich mache das mit einer anderen Frau, Francesca Araiza, zusammen, weil dieses Projekt die Kapazitäten einer einzigen Person übersteigt, weil Interviews und Live-Mitschnitte gedreht werden müssen. Wir sind da gerade in der Recherche und teilweise auch schon am Drehen. Und wir werden ziemlich viel Herumreisen auf den Spuren des Punk. Der Film wird übrigens Noise And Resistance heißen und angesichts meiner bisherigen Erfahrungen wohl eher 2011 als 2010 herauskommen. Aber zwei Jahre darf ein Langfilm auch brauchen. Gut Ding will Weile haben.

Julia, vielen Dank für das Gespräch, und wir wünschen viel Glück für alle weiteren Projekte!


Saila ist in Deutschland aktuell in Berlin zu sehen, vom 23.04.-29.04. im Kino in der Brotfabrik, Prenzlauer Promenade 3. Zu bestellen ist der Film auf DVD bei Julia Ostertag unter www.saila-film.de.

Die Abbildungen entstammen der Website von Julia Ostertag und stehe unter ihrem Copyright.