Einsamkeit, Leidenschaft, Melancholie
Ein Interview mit dem Filmemacher und Filmproduzenten
Nico Hofmann
Von Marcus Stiglegger
Nico Hofmann wurde 1959 in Heidelberg
geboren und studierte Regie an der Hochschule für Fernsehen und Film
in München. 1988 wurde er für sein Kinodebüt LAND DER VÄTER,
LAND DER SÖHNE ausgezeichnet. In der frühen neunziger Jahren
prägte er das deutsche Thrillergenre nachhaltig mit seinen Filmen
DER SANDMANN und SOLO FÜR KLARINETTE. Danach gründete er die
Firma teamWorx und arbeitete seither ausschließlich als Produzent.
TeamWorx hat sich sowohl im Fernsehbereich profiliert als auch der Produktion
anspruchsvoller Projekte (etwa dem preisgekrönten Drama WOLFSBURG)
gewidmet. Das folgende Interview entstand für ein von Steffen Handke
(z.Zt. Seoul) geplantes Buch über deutsche Horrorfilme und Thriller,
das 2005 in Amerika erscheinen soll.
Nico, wie würdest Du die
aktuelle Situation des deutschen Genrefilms beschreiben?
Als äußerst problematisch. Seit Jahren hat der
Fernsehbereich dem Genrefilm in Kino das Wasser abgegraben. Man kann das
an der Abwanderung eines Regisseurs wie Dominik Graf ins Fernsehen beobachten.
Die wichtigsten Entwicklungen speziell des Thrillergenres finden inzwischen
im Fernsehen statt, speziell im Rahmen von Reihen und Serien. Einige ‚Tatort’-Folgen
können als Erweiterung des Genres betrachtet werden. Auf der anderen
Seite scheitern in den letzten Jahren oft die Versuche, Genrefilme für
das Kino zu inszenieren aus den verschiedensten Gründen...
In den 1960er Jahren hatte der deutsche Kriminal-
und Schauerfilm eine Hochphase, etwa durch die zahlreichen Edgar-Wallace-Verfilmungen.
Haben Dich diese Filme in deiner Jugend beeinflusst?
Nein, diese Filme hatten keinen direkten Einfluss auf mich.
Ich habe sie als Kind natürlich gerne gesehen, aber ich fühlte
damals keine besondere Affinität zum Thrillergenre.
Wie sieht es mit dem Horrorgenre aus? Hast Du je darüber
nachgedacht, Dich in diesem Kontext zu betätigen?
Das Horrorgenre hat mich immer eher abgeschreckt. Wobei
ich zwischen Horror und Thriller eine klare Trennung vornehmen würde.
Das Thrillergenre lässt dem Filmemacher einen erstaunlichen psychologischen
Spielraum. Das merkte ich vor allem, als ich den Tatort DER TOD IM HÄCKSLER
drehte, wo es um einen Serienmörder geht. Der Thriller gibt einem
die Möglichkeit, innerhalb der Spielregel des Genres seelische Abgründe
auszuloten. Die psychologische Ebene steht für mich immer in Vordergrund,
daher ist dieser Kontext interessant.
Welche Genrefilmemacher haben Dich denn in Deiner
Jugend beeindruckt?
Als ersten würde ich Jean-Pierre Melville nennen, der
vor allem in DER EISKALTE ENGEL eine unglaubliche Atmosphäre der
Einsamkeit und Melancholie des Einzelgängers schuf. Diese Atmosphäre
hatte großen Einfluss auf meinen späteren Film SOLO FÜR
KLARINETTE. Melvilles Delon-Figuren bringen das auf den Punkt. –
Dann hat mich immer Francis Ford Coppolas DER PATE sehr fasziniert, da
er hier die Komplexität der Familienpsychologie im Kriminalitätskontext
aufgehen ließ. Ich habe diesen vielschichtigen Filmen oft für
mich aber auch mit Filmstudenten analysiert. – Und schließlich
würde ich noch Martin Scorseses Großstadtthriller nennen, in
denen mich das physische Spiel der Darsteller sehr beeindruckte. Der Zusammenhang
zwischen Aggression, Gruppendynamik und Sexualität ist hier wichtig,
Mechanismen, die auch in meinen eigenen Filmen zum Tragen kommen.
Was hat für Dich den Ausschlag gegeben, selbst
Filmemacher – und später Produzent – zu werden?
Da muss ich natürlich unterscheiden, denn ich war ja
nur in einer Phase von ca. 15 Jahren selbst Regisseur. Das entwickelte
sich aus meiner journalistischen Tätigkeit heraus: Ich wurde von
einer extremen Neugier getrieben, Milieus und Charaktere zu erkunden,
und das bewegte Bild des Films gab einem dabei natürlich enorme Möglichkeiten.
Dabei brachte ich wiederum einzelne Phasen zum Abschluss: zunächst
eine autobiographische, dann die der Milieuerkundung. – Mit meiner
gegenwärtigen Produzententätigkeit kann ich allerdings mehr
bewegen. Und auch in der Produktion von teamWorx stehen Krimi- bzw. Thrillerformate
stark im Mittelpunkt.
Wie begann Deine intensive Zusammenarbeit mit dem
Schauspieler Götz George, der als Tatort-Kommissar Schimanski zur
deutschen Fernsehikone geworden ist?
Ich lernte George im Komödienkontext kennen, als wir
SCHULZ & SCHULZ drehten. Der Produzent Markus Trebitsch stellte uns
einander vor. George kannte mich von meiner Bernhard-Schlink-Verfilmung
DER TOD KAM ALS FREUND und wollte mit mir arbeiten. Zu diesem Zeitpunkt
begann eine lange fruchtbare Kooperation.
Euer gemeinsamer Psychothriller DER SANDMANN hatte einen
großen Erfolg bei seinen bislang vierzehn TV-Ausstrahlungen. Gibt
es einen 'Hunger’ des Publikums nach deutschen Genrefilmen? Oder
wurde der Film eher als autonome Spielart des deutschen Fernsehkrimis
begriffen?
Als DER SANDMANN 1995 erstmalig ausgestrahlt wurde, stand
er für den Beginn einer kinoähnlichen Arbeit im Fernsehen. Seither
wurden immer wieder Fernsehfilme in Stil von Kinofilmen gedreht (TV-Movies),
aber unser Film war vermutlich der erste, bei dem dieses Konzept vollkommen
aufging. DER SANDMANN funktionierte, weil er genrefreundlich war, modern
inszeniert und dynamisch erzählt. Die Geschichte um den vermeintlichen
Serienkiller, der eine Medienpräsenz sucht, bettete seine Medienkritik
in den Rahmen einer gefährlichen Verführungsgeschichte. Meine
Lieblingsszene ist die finale Talkshow, in der George vor der Journalistin
(Barbara Rudnik) Schicht für Schicht seine mörderische Seele
bloßlegt. Bei seiner Erstausstrahlung wurde der Film durchaus als
zeitbezogene Medienkritik wahrgenommen, heute funktioniert er einfach
noch als spannender Thriller.
DER SANDMANN bietet einige bedeutenden Schauspielerikonen
jener Jahre, vor allem George und Barbara Rudnik. War diese ikonische
Besetzung wichtig für den Erfolg des Films?
Ja, sehr wichtig. Bei George lag uns daran, an der Umkehrung
seiner bekannten Polizistenrolle als Schimanski zu arbeiten. Wir drehten
den Film ja eine Woche nachdem DER TOTMACHER von Karmakar, wo er den Serienmörder
Fritz Haarmann spielte, abgedreht war. Das wurde das wichtigste Jahr für
George: Er bekam alle wichtigen Film- und Fernsehpreise, die man als Schauspieler
bekommen kann.
DER SANDMANN spielt extrem (und virtuos) mit den Mechanismen
von Mystery und Suspense. Sind diese Momente bereits im Drehbuch ausgearbeitet
gewesen?
Wir hatten für den Film ein hervorragendes Drehbuch,
indem bereits alle Mechanismen angelegt waren. Beim Lesen war mir bereits
die Konstruktion klar, war bereits der Rhythmus angelegt. Letztlich hing
es dann aber von der Chemie der Besetzung ab. Mit anderen Schauspielern
hätte das leicht daneben gehen können.
Wie viel Persönliches konnte George im Rahmen
der Inszenierung einbringen?
Zunächst hatten George und ich bereits eine sehr intensive
Zusammenarbeit kultiviert. Wir drehten bspw. die finale Talkshow-Sequenz
an drei Tagen, wobei stets ein Klima der Zerbrechlichkeit herrschte. George
spielte hier unglaublich leise, steigerte sich dann aber bis zu einer
Art Orgasmus. Er verdeutlichte so die sexuelle Gier seines Charakters,
die sich vermischte mit einer irrsinnigen Selbstkontrolle verband. Das
setzte enormes Vertrauen zwischen uns voraus. Unmittelbar danach wurden
wir beide krank, was einen Eindruck dieser Intensität geben mag.
Wenig später folgte ES GESCHAH AM HELLICHTEN
TAG. Betrachtest Du diesen Film eher als Remake des deutschen Krimiklassikers
der 1950er Jahre oder als eigenständige Literaturverfilmung von Friedrich
Dürrenmatts „Das Versprechen“?
Beides. Ich mochte das Buch sehr und kannte es genau. Den
Film hatte ich natürlich als Kind gesehen und er hatte mich sehr
beeindruckt. Allerdings hielt sich Bernd Eichingers Drehbuch sehr nah
an die Vorlage, woran der Film etwas krankt. Das verleitete mich dazu,
sehr konservativ und klassisch Regie zu führen. Ich fand einfach
keinen modernen Zugang zu dem Stoff.
Wie würdest Du den Film im Vergleich zu der alten
deutschen Fassung und der amerikanischen Version mit Jack Nicholson verorten?
Er liegt zwischen beiden Filmen. Wir konnten keine rechte
Balance schaffen zwischen der Liebesgeschichte Barbara Rudnik/Joachim
Król und dem inneren Drama des Triebtäters Axel Milberg. Ihn
bei der Masturbation auf die Fotos seiner Opfer zu zeigen, um seine getriebene
Sexualität zu verdeutlichen, erscheint mir eigentlich etwas plakativ...
Deine Version des Stoffes ist atmosphärisch wesentlich
heller und positiver als die anderen beiden Filme. Was das eine bewusste
künstlerische Entscheidung?
Das entstand während der Dreharbeiten und kommt natürlich
vom Stoff und Schauplatz her. Wenn wir den Triebtäter mehr im Mittelpunkt
gehabt hätten, wäre der Film wohl düsterer ausgefallen.
Das Drehbuch konzentrierte sich aber sehr auf die Liebesgeschichte. Und
das ländliche Milieu ist eben nicht sehr düster. Daraus resultierte
eher ein böser Heimatfilm. So könnte man den Film sehen...
Deine letzte große Regiearbeit SOLO FÜR
KLARINETTE basiert auf einem amerikanischen Roman. Welche Konsequenzen
hatte die Verlegung des Schauplatzes von New York nach Berlin im Film?
Das hatte keine wirklichen Konsequenzen, denn New York und
Berlin sind sich sehr ähnlich. Berlin macht gerade eine Entwicklung
durch wie New York vor zehn Jahren. Ich habe in beiden Städten lange
gelebt. Wenn wir SOLO FÜR KLARINETTE in New York gedreht hätten,
dann wäre er sicher nicht in Manhattan, sondern in Brooklyn oder
Queens entstanden. Wichtig war mir, die Melville-Einflüsse hier herausarbeiten
zu können. Die Protagonisten sind Suchende, verzweifelt sich nach
Liebe Sehnende... Die Stadt musste nur den Hintergrund für das persönliche
Drama bilden.
Würdest Du SOLO FÜR KLARINETTE im Kontext
des klassischen amerikanischen Film noirs der Vierziger und Fünfzigerjahre
sehen?
Weniger, für mich selbst ist der Melville-Einfluss
wichtiger. Allerdings holte sich mein Kameramann, der zehn Jahre älter
als ich ist und eine andere Sozialisation erfahren hat, seine Inspiration
vom Film noir. Und er prägte die Lichtstimmungen und Perspektiven,
die jetzt an klassische Noirs erinnern. – Mir war wichtig, zwei
vereinsamte Menschen zu zeigen, die nach Liebe suchen, diese aber nicht
zulassen können. Einsamkeit, Trieb und Aggression münden hier
bei beiden Hauptfiguren, Mann und Frau, in eine Selbstvernichtung. Für
George brachte das eine weitere Brechung der Schimanski-Figur mit sich.
Wir erzählten hier primär von einer verstörten Sexualität,
die sich in Verbindung zu Frauen mit Gewalt vermischt. Die Schlüsselszene
ist dabei jene, in der sich der Protagonist eine Prostituierte kommen
lässt und seine Aggression immer mehr aus dem Griff verliert...
SOLO FÜR KLARINETTE scheint sich über lange
Passagen gar nicht so sehr für die Aufklärung des Verbrechens
zu interessieren, sondern funktioniert vielmehr als melancholisches Drama
über Einsamkeit und Begehren. Insofern ähnelt Dein Film übrigens
Jane Campions IN THE CUT.
Ja, das stimmt.
Denkst Du, dieses Changieren zwischen Melodram, Erotik
und Thriller hat das Publikum damals irritiert?
Definitiv. Das Publikum will eine klare Zuordnung. Die Aufklärung
des Falles interessierte mich hier nicht im Geringsten. Viel wichtiger
waren mir die verschiedenen Formen von Sexualität, um die es hier
geht, diese Nähe-Distanz-Problematik, die wir in der Beischlafszene
zwischen George und Corinna Harfouch sehen, das Sich-nicht-berühren-Können.
Das Leitmotiv des Films ist das ständige Changieren, die scheinbare
Unvereinbarkeit von Zärtlichkeit und Sex. Gleich am ersten Drehtag
inszenierte ich jene Szene, in der Corinna Dietmar Mühe den Penis
abbeißt. Sie will Zärtlichkeit, er will harten, anonymen Sex.
Ich wollte auch sehen, wie weit die Darsteller gehen würden. Manchmal
wünschte ich, wir wären in diesem Experiment noch weiter gegangen...
Ich habe gerade in der Diskussion der letzten Jahre
um INTIMACY, ROMANCE, IRREVERSIBEL etc. den Eindruck gewonnen, das Publikum
sei gar nicht so sehr interessiert an einer intensiven Auseinandersetzung
mit Sexualität...
Das Publikum will das offenbar nicht, zumindest nicht in
einer reinen Form. Als Mischform im Genrekontext wird das offenbar eher
akzeptiert.
Nach SOLO FÜR KLARINETTE hast Du keinen weiteren
Film inszeniert. Denkst Du, Du wirst irgendwann zum Regiestuhl zurückkehren?
Nein, ich glaube nicht. Momentan bin ich sehr zufrieden
mit dem Produzieren. Ich kann dann an mehreren Projekten gleichzeitig
arbeiten. Das verläuft bei mir immer zyklisch im Zehnjahresrhythmus...
SOLO FÜR KLARINETTE war der befriedigende Abschluss eines Gemeinschaftsgefühls
mit Götz George und eine Verwirklichung meiner von Melville inspirierten
melancholischen Großstadt-Vision. Aber man weiß nie...
Filmografie als Regisseur:
ABSCHIEDSBILDER (1983) (TV)
KRIEG MEINES VATERS, DER (1984)
POLENWEIHER, DER (1986)
CHIMÄREN - FIKTION UND WIRKLICHKEIT (1988) (TV)
LAND DER VÄTER, LAND DER SÖHNE (1988)
QUARANTÄNE (1989) (TV)
... ALTERNATIV: QUARANTINE (1989/II) (TV)
... ALTERNATIV: ESCAPE 2001 (1989) (TV) (WEST GERMANY) [DE]
TATORT - TOD IM HÄCKSLER (1991) (TV)
TOD KAM ALS FREUND, DER (1991) (TV)
SCHULZ & SCHULZ V (1993) (TV)
SCHULZ & SCHULZ IV (1993) (TV)
... ALTERNATIV: SCHULZ & SCHULZ - NEUE WELTEN (1993) (TV)
LETZTE KOSMONAUT, DER (1994) (TV)
GROSSE ABGANG, DER (1995) (TV)
SANDMANN, DER (1995) (TV)
"BALKO" (1995) TV SERIES
TÖDLICHE WENDE (1996) (TV)
ES GESCHAH AM HELLICHTEN TAG (1997) (TV)
SOLO FÜR KLARINETTE (1998)
... ALTERNATIV: SOLO FOR CLARINET (1999) (Hong Kong: English title) (USA)
Das Copyright der Abbildungen liegt bei der Produktion
bzw. den jeweiligen Copyright-Inhabern.
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