Körper/Welten
Ein Interview mit Prof. Dr. med. Gunther von Hagens
über die umstrittene Kunst der Körperkonservierung
Von Jörg Buttgereit
In den Wintermonaten des Jahres 2002 kam die weltweit
äußerst erfolgreiche Ausstellung „Körperwelten“
des 'Plastinators‘ Gunther van Hagens zum wiederholten Male ins
Kreuzfeuer einer massiven Kritik: Die Staatsanwaltschaft München,
die für die Freigabe der Ausstellung zuständig war, forderte
wiederholt von dem Veranstaltungsleiter einen schriftlichen Nachweis für
die persönliche Einwilligung der zu Exponaten verarbeiteten Personen.
Da zahlreiche der Körper aus China stammen, wo van Hagens eine Art
Plastinationsfabrik gegründet hat, fiel dieser Nachweis teilweise
schwer bis unmöglich aus. Der Veranstalter konnte lediglich mit seinen
Ehrenwort für die korrekte und menschenwürdige Beschaffung der
Körper bürgen. Die Zweifel blieben bestehen. Seitdem gibt van
Hagens keine Interviews oder öffentlichen Stellungsnahmen mehr.
Der bekannte deutsche Autorenfilmer Jörg Buttgereit, der sich in
seinen Filmen NEKROMANTIK und NEKROMANTIK 2 selbst mit der Leidenschaft
für das tote Fleisch auseinandersetzte, interviewte van Hagens vor
dem aktuellen Skandal. Vorzug dieses inzwischen wohl 'historischen‘
Interviews ist die unverkrampfte und unbeschattete Plauderei, in der van
Hagens zu seiner Kunst Stellung nimmt.
Sie haben Ihr Leben der Konservierung des menschlichen
Körpers gewidmet. Was fasziniert Sie so daran?
Das hat sicher damit zu tun, dass die Plastination mein
geistiges Kind ist. Ich kann mit meiner Erfindung Dinge zeigen, die nie
zuvor in diesem Detailreichtum sichtbar gemacht werden konnten. Es ist
für mich sehr befriedigend und motivierend neue entekelte Ansichten
des Körperinneren mir selbst und dem Publikum zu offenbaren. Die
Plastination ist eine Zufallserfindung, die ich während einer Nierenforschungsarbeit
machte und deren Wert ich sofort erkannte. 20 Jahre lang war ich frustriert
über die barbarischen Konservierungsmethoden des Menschlichen Körpers.
Wir waren praktisch nicht weiter als die Pharaonen. Formalin vergruselt
den menschlichen Körper. Als Medizinstudent bin ich in der Anatomie
richtig erschrocken. Ich sah eine in Geruch und Aussehen entstellte, anonymisierte
Leiche. Ein Horror vor dem eigenen Leib entstand. Man bringt den Körper
in Beziehung zu Horror-Filmen, Verwesung und allen negativen Emotionen
die mit dem Sterben zu tun haben. Am Abend wurde man dann von der Freundin
abgewiesen weil man nach Präpariersaal stinkt. Aber das Wunder der
Schöpfung, das ich eigentlich erwartete, konnte ich beim Anblick
dieses Madensacks (so Luther), dieser Fäkalienschau nicht begreifen.
Die Ganzkörperplastinate sind in zum Teil spektakulären
Posen „eingefroren“. Woher kommt die Inspiration?
Ich versuche immer konzeptionell an die Plastinate heranzugehen.
Was will ich zeigen? Die Gestaltgebung unterliegt bei mir dem Anspruch
der ästhetischen Instruktion. Sie soll ästhetisch, dynamisch,
erinnerbar, aufbereitet werden. Ich will keine Schulanatomie, ich will
eine lebendige, lebensnahe, emotionale Schauanatomie. Eine Bewegungsillusion
ist oft am eindrücklichsten. Sie nimmt den Schauder des Todes, den
ich nicht brauche. Beispiel: Pferd und Reiter. Ich möchte gestaltende
Anatomie zeigen, Mensch und Pferd im Vergleich. Wenn sich der Reiter anschmiegt
an das Pferd entsteht eine enge körperliche Beziehung, so kann ich
die Muskelmasse vergleichen. Ich möchte die inneren Organe vergleichen,
also öffne ich das Pferd und den Menschen.
Beim Menschen, der seine Haut über dem Arm trägt wollte ich
zeigen, dass die Haut das größte Organ des Menschen ist, und
wie verletzlich er ohne sie aussieht. Ich wollte die Haut eben nicht wie
ein Wildschweinfell aufspannen.
Bei der liegenden Schwangeren wollte ich das Augenmerk auf die Leibesfrucht
lenken. Ich mußte die Frau so drapieren, das man nicht das Gefühl
hat in einen Kochtopf zu blicken. Wie ein Pin-Up Girl darf sie auch nicht
wirken.
Das Expandieren der Körper und das Öffnen von Körperschubladen
ist ja erst durch die Platination möglich geworden. Das Verfahren
verfestigt beliebig Weichteile. Ich schaffe Schauräume des Körperinneren
ohne etwas wegzunehmen, kann also das Körperplastinat in seiner Ganzheit
präsentieren. Der Körper wird nicht zerstückelt oder enthumanisiert.
Verstehen Sie sich in erster Linie als Künstler
oder als Mediziner?
Ich sehe mich als Erfinder. Brauche aber die Kreativität
des Künstlers und das scharfe, logisch diskursive Denken des Wissenschaftlers.
In sofern stehe ich zwischen den Stühlen der Wissenschaft und der
Kulturszene. Von meinem Selbstverständnis kann ich mit Kunst wenig
anfangen, weil ich das nicht gelernt habe. Ich war also zutiefst erschrocken,
als man mir vorwarf, ich würde mich als Künstler profilieren
wollen.
Mehr als 3000 Menschen haben bisher ihren Körper
dem Institut für Plastination vermacht. Warum spenden Menschen ihren
Körper ?
Viele Spender sagen mir, sie hätten nach dem Besuch
der Ausstellung den Schrecken vor dem Tod verloren. Sie sehen eine Alternative
zum Friedhof. Man weiß zwar der Körper ist tot, aber er existiert
weiter. Erstmals ist es möglich die eigene Körperlichkeit aus
nicht religiösen Gründen in die nächste Generation zu stellen.
Die Kirche ist ja Körperscheu und Lebensfremd. Sie weiß ja
gar nicht mehr, dass es Päpste waren, die die Erlaubnis zur Präparation
gaben. Wenn ich Papst wäre, würde ich sagen, „Strömet
herbei, damit ihr gewahr werdet der Wunder des menschlichen Leibes“.
Haben Sie vor, sich plastinieren zu lassen?
Selbstverständlich. Vorzugsweise in Scheiben. Schon
weil ich dann an mehreren Orten gleichzeitig, wenn auch passiv, lehren
kann.
Einige Exponate haben etwas Cartoonhaftes. Kann man
sich dem Tod auch mit Humor nähern?
Sie haben mich da schon richtig verstanden. Ich möchte
dem Tod auch seine Ernsthaftigkeit nehmen. Ihn etwas versöhnlicher
und emotional zugänglicher machen. Die Sterblichkeit kann auch mit
einem lachenden Auge akzeptiert werden. Die Unwahrscheinlichkeit unseres
Seins ist ja an sich schon ein humoristisches Ereignis der Weltgeschichte.
Wie meinen Sie das?
Wenn Sie sich mal das Alter des Kosmos vergegenwärtigen...,
schauen Sie mal abends in den Himmel, wir sind ja weniger als ein Sandkorn
in der Sahara. Unsere Bedeutung ist gleich Null.
Ich hatte die Gelegenheit sowohl 1999 die erste Körperwelten-Ausstellung
in Mannheim, als auch die Letzte in Oberhausen zu besuchen. In Mannheim
waren die Besucher noch verschreckt und verunsichert, hielten Abstand
zu den Exponaten. In Oberhausen waren sie viel unbefangener und gelöster.
Was hat sich in den 3 Jahren an der Rezeption der Leute verändert?
Diejenigen, die bereit sind den Schock und den Ekel zugunsten
der eigenen Neugier zu ertragen, die wissen wollen was sie eigentlich
zusammenhält, die werden ins Staunen verfallen und eine Art ästhetischen
Schock erleben. Und dann setzt im Kopf etwas ein, das ich mal als eine
Neudefinition des körperlichen Selbst bezeichnen möchte. Das
Beschauen der Plastinate geht unter die eigene Haut. Und dann setzt dieses
Mitteilungsbedürfnis ein. Der eigentliche Erfolg der „Körperwelten“
ist nicht der, dass so viele Besucher kommen, sondern das soviel wie noch
nie in Deutschland über den Körper und das, was der Laie davon
sehen darf, diskutiert wird. Am letzten Tag der Ausstellung haben wir
immer das 10-Fache an Besuchern im Vergleich zum ersten Tag. Es findet
eine Popularisierung und Demokratisierung der Anatomie statt.
Wie lange dauert es ein Ganzkörperlastinat zu
erstellen?
In etwa 1500 Arbeitsstunden. Bei dem bisher aufwendigsten
Plastinat, dem Pferd und Reiter, kamen wir auf 5000 Stunden. Die Plastination
ist natürlich mehr als eine „Ein-Mann-Show“. Das Institut
für Plastination hat etwa 300 fest angestellte Mitarbeiter, davon
25 Präparatoren. Ich präpariere sozusagen Gedanklich, entwerfe
die Gestaltplastinate und bin erst dann wieder zugegen, wenn der endgültige
Moment der Positionierung gekommen ist. Derzeit habe ich 30 unvollendete
Ideen für Plastinate in meinem Computer.
Was entgegnen Sie Menschen, die die Körperwelten
als eine Jahrmarktsattraktion beschimpfen ?
Ich zeige die anatomischen Präparate ganz bewußt
auf dem Jahrmarkt der Moderne, gehe hin zum Laien, auf Messen, den Heumarkt
in Köln oder hier in Berlin in den Postbahnhof, einem sehr demokratischen
Ort. Ich will weg von der universitären Aura, in der der Laie immer
eine gewisse Hemmschwelle oder Fremdheit empfindet.
Inwieweit hat sich durch Ihre Arbeit Ihr Verhältnis
zum eigenen Tod verändert?
Für mich ist der Tod so selbstverständlich geworden,
dass ich mich vor ihm nicht mehr fürchten brauche. Je länger
man über Ungeheuerlichkeiten nachdenkt, um so unbedrohlicher werden
sie. Das verhilft mir zu einem gelasseneren und bewußteren Leben.
Weil Sie wissen, dass Sie sich selbst überleben
werden?
Ja. Wir fürchten uns vor dem körperlichen Tod.
Den seelischen Tod üben wir ja jeden Abend beim Einschlafen.
Das Gespräch führte
der Berliner Filmemacher Jörg Buttgereit
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