FRONT 242
The Legend returns
Text und Interview von Markus Wirtz, (c) 2003
Front 242, die Väter der Electronic Body Music
EBM, melden sich zurück! Mit ihrem neuen Album „PULSE“
haben sie sich diesmal wirklich Zeit gelassen: Die Veröffentlichung
des letzten Albums „Re: Boot“, liegt schon fünf Jahre
zurück; im Jahr 2000 folgte immerhin noch eine vierteilige Remixcompilation
von „Headhunter“- der EBM-Hymne schlechthin. Sänger Jean-Luc
De Meyer hat dazu einige Fragen beantwortet.
Es ist schon eine ganze Weile her, seit Eurem letzten
Album.
Jean-Luc: Wir nehmen uns eben Zeit. Wir haben in der Zwischendurch
noch eine ganze Reihe anderer Dinge gemacht und wir teilten bis vor kurzem
auch nicht das Bedürfnis, ein Album aufzunehmen.
Fühlt Ihr denn eine besondere Verantwortung,
wenn Ihr wieder etwas als Front242 veröffentlicht?
Jean-Luc: Teilweise. Wir waren eine ganze Weile allein mit
unseren Konzerten und anderen Aktivitäten ziemlich zufrieden. Es
hat gedauert, bis wir entschieden hatten, ein neues Album zu machen, aber
das Komponieren und Aufnehmen hat diesmal weniger Zeit beansprucht als
zuvor.
Hat das Album eine Art Message oder ist es eher ein
Konzeptalbum?
Jean-Luc: „PULSE“ erinnert an einen Herzschlag,
den Anfang einer Bewegung oder eines Tones...und mehr... etwas Grundsätzliches,
das Leben und Ausdruck hervorruft.
Was erwartet uns denn nun auf dem neuen Album?
Jean-Luc: Das ist schwer mit Worten zu beschreiben. Stell
Dir eine Kamerafahrt über das Land vor, vorbei an einer brennenden
Stadt, einer Karambolage auf der Autobahn, Aufnahmen von Plünderungen,
normale Menschen die einkaufen, Soldaten in Helikoptern, ein Mob, der
sich in einer alten Fabrik zusammenrottet...
Wie hat sich Eure Musik denn seit dem letzen Album
verändert?
Jean-Luc: Objektive Veränderungen sind die Rückkehr
von puren elektronischen Sounds und das Nichtvorhandensein von gesampelten
Gitarren. Eine sanftere Integration der Vocals und ein breiteres Spektrum
an Atmosphären, Rhythmen und Sounds.
Front 242 musste sich entscheiden, ob sie weiter technoide
Musik machen oder zu ihren Ursprüngen zurückkehren wollen...
Jean-Luc: Durch die Veränderungen in der Musik hatten
wir immer das Gefühl, nah an unserem Wurzeln zu sein. Wir haben nie
versucht, irgendeinen Stil zu verfolgen, zumindest nicht bewusst.
Fühltet Ihr Euch denn während der Arbeit
an dem Album unter Druck gesetzt?
Jean-Luc: Absolut nicht. Es gab keine anderen Maßgaben
oder Regeln als unsere eigenen.
Eure Fangemeinde ist ja etwas gespalten. Manche mögen
nur die alten Hymnen wie „Headhunter“, die anderen sind auch
für die „technoideren“ Sachen offen. Wie seht ihr das?
Jean-Luc: Wir respektieren unsere Hörer, indem wir
ihnen unsere ganze Integrität, Erfahrung, Fähigkeiten und Kreativität
anbieten. Aber wir haben nie Musik gemacht, um sie in erster Linie zufrieden
zustellen und wir wollen auch gar nicht wissen, ob unser neues Zeug jetzt
ihre Erwartungen erfüllt.
Hat das momentane 80er Revival irgendwas mit dem Album
zu tun?
Jean-Luc: Dieses Revival hat ja schon vor einigen Jahren
begonnen und hat nichts mit unserer Entscheidung zu tun, ein neues Album
zu produzieren.
Der Superstar Wahnsinn geht weiter, wie denkt Ihr
denn über völlig unbekannte Leute, die von den Medien in die
Top 5 gepusht werden, während Andere, die für die Musik leben,
kaum zur Kenntnis genommen werden?
Jean-Luc: Die Antwort liegt schon in der Frage. Du selbst,
der sein eigenes Ding macht oder ein Klon, der kopiert: Wofür entscheidest
Du Dich?
Sind Verkaufszahlen oder Charts denn wichtig für
Euch?
Jean-Luc: Angenehme Verkaufszahlen ermöglichen uns
weiter zu arbeiten und weiterhin in unserem liebsten Genre, der elektronischen
Musik, zu kreativ zu sein. Sie sind also wichtig.
Sollte das Album nicht so gut laufen, könnte
man sagen: Okay, die Zeiten ändern sich, Front 242 hat seine Sache
getan und es ist an der Zeit, mit was anderem zu beginnen?
Jean-Luc: Seit wir begonnen haben Platten zu veröffentlichen
und aufzutreten wussten wir, dass unsere Stellung im Musikgeschäft
niemals für immer erworben ist und dass die Öffentlichkeit oder
das Musikbusiness uns jederzeit wieder fallen lassen könnte. Über
diese unglaubliche Zerbrechlichkeit sind wir uns immer noch in Klaren.
Fühlt ihr euch denn als Stars oder wie geht ihr
mit Starrrummel um?
Jean-Luc: Ich bin stolz darauf, ein gewöhnlicher Mann
zu sein, der gewöhnlichen Dingen nachgeht. Nicht mehr. Ich habe ein
Problem mit Luxus, Komplimenten, Hotelzimmern, PR und allem was damit
zusammenhängt.
Ihr habt immer betont, Front 242
funktioniere nur als Band. Wie hat sich denn das über die Jahre entwickelt?
Jean-Luc: Einzelne Funktionen sind ausgefeilter. Bei jedem Album haben
sich einige Personen mehr involviert, andere weniger. Aber jeder von uns
bleibt lebendiger Bestandteil des Gesamtprozesses.
Viele Künstler haben ja schon ihr Statement zum
11 September produziert. Wie steht ihr denn dazu?
Jean-Luc: Dazu wurden schon viele Kommentare abgegeben.
Die meisten waren Propaganda und Desinformation. Ist es denn wirklich
überraschend wenn man sieht, wie mehr und mehr Menschen auf der Welt
die Gier und Arroganz der mächtigsten Nationen nicht länger
ertragen können und beginnen, das mit jedem Mittel zu bekämpfen,
das ihnen zur Verfügung steht?
Wenn ihr nicht gerade im Studio seid oder auf der
Bühne steht, ist Front 242 dann auf Eis gelegt, während ihr
an den anderen Projekten arbeitet?
Jean-Luc: Front 242 ist einfach Teil unseres Lebens. Es
ist nicht möglich, es völlig beiseite zu legen, während
man an einem anderen Projekt arbeitet. Aber diese anderen Projekte haben
ihre eigenen Werte und folgen eigenen Regeln, so dass sie sich dann doch
immer von Front 242 unterscheiden.
Plant ihr auch eine Tournee zu gehen?
Jean-Luc: Ja. Ende 2003, Anfang 2004
Werdet Ihr auch in Deutschland auftreten?
Jean-Luc: Ganz bestimmt.
Und werdet Ihr auch wieder auf großen Festivals
oder Techno-Events spielen, wie ihr es schon getan habt?
Jean-Luc: Wenn man uns fragt, bei solchen Veranstaltungen
aufzutreten, werden wir das höchstwahrscheinlich auch tun.
Habt ihr damit versucht, neue Leute zu gewinnen oder
ein größeres Publikum anzusprechen?
Jean-Luc: Nicht wirklich. Eigentlich machen wir unser Ding.
Wenn sich (neue) Leute dafür interessieren – gut. Wenn nicht
– auch gut.
Front 242 war ja eine führende Band, als es mit
elektronischer Musik losging. Habt ihr das Gefühl, dass es da noch
etwas zu entdecken oder zu erforschen gibt?
Jean-Luc: Ja. Wir sind der Meinung, elektronische Musik
hat gerade erst begonnen, wenig ist bisher geschehen und fast alles ist
noch zu tun.
Ihr arbeitet auch an Soloprojekten, was steht da an?
Jean-Luc: Patrick (Codenys, zusammen mit Steve Stoll auch
als Gaiden bekannt- Anm. d. Verf.) und Daniel (Bressanutti Anm. d. Verf.)
arbeiten an MorF, ich bereite Alben mit COBALT 60 und C-TEC vor.
Ein letztes Wort an Eure Fans?
Jean-Luc: Folge Deinem eigenen Weg, egal was andere Leute
denken oder tun.
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