„Bruitismo Futuristico“?

Eine Begegnung mit der Industrialband Esplendor Geometrico

 

Hämmernde Rhythmen pulsieren in den Gehörgängen, sägender Noise bohrt sich ins Gehirn, kühlblaue Fraktale mutierten auf der riesigen Leinwand und kreierten eine Atmosphäre purer Energie. Tanzmusik auf ihrer primitivsten und intensivsten Stufe präsentieren zwei engagierte Südländer, die sich in der verbissenen Industriallandschaft eher als schrullige Außenseiter ausnehmen.
Es wird höchste Zeit, sich ins Gedächtnis zu rufen, daß diese Band, die erst Mitte der neunziger Jahre zu ihren ersten Deutschlandauftritten angetreten war, bereits seit über 20 Jahren aktiv ist. Längst hatten sich einige ihrer Stücke als unsterbliche Tanzhits in Undergroundclubs etabliert – „Sinaya“ und „Baraca“ von „Sheik Aljama“ z.B., oder der Elektroklassiker „Moscu esta helado“ – und der Einfluß auf andere musikalische Größe wie APHEX TWIN, BLACKHOUSE oder DIVE etwa läßt sich kaum abstreiten. In der Presse machten sich die Musiker jedoch auch aus geografischen Gründen rar: Immerhin wohnen sie hunderte von Kilometern entfernt voneinander und treffen sich nur sehr selten.
Arturo Lanz, Gründungsmitglied aus Palma de Mallorca, und Saverio Evangelista aus Rom bieten persönlich den erfrischenden Anblick von Industrialexperimentalisten der ersten Stunde: Lanz z.B. dürfte die 40 überschritten haben und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern auf der Ferieninsel vor der spanischen Küste. Die Musik betreiben beide als ein exzessives Hobby, einen ekstatischen „Ausgleichssport“: Angesichts des Informationsmangels ist es mittlerweile mehr als notwendig, etwas über die Gründung der Band zu berichten.
Esplendor Geometrico entwickelte sich 1980 aus einem 1978 gegründeten Techno-Pop-Projekt namens EL AVIADOR DRO. Die Anfänge orientierten sich am Sound von Kraftwerk. „Moscu esta helado“ ist ein gutes Beispiel für diese Anfangsphase. Arturo Lanz ist der ursprüngliche Gründer zusammen mit Juan Carlos Sastre und Gabriel Riaza. Sastre verließ die Band 1981 oder 82. Riaza lebt jetzt mit seiner Familie in Marokko und ist Moslem geworden. Saverio Evangelista arbeitet lose seit 1986 mit und trat 1991 offiziell der Gruppe bei. Throbbing Gristle, DAF, Kraftwerk und Cabaret Voltaire zählen zu ihren damaligen Lieblingsgruppen und übten ersten Einfluß aus. Mit SPK hatten sie sogar persönlichen Kontakt, weil sie gleichzeitig mit ihnen anfingen. Nach der ersten 7 Inch, die sich vom restlichen Material stark unterscheidet, kristallisierte sich allerdings bereits ein eigener Sound heraus.
Der Name der Gruppe leitete sich von einem Gedicht Marinettis ab, einem Begründer des Futurismus. „Das hat nur ästhetische Gründe,“ sagt Lanz. „Ich mag das Gedicht. Eigentlich heißt es Esplendore geometrico e mecanico. Mit dem Futurismus haben wir insofern nichts zu tun.“
In diesem Kontext fragt sich natürlich, ob EG ähnlich wie andere industrial-orientierte Bands ein bestimmte Weltsicht transportieren wollen. „Es gibt keine bestimmten Ideen dahinter. Es ist nur pure Musik. Die Weltsicht aller Beteiligter ist derart unterschiedlich, daß es kein ‘Programm’ geben kann. Es gibt keine Projekte, Ideen, Ideologien, Religion...“
Manchmal benutzen sie allerdings Sprachsamples oder Ausschnitte aus Reden... „Das ist nur ästhetisch. Es gibt keine Ideologie. Nur Ästhetik. Wir nehmen die Samples hauptsächlich aus Radiosendungen. Ich höre sehr viel Kurzwelle.“ Eine amüsante Anekdote hierzu gibt Aufschluß über die rein intuitive Arbeitsweise von EG: „Einmal nahmen wir eine - wie wir dachten - arabische Stimme auf und verwendeten sie auf Control Remoto 1.0. Ich nannte das Stück AL-GIABR, was Algebra auf Arabisch heißt. Später belehrte uns jemand, daß die Stimme tatsächlich Deutsch ist...“
Die „Sheik Aljama“-CD, wohl eines ihrer populärsten Werke, spiegelt Gabriel Riazas Faszination für die arabische Kultur, zu deren Teil er ja inzwischen geworden ist. Auch hier spielt die weltanschauliche Komponente scheinbar keine Rolle. Selbst in das musikalische Genre der Industrialmusik wollen sich die Spanier nicht einordnen lassen: „Wir können nicht sagen, was Industrial bedeutet. Ich denke EG ist sehr unterschiedlich zu der Musik von DIVE. Es ist nur Rhythmus. Das ist der Berührungspunkt, aber wir stehen der Trance und Tribal-Musik viel viel näher... Nur purer Rhythmus und minimalistische Strukturen. Nenn es Techno Primitiv oder Tribal oder Electro Ethno.“
EG haben in ihrem Heimatland Spanien einen eher schweren Stand als Musiker. „Nur sehr wenige kommen zu unseren Auftritten, um ehrlich zu sein. Alle hören nur Techno. Es gibt dort gute Technobands. Es ist für uns schwer, dort etwas zu veröffentlichen, da wir kein Techno produzieren“, betrauern sie. Lanz fühlt sich recht wohl mit seiner bürgerlichen Existenz: „Die Underground-Szene interessiert mich persönlich nicht. Die Musik entspricht meiner schwarzen Gehirnhälfe. Und die andere ist eben weiß. Natürlich, wir tanzen selbst dazu. Es ist Tanzmusik. Von Drogenkonsum halten wir allerdings nichts. Nur Bier und Zigaretten...(lacht) Unsere einzigen Drogen... Meine Musik ist meine Droge.“
Saverio macht sich um die Zukunft dieser beständigen Band keine Sorgen. „EG ist eine zeitlose Gruppe. Viele alte Stücke klingen heute aktueller als je zuvor. Hoffentlich verhält es sich mit den neuen Stücken ebenso. So werden wir die Barrieren der Zeit immer überbrücken können...“

Discografie (nur Longplayer):
1982 Heroe del trabajo/El acero del partido LP
1985 Comisario de la luz/Blanco de fuerza LP
1987 Kosmos kino LP 1995 CD
1988 Mekano turbo LP 1994 CD
1989 EG en Madrid Mayo 89 LP
Live in Utrecht LP
1991 Sheik Aljama CD 1994 Rerelease CD
1992 1980-1982 DCD
Control Remoto 1.0 CD
1993 Arispejal Astijaro CD
1994 Veritatis splendor CD
1983-1987 CD
1995 Nador CD
En directo en Tokyo CD
1996 80’s Tracks CD

Christoph Donarski