Euthanasie in Hadamar Gespräch über ein Fotoprojekt von Birthe Klementowski
Zwischen 1941 und 1945 wurden im Rahmen des Euthanasieprojektes der Nationalsozialisten vermeintlich geistig Behinderte und Geisteskranke in mehreren dafür eigens eingerichteten Tötungsanstalten ermordet. Darunter waren nicht nur Menschen mit angeborener körperlicher oder geistiger Behinderung, sondern auch solche mit Depressionen, Front- oder Bombentraumata und viele andere. Die größte dieser Anstalten lag im hessischen Hadamar und ist ein bis heute fast unberührtes Dokument dieser Zeit. Das multimediale Kunstprojekt „Stille / Silence“ der jungen Fotokünstlerin Birthe Klementowski ist das erste Kunstprojekt, das dieses historische Verbrechen in Klang und Bild thematisiert. Die kühlen, sorgsam komponierten Schwarzweißfotos dokumentieren, was heute noch von der Tötungsanstalt zu sehen ist. Kurze Kommentare in deutsch und englisch erläutern die Motive. Die gleichnamige Komposition auf der begleitenden CD untermalt den visuellen Anteil mit minimalistischen elektroakustischen Klangwelten. - Das von dem Kulturwissenschaftler Dr. Marcus Stiglegger (Universität Siegen) herausgegebene Buch dokumentiert dieses Kunstprojekt und ergänzt das Material mit einem Interview und einem Vorwort des leiters der Gedenkstätte Hadamar Dr. Georg Lilienthal. Die Fotografin Birthe Klementowski (*1983) hat bislang zahlreiche Alben- und Magazincover gestaltet und wurde mit Beiträgen u.a. in „Konkursbuch 47: Der erotische Blick“ (2008) gewürdigt. Wie kamen Sie zur Fotografie? Wo liegen die Anfänge? Zur Fotografie kam ich eigentlich nicht. Ich möchte lieber sagen, sie hat mich gefunden. Bilderwelten haben mich schon seit jeher fasziniert. Als Kind betrachtete ich oft stundenlang Bilder aus Büchern oderZeitschriften. Sie haben mir schon immer mehr vermittelt als Texte. Und so war es, glaube ich, auch nur eine Frage der Zeit, bis ich die alte Spiegelreflexkamera meines Vaters „erbte“ und es mir zum Ziel machte, genau solche Bilder zu erschaffen,die es mir ermöglichen, darin zu leben. Noch arbeite ich daran. Es ist ein langer Prozess, mein Lebenstraum quasi. Haben Sie konkrete Vorbilder? Ja, die Fotos des berühmten verstorbenen amerikanischen Fotografen Ansel Adams sind mir immer eine absolute Beispielhaftigkeit an Perfektion gewesen. Ansonsten beeinflussen mich eher Regisseure wie Shinya Tsukamoto oder diverse Musiker, die meine Kreativität mit den Stimmungen und Atmosphären, die sie erschaffen, sehr herausfordern. Was sind Ihre bisherigen thematischen Schwerpunkte? Meine bisherigen Schwerpunkte waren und sind immer noch Naturfotografie, dort speziell Detailaufnahmen. Ich erarbeite mir durch mein schamanistisch geprägtes Weltbild mehrere Themen, die die Natur im Vergleich oder direkten Gegensatz zu der vom Menschen erschaffenen, technisierten Welt setzen. Für die Zukunft habe ich noch weitere Projekte geplant, die sich mit dem Wesen des Ur-Weiblichen in Verbindung mit der Natur auseinandersetzen. So soll die Beziehung der Natur durch das Prinzip der lebensspendenden Weiblichkeit eine Erneuerung der Einheit von Mensch und Natur widerspiegeln. Wie kam der Artikel im Konkursbuch „Der erotische Blick“ zustande? Marcus Stiglegger, mit dem ich seit mehreren Jahren künstlerisch zusammen arbeite, kam mit einer Anfrage für einen Band 'Pansexualität’ des Konkursbuches auf die Idee, meine Pflanzenfotografie als „Floral-Akte“ zu beschreiben. Und da Pflanzen in gewisser Weise 'pansexuell’ sind, passte das ganz gut. Dann gefielen diese Bilder Claudia Gehrke, der Kursbuch-Verlegerin, offenbar so gut, dass sie Text und Illustrationen für ihren Jubiläumsband „Der erotische Blick“ (2009) auswählte. Das ist natürlich eine große Ehre und die Bilder machten sich in diesem Kontext erstaunlich gut. Könnten Sie etwas zu den künstlerischen Arbeiten für diverse Musiker erzählen? Ich habe das Glück gehabt, für einige meiner favorisierten Musiker die Coverfotos zu einigen Alben erstellen zu dürfen. Da ich schon immer stark durch Musik beeinflusst bin, lag der Weg nahe, Kontakt zu den Künstlern aufzunehmen. Des weiteren habe ich durch meine Tätigkeit als Sängerin bereits Kontakte zu Labels knüpfen können. So entstand die Zusammenarbeit. Für die Zukunft sind weitere Kollaborationen geplant. Ich lasse mir da jedoch alles offen, da ich es immer bevorzuge, die Fotos, die ich einem Künstler zu seiner Musik beisteuere als separaten, seine Musik ergänzenden Beitrag zu sehen. Bisher standen vor allem natürliche und organische Motive im Zentrum Ihrer Arbeit. Kann man das Konzept „Stille || Silence“ als bewusste Neuorientierung betrachten? Vielleicht. Mich interessierenjedoch sehr viele Bereiche und Facetten des Lebens. Ich bin gedanklich nicht auf ein Thema fixiert. Alles, was mich persönlich bewegt, verarbeite ich in Bildern. Was inspirierte Sie zu diesem sehr speziellen künstlerischen Unternehmen? Ich beschäftige mich, auch durch mein Studium der Geschichte an der Universität Mainz, schon länger mit dem Thema des Zweiten Weltkrieges. Zu begreifen, wieso Menschen zu solchen Grausamkeiten fähig waren, wie sie in diesem speziellen Fall im Rahmen des Euthanasieprogramms in Deutschland geschehen sind, ist ein Thema, das mich sehr bewegt. Gerade, weil die Verbindung zu psychiatrischen Heilanstalten und den sich dahinter verborgenen krassen Gegensätzen in der Behandlung der Menschen auch heute noch so ein heikles Thema ist, möchte ich darauf aufmerksam machen und die Menschen zum Nachdenken anregen. Ich sage nicht, dass sich gewisse geschichtliche Abläufe in dieser Form wiederholen können, jedoch ist alles möglich und mein Wunsch ist es, in den Menschen ein größeres Bewusstsein zu öffnen. Die Vergangenheit kann man nicht ändern, doch diese destruktiven Mechanismen sind noch immer aktuell - wenn auch glücklicherweise nicht in Deutschland. Nach welchen Kriterien wurden die Textteile ausgewählt? Die Texte, die ich zu den Bildern ausgewählt habe, sollen auf eine sachliche, wenn auch drastische, Art verdeutlichen, was sich damals in den Tötungsanstalten abgespielt hat. Sie sind allgemein zu betrachten und unterstreichen meine Bildaussage. Wurden Sie bei Ihrer Arbeit von der Gedenkstätte Hadamar unterstützt? Ja, ich bin mit meiner Idee freundlich und interessiert empfangen worden. Eine Zusammenarbeit habe ich mir sehr gewünscht, um das Projekt „Stille“ abzurunden und den allgemeinen Informationsgehalt zu erhöhen. Und ich bin sehr glücklich, dass es funktioniert hat. Mit welcher Technik arbeiteten Sie während des Shootings? Ich versuche, die Umgebung auf mich wirken zu lassen und mir zu verdeutlichen, was ich mit meinen Bildern aussagen möchte. So wird ein Teil meines emotionalen Innenlebens in die Bilder gebannt, aber auch ein Stück der vor Ort eingefangenen Stimmung. In Hadamar speziell wollte ich so viel wie möglich den Ort selbst für sich sprechen lassen. Ich denke, er erzählt schon genug von sich. Deshalb arbeite ich meist ohne Blitzlichtanlage, und lasse vielmehr die vorhandene Lichtstimmung das Bild dominieren. Welche Rolle spielte die Nachbearbeitung der Fotos? Auf einigen Motiven bemerkt man einen Infraroteffekt... Die Nachbearbeitung der Bilder ist mir seit jeher wichtig. Sie spiegelt meinen persönlichen Bezug zu den Aufnahmen wider. Die Bilder von „Stille“ sollten durch den leichten Infraroteffekt einen Teil der von mir empfundenen Atmosphäre wiedergeben. Arbeiten Sie bereits an einem neuen Konzept? Wie bereits weiter oben erwähnt, habe ich vor, in Zukunft weitere Fotoprojekte zu verwirklichen, die sich jedoch nicht mehr mit der Zeit des Zweiten Weltkrieges auseinander setzen werden. Für mich war es eine Notwendigkeit, dieses Thema, nachdem ich in Hadamar gewesen bin, und mich das dort in der Zeit des Nationalsozialismus’ Geschehene emotional wie auch gedanklich sehr stark bewegte, zu verarbeiten. Aber Ähnliches plane ich momentan nicht. Das Gespräch führte I. Kostor als Teil des Buchprojekts "Stille || Silence", das in der Edition :Ikonen: media im Bertz & Fischer Verlag erhältlich ist.. Die Foto stammen aus dem Besitz der Künstlerin und werden hier mit ausdrücklicher genehmigung veröffentlicht. |
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