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Marcus Stiglegger
Das Leid der Femme fatale: Linda Fiorentino
1.
Bis ins 19. Jahrhundert hat sich eine ästhetische Auffassung gehalten,
die besagt, daß zwischen Körper und Seele eine analogische
Beziehung besteht. Es kann also von der physischen Erscheinung auf die
Beschaffenheit des jeweiligen Charakters ein Rückschluß gezogen
werden, in dem einem attraktiven Menschen ein angenehmer Charakter und
einem häßlichen oder entstellten Menschen ein bösartiger
Charakter zugeordnet wird. „Gesicht und Gestalt werden also von
der Physiognomik als quasi natürliche Zeichen aufgefaßt, deren
Bedeutung als charakterliche Eigenschaft zu beschreiben ist.“ Das
erschreckende Potential der Femme fatale, wie sie sich um die Jahrhundertwende
bereits als Standardfigur der Literatur etabliert hatte, ist also die
Tatsache, daß sich bei ihr hinter einer Maske aus physischer Schönheit
tatsächlich Grausamkeit und Destruktivität verbergen. Hans Richard
Brittmacher zählte sie in seiner literaturwissenschaftlichen Analyse
„Ästhetik des Horrors“ also nicht von Ungefähr zu
den Vampirwesen: den Vamp, wie er sich in der romantischen und der Fin
de siècle-Literatur ausgeprägt hatte und später im Stummfilm
etablierte. Ihre Schönheit wird für den Betrachter zur Falle,
zu einer fatalen Täuschung seiner Erwartungen.
Das Gesicht der Femme fatale ist also eine Maske bannender
Schönheit. Maske auch deshalb, weil ihr Gesicht ein unbewegtes ist,
selten verzerrt oder entstellt durch expressive Emotionalität wie
Freude, Wut oder Trauer. „Fast unbewegt bleibt das schöne Gesicht
und tendiert zu ikonischer Erstarrung.“ Ihr Stoizismus zeigt weder
Sympathie noch Mitleid und erscheint bereits von daher grausam. Die Schönheit
der Femme fatale ist zugleich ihr Lockmittel und ihr Kapital. Da die schöne
Frau von je her „als Trophäe der Macht“ fungierte, steht
ihr der Weg in die obersten Schichten des gesellschaftlichen Systems offen:
Sie ist das nur scheinbar zahme Raubtier zu Füßen des Herrschers.
Doch auch ihm wird sie früher oder später zum Verderben, wie
es einst die biblische Judith für Holofernes wurde. So unbewegt ihr
Gesicht ist, so kalkuliert sind ihre Handlungen. Sie weiß immer,
was sie will: Macht, Kontrolle, Luxus, manchmal nur einen dieser Aspekte,
oft jedoch alle zusammen.
Die Femme fatale wird zu Beginn der neunziger Jahre bereits
Stigma und Label der jungen Schauspielerin Linda Fiorentino sein, einem
ungewöhnlichen, prägnanten Gesicht des neusten Hollywood Films,
in dem diese Standardfigur der Filmgeschichte sowohl ihre zeitgenössische
Entsprechung wie auch ihre tragische Brechung erfährt. Obwohl Linda
Fiorentino bereits den New York Film Critics Award und den British Association
of Film and Television Arts Best Actress Award für die Hauptrolle
in John Dahls Psychothriller The Last Seduction (Die letzte Verführung,
1992) bekommen hatte, wurde sie bis heute von Nachschlagewerken und Fachzeitschriften
weitgehend übersehen. Und das, obwohl sie inzwischen auch in einem
Blockbuster-Film wie Men in Black (MIB, 1997) mitwirkte, einer naiven
Science-Fiction-Komödie, in der sie als sympathischer ‘Sidekick’
in der Rolle einer Ärztin auftaucht.
2.
Die am 9. März 1960 in Philadelphia, Pennsylvania, als Clorinda Fiorentino
geborene Schauspielerin, die vor ihrer Filmkarriere eigentlich eine politische
Laufbahn angestrebt hatte, schaffte im Jahr 1985 mit gleich drei Filmen
den zunächst erfolgreichen Einstieg ins Filmgeschäft. Ihre Rolle
als verliebte Künstlerin Carla neben Matthew Modine in Harold Beckers
Vision Quest, der in Deutschland nach Madonnas Titelsong Crazy for You
benannt wurde, ließ ihr viel Raum zur Entfaltung des ihr eigenen
Charismas aus Kreativität, Intelligenz und etwas kühler Erotik
und sicherte ihr die Auftritte in der Agentenkomödie Gotcha! (1985)
von Jeff Kanew und in Martin Scorseses Noir-Groteske After Hours (Die
Zeit nach Mitternacht, 1985). Während sie in Gotcha! eine eher konventionelle
weibliche Heldenfigur darstellte, ging sie in After Hours einige Risiken
ein.
Martin Scorseses Fabel von der urbanen Odyssee eines arglosen
Computerprogrammierers entwirft in seiner episodischen Struktur einige
unvergleichlich tragikomische Momente vom Alptraum des Großstadtlebens.
In einer Cafeteria lernt eben jener Büromensch Paul (Griffin Dunne)
die etwas exzentrische Marcy (Rosanna Arquette) kennen. Sie gibt ihm ihre
Telefonnummer, als Paul geistesgegenwärtig starkes Interesse an den
Briefbeschwerern ihrer Mitbewohnerin Kiki anmeldet. Mit dem Entschluß,
Marcy auf diesem Weg wieder zu treffen, beginnt die Pauls Odyssee durch
eine unberechenbare, eigenartige und beängstigende Welt: Bereits
auf der Taxifahrt flattert seine einzige Zwanzig-Dollar-Note aus dem Fenster,
und er kann die Fahrt nicht bezahlen. Marcy schließlich ist nicht
zu Hause, als er an ihrem Loft ankommt, doch die Bildhauerin Kiki wift
ihm mit geradezu provoziernd eleganter Geste einen schweren Schlüsselbund
entgegen.
Linda Fiorentino verkörpert als Kiki ihre erste Femme
fatale-Variation. Kurze, etwas stachelig frisierte Haare, eine unbewegt
coole Mimik und betont physische Kleidung - kurzer Lederrock, halb offen
klaffend und ein schwarzer BH - schüchtern Paul augenblicklich ein.
Ihr durchtrainierter, hochgewachsener Körper wirkt geradezu offensiv
in seiner physischen Präsenz gegenüber dem schmächtigen
Programmierer. Mit zaghafter Beharrlichkeit dringt der unsichere Mann
in ein Reich, das er nie wirklich durchschauen wird. Kiki wird zur Personifikation
dieser mysteriösen Mischung aus Kunst und Sex, allerdings einer aggressiven
Sexualität, der Paul nichts entgegenzusetzen hat.
Kiki ist Bildhauerin und arbeitet gerade an einer knienden
Gipsskulptur mit weit geöffnetem Mund. Paul macht ihr umgehend ein
Kompliment über ihre Kunst und sagt, das Bildnis erinnere ihn „an
Edvard Munchs ‘Das Kreischen’“. Mit geringschätzigem,
kurzem Seitenblick berichtigt ihn Kiki („Der Schrei!“). Als
sei ihm sein Unwissen peinlich, wechselt Paul das Thema: Wo Marcy sei,
will er nun wissen. „In der Apotheke“, lautet die ebenso lapidare
wie bedeutungsschwere Antwort. Paul ist sichtlich verwirrt. Kiki bleibt
kühl und unbeteiligt und sagt beiläufig, „alles sei unter
Kontrolle“. Ein geheimnisvolles Bild dieser Künstlerin entsteht:
Ihr leicht punkiges Outfit, der kalkverschmierte Lederrock, ihre klassische
Bildung - nichts an ihr ist berechenbar. Sie verspricht ein Potential
der erotischen Verführung, das für Paul jedoch nicht faßbar
wird. Als das Telefon klingelt, bittet sie ihn, in der Zwischenzeit weiter
an der Skulptur zu arbeiten. Paul ist endgültig verwirrt, schließlich
sei es doch ihr Kunstwerk. „Ist doch keine Kunst,“ sagt sie,
„das ist kinderleicht.“ Im selben Moment, in dem sie hier
ihren eigenen Status als Künstlerin in Frage stellt, überträgt
sie Paul die Kontrolle über ihr Werk. Mit diesem Akt der ‘Erhöhung’
beginnt Kikis fatales Spiel der Verführung. Mit schlurfendem, nachlässigem
Gang geht sie zum Telefon. Trotz der ausgestellten Lässigkeit verliert
der Körper nie an physischer Präsenz: Es ist ein bewußt
instrumentalisierter Körper, ein verhängnisvolles semiotisches
System der Verführung, ergänzt durch freizügige aber dennoch
dominante Kleidung sowie die fast schon obligatorische Zigarette. Bei
ihrem Telefonat mit Marcy flüstert sie, doch wird sie nie so leise,
daß Paul sie nicht mehr hören kann: „Nein, das werde
ich ihm nicht sagen...“ Marcy scheint die Verabredung absagen zu
wollen. Paul wird auch hier nicht schlauer. Amüsiert lächelnd
betrachtet Kiki schließlich Pauls Versuch, ihr Werk adäquat
fortzusetzen. Hier beginnt die zweite Stufe der Verführung: Sie überredet
Paul, sein beschmutztes Hemd auszuziehen, um es zu waschen. Sein weichlicher
nackter Oberkörper bietet in einer Einstellung mit ihrer selbstbewußt
ausgestellten Physis einen fast bemitleidenswerten Anblick seiner Ausgeliefertheit.
In einer dritten Stufe der Verführung streicht sich
Kiki über die Schultern, fixiert Paul frontal mit ihren kajal-geschwärzten
Augen und deutet den Wunsch nach einer Nackenmassage an, worauf Paul spontan
eingeht. Hier scheint er sich für Momente sicher zu fühlen,
doch wieder gelingt es Kiki, ihn zu irritieren: „Du mußt mir
nur ein bißchen weh tun, dann ist es richtig,“ fordert sie,
„ich steh drauf.“ Die Femme fatale des aktuellen Films ist
eine Sadomasochistin. Anders als im komplex verschlüsselten erotischen
Balzspiel des Film noir verleiht sie nun ihren Absichten eine konkrete
sexuelle Form von Dominanz und Unterwerfung, nicht selten durch die ständige
Transformation von Verhaltenscodices, die einem Mann wie Paul selbstverständlich
nicht vertraut sein können. Doch seine Sehnsucht nach grenzüberschreitender
Sinnlichkeit zeigt sich nicht nur in der Lektüre eines Henry-Miller-Romans
im Bistro, sondern auch in der bedingungslosen Folgsamkeit gegenüber
Kikis Wünschen.
Kiki wird schließlich unter Paul schüchterner
Massage einschlafen und ihn zumindest in einer zweideutigen Situation
erscheinen lassen, als Marcy die Wohnung betritt, doch die coole Künstlerin
wird nicht sein einziges Verhängnis im Laufe dieses Films bleiben.
Der sadomasochistische Vamp, den Linda Fiorentino hier darstellt, kann
sich in After Hours noch sicher wägen in seinem Spiel von Verführung
und Kontrolle.
3.
The Last Seduction (Die letzte Verführung, 1992) von John Dahl ist
der Film, mit dem der Name Linda Fiorentino am ehesten verbunden wird.
Amerikanische Kritiker bedauerten, daß dieser Film vor seiner Kinoauswertung
im Kabelfernsehen gezeigt wurde und somit bei den Academy-Award-Nominierungen
nicht berücksichigt werden konnte. Die amoralische, manipulative
Protagonistin namens Bridget Gregory kann geradezu als Femme fatale-Ikone
betrachtet werden, entworfen für einen Film, der die Standardsituationen
des Film noir immer wieder an den Rand des Absurden treibt. „Most
people have a dark side. She had nothing else“, wirbt der amerikanische
Verleih. Sie ist eigentlich leitende Angestellte eines New Yorker Versicherungsunternehmens,
doch zusammen mit ihrem Mann Clay (Bill Pullman) überschreitet sie
hemmungslos die Grenzen der Illegalität, um sich zu bereichern. Zu
Beginn überredete sie ihren Mann, einen Arzt, Drogen aus dem Krankenhaus
zu verdealen. Seiner Frau in deutlicher Haßliebe verfallen, merkt
Clay nicht, daß sie ihn nur benutzt, um umgehend mit dem Geld zu
verschwinden und in Chicago ein neues Leben zu beginnen. In einer Kleinstadt
auf dem Weg lernt sie in einer Bar den etwas naiven Cowboy-Macho Mike
(Peter Berg) kennen, den sie mit einem One-Night-Stand ködert. Von
ihrem Anwalt gewarnt, verweilt sie in den Stadt, bis ein Detektiv auftaucht.
Sie entledigt sich des Eindringlings bald, doch auch Clay ist ihr auf
der Spur. Durch eine komplexe Intrige macht sie Mike zum Mörder ihres
Mannes und kann sich am Ende unbeschadet in Chicago niederlassen.
John Dahls Film lebt geradezu von dem Bewußtsein,
welches Charisma sich aus bösartigen, grausamen Figuren schöpfen
läßt, und diese Frau ist böse von der ersten bis zur letzten
Sequenz. Der Film entwirft diese diabolischen, taktierenden Charakter
und betrachtet ihn konzentriert mit ungerührter Aufmerksamkeit, während
alle anderen Personen zu passiven Versuchstieren werden. Bridget Gregory
verändert sich nie, immer sind ihre Ziele von Gier und Gewinn bestimmt.
Alles, was die Individualität ihres Charakters ausmachen könnte,
wird zur Maske, die sie wechselt wie ihre Namen. Die Männer, deren
sie sich bedient, sind entweder bereits naiv und triebgeleitet wie Mike
oder werden im Lauf der Handlung zum Sklaven ihrer Begierden. Wie Barbara
Stanwyck in Billy Wilders klassischem Film noir Double Indemnity (Frau
ohne Gewissen, 1944) schlägt sie diese Männer mit ihren eigenen
Waffen. Und der Film gibt sich an keiner Stelle Mühe, diese Figur
in einen Kontext zu stellen, eine anrührende Begründung für
das Böse zu finden. Sie ist, wie sie ist: Ein deutlich aus der Balance
geratener Charakter. Sie ermangelt jeglicher Reue und versucht nicht einmal,
humane Absichten vor zu heucheln. Um ihre Ziele zu erreichen, eignet sie
sich die unterschiedlichsten Masken an: die kämpferische Feministin,
die Yuppie-Karrieristin, das brave Hausweibchen oder die schmollige Halbwüchsige,
und letztlich: die geschändete Braut. Und wo sie auch hinkommt, bringt
sie den Kapitalismus mit...
Bereits in der ersten Sequenz des Films wird sie als gnadenlose,
profitfixierte Geschäftsfrau eingeführt: Während ihre hauptsächlich
männliche Belegschaft Telefongeschäfte abwickelt, läuft
sie mit der Stopuhr in der Hand im Raum auf und ab. Die Verlierer werden
mit herb-kühler Stimme verbal gedemütigt, die Gewinner mit Hundert-Dollar-Noten
belohnt: ‘Zuckerbrot und Peitsche’. Eine schwarzweiße
Welt schwebt ihr vor, Basis eines inhumanen Sozialdarwinismus’.
Über die Straße bewegt sich Bridget ebenfalls
mit festem, zielstrebigem Schritt und wehendem, schwarzem Mantel. Erst
in ihrer Wohnung angekommen verändert sich ihr Verhalten: Als sie
den Anrufbeantworter abhört, verharrt sie kurz, doch ihre Finger
bewegen sich unruhig. Vor dem Fernsehen ist sie sogar sichtlich nervös:
Sie kaut an ihrem Zeigefinger, ihr Blick wirkt für Momente etwas
unsicher. Erst mit dem Öffnen der Tür - Clay kommt von seinem
Coup zurück - findet sie ihre Fassung - also ihre Maske - wieder.
Der Sadomasochismus dieser Femme fatale wird in The Last Seduction weniger
explizit präsentiert wie in After Hours, wo tatsächlich auch
eine Bondageszene mit Kiki vorkommt, sondern bricht eher unterschwellig
aus dem Geschehen hervor: Bridget betrachtet den durchaus lächerlich
wirkenden Clay, der die Geldbündel notdürftig unter seine Kleidung
gestopft hat. „You walk the streets like that? - You’re an
idiot!“ Mit dem Handrücken schlägt der Mann seiner Ehefrau
ins Gesicht. Darauf war sie nicht gefaßt; schmollend zieht sie sich
zurück, wieder mit dem Finger am Mund. Des ersten Annäherungsversuches
von Clay erwehrt sie sich heftig, doch ihr Mann weiß, wie er sie
besänftigt: „You can hit me anywhere - hard!“, haucht
er ihr von hinten ins Ohr. Ein Geldbündel, das er ihr unter die Nase
hält, tut ein Übriges: Gierig riecht sie am illegal erworbenen
Reichtum. Später wird sie sogar anzüglich daran lecken...
„Her quick changes are funny. So is her chilly single-mindedness.
And so is the eagerness of males, stupefied by lust, to be taken in by
her. [...] She is after the humor of humorlessness, the nuttiness of self-interest
untrammeled by sentiment [...]“ schreibt der Time-Kritiker Richard
Schickel. Linda Fiorentino spielt diese Rolle mit einem Sinn für
trockenen Humor, auch „wenn man sie niemals beim ironischen Lächeln
ertappen wird“, wie Roger Ebert anmerkt. Auf intensive Weise trägt
sie den gesamten Film, indem sie es immer wieder schafft, den ihr unterworfenen
Männern stellvertretend für das Publikum einen ungläubigen
Blick zu entlocken: Wozu ist sie noch fähig? Ist das wirklich ihr
Ernst? Für jeden kommt es letztlich schlimmer als erwartet.
4.
Der von William Friedkin inszenierte Erotik-Thriller Jade (1995) scheint
auf den ersten Blick nichts weiter zu sein, als ein modischer Trendsetter
jener erotischen Spielart des Thrillers, die Mitte der neunziger Jahre
ein kurzes Hoch erlebte. In San Francisco wird ein einflußreicher
Politiker brutal mit einer afrikanischen Axt erschlagen. Spontan verdächtig
für den etwas melancholischen Detective Corelli (David Caruso) ist
die Psychologin Trina Gavin (Linda Fiorentino), die das Opfer als Letzte
lebend gesehen hat. Ihr Mann, der bekannte Rechtsanwalt Matt Gavin (Chazz
Palminteri), nimmt sie jedoch bedingungslos in Schutz. Während die
Spuren des Verbrechens bis zu dem Gouverneur Kaliforniens (Richard Crenna)
führen, der vom Opfer mit Sexfotos erpreßt worden war, machen
sich langsam die Tücken der Personenkonstellation bemerkbar: Trina
war früher Corellis Geliebte, entschied sich jedoch letztlich für
seinen besten Freund Matt. Corelli ist Trina immer noch erlegen und sucht
insgeheim nach Indizien ihrer Unschuld... Trina jedoch ist die Prostituierte
Jade, die für den Toten in dessen Küstenhaus hohen Politikern
für Sexdienste zur Verfügung stand. Corelli bemerkt, daß
seine Ermittlungen aus den eigenen Reihen sabotiert werden; eine Zeugin
wird ermordet und es wird deutlich, daß Trina als Sündenbock
herhalten soll. Natürlich ist es der Gouverneur, der sich Verdachtsmomente
vom Hals halten und auch Trina ermorden lassen will. Corelli kann das
verhindern. In der letzten Sequenz gesteht Matt seiner Ehefrau Trina das
Verbrechen. Sein letzter Satz ist: „Wenn wir uns das nächste
Mal lieben, möchte ich, daß du mir Jade vorstellst!“
Was den häufig unterschätzten Thriller-Spezialisten
William Friedkin an diesem gewollt komplexen Stoff gereizt haben dürfte,
sind neben äußerlichen Versatzstücken die eigentlichen
Themen: die umfassende Korruption und das Herausbrechen unterdrückter
Leidenschaften in einem System sozialer Masken. Wie in The Last Seduction
sind in der Welt von Jade die Protagonisten ihren Begierden und Träumen
nahezu wehrlos ausgeliefert. Sie driften zwischen Lüge und Geheimnis.
Es ist ihnen kaum noch möglich, ihre destruktiven Energien konstruktiv
zu nutzen oder im Exzeß abzubauen, wie es Georges Batailles in seiner
Verschwendungstheorie vorschlägt. Folglich ist es auch eine eigenartige
Jagd, die in Jade stattfindet: Die Jagd im Kreis. Hier spiegelt sich ein
eruptives „Aufbegehren“ angestauter Energie.
Gegen Ende des Films, als jeder Charakter beginnt, dem anderen
zu mißtrauen, sucht Trina ihren früheren Geliebten Corelli
auf. Es ist ein verbotenes Treffen, da sich der Ermittler nicht mit einer
mordverdächtigen Zeugin treffen darf. Bereits an der Tür, als
Trina unvermittelt an ihm vorbeigeht, stellt Corelli die wesentliche Frage:
„Wer bist du wirklich?“ Sie fleht ihn um Hilfe an, ihr Blick
spiegelt Verzweiflung: „Ich weiß zuviel.“ Die Femme
fatale, in diesem Film zudem eine Intellektuelle mit sadomasochistischem
Doppelleben, macht sie selbst zum Opfer. Doch auch die zunächst ausgestellte
Schwäche wird umgehend zur Taktik: „Ich weiß, daß
du mich liebst.“ Corelli ist der einzige Mensch, dem sie noch vertrauen
kann. Mit physischem Nachdruck versucht sie ihn zu verführen („Nichts
hat sich geändert.“), doch Corelli ruiniert die intime Situation,
indem er sich dem Spiel widersetzt: Alles habe sich verändert, denn
sie sei die Mörderin. Abrupt steht Trina auf, kehrt aber noch einmal
zurück, um ihn ins Gesicht zu schlagen. Mit verletzt gesenktem Kopf
verläßt sie die Wohnung.
Nachdem Trina von Corelli zurückgestoßen wurde,
lebt sie ihr frustriertes Verlangen mit einem No-Name-Dressman aus. Friedkin
montiert das Geschehen mit harten Kontrasten und endet mit der verzweifelten
Trina, die schließlich hemmungslos weinend alles von sich stoßen
möchte. Mit rhythmischen Weißblenden, subliminalen Zwischenschnitten
und expressivem Schattenspiel erzeugt diese Sequenz einen nahezu physisch
spürbaren, ekstatischen Sog. Loreena McKennitts Lied „The Mystic’s
Dream“ erzählt dazu die traurige Geschichte einer orientalischen
Hure. War Trina schon in der vorangehenden Sequenz eine ihrer Sache nicht
mehr allzu sichere Frau, bricht hier eine weitere Irritation durch: Die
Kontrolle über die Situation ist ihr entglitten - der Alptraum der
Femme fatale ist wahr geworden. Erst teilt ihr Corelli während einer
heftigen Vorspiels mit, er halte sie tatsächlich für die Täterin,
dann kann ihr nicht einmal die sexuelle Begegnung mit einem namenlosen
Kunden die ersehnte Erlösung bringen. Auch diese sexuelle Begegnung
spielt eine Reihe ritueller Akte von Dominanz und Unterwerfung durch:
Beim Cunilingus zeiht Trina den Partner an den Haaren, danach penetriert
sie ihn mit ihrem Stilettabsatz anal. Meist bleibt sie in der aufrecht-dominanten
Position und ist im Gegensatz zu seiner kompletten Nacktheit mit einem
schwarzen Hemdchen bekleidet. Als sie sich von ihm von hinten penetrieren
läßt, verbirgt sie ihre Persönlichkeit mit einer Strumpfmaske.
Erst der Blick in den Spiegel ruiniert diese Maske. Hastig zieht sie den
Strumpf vom Kopf, prügelt kurz auf den Mann ein und flüchtet
vom Bett auf einen Stuhl. Als der Mann zögernd nach ihren Fuß
greift, zieht sie ihn fast ängstlich zurück; als er sich ihr
in seinem Unverständnis noch einmal nähern will, zuckt sie erschreckt
zurück und geht in Abwehrposition. Torkelnd verläßt sie
das Zimmer. Sie ist zum Opfer ihrer selbstgeschaffenen Umstände geworden,
hat die Kontrolle über ihre Bedürfnisse und Liebhaber verloren.
An diesem Punkt des Umschlages ist die Femme fatale kurz davor, selbst
zum Opfer, zur Femme fragile, zu werden...
5.
Linda Fiorentino hat sich ihre jetzt etwa fünfzehnjährige Rollengeschichte
hindurch immer wieder auf Variationen des Femme fatale-Typus eingelassen,
ohne daß von ihren zahlreichen anderen Rollen Notiz genommen wurde.
Unglücklicherweise ist es ihr auch mit dem Programmkinohit The Last
Seduction nicht gelungen, als Schauspielerin mit Starqualitäten wahrgenommen
zu werden, zu radikal ist diese Rolle, zu dominant ihr Auftreten. Daß
sie ihren Stil komplett ändern kann und auch als weniger herbe Frauenfigur
überzeugt, zeigt sie in John Dahls Psychothriller Unforgettable (1996),
in dem sie die Ärztin Dr. Martha Briggs spielt, die an einem Erinnerungsserum
arbeitet, durch das Verbrechen rekonstruiert werden können. Hier
ist ihr Auftreten von einer großen Schüchternheit und Unsicherheit
geprägt, motiviert durch Vorsicht und Angst. Auch dieser kleine,
düstere Film wurde weitgehend übersehen und ließ ihre
Karriere weiter in schmalen, unauffälligen Bahnen verlaufen. Die
Legende will es, daß sie ihre Rolle in der Science-Fiction-Klamotte
M.I.B. beim Pokerspiel mit Barry Sonnenfeld gewonnen hat. Doch auch hier,
wo sie in kurzen Ansätzen als Komödiantin gefordert ist, ist
ihr Humor derart trocken, daß sie wiederum ihren ebenso außergewöhnlichen
wie sperrigen Status bestätigte.
Auch wenn es Linda Fiorentino nach 27 Filmen in fünfzehn
Jahren nicht gelungen ist, zum Star zu avancieren, so hat sie doch ihren
Ruf als Inkarnation eines Frauentyps gefestigt, der den Film seit der
Stummfilmzeit begleitet: Sie ist das Gesicht der Femme fatale, mit all
ihrer Gier, ihrer Grausamkeit, ihrer Verführungskraft und schließlich
ihrem Leid; dem Leid der ewigen Einsamkeit im selbstgeschaffenen Dschungel
von Trieb und Erfolg.
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