Texte zur Körpertheorie des Films

hrsg. von Marcus Stiglegger

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Caroline Langhorst

“Sing this corrosion to me“

Körperlichkeit im Spannungsfeld von groteskem Exzess und hysterischem Wahn in Ken Russells The Devils (Die Teufel, GB 1971)

(c) Warner Bros / DVD from BFI (GB)

Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Körperlichkeit im Spannungsfeld von groteskem Exzess und hysterischem
Wahn in Ken Russells The Devils (Die Teufel, GB 1971)
2.1 Das Groteske als physischer Exzess
2.1.1 Der Begriff des Grotesken
2.1.2 Die Physis als Projektionsfläche von groteskem Exzess und Seduktion
2.2 Der hysterische Wahn als performativer Akt
2.2.1 „This madness, this laughter“: Die fatale Obsession der Sister Jeanne
2.2.2 „Devil in Disguise“? - Die Inszenierung des hysterischen Hexenwahns
3 Konklusion
4 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Obschon der Begriff des eigenwillig-provokanten Grenzgängers nicht unbedingt ein Novum innerhalb der britischen Filmgeschichte darstellt, nimmt Ken Russell selbst im engen Kreis jener betont individualistischen britischen Regisseure eine fast schon zum Perpetuieren verurteilte Sonderposition ein. Dementsprechend scheint dem durchaus selbstironischen Enfant terrible die gänzliche akademische Rehabilitation und Integration - gerade im Vergleich zu seinen Zeitgenossen Nicolas Roeg, Peter Greenaway wie auch in einem geringeren Ausmaß seinem anfänglichen Protegé Derek Jarman - lange Zeit verwehrt geblieben zu sein. So wurden einige interessante Aspekte des einen ungemeinen Facettenreichtum und eine der stetigen künstlerischen Transformation geschuldete immanente Paradoxie aufweisenden Russell’schen Œuvres (z.B. seine Affinität für das Hollywood-Melodram) [1] noch nicht hinreichend mit einer eingehenderen Analyse bedacht.

Als ein äußerst passionierter Cinéphiler, ein nostalgisch-dekadenter Neoromantiker und überdies von Raymond Durgnat in den Stand eines Manieristen erhoben [2], lässt sich der partout die eindeutigen Demarkationslinien zwischen Realität und Fantasie verwischende Russell zudem in der eine aufrichtige Ode an die Kunst bekundenden Tradition von Michael Powell und Emeric Pressburger verorten. Seine Filme zeichnen sich folglich durch eine durchaus vergleichbare ausgesprochene visuelle Sensibilität aus: Jene manifestiert sich primär in Gestalt eines mitunter überbordenden visuellen Exzesses und eines sich zuweilen offenbarenden Camp-Potentials. Die filmische Inszenierung konzentriert sich besonders auf die eine ähnliche Rezeptionshaltung wie das literarische Werk von D.H. Lawrence evozierenden [3] Konstanten der Sinnlichkeit, Körperlichkeit (u.a. auch in Bezug auf Musik und Tanz) und der freizügigen Sexualität: „At the core of each of these films, regardless of what they seem to be about, is an examination of some variety of sexual experience, in the unique Russell manner.“[4] Darüber hinaus erfährt die Repräsentation von Körperlichkeit allerdings noch eine Sublimierung: Mittels der spezifischen Mise-en-scène von „movement, mass, color, and rhythm, he creates the visual equivalent of some aspect of sexual involvement.“ [5]

Vor allem Russells kontroverser Skandalfilm - und früher Vertreter der Nunsploitation [6] - The Devils (Die Teufel, GB 1971) [7] vermag an dieser Stelle als exemplarisches Beispiel für den markanten Stil des Regisseurs angeführt werden. Dieser rekurriert maßgeblich auf Aldous Huxleys The Devils of Loudun (1952), einer Schilderung der realhistorischen Vorfälle einiger angeblich besessener Ordensschwestern und eines sich gegen den eher weltlich orientierten Priester Urbain Grandier richtenden Hexenwahns im Loudun des 17. Jahrhunderts, sowie auf John Whitings ebenfalls an Huxley angelehntes Theaterstück. Der wenngleich vorzugsweise in einem mythischen Raum [8] situierte Film ist das unweigerliche Produkt einer diffizilen, von diversen soziokulturellen, politischen wie ökonomischen Umbrüchen geprägten Entstehungszeit: den aus filmhistorischer Perspektive oftmals eher marginalisierten und als „decade that taste forgot“ [9] verpönten, eigentlich jedoch auf adäquate Weise den besagten Übergangscharakter betonenden 1970er Jahren. Der nach dem Höhepunkt der liberalisierenden Swinging Sixties gegen Ende des Jahrzehnts einsetzende Stimmungswandel tritt filmisch häufig in düsteren, von expliziteren physischen Gewalt- und Sexualitätsdarstellungen durchzogenen Porträts zutage. Zum Beispiel in Donald Cammells und Nicolas Roegs wegweisendem Performance (GB 1969), Mike Hodges‘ Get Carter (Jack rechnet ab, GB 1971) oder auch den beiden Werken zweier ikonischer amerikanischer Filmemacher - Sam Peckinpahs Straw Dogs (Wer Gewalt sät, GB 1971) und Stanley Kubricks Burgess-Adaptation A Clockwork Orange (Uhrwerk Orange, GB/USA 1971) -, die seitens der britischen Zensurbehörde der BBFC zusammen mit The Devils einen regelrechten Zensur-Eklat [10] auslösten und simultan neue inszenatorische Maßstäbe setzten.

Im Zentrum dieser Untersuchung steht demnach die Analyse der sich mittels der zwischen beiden Polen oszillierenden Körperlichkeit artikulierenden Inszenierung eines grotesk anmutenden Exzesses und des sich schließlich im weiteren Filmverlauf herausbildenden hysterischen Wahns.

2 Körperlichkeit im Spannungsfeld von groteskem Exzess und hysterischem Wahn in Ken Russells The Devils (Die Teufel, GB 1971)

2.1 Das Groteske als physischer Exzess

Den analytischen Schwerpunkt dieses Teils bildet der mit einer inhärenten problematischen begrifflichen Beschaffenheit behaftete Aspekt des Grotesken, der folglich zunächst noch einer präziseren wie kritischeren Erläuterung bedarf. Im Anschluss an den zunächst vorgenommenen kurzen Definitionsversuch wird der Fokus sodann auf das in The Devils auf höchst eindrückliche Weise vertretene Spektrum an grotesken Elementen gerichtet. Dabei wird insbesondere dem als ein signifikanter potentieller Bestandteil des Grotesken einzustufenden physischen Exzess - gerade auch im Hinblick auf die damit konnotierte dominante selbstdestruktive Disposition - eine größere Aufmerksamkeit zuteil.

2.1.1 Der Begriff des Grotesken

Wie unmittelbar zuvor angedeutet, birgt der ominöse Terminus des Grotesken einen gewissen Grad an Ambivalenz. Darüber hinaus setzen seine gleichermaßen diffuse wie unreflektiert anmutende Verwendung und die nebulöse Vermischung mit weiteren vermeintlichen Synonymen, wie beispielsweise bizarr, skurril, absurd, monströs oder degeneriert, letztendlich etwaige eindeutige Klassifikationen und mögliche Taxonomien außer Kraft. [11]

Seinen „vom italienischen »Grottesco«, sich auf »Grotte« oder »Höhle« beziehend“ [12], abgeleiteten etymologischen Ursprung findet das Groteske in der italienischen Renaissance (um 1480) [13]: Obgleich sich die Existenz grotesker Bilder bereits bis zu Horazs Ars Poetica (14 v. Chr.) zurückverfolgen lässt, wurde der Begriff erstmals in Bezug auf die Deskription der ornamentalen Wand- und Deckenmalereien der Grotten (z.B. in Kaiser Neros Domus Aurea), die ein hybrides Konglomerat aus mit Früchten, Blättern und Blumen verwobenen menschlichen und tierischen Formen präsentierten, sowie auf zeitgenössische Grotesken (bzw. Fresken, Arabesken) angewandt.[14] Daher lässt sich das Groteske als eine kontrastreiche Kollision von Form und Inhalt in Gestalt einer labilen Verschmelzung von heterogenen, gar zuweilen völlig inkompatibel erscheinenden Elementen betrachten.[15] Die paradoxe Natur des hybriden Konstruktes, die simultan mehrere in ihrer jeweiligen Gewichtung variierende Komponenten (z.B. eine lächerliche und furchteinflößende sowie dementsprechend anziehende und abschreckende Nuance) [16] enthält, verfügt ferner über eine immanente Transgressionskraft.[17] Ein zusätzliches Merkmal des Grotesken ist indes auch seine unabdingbare Körperbezogenheit: Demnach vermag es nach Shun-Liang Chao als eine körperliche Metapher [18] kategorisiert werden, die sowohl in sich selbst als auch im Rezipienten eine „intellectual uncertainty“ [19], eine „emotional disharmony“ [20] wie auch eine den Roland Barthes’schen unmöglichen Metaphern [21] nicht unähnliche „hermeneutic indeterminacy“ [22] hervorrufe. Der nach Stallybrass und White die Position eines hybriden Grenzphänomens [23] einnehmende groteske Körper ließe sich nun wiederum als eine unvollendete Metamorphose [24] definieren, deren Unvollständigkeit sich entweder durch das etwaige Fehlen von Körperteilen, einen Überschuss an jenen (z.B. im Fall von Mutationen) oder aber durch physische Deformation (beispielsweise äußerst prävalent in der Kunst Francis Bacons vertreten) artikuliert. [25]

Die überwiegend negative oder schlichtweg von latentem Desinteresse zeugende Rezeptionshaltung sollte erst in der von verschiedenen Umwälzungen determinierten Epoche der Romantik (1798-1835) einem Wandel unterzogen werden. Begünstigt wurde jener durch die gegen Ende des 18. Jahrhunderts vorherrschenden irrationalen Tendenzen und die zu dieser Zeit populäre Inversion der Proportionsverhältnisse des klassischen Schönheitsideals. Ein Beispiel wäre hierbei das vorwiegend von Thanatos bestimmte Konzept der „tainted beauty“ [26], dem auch eine immense Signifikanz im Werk Edgar Allan Poes eingeräumt wird: Für den heillosen Melancholiker Poe, so proklamiert er in seinem Essay The Philosophy of Composition (1846), avanciert etwa der Tod einer schönen Frau gar zum wahrhaftigen Ausdruck des Poetischen par excellence. [27] Den englischen Dichter Percy Bysshe Shelley hingegen wusste die vom Haupt der Medusa ausgehende „tempestuous loveliness of terror“ [28] gekonnt in ekstatische Verzückung zu versetzen.

Jener Paradigmenwechsel entwirft ergo ein primär sinistres - und wie gesagt sehr melancholisches - wie auch von dem mittelalterlichen oder selbst noch in der Renaissance existenten Glauben an die regenerative Kraft des Lachens (z.B. bei Michail Bachtin [29]) losgelöstes Bild einer entfremdeten, von Schrecken heimgesuchten Welt. „[…] the mind, under certain phases of excitement, plays with terror“ [30], sinnierte etwa auch John Ruskin, eine weitere essenzielle Schlüsselfigur des fortwährenden kontroversen Diskurses über das Groteske, in seiner Schrift über groteske Architektur und Kunst The Stones of Venice (1853). Ferner wird eben jene Auffassung der Romantik innerhalb der Groteskforschung in nachdrucksvoller Manier auch von Wolfgang Kayser in seinem grundlegenden Standardwerk Das Groteske. Seine Gestaltung in Malerei und Dichtung (1957) vertreten. Aus diesem Grunde ist es keineswegs verwunderlich, dass ein Großteil der prominenten literarischen Exempel des Grotesken im Umfeld der Gothic Novel (ca. 1764-1825) und ihren späteren Ausformungen, etwa innerhalb der Schwarzen Romantik und des viktorianischen Zeitalters (1837-1901) bzw. Fin de Siècles, angesiedelt ist.[31] Des Weiteren herrscht eine geradezu fatale Faszination für das Groteske und seine diabolische Nuance vor allem seitens der französischen Vertreter vor. Wohingegen seine paradoxe Beschaffenheit von Victor Hugo in erster Linie als ein relevanter Bestandteil der Moderne gedeutet wird [32], vollzieht Charles Baudelaire schließlich seine Apotheose zur höchsten zeitgenössischen Kunstform [33]: Die konträren Elemente des Grotesken fungieren seiner Ansicht nach als eine vollendete Inkarnation der Dualität der unentwegt zwischen dem Apollinischen und dem Dionysischen changierenden menschlichen Natur.[34] In seinem eigenen Essay De l’essence du rire (1855/57) zeigte er sich obendrein äußerst bemüht, den jeweiligen Charakter von Karikaturen - nämlich das „comique significatif“ [35] und das „comique absolu“ [36] - herauszustellen. Bei letzterer Kategorie handelt sich um verschiedene Varianten von mysteriösen, „künstlerisch höchst bedeutsamen, grotesken Karikaturen“ [37]. Ebenso zeugt sein eigenes literarisches Schaffen von einer enormen Sensualisierung sowie Sexualisierung des Körpers mittels der in Les fleurs du mal (1857-68) in gleichem Ausmaß präsenten widersprüchlichen Gegensätze wie „lust and disgust, le beau and le mal“ [38]. Diese befördern den Leser aufgrund ihrer bewussten Aufhebung der Grenzen zwischen dem Begehrenswerten und dem Abscheulichen [39] unweigerlich in den prekären Zustand eines regelrechten „vertigo of demonic/infernal charm or desiring the undesirable“ [40]: Baudelaire poetisiert daher förmlich le mal in Gestalt des Dämonischen, Abscheulichen aber auch Melancholischen, „by discovering beauty in it or creating beauty out of it.” [41]

2.1.2 Die Physis als Projektionsfläche von groteskem Exzess und Seduktion

„The road of excess leads to the palace of wisdom.“ - William Blake [42]

Neben der Übertreibung und der Extravaganz prononciert nach Justin D. Edwards und Rune Graulund gerade das Exzesshafte die Transgressionskraft des Grotesken: „These three modes of expression often contribute to grotesquerie by expanding upon existing conventions […] exaggeration, extravagance and excess emerge from within the very boundaries, limits, laws and conventions meant to resist disharmony.” [43] Der vornehmlich mittels der menschlichen Physis visualisierte Exzess und sein enormes Seduktionspotential werden sogleich näher beleuchtet.
Ken Russells der eher exzentrisch-obsessiven wie durchaus eine gewisse Mannigfaltigkeit begrüßenden Seite der Erotik zugewandte Körperbilder nehmen stets einen beachtlichen Stellenwert in seinem Werk ein: Somit wird der Körper zu einer „privileged site of anxiety and struggle in Russell’s films.“ [44] Sehr zentral wäre dabei nach Barry Keith Grant vor allem die physisch artikulierte Ambivalenz der wankelmütigen, stets zwischen „revulsion, desire, and guilt“[45] oszillierenden Figuren. Gerade in dem kontrovers diskutierten The Devils zeigt sich Russells ungebrochene, überdies Reminiszenzen an Baudelaire weckende „fascination with the decayed, the used, the soiled, the defective, and eventually with the grotesque“ [46] sowie seine Affinität für eine schwarzromantische „imagery of ineluctable mortality („Not damp - decay!“, as Shelley shrieks in Gothic), of all the natural shocks to which flesh is heir.“ [47]
Darüber hinaus vermag das Morbide sogar als der eigentliche Kern des Exzesses erachtet werden: Eine Omnipräsenz des Todes, prägnant verbildlicht durch die immerzu expandierende, einen Ausnahmezustand annehmende Pest und ihre etlichen meist entweder in Skelettform oder als wahllos in der Stadt verstreute Leichenhaufen präsenten Opfer, durchzieht die gesamte filmische Atmosphäre. Jene tritt wiederum sodann in eine Wechselwirkung mit den selbstdestruktiven, mitunter körperlich deformierten (z.B. die von der Epidemie entstellte Physis der Kranken oder der Buckel der amourösen Schwester Jeanne (Vanessa Redgrave)) sowie zunehmend von Thanatos geleiteten Figuren. Einprägsam unterstrichen wird dies durch Derek Jarmans verschiedene künstlerische und epochale Stile (u.a. die Architektur in Fritz Langs Metropolis (D 1925/26), Carl Theodor Dreyers La passion de Jeanne D‘Arc (Die Passion der Jungfrau von Orléans, F 1928), Piranesis Kerkerbilder sowie Ledoux, Boullée oder auch die infernalischen Visionen eines Hieronymus Bosch) [48] vereinendes und daher bewusst eklektisches Set-Design:

His resulting twist on neoclassical architecture is a Loudun comprised of an
extraordinary series of vast geometric structures and fortifications; stairways and arches that seem to recede, Escher-like, into infinity. Libraries and chapels resemble prisons and prison cells, complete with black iron bars. True to Ken’s brief that the sets should resemble ,rape in a public lavatory’, a reference to Huxley’s novel, these clinical, white-tiled
interiors provide austere, antiseptic backgrounds for scenes of plague, exorcism, masturbation and execution. [49]

Simultan verdeutlicht der daraus resultierende höhere Abstraktionsgrad und trotz einiger mittelalterlicher Versatzstücke verhältnismäßig moderne Anblick der Stadt [50] die Zeitlosigkeit des in ein vermeintlich historisches Gewand gekleideten Geschehens mittels der Erschaffung eines mythisch aufgeladenen diegetischen Raums: Vermag Derek Jarmans künstlerische Schaffensperiode der 1970er Jahre als von tendenziell mythischer Beschaffenheit klassifiziert werden [51], teilt Russell gemäß Sue Harper und Justin Smith ebenfalls diese Vorliebe. Dementsprechend inszeniert er größtenteils „characters in the grip of certainties which are at odds with convention; the extreme flamboyance of his style ensues from an absolute belief in Romantic subjectivity.“ [52] Jack Fisher bekräftigt diese Lesart, indem er Russells Filme sogar gänzlich ihrer Historizität entbindet: „The worlds which Russell manipulates may seem to be like others, but actually they are much closer to the paintings of Chagall and Klee than to any historical or scientific reality.“[53]

Zugleich ein Ausdruck seiner inszenatorischen Neigung zu überbordenden „hyperthyroid camp circuses“ [54] lässt sich die bizarre Russell’sche „combination of Roman Catholic horror and clown show“ [55] The Devils, wie auch Pamela Church Gibson und Andrew Hill in ihrem Essay „ ,Tutte e Macchio!’: Excess, Masquerade and Performativity in 70s Cinema“ (2009) hervorheben, in seiner Gesamtheit als nahezu von jeder nur erdenklichen Manifestation exzessiver Verhaltensweisen und visueller Extravaganz durchdrungen beschreiben.[56] Church Gibson und Hill zufolge dient der in einigen Filmen der 1970er Jahre prävalente visuelle Exzess als eine Kompensation für einen äußerst fragilen gesellschaftlichen Status quo.[57] Jedoch sei hierbei insbesondere die aus der Subversion traditioneller Identitätskonstruktionen erwachsende Transformation des Gender-Verständnisses hin zu vergleichsweise offeneren Alternativentwürfen zu beachten.[58] Mit jenen weiß mitunter auch The Devils aufzuwarten: Ein Beispiel wäre etwa König Louis XIIIs (Graham Armitage) anfängliche, den auffallend satirischen Tenor demonstrierende Drag-Darbietung der auf Tonebene mit der Genese eines Kirche und Staat fusionierenden neuen Staatsmodells parallelisierten Geburt der Venus.[59] Ihre groteske Szenerie entfaltet sich eben durch Ken Russells spezifische „cinematic pageantry of medieval apparel, outlandish theatrics, royal courts full of gender-bending libertines, convents rife with lunatics, and lots of gory crosses“ [60], deren performativer Charakter und zentraler Konflikt eines politisch-religiösen Machtkampfes in 2.2 noch näher berücksichtigt werden.

Überladene Extravaganz und verschwenderischer physischer Exzess werden vor allem in Gestalt des unmittelbar zu Beginn des Films vorgeführten dekadenten Lebenswandels des Adels am Königshof und des durch Kardinal Richelieu (Christopher Logue) und Urbain Grandier (Oliver Reed) zur Schau gestellten kirchlichen Prunks (z.B. ihre edelverzierten Roben und weitere reichhaltige Schmuckstücke sowie das Dekor von Grandiers Heim), zugleich ein farcehafter Ausdruck ihrer jeweiligen Autoritätsposition, sichtbar: „The final result is just as Huxley intended: sadistic Vatican vaudeville routines that clash with alternately droll and puerile humor. Of all his work, The Devils shows Russell at his deftest in mixing horror with farce.“ [61] Eine außerordentliche Akzentuierung widerfährt dem satirischen Impetus der Darstellung des Exzesses dabei durch den exorbitanten Einsatz von groteskem Humor, der zudem Züge von Peter Brooks filmischer Inszenierung des Theaterstücks marat/sade (GB 1967) von Peter Weiss, einer weiteren Inspirationsquelle [62], wie auch dem grotesken Sprachgebrauch der Vertreter der metaphysischen Lyrik (z.B. John Donne) [63] trägt. Wenngleich dieser durchweg zugegen ist, lässt sich das obskure Duo Ibert (Max Adrian) und Adam (Brian Murphy) mit seinen grotesken medizinischen Heilmethoden [64] als sein Hauptträger lokalisieren. Getreu der paradoxen Natur des Grotesken erscheinen beide gleichermaßen lächerlich-amüsant und furchteinflößend: „We laugh at them only because there is nothing else to be done. For them the plague is a game in which they are free to experiment and torture all in the name of a science that is a good deal like black magic.” [65]

Der irdischen Versuchungen erliegende Priester und temporäre Ersatzgouverneur Grandier scheint das ironisch-frivole Wilde’sche Credo „Moderation is a fatal thing […] Nothing succeeds like excess” [66] zu seiner präferierten Maxime auserkoren zu haben. Folglich wandelt er in einer uneingeschränkt selbstdestruktiven Manier der Extreme auf dem die Notwendigkeit des auch für das Groteske unabdinglichen Gegensatzpaares „Attraction and Repulsion“ [67] propagierenden Blake’schen Pfad des Exzesses: Zu zwei unterschiedlichen Begebenheiten konstatiert Grandier seine freizügige Weltsicht. So proklamiert der charismatische Libertin während eines als „Lateinstunde“ getarnten erotischen Spiels, das recht unverzüglich aufgrund der seitens seiner vorübergehenden Geliebten und Magistratstochter Philippe Trincant (Georgina Hale) gebeichteten Schwangerschaft von einer ausgelassenen Stimmung in eine abrupt ernstere - wenn auch nicht minder groteske - umschlägt: „No weariness and no shame. Now, then, and shall be all pleasure. No end to it. But an eternal beginning. […] Honestly, I thought, the body can transcend its purpose. […] Everything is allowed. All is right.” [68] Doch die unweigerliche Konsequenz einer derartigen Sublimierung des maßlos Dionysischen lässt nicht lange auf sich warten. Bereits gegen Ende der Szene vergleicht er seine Hand mit der eines Toten [69] und bekräftigt sogleich in der nächsten Szene an einem Massengrab der Pestopfer erneut seine unstillbare Todessehnsucht [70]. „This is a key element in the character of Grandier. He feels himself to be dead, or like the dead. He knows he is sinful and weak, and these are the very qualities that separate his tragic character from Tschaikovsky’s pathetic one” [71], kehrt auch Ken Hanke hervor. Dieser Vorfall ist letztlich nur einer von vielen sadomasochistisch geprägten selbstdestruktiven Äußerungen oder Handlungen der, wie zuvor schon dargelegt, jeder auf ihre individuelle Weise vollends im Zeichen von Thanatos stehenden Figuren.

Im Unterschied zu den anderen macht der priesterliche Lebemann allerdings keinen Hehl aus seiner Disposition: „[…] Father Grandier does not deceive himself into believing his own abuses of power and religion are anything else. […] At no time, however, does Grandier attempt to rationalize his excesses in the manner of Richelieu or Jeanne.” [72] Die soeben erwähnten zwei relevanten Akteure Kardinal Richelieu und Schwester Jeanne werden noch im Hinblick auf den durch Jeannes amour fou ausgelösten hysterischen Hexenwahn in 2.2 behandelt.
Ferner bietet es sich an, den gerade erläuterten, auf sadomasochistische Selbstauslöschung ausgerichteten physischen Exzess und seine dementsprechende visuelle Inszenierung auf ihre immense Seduktionskraft hin zu untersuchen. Unter anderem bezugnehmend auf den Baudrillard‘schen Seduktionsbegriff [73] besagt die zugleich die phantomhaft-enigmatische Beschaffenheit des Films herausstreichende [74], in Ritual & Verführung. Schaulust, Spektakel & Sinnlichkeit im Film (2006) dargelegte Seduktionstheorie nach Marcus Stiglegger die manipulativ-suggestive Verführung des Zuschauers auf drei Ebenen: Die erste Ebene bezeichnet die Verführung bzw. Vereinnahmung des Zuschauers durch den ohnehin mit inhärenter Seduktionskraft versehenen Film selbst, die zweite die explizit vermittelte filmische Botschaft und die dritte Ebene die sich peu à peu durch eine eingehendere inszenatorische Analyse - wie etwa von „Bewegung, Körperlichkeit, Sinnlichkeit“ [75] - offenbarende Aussage auf der Metaebene. [76]

Alle drei Ebenen sind auch in The Devils vertreten. Hierbei erweist es sich als effizient, insbesondere den letzten beiden Ebenen ein genaueres Augenmerk zu widmen: Das seduktive Potential des Films manifestiert sich somit via der simultan diegetischen und extradiegetischen Überwältigung, zunächst der Figuren selbst sowie sodann ebenfalls des Rezipienten. Russells Bemühen zielt in der Regel darauf ab, die „nature of the experience, through purely sensual imagery“[77] auf sehr explizite Weise zu artikulieren. Essenziell wäre an dieser Stelle jedoch zudem, dass sofort zu Beginn von The Devils anhand der freimütig als Farce ausgeschriebenen höchst theatralisch-artifiziellen Drag-Performance ein fortan Aufrechterhaltender Illusionsbruch mittels der selbstreflexiven Offenlegung des filmischen Konstruktionscharakters vorgenommen wird. Dennoch gelingt es dem von Russell überdies als eine von anipulationsmechanismen dominierte Erzählung [78] kategorisierten The Devils seine Wirkung auf den Zuschauer durch das gleichfalls dem Grotesken, dem Blake’schen sowie Baudelaire’schen Œuvre immanente widersprüchliche Erzeugen von Lust und Ekel auch in der vorliegenden geschnittenen Variante als ein „uncomfortable, draining experience - a work of strength and power“[79] auf sehr nachhaltige Weise zu entfalten [80]: Dies geschieht einerseits etwa durch die durchaus auch als Kristeva‘sche „Abjekte“[81] interpretierbaren, da Ekel seitens des Zuschauers evozierenden [82] deformierten Pestkörper und Leichname wie auch die in 2.2 noch thematisierten Hysterieszenen. Nicht minder seduktiv sind der im Kapitel Thanateros - Transgression und Transzendenz von Ritual & Verführung als seduktives Modell ausgewiesene sadomasochistische amour fou [83] seitens der sich vor unerwidertem Begehren verzehrenden Jeanne und das damit verknüpfte eindringliche Schauspiel Vanessa Redgraves wie auch des ebenso berüchtigten wie charmanten Hellraisers Oliver Reed als ambivalenter, zwischen einem Bataille’schen exzessiven Transgressionsbestreben und zunehmender Transzendenz [84] schwankender Grandier: „Reed’s management of eye and glance encouraged audience sympathy, and made his dangerous energy seem poignant.“[85]

Daher lässt sich Russells durch „bold, startling images of eroticism, physical revulsion and violence, and a rapid 'kino-fist‘ editing style frequently incorporating […] shock effects“[86] konstituierende, tendenziell mit Gemälden verglichene [87] Inszenierung oftmals als ein emotional und intellektuell stimulierender sinnlicher Angriff [88] lesen. Ähnlich dem von Stiglegger angeführten Deleuze’schen, auf Cézanne angewandten Terminus der „Sensation“ [89] - einer „seduktive[n] Strategie der Malerei“[90] - oder auch dem gängigen, den artifiziellen Konstruktionscharakter des jeweiligen Werkes ebenfalls ausstellenden Schock-Impetus der Avantgarde oder des Baudelaire’schen Vertigo-Zustands des Lesers, dessen traumatische Shockwirkung wiederum nachdrücklich von Walter Benjamin prononciert worden ist [91], vollzieht jener eine direkte Attacke auf den Rezipienten. Der Zuschauer soll demnach eine dem immersiven Leseerlebnis der Huxley‘schen Vorlage nahekommende ähnlich überwältigende Reaktion erfahren.[92] So war es Russells Intention gewesen, einen Film zu machen, der den Zuschauer regelrecht in den Wahnsinn treiben sollte. [93] Gerade die Kombination aus mehreren vollendeten Schockmomenten und andererseits nicht bis ins absolute Extrem ausgespielten Handlungsakten löst eine noch größere paradoxe Faszination und Vereinnahmung des durch die von Justin Smith eigentlich in Bezug auf britische Kultfilme - etwa Robin Hardys The Wicker Man (GB 1973) - als „double articulation of excess and incongruity“[94] bezeichnete spezifische Disposition des Filmtextes in eine dialektische Rezeptionshaltung geworfenen Rezipienten aus.

2.2 Der hysterische Wahn als performativer Akt

Den analytischen Fokus dieses Kapitels verkörpert der zuvor angesprochene Aspekt des Performativen. Der ursprünglich der Theaterwissenschaft zugehörige, laut Erika Fischer-Lichte zugleich das kunstvolle Transzendieren von Grenzen [95] befürwortende Terminus lässt sich jedoch, wie schon mittels der Seduktionstheorie angedeutet, auch auf das Filmmedium transponieren: Signifikant sind dabei die ebenfalls in 2.1.2 erwähnten, eigentlich theatralen Elemente des Performativen, wie Bewegung, Körperlichkeit und Sensualität und ihre im Sinne des gleichermaßen bereits erläuterten Deleuze’schen Sensationsbegriffes fungierende schockartige Einwirkung auf den Zuschauer und sein Stanislawski’sches „affektive[s] Gedächtnis“ [96]. Eine besondere Stellung innerhalb der filmischen Struktur nehmen in dieser Hinsicht vornehmlich die eine spezifische Ausformung des physischen Exzesses und damit, wie auch die Kampfszenen in Kriegsfilmen, Grenzsituationen darstellenden Hysterieszenen ein. Jene können demnach auch als „performative Kadenz“ [97] - ursprünglich eine instrumentale Solodarbietung innerhalb eines Orchesterauftritts - gelesen werden: „Kadenzen sind somit von Kontrastmomenten geprägt, die die Aufmerksamkeit des Rezipienten unwillkürlich fesseln. Überträgt man den Begriff der Kadenz auf das Medium Film, erscheint gerade die Grenzsituation als geeigneter Moment…“ [98] Jack Fisher hat wiederum in Bezug auf Russells künstlerisches Schaffen den theatralischen Begriff der „grand tableaux“ [99] verwendet, denen dieselbe Funktion wie den Kadenzen zukommt. Demnach wird etwa eine Sequenz in den Mittelpunkt gestellt, „which by its arrangement, color, shape, makes some kind of comment on the surrounding action, and by its duration makes an important comment on the entire film.“ [100] Ebenso ließe sich der unter anderem von Thomas Elsaesser als latente Hysterie interpretierte melodramatische Exzess auf die erst durch die verschmähte Liebe einer sexuell repressiven Frau in Gang gesetzte Massenhysterie in The Devils übertragen. [101] Dies aufgreifend, wäre der Filmtext etwa nach Grant quasi „analogous to the physical body, the text’s excessive style its symptomatology“[102].

Im Folgenden werden die besagte Obsession der Schwester Jeanne und schließlich das Resultat der hysterischen Ekstase eines Individuums, nämlich die Ausweitung auf eine kollektiv sexuell-religiöse Hysterie in Form des obendrein strategisch kalkulierten Hexenwahns hinsichtlich ihrer performativen Qualität betrachtet. Unterstützt wird dieses Vorhaben zudem durch den genuinen Performanzcharakter der realhistorischen öffentlichen Exorzismen in Loudun, demzufolge die Stadt damals nach Gerard Loughlin zu einem „theatre of demons, a staged madness that Russell’s film can barely indicate, for all its extravagance and orgiastic embellishments“ [103] avanciert sei, wie auch dem der Huxley’schen Vorlage [104] und der sich neben dem medizinisch-psychologischen Metier (z.B. Charcots ebenfalls öffentliche Vorführung von Hysteriekranken im L‘Hôpital de la Salpêtrière) auf alle Bereiche - auch das Theater - erstreckenden Hysteriewelle des Fin de Siècle. Letztere spiegelt als bewusst erzeugtes artifizielles Konstrukt und zugleich Manifestation einer Form von „gendered sexual excess“ [105] nicht nur zeitgenössische soziokulturelle Ängste wider [106], sondern zeugt gerade im Hinblick auf den seinerzeit eintretenden Paradigmenwechsel hinsichtlich der Geschlechter- und Körperbilder, vor allem des weiblichen Körpers aufgrund der regelrechten Konzeptualisierung der hysterischen Physis als einer sexuell divergenten [107], von Relevanz. So führt auch Michel Foucault in Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1 (1976) zu Beginn neben dem Bordell die Klinik mit der hysterischen Patientin und ihrem Psychiater als das sexuelle Tabu brechende „Stätten der Toleranz“ [108] inmitten einer ansonsten auf regulierende Normierung bedachten repressiven viktorianischen Gesellschaft an. [109]

2.2.1 „This madness, this laughter“ [110]: Die fatale Obsession der Sister Jeanne

„But pain is sensuality. And in its vortex spin images of horror and lust.” - Urbain Grandier [111]

Schwester Jeannes von einer verzerrten subjektiven Perzeption und von einer als rein kompensatorisch zu klassifizierenden sadomasochistischen Thanatos-Versessenheit beseelter einseitiger amour fou schöpft seine seduktive Kompetenz vollends aus: Obgleich dieser nicht im physischen Tod mündet, sondern bei einem gescheiterten Suizidversuch in Judas-Manier [112] durch Erhängen verbleibt, zentriert sich ihre Figur geradezu pedantisch um den in 2.1.2 angesprochenen, als seduktives Modell proklamierten „Komplex Liebe, Wollust, Begehren, Schmerz und Tod“[113].

Die besagte lediglich als Kompensation für ihre sexuelle Repression dienende Hysterie entspricht in diesem Fall dem klassisch konnotierten vorfreudianischen Hysterieverständnis [114] der seit der Antike verbreiteten diffusen Vorstellung eines durch einen „wandering womb“ [115] definierten und - wie zuvor erwähnt - folglich zunächst als primär weiblich wahrgenommenen nicht-normativen Verhaltens, das sich noch im 19. Jahrhundert einer eindeutigen Lesart entzogen hat: „It became shorthand for the irrational, the will-less, the uncontrollable, the convulsive, the erratic, the ecstatic, the female, the criminal […] It was a synonym for everything that seemed excessive, or extreme, or incomprehensible“ [116]. Eben jener sich bis aufs Äußerste entfaltende Zustand wird weiterhin gerade durch den von der Außenwelt isolierten hermetischen Mikrokosmos des Klosters begünstigt, wie etwa auch zwei weitere Beispiele des Nonnenfilms bestätigen: Zum einen der ebenfalls in sexueller Hysterie kulminierende einseitige amour fou von Schwester Ruth (Kathleen Byron) in Powell und Pressburgers Nonnenmelodram Black Narcissus (Die schwarze Narzisse, GB 1947) sowie die vermeintliche dämonische Besessenheit in dem sich auch auf den Vorfall in Loudun beziehenden Mother Joan of the Angels (Mutter Johanna von den Engeln, R: Jerzy Kawalerowicz, PL 1961).

Bemerkenswerterweise wird sogleich bei ihrer narrativen Einführung auf die inhärente hysterische Veranlagung der Klosterbewohnerinnen angespielt: Der bloße Anblick des die Prozession anführenden, augenscheinlich eine überaus stattlich-virile Ausstrahlung ausübenden und ergo zum den Male Gaze [117] unterminierenden Objekt der weiblichen Begierde mutierenden Grandier versetzt die Nonnen in hektische Aufruhr. Von zwei Schwestern eingerahmt, wird die durch einen grotesken Buckel deformierte Schwester Jeanne, zugleich Mutter Oberin des Ursulinenkonvents, vorgestellt. Mit geneigtem Kopf wird sie vor kargen weißen Klostermauern platziert, auf denen dunkle, vom Gitterfenster ausgehende Schatten fallen. Dabei warnt Jeanne mit einem hysterisch-nervösen Lachen vor der allgegenwärtigen unwiderstehlichen diabolischen Verführung der Sinne. [118] Sie, die ewige Gefangene ihres schmerzvollen Begehrens wie auch ihrer physischen Deformation, erblickt Grandier zunächst aus einer Untersicht durch die Gitterstäbe; einer weiteren, die Funktion einer „tormented visualization“[119] ihres persönlichen Gefängnisses annehmenden inneren Kadrierung. „The mere confinement of mass in congested space creates an understanding of the annihilating pressures of her sexual drive“[120], insistiert auch Fisher. Sie ist ihm, wie der von disharmonischen Klängen und einem leichten Stöhnen begleitete ergriffene Reaction Shot ihres Gesichts suggeriert, sofort gänzlich verfallen. Seine aus ihrer Perspektive überhöhte Position versinnbildlicht sodann auch auf nur allzu explizite Weise ihre gleichfalls Reminiszenzen an Nina (Glenda Jackson) in The Music Lovers (Tschaikowskij – Genie und Wahnsinn, GB 1970) wachrufende Obsession und sich unwiderruflich bis zur wortwörtlichen Apotheose steigernde Idealisierung sowie haltlose Fetischisierung seiner Person.

In ihren zwei Imaginationen, zweifellos einer eindeutigen Projektionsfläche ihres unerfüllten Begehrens, wird Grandier zur von mythisch-überhöht anmutenden Nebelschwaden umhüllten, fast schwerelos über das Wasser schreitenden oder dem Martyrium durch Kreuzigung widerstehenden Christus-Figur erhoben. Sie selbst verwandelt sich indes in eine (temporär) physisch-unversehrte, gar mit einem heteronormativen Schönheitsbild korrelierende Frau mit wallender Haarpracht (bzw. in Maria Magdalena [121]). Vor allem der zweite erotische Wunschtraum erweist sich hierbei als eine definitive Huldigung von Thanatos und der charakteristischen Symbiose von Schmerz und Lust: Während eines Rosenkranzgebetes - passenderweise dem die physischen und seelischen Leiden von Christus lamentierenden The Mysteries of the Crucifixion [122] - werden in Sepia gehaltene Einschübe ihrer subjektiven Wunschvorstellungen à la Cecil B. De Mille [123] zwischengeschnitten. Zuerst erfolgt eine kurze fragmentarische Kreuzigungsszene von Christus, der im weiteren Verlauf einer Metamorphose zu Grandier unterzogen wird. Sein stigmatisierter Körper scheint sogleich für Jeanne eine ausgesprochen virile, erotische Potenz auszustrahlen. Sich plötzlich vom Kreuz lösend, geht er auf sie zu und küsst sie leidenschaftlich. Kurze Zeit später leckt sie innig seine Wunden. Zwischendurch wird Jeanne immer wieder mit der desolaten, enthaltsamen Realität der religiösen Andacht innerhalb der apollinischen weißen Klostermauern konfrontiert. In diesen Momenten zeigt sich die Nonne voller Scham und flüchtet sich in eine gnadenlos rigide Selbstkasteiung: So wird der ebenfalls ein Substitut darstellende Rosenkranz schließlich zur Waffe, mit der sie ihre spastisch-psychosomatisch zusammengepressten Hände durchbohrt bis diese vollkommen blutüberströmt sind. Hals über Kopf rennt Jeanne sodann aus der Andacht und hinterlässt Konfusion seitens ihrer geistlichen Schwestern.

Ein weiterer Ausdruck ihrer Selbstzüchtigung ist die parallel zu Grandiers eigens vollzogener Hochzeit gezeigte, von einer voyeuristischen Ordensschwester beobachtete kurze Szene, in der ihr schweißverzerrtes Gesicht und eine Detailaufnahme ihrer, einen Totenkopf umrankenden religiösen Folterutensilen (u.a. Geißel, Dornenkrone, Nägel, Stachelrosenkranz) präsentiert werden. Dank des auf reine Selbstdestruktion und daher irdische Vergänglichkeit abzielenden Impetus gleichen sie zudem fast einem morbid-grotesken Vanitas-Stillleben.


2.2.2 „Devil in Disguise“? - Die Inszenierung des hysterischen Hexenwahns

„Who embraced thee with awful embraces, Our Lady of Pain?” - Algernon Charles Swinburne [124]

Aus Sister Jeannes sexueller Hysterie erwächst eine, von kirchlichen und staatlichen Vertretern, allen voran Kardinal Richelieu, seiner linken Hand, dem perfiden Baron De Laubardemont (Dudley Sutton), Mignon (Murray Melvin) und Philippes Vater, Monsieur Trincant (John Woodvine), in ihrer Genese mit konspirativem Kalkül instrumentalisierte und daher gezielt künstlich initiierte Hysteriewelle eines ekstatischen Hexenwahns, der recht schnell auf das gesamte Ursulinenkloster übergreift. Generell lassen sich Hexenverfolgungen nach Gary F. Jensen als „episodic, crazelike episodes, involving contentious conflict carried out within an institutional framework” [125] bezeichnen. Hinzu gesellt sich hierbei seiner Auffassung nach der folgende Umstand: „A thorough understanding of witch hunts requires that numerous boundaries be crossed for the simple reason that the phenomenon does not fall clearly in any single sociological specialty”[126]. Das diegetische, durch einen andauernden „dramatic conflict of wills“[127] determinierte institutionelle Netzwerk in The Devils beschränkt sich jedoch hingegen ausdrücklich auf die traditionellen Machtträger der Aristokratie und der Kirche:

Here a pattern begins to emerge in the structure of power as portrayed on the screen, progressing from the broad-based power of the King and Richelieu to the more intimate power of Grandier to the enclosed power of Sister Jeanne. […] Both types of power come from a similar source - an environment that shuts out reality...[128]

Der die angestrebte Fusion von Kirche und Staat blockierende, beharrlich non-konforme Ersatzgouverneur der noch aufgrund seiner aufrechten Stadtmauern unabhängigen und dringend zu annektierenden Stadt Loudun, Urbain Grandier, seines Zeichens ein ausgewiesener „free spirit against the state“[129], wird nun in der zweiten Hälfte des Films mittels der in der markanten Verschwörungssequenz, die mit einer in Untersicht gehaltenen Einstellung der zusammengeneigten Köpfe und bedeutsamen Mienen der Konspiratoren endet, ersonnenen politischen Intrige zum alleinigen Sündenbock ernannt. Sein Niedergang erfolgt dabei durch eine minutiös vollzogene und sorgfältig inszenierte qualvolle Denunziation und Destruktion seiner Reputation sowie seiner zunächst als ungemein narzisstisch (z.B. seine sich auf einen goldenen Kamm fixierende, abweisende Reaktion nach Philippes Eingeständnis [130]) und stolz charakterisierten Person. Dies wird zudem auch durch die von einer elegischen Trauerrede in eine passionierte politische Widerstandserklärung umschlagende Einführung seiner Figur nahegelegt. Grandiers weltmännische Gewandtheit sowie sein aufrührerisches Potential werden bei der zudem an einen venezianischen Karneval [131] erinnernden Beerdigung des vorherigen Gouverneurs, dessen von in Trauertücher gehüllten Skeletten umrahmter Sarg im Bildzentrum aufgebahrt ist, auch durch eine zeitweilige Untersicht auf den in einem pathetisch-theatralischen Tenor von hartnäckiger Unnachgiebigkeit predigenden Priester [132] und einige, für den gesamten Film typische kreisende Kameraschwenks herausgestrichen.

Ab dem Moment seiner öffentlichen Anklage kollidieren prompt die beiden signifikantesten Themenkomplexe miteinander: einerseits die „transcendence of limitatons as personified by the case of Urbain Grandier“[133] sowie der pervertierte, lediglich als Deckmantel für einen klassischen politischen Machtkampf fungierende Religionsmissbrauch. Jener schließt auch die rigorose Vertreibung der Protestanten mit ein, deren sichtbare Spuren in Gestalt eines unheilvollen Leichenmeeres von verwesenden wie auch bereits von Maden zersetzten Skeletten auf blutroten Wagenrädern sich bereits auf das ganze Land erstrecken. Seine makabre Natur wiederum findet ihren grotesken Höhepunkt in der Bye Bye Blackbird-Sequenz [134]: Der gelangweilte Monarch schießt hier spielerisch in Anwesenheit seines machiavellischen roten Schattens Kardinal Richelieu, der dank seiner schmuckvollen berüschten Kleiderpracht und skurrilen Vorliebe für den Transport in einem mobilen Stehstuhl ebenso effeminiert erscheint wie sein androgyner Herrscher, auf als schwarze Vogelmänner verkleidete und zumindest temporär über eine groteske Physis verfügende Protestanten.

Im Folgenden wird die extradiegetische sowie diegetische Ebene der Inszenierung des Hexenwahns untersucht. Seinen unterschiedliche Stadien wohnt ein ausgesprochen theatralischer Performanzcharakter im Grand Guignol-Stil [135] inne: Ausgehend von Jeannes Exorzismus und ihrer Denunziation Grandiers über die Massenhysterie der Nonnen bis zur schlichtweg zur Farce verkommenen Gerichtsverhandlung mit einem Ku-Klux-Klan-artigen Tribunal und der grausamen Folter sowie letztlich der einer zeitgleich stattfindenden grotesken Danse Macabre-Aufführung eines Hölleneintritts der Sünder gegenübergestellten, zum öffentlichen Spektakel avancierenden Verbrennung als häretischer Hexer und unbeugsamer Märtyrer auf dem Scheiterhaufen wird jener konsequent aufrechterhalten. Dabei vermag das Finale gemäß Church Gibson und Hill als zynische Krönung [136] gesehen werden: „[…] Grandier climbs a hill to the stake in a deliberate parody of Christ’s journey to the crucifixion. As he burns in agony a near-orgy takes place among the more affluent members of the audience.”[137]

Wie in dem wegweisenden Begründer der zeitgenössischen filmischen Inquisitionstendenz [138], Michael Reeves‘ ebenfalls auf eine historische Begebenheit zurückgehenden Witchfinder General (Der Hexenjäger, GB 1968) mit Horrorikone Vincent Price als der eine Hexenverfolgung während des englischen Bürgerkrieges (1642-1651) auslösende Matthew Hopkins, zeigt sich hierbei anhand der mit den sardonischen Worten Laubardemonts „Hell will held no surprises for you“[139] und der Zerstörung seines Hauses angekündigten drastischen Folter Grandiers (u.a. gebrochene Beine und Erniedrigung durch Kahlrasur samt Augenbrauen) der „Körper-Horror“[140] in Form des malträtierten maskulinen Körpers statt der sonst üblichen Konzentration auf die weibliche Physis. Ken Hanke betont gerade die höchst theatralische und somit nachdrückliche Aussagekraft der auf den verwundeten Grandier fokussierten Schlussszenen:

[…] the theatricality of these final scenes is brilliantly achieved, so much so in fact that the combination of song and barbering prior to Grandier’s sentencing (another theatrical event) places Grandier in the position of being an actor being made up for a performance. Viewing the film with this in mind one can see that the sentencing is not only theatrical in itself, but becomes the outline for the remainder of the performance expected of Grandier. It is here that Russell turns the theatrical nature of the situation to his own end, establishing Grandier as a heroic and transcendent figure simply because he does not deliver that expected performance; i.e., he does not go to his death a ,penitant man’.[141]

Das an Grandier statuierte Exempel nimmt seinen verhängnisvollen Verlauf unmittelbar nach seiner, in einer parodistischen theatralischen Darbietung von den Nonnen nachgespielten Hochzeit und der Ablehnung des von Jeanne gestellten Gesuches um seine Annahme der Position als neuer Beichtvater des Ursulinenklosters mit der Anklage triebhafter Unzucht [142] und das Schließen eines satanischen Paktes seitens der ihrer Ansicht nach verschmähten Nonne, deren in Hass umgeschlagene Liebe nun auf die Schmerzbereitung anderer ausgeweitet worden zu sein scheint. Nachdem die eifersüchtige Schwester Grandiers jetzige Ehefrau Madeleine (Gemma Jones), und Verantwortliche für seinen moralischen wie spirituellen Sinneswandel, mit verbalen Beschimpfungen [143] wie auch Beiß- und Spuckattacken gedemütigt hat, wird die Peinigerin während des grotesken ersten Verhörs mit anschließendem Exorzismus selbst zur Gepeinigten degradiert.

Der als fanatisch-beflissener Hexenjäger - wie auch seiner Außendarstellung nach kundiger Exorzist - agierende Father Barré (Michael Gothard) vollführt an dieser Stelle seinen ersten Bühnenauftritt. Sein äußeres Erscheinungsbild eines militanten 1968er-Revoluzzers mit John Lennon-Brillengläsern [144] vermag dabei als ironischer zeitgenössischer Kommentar gelten. Zur selben Zeit unterstreicht es in Kombination mit seinem ohne nach einer erkennbaren rationalen Methode verlaufenden ekstatischen Gebären seine grotesk lächerliche und dennoch zugleich ob seiner Unberechenbarkeit furchtsame Ausstrahlung. Als Freund einer die jeweilige Situation benebelnden Beweihräucherung der Anwesenden und anderer, eine Ablenkung bezweckenden theatralischen Requisiten und plakativen Inszenierungsstrategien und durchaus der extremeren Methoden [145], wie etwa Jeannes mittels einem mit heißem Wasser gefüllten Metalldildo forcierter Exorzismus oder die durch Androhung ewiger Verdammnis erzwungenen Zeugenaussagen gegen Grandier bezeugen, ist Barré letztendlich der Abhilfe schaffende Katalysator der ausbrechenden Hysteriewelle der Nonnen [146]. So stachelt er die der Ketzerei und des Verrats bezichtigten Schwestern mit den reißerischen Worten „You are tainted! The Devil is in your flesh! […] You will scream […] You will blaspheme […] You will no longer be responsible for your actions” [147] gar wie ein Marktschreier [148] zur entgrenzten Hysterie an. Es entsteht folglich ein Szenario von rasender Ekstase: Meist unbekleidete, enthemmte Nonnen [149] laufen erregt durch den kirchlichen Raum und geben sich im Beisein maskierter Schaulustiger allerlei polyvalenten sexuellen Ausschweifungen hin, denen nicht einmal die durch den inkognito anwesenden König getätigte Enttarnung der „Teufelsbesessenheit“ als scheinheilige Maskerade ein definitives Ende zu setzen vermag.

Hierbei gelingt es Russell durch diverse Distanzgrade artikulierende Einstellungsgrößen (Totalen, Halbnah- und Nahaufnahmen) und die äußerst mobile Kameraführung von David Watkins ein rein masochistisches Begehren ohne jegliche Form von erotischer Sinnlichkeit zu visualisieren. Ursprünglich sollte jenes in der experimenteller gearteten, bislang nicht in der offiziellen Schnittfassung enthaltenen The Rape of Christ-Sequenz sein halluzinatorisches Klimax finden [150]. Jene besagten Grenzsituationen und Kadenzen werden mit vergleichsweise ruhigen, nahezu idyllischen Szenen (z.B. Grandier mit seiner Frau oder in der Natur) konterkariert. Jene sollen einerseits sein erneutes spirituelles Erwachen visuell pointieren. Darüber hinaus drücken sie mit einem dem generellen Tenor getreuen ironischen Augenzwinkern die unüberbrückbare Diskrepanz zwischen seiner Gesinnung und den zur Farce verkommenen Exorzismen sowie dementsprechend der manichäistischen Dualität zwischen dem Sakralen und dem Profanen [151] aus.

3 Konklusion

Resümierend lässt sich verzeichnen, dass die vorangegangene Analyse zu Ken Russells Unikat The Devils, zugleich nach Eigenaussage Russells die endgültige Besiegelung seines Glaubensverlustes [152], durch ihre besondere Konzentration auf die Körperlichkeit den über seine unmittelbare Wirkung in Form des physischen Exzesses hinausgehenden, sich auf die gesamte, nicht minder exzessive Inszenierung wie auch Rezeptionshaltung des Zuschauers ausweitenden Aspekt des Grotesken aufgezeigt hat.

Der durch eine inhärente Paradoxie (etwa das Erzeugen von Lachen und Furcht bzw. Lust und Ekel) charakterisierte Begriff des Grotesken artikuliert sich auf diegetischer Ebene durch die sodann erläuterten, stets auch die Physis der Figuren beeinflussenden Faktoren: Zum einen die prävalente Atmosphäre des Todes, das eklektische Set-Design Derek Jarmans und die daraus resultierenden grotesken Szenerien, die dramaturgische Anordnung der Szenen, wie etwa die in 2.2.2 angeführte, die jeweiligen divergierenden Intentionen und Machtsphären der Hauptfiguren kontrastierenden Parallelmontagen (z.B. zunächst der Königshof, anschließend Grandier in Loudun und schließlich Mutter Oberin Jeanne), sowie den durchweg zentralen schwarzhumorigen Tenor. Auf extradiegetischer Ebene manifestiert er sich schließlich durch die Seduktion des Zuschauers, dessen Sinne durch die dezidierte Evokation der besagten gegensätzlichen Empfindungen Lust und Ekel mittels des visuellen Exzesses getreu dem Baudelaire’schen Vertigo und der Deleuze’schen Sensation auf geradezu schockartige Weise überwältigt werden.

Im zweiten Teil der Analyse wurde die eigentlich als eine spezifische Ausformung des physischen Exzesses fungierende Hysterie zunächst in Gestalt von Jeannes obsessivem Liebeswahn wie auch des daraus entspringenden, manipulativ durch die die staatliche wie geistliche Autorität repräsentierenden Verschwörer (etwa Richelieus Henkersmeister Laubardemont und der frenetische Barré) gelenkten - gar inszenierten - kollektiven hysterischen Hexenwahns näher auf ihre performative Theatralität untersucht. Die Hysterieszenen wurden dabei als Kadenzen interpretiert, die ähnlich den Schlachtfeld-Momenten des Kriegsfilms wiederum spezifische Grenzsituationen innerhalb eines generellen Ausnahmezustandes darstellen.

Aufgrund des begrenzten Rahmens der Analyse war es jedoch leider nur bedingt möglich, eine Kontextualisierung des wenngleich einen Sonderstatus innehabenden Werkes sowohl innerhalb des Nonnen- als auch des Inquisitionsfilms vorzunehmen. Somit wäre es interessant gewesen, gründlicher auf etwaige thematische wie formalästhetische Parallelen zu den kurz erwähnten Filmen Black Narcissus, Mother Joan of the Angels, der von Vincent Price dargestellten Figur des Hexenjägers in Witchfinder General sowie seiner Rolle des Magistraten Lord Edward Whitman in Cry of the Banshee und auch anderen, zum Beispiel Flavia, la monaca musulmana (Castigata - Die Gezüchtigte, R: Gianfranco Mingozzi, I/F 1974) oder Christopher Lees gnadenlosen Richter in Jess Francos Il trono di fuoco (Der Hexentöter von Blackmoor, I/ES/WD 1970), einzugehen. Ebenso aufschlussreich erscheint zudem eine genauere Berücksichtigung der Reed’schen Rollenbiographie aufgrund seines äußerst markanten Schauspielstils, der stets physisbetonten Verkörperung ambivalenter, mitunter brüchiger Figuren, einsetzend mit früheren Rollen wie etwa in Joseph Loseys (These Are) the Damned (Sie sind verdammt, GB 1963) und Michael Winners The System (GB 1964) über Russells D.H. Lawrence-Adaptation Women in Love (Liebende Frauen, GB 1969) und The Devils bis zu der animalischen Verkörperung des getriebenen, auf Rache sinnenden und letztlich nur schmerzlich selbst betrogenen Harry Lomart in Douglas Hickoxs Sitting Target (Blutroter Morgen, GB/USA 1972) oder des durchtriebenen Butlers in Andrew Sinclairs Blue Blood (Der Lord, der ein Diener sein wollte, GB/CN 1974), und seiner geradezu überlebensgroßen Leinwandpräsenz, die nicht nur die anderen Figuren, sondern auch den Zuschauer bisweilen zu übermannen imstande ist.

Abschließend sei noch anzumerken, dass die ausgestellte Theatralität des Films als eine Konstante innerhalb des Russell’schen Œuvre betrachtet zu werden vermag: Diesbezügliche Beispiele reichen etwa von seiner BBC-Dokumentation über die Tänzerin Isadora Duncan, der einem Tanz gleichenden, mittlerweile ikonischen Nude Wrestling-Szene in Women in Love über die eigenwilligen Komponisten-Porträts Mahler (GB 1974), Lisztomania (GB 1975) mit Roger Daltrey wie auch die Rockoper Tommy (GB 1975), den eine ähnliche Hysterieszene der obsessiven Huldigung enthaltenen Valentino (GB/USA 1977) bis zu dem auf Oscar Wilde rekurrierenden Salome’s Last Dance (Salomes letzter Tanz, GB/USA 1988).

 

Endnoten

[1] Vgl. Grant 2009, S.31.
[2] Vgl. Flanagan 2009, xiii.
[3] Vgl. Fisher 1976, S. 39.
[4] Ebd.
[5] Ebd.
[6] Vgl. Stiglegger 2010 (Internetquelle).
[7] Sergei Prokofjews Oper Der feurige Engel (Erstaufführung 1955) mag ebenfalls als ein
künstlerischer Einfluss gelten, siehe Lanza 2007, S. 120. Dasselbe gilt für die Loudun-Passage
in Jules Michelets La Sorcière (1862). Des Weiteren adaptierte Krzysztof Penderecki den
Vorfall für die Oper (Uraufführung 1969 in Hamburg).
[8] Vgl. Harper und Smith 2012, S. 180.
[9] Church Gibson und Hill 2009, S. 333.
[10] Den Analysegegenstand bildet die BFI-Version (2012) des Films.
[11] Vgl. Edwards und Graulund 2013, S. 4.
[12] Meteling 2006, S. 40.
[13] Vgl. Scholl 2004, S. 15.
[14] Vgl. Chao 2010, S. 1.
[15] Vgl. ebd., S. 8.
[16] Vgl. ebd., S. 5 und 12.
[17] Vgl. Edwards und Graulund 2013, S. 65.
[18] Vgl. Chao 2010, S. 14.
[19] Ebd.
[20] Ebd.
[21] Vgl. ebd., S. 12.
[22] Ebd., S. 14.
[23] Vgl. Edwards und Graulund 2013, S. 6.
[24] Vgl. Chao 2010, S. 8.
[25] Vgl. Edwards und Graulund 2013, S. 2.
[26] Praz 1970, S. 38.
[27] Vgl. ebd., S. 27.
[28] Shelley 2002, S. 409.
[29] Vgl. Edwards und Graulund 2013, S. 25.
[30] Ruskin 1998, S. 210.
[31] Zentrale Werke reichen etwa von William Beckfords Vathek (1786), Matthew Gregory Lewis‘
The Monk (1796), ), E.T.A. Hoffmanns Der Sandmann (1816), Frankensteins Kreatur (1818)
über Vertreter der American Grotesque wie Charles Brockden Browns Wieland or the
Transformation (1798) bis zu Dorian Grays defomiertem Porträt (1891).
[32] Vgl. Chao 2010, S. 1.
[33] Vgl. ebd., S. 112.
[34] Vgl. ebd., S. 1 f.
[35] Ebd., S. 112.
[36] Ebd.
[37] Hauck 1994, S. 66.
[38] Chao 2010, S. 12.
[39] Vgl. ebd., S. 112.
[40] Ebd.
[41] Ebd., S. 110.
[42] Blake 1994, S. 198. Aus The Marriage of Heaven and Hell (1790-93).
[43] Edwards und Graulund 2013, S. 66.
[44] Grant 2009, S. 32.
[45] Ebd., S. 31.
[46] Fisher 1976, S. 42.
[47] Grant 2009, S. 31.
[48] Vgl. Ede 2012, S. 58 und Ashby 2012, S. 16. Ashby verweist dort auch auf den dem Set-
Design überdies zugesprochenen Status eines potentiellen postmodernen Vorläufers.
[49] Ashby 2012, S. 16
[50] Vgl. ebd.
[51] Vgl. Harper und Smith 2012, S. 180.
[52] Ebd.
[53] Fisher 1976, S. 57 f.
[54] Dempsey zit. nach Grant 2009, S. 24.
[55] Lanza 2007, S. 104.
[56] Vgl. Church Gibson und Hill 2009, S. 339.
[57] Vgl. ebd., S. 333.
[58] Vgl. ebd.
[59] Vgl. „I pray that I may assist you in the birth of a new France, where Church
and State are one“ (0:03:52) - (0:04:01).
[60] Lanza 2007, S. 103.
[61] Ebd., S. 105 f.
[62] Vgl. Hanke 1984, S. 127.
[63] Vgl. Grant 2009, S. 26.
[64] Vgl. (0:16:49) - (0:18:00). Diese umfassen etwa sowohl Insekten als auch ein
Krokodil. Auf Dialogebene werden indes weitere groteske Heilmethoden ironisch thematisiert.
[65] Hanke 1984, S. 127.
[66] Wilde 2007, S. 571.
[67] Blake 1994, S. 196.
[68] (00:13:51)-(00:15:15)
[69] Vgl. „Hold my hand. Like touching the dead, isn’t it?” (0:15:51) - (0:15:56).
[70] Vgl. „Power, politics, riches, women, pride, ambition […] My intention is
different. You see, I need to turn them against myself” (0:21:45) - (0:22:04).
[71] Hanke 1984, S. 126.
[72] Ebd., S. 125 f.
[73] Vgl. Stiglegger 2006, S. 33.
[74] Vgl. ebd., S. 9.
[75] Ebd., S. 33.
[76] Vgl. ebd., S. 9.
[77] Fisher 1976, S. 46.
[78] Vgl. Kermode 2012, S. 3.
[79] Hanke 1984, S. 149.
[80] Dies geschieht somit trotz des Fehlens der als dramaturgischen Höhepunkt implizierten The
Rape of Christ-Sequenz, siehe Lanza 2007, S. 120.
[81] Stiglegger 2006, S. 94.
[82] Vgl. ebd.
[83] Vgl. ebd., S. 82.
[84] Vgl. Hanke 1984, S. 128.
[85] Harper und Smith 2012, S. 187.
[86] Grant 2009, S. 24.
[87] Vgl. Fisher 1976, S. 46.
[88] Vgl. ebd.
[89] Stiglegger 2006, S. 85.
[90] Ebd.
[91] Vgl. Benjamin 2003, S. 319 ff.
[92] Vgl. Kermode 2012, S. 3.
[93] Vgl. ebd.
[94] Smith 2010, S. 109.
[95] Vgl. Stiglegger 2013, S. 146.
[96] Ebd., S. 149.
[97] Ebd.
[98] Ebd.
[99] Fisher 1976, S. 50.
[100] Ebd., S. 50 f.
[101] Vgl. Grant 2009, S. 31.
[102] Ebd.
[103] Loughlin 2004, S. 136.
[104] Vgl. Lanza 2007, S. 105.
[105] Stephens 2008, 202.
[106] Vgl. ebd., S. 201 f.
[107] Vgl. ebd.
[108] Foucault 2012, S. 12.
[109] Vgl. ebd.
[110] Dem Song Pleasure and Pain von The Chameleons (1983) entnommen.
[111] (1:01:28) - (1:01:38)
[112 ] Vgl. Hanke 1984, S. 141.
[113] Stiglegger 2006, S. 82.
[114] Freud leistete durch die Einführung des Terminus der psychosomatisch
bedingten „Konversionshysterie“ einen wichtigen Beitrag zum
Hysteriediskurs. Mittlerweile vermag der Hysteriebegriff jedoch als obsolet
betrachtet werden. Stattdessen wird eher die Bezeichnung der „dissoziativen
Störung“ oder der „histrionischen Persönlichkeitsstörung“ präferiert.
[115] Stephens 2008, S. 201.
[116] Micale 2004, S. 89.
[117] Vgl. Elsaesser und Hagener 2007, S. 120 f.
[118] Vgl. „Satan is ever-ready to seduce us with sensual delights“ (00:08:57) – (00:09:02).
[119] Fisher 1976, S. 58.
[120] Ebd.
[121] Vgl. Hanke 1984, S. 130 f.
[122] Vgl. Lanza 2007, S. 111.
[123] Vgl. Hanke 1984, S. 131.
[124] Swinburne 1925, S. 297. Aus dem Gedicht Dolores (Notre-Dame Des Sept Douleurs) (1866).
[125] Jensen 2007, S. 25.
[126] Ebd.
[127] Hanke 1984, S. 133.
[128] Ebd., S. 123 f.
[129] Lanza 2007, S. 108.
[130] Vgl. „But what is it now? Hmm? An egg. A thing of loneliness, weariness, sickness”
(0:15:21) - (0:15:31).
[131] Vgl. Church Gibson und Hill 2009, S. 339.
[132] Vgl. (0:06:23) - (0:07:00)
[133] Hanke 1984 , S. 119.
[134] (0:39:00) - (0:41:29)
[135] Das Grand Guignol-Theater war für seine explizitere Darstellung von
Gewaltakten bekannt. Ferner war dieser markante Inszenierungsstil zur
damaligen Zeit auch häufiger im Horrorgenre anzutreffen, siehe beispielsweise
Chibnall 2002, S. 162.
[136] Grandier wird in Gegenwart der schadenfrohen Trincants und seines
neugeborenen Kindes verbrannt. Sein Tod wird zudem mit den an das Kind
gerichteten sarkastischen Worten „Lucky bastard. It’s not every day baby
sees Daddy burned to death“ (1:38:46)-(1:38:52) kommentiert.
[137] Church Gibson und Hill 2009, S. 339.
[138] Zur selben Zeit herrschte eine der gegenkulturellen Faszination für Aleister
Crowley entsprungene besondere Affinität für das Okkulte vor. Britische
Beispiele wären etwa Night of the Demon (R: Jacques Tourneur, GB 1957),
der an H.P. Lovecraft angelehnte Curse of the Crimson Altar (R: Vernon
Sewell, GB 1968), Cry of the Banshee (R: Gordon Hessler, GB 1970), The
Blood on Satan’s Claw (R: Piers Haggard, GB 1971) oder To the Devil a
Daughter (R: Peter Sykes, GB/WD 1976).
[139] (1:22:02) - (1:22:05). In diesem Moment wird Laubardemont in einem von
dichten Rauchschwaden umgebenden Rahmen eines zerstörten Fensters
positioniert. Kurz vorher wurden seine - zweifellos die eigene sadistische
Neigung wie auch die momentane Dominanz unterstreichenden - mit Sporen
versehenen Stiefel gezeigt.
[140] Stiglegger 2010 (Internetquelle).
[141] Hanke 1984, S. 145.
[142] Vgl. „He plies me with caresses, lustful, obscene. He enters my bed at
night…” (0:49:56) - (0:50:00).
[143] Vgl. „Fornicator! Fornicator, sacrilegious bitch, seducer of priests” (0:48:02)
- (0:48:08).
[144] Vgl. Hanke 1984, S. 137.
[145] Vgl. „[…] it must be extreme measures […] The fiend must be forced from
you” (0:56:33) - (0:56:39).
[146] Hinsichtlich des realhistorischen Vorfalls werden mittlerweile spezifische,
im Brot aufkeimende Pilze für das ekstatische Gebären der Nonnen
verantwortlich gemacht, siehe Kermode 2012, S. 2.
[147] (1:03:45) - (1:04:11)
[148] Vgl. Hanke 1984, S. 148.
[149] Ihre Vertreterinnen mit Kahlrasur erinnern zudem auch an die Charles
Manson-Jüngerinnen während des Tate/La Bianca-Verfahrens, siehe Lanza 2007, S. 116.
[150] Vgl. ebd., S. 120.
[151] Vgl. ebd., S. 125.
[152] Vgl. ebd., S. 126.

4 Literaturverzeichnis

Primärquelle

The Devils (Die Teufel, GB 1971), R: Ken Russell. DVD: BFI, GB 2012.

Sekundärliteratur
Literatur zum Grotesken, zum Exzess und zur Hysterie

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Chameleons, The (1983): Pleasure and Pain. Aus dem Album: Script of the Bridge.

Chao, Shun-Liang (2010): Rethinking the Concept of the Grotesque: Crashaw, Baudelaire,
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Foucault, Michel (2012, 19. Aufl.): Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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Filmwissenschaftliche Literatur

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Meteling, Arno (2006): Monster: Zu Körperlichkeit und Medialität im modernen Horrorfilm. Bielefeld: Transcript Verlag.

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Stiglegger, Marcus (2010): Inquisition.
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Stiglegger, Marcus (2006): Ritual & Verführung. Schaulust, Spektakel & Sinnlichkeit im Film. Berlin: Bertz + Fischer Verlag.

 

Filmverzeichnis

A Clockwork Orange (Uhrwerk Orange, GB/USA 1971), Regie: Stanley Kubrick.
Black Narcissus (Die schwarze Narzisse, GB 1946), Regie: Powell und Pressburger.
Blue Blood (Der Lord, der ein Diener sein wollte, UK/CN 1974), Regie: Andrew Sinclair.
Cry of the Banshee (Der Todesschrei der Hexen, GB 1970), Regie: Gordon Hessler.
Curse of the Crimson Altar (Schwarze Messe auf blutrotem Altar/Die Hexe des Grafen Dracula, GB 1968), Regie: Vernon Sewell.
Flavia, la monaca musulmana (Castigata - Die Gezüchtigte/ Flavia - Leidensweg einer Nonne, I/F 1974), Regie: Gianfranco Mingozzi.
Get Carter (Jack rechnet ab, GB 1971), Regie: Mike Hodges.
Gothic (GB 1986), Regie: Ken Russell.
Il trono di fuoco (Der Hexentöter von Blackmoor, I/ES/WD 1970), Regie: Jess Franco.
Isadora Duncan, the Biggest Dancer in the World (GB 1966), Regie: Ken Russell.
La passion de Jeanne D’Arc (Die Passion der Jungfrau von Orléans, D 1928), Regie: Carl Theodor Dreyer.
Lisztomania (GB 1975), Regie: Ken Russell.
Mahler (GB 1974), Regie: Ken Russell.
Marat/Sade (Die Verfolgung und Ermordung Jean-Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter der Anleitung des Herrn de Sade, GB 1967), Regie: Peter Brook.
Metropolis (D 1925/26), Regie: Fritz Lang.
Mother Joan of the Angels (Mutter Johanna von den Engeln, PL 1961), Regie: Jerzy Kawalerowicz.
Night of the Demon (GB 1957), Regie: Jacques Tourneur.
Performance (GB 1969), Regie: Donald Cammell und Nicolas Roeg.
Salome’s Last Dance (Salomes letzter Tanz, GB/USA 1988), Regie: Ken Russell.
Sitting Target (Blutroter Morgen, GB/USA 1972), Regie: Douglas Hickox.
Straw Dogs (Wer Gewalt sät, GB 1971), Regie: Sam Peckinpah.
The Blood on Satan’s Claw (In den Krallen des Hexenjägers, GB 1971), Regie: Piers Haggard.
(These Are) the Damned (Sie sind verdammt, GB 1963), Regie: Joseph Losey.
The Music Lovers (Tschaikowskij – Genie und Wahnsinn), Regie: Ken Russell.
The System (GB 1964), Regie: Michael Winner.
The Wicker Man (GB 1973), Regie: Robin Hardy.
Tommy (GB 1975), Regie: Ken Russell.
To the Devil a Daughter (Die Braut des Satans, GB/WD 1976), Regie: Peter Sykes.
Valentino (GB/USA 1977), Regie: Ken Russell.
Witchfinder General (Der Hexenjäger, GB 1968), Regie: Michael Reeves.
Women in Love (Liebende Frauen, GB 1969), Regie: Ken Russell.