Vera Cuntz

SheDevils

Kaneto Shindôs Onibaba & Kuroneko

 

Japans Teufel – Japans Frauen

Das weibliche Herz hat im Allgemeinen folgende Fehler: Ungehorsam, Verdrießlichkeit, Schimpfsucht, Eifersucht und Dummheit. Diese fünf Fehler finden sich sicherlich bei sieben oder acht von zehn Frauen, und deshalb stehen sie den Männern nach… Unter den Fehlern ist die Dummheit der Grund für alle anderen. Die Frau hat die Natur des Yin. Dieses Yin ist Nacht und Dunkel. Wenn man deshalb die Frauen mit den Männern vergleicht, sind sie dumm; sie wissen nicht das ganz Selbstverständliche und verstehen nicht einmal das, was Schande über sie bringen wird. (NEUSS-KANEKO, Margret: Familie und Gesellschaft in Japan. Seite 27)

Noch in der Meiji-Zeit war die so genannte „Große Lehre der Frauen“ (Onna daigaku) des Konfuzianers Kaibara Ekken, der dieses Zitat entstammt, Pflichtlektüre für junge Frauen, um sie auf ihre späteren Aufgaben und Pflichten in der Ehe vorzubereiten. Das hier und auch in anderen Schriften propagierte Familien- und Frauenbild drängt das schöne Geschlecht in ein starkes Abhängigkeitsverhältnis zum Ehemann und zu den Schwiegereltern. Die hohe Bedeutsamkeit der Religion im Japan der Tokugawa-Ära und der Meiji-Zeit zwang die Frau in viele enge Normen und zeichnete ein minderwertiges Bild von ihr.

Welchen Einfluss hatten die japanische Gesellschaft der Vergangenheit und das mit ihr verbundene Frauenbild auf Kaneto Shindôs Filme Onibaba und Kuroneko? Welche Bezüge existieren zum Shintoismus, dem Nô-Theater und zur japanischen Mythologie?

 

She

Die Berücksichtigung der gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse in der Entstehungszeit der Filme ist genauso wichtig für deren Verständnis wie die Auseinandersetzung mit der Rolle der im antiken Japan – die Zeit, in der beide Filme spielen sollen.

Die Frau nahm - wie bereits erwähnt - im alten Japan eine dem Mann und dessen Familie untergeordnete Stellung ein. (Bild 2) Auf dem obigen Bild ist das Empfangen des Sake-Bechers durch die Braut bei der Hochzeitszeremonie in der Tokugawa-Periode dargestellt. Mit Erhalt des Bechers ging die Frau buchstäblich in den Besitz der Schwiegereltern über, und war dazu verpflichtet, ihnen zu gehorchen. Die Beziehung zwischen Bräutigammutter und Schwiegertochter wird auch in den beiden Filmen Shindôs als starkes, verpflichtendes Abhängigkeitsverhältnis gezeichnet. Die junge Frau geht in beiden Filmbeispielen ohne Murren auf die Forderungen der Schwiegermutter ein – sie bleibt bei ihr und arbeitet für sie. Außerdem hat in Onibaba die Schwiegermutter Entscheidungsgewalt über die Wahl eines neuen Partners für die Schwiegertochter. Als sich diese trotz Verbotes den Anweisungen der alten Frau widersetzt, und den reizvollen Kriegsheimkehrer des Nachts heimlich trifft, fürchtet die Alte um den Verlust ihrer einzigen Bezugsperson und kann zusätzlich den Ungehorsam der jungen Frau, welche völlig von ihrer Leidenschaft dirigiert wird, nicht dulden.

Wenn das Mädchen herangewachsen ist, geht es in eine andere Familie und dient den Schwiegereltern… Wenn das Mädchen in das Haus des Mannes zieht, muß es die Schwiegereltern mehr als die eigenen Eltern schätzen, sie innig lieben und ehren und ihnen die Kindespflicht erweisen… Was sie befehlen, soll geflissentlich erfüllt werden. (NEUSS-KANEKO, Margret: Familie und Gesellschaft in Japan. Seite 26)

Die japanische Gesellschaft funktioniert dahingehend, dass, wenn männliche Familienoberhäupter ausfallen (etwas durch Tod oder Kriegsdienst), der ältesten Frau die Entscheidungsgewalt über alle ihr unterstellten Frauen zufällt. Die Schwiegertöchter werden in Schriften dieser Zeit explizit dazu verpflichtet, die Eltern des Mannes mindestens so zu ehren wie die eigenen. So bleibt die Braut auch nach dem Tod des Mannes so lange an dessen Familie gebunden, bis diese einen neuen Gemahl für sie gefunden haben oder sie aus anderen Gründen freigeben. Dies dient einerseits als Absicherung für die Braut, andererseits macht es sie auch unfrei und abhängig von der angeheirateten Familie. Kuroneko und Onibaba thematisieren das starke Pflichtgefühl junger Frauen gegenüber der Schwiegermutter, jedoch wird in beiden Filmen der Gehorsam der Frauen gebrochen: In Onibaba ist es die sexuelle Begierde, die die Wichtigkeit der Alten in den Hintergrund treten lässt, in Kuroneko ist es die immer noch bestehende Liebe der Geisterfrau zu ihrem Mann, die über die gefühlskalte, auf Rache sinnende Schwiegermutter siegt. Die Herrschaft der Mütter wird also durch die geistige und sexuelle Empfindsamkeit der Schwiegertöchter untergraben und schließlich aufgehoben. Zu Anfang der Filme stehen die Frauen im Mittelpunkt des filmischen Erzählens, sie erscheinen – besonders stark ist dieses Phänomen in Onibaba erkennbar – als die bezüglich der Intelligenz überlegenen und indirekt auch auf ihre Art mächtigeren Individuen. Die Männer wirken geistlos, animalisch und obrigkeitshörig, da sie zum einen die Frauen in Kuroneko als Objekte betrachten und über sie herfallen oder ihnen später wie ahnungslose Tiere in die Falle gehen und zum anderen als Samurai ohne den eigenen Verstand zu benutzen, die Befehle eines Mannes befolgen, der selbst nicht im Krieg aktiv wird. Am Ende beider Filme triumphiert direkt oder indirekt der Mann über die Frau, da diese sozusagen aus den eigenen Reihen hintergangen und schließlich entmachtet wird. So wird am Ende in beiden Filmen die traditionelle Gesellschaftsordnung wiederhergestellt.

Im Gegensatz zu der Frau als Abbild verlangt die aktive männliche Figur (das Ich-ideal des Identifikationsprozesses) einen dreidimensionalen Raum, entsprechend dem des Widererkennens, vor dem Spiegel insofern, als das entfremdete Selbst seine eigene Repräsentation dieser imaginären Existenz internalisierte. Sie ist eine Gestalt in einer Landschaft. Der Film hat hier die Möglichkeit, so genau wie möglich die „natürlichen“ Bedingungen menschlicher Wahrnehmung zu reproduzieren. Kameratechnische Möglichkeiten (besonders am Beispiel der Tiefenschärfe zu exemplifizieren) und Kamerabewegung (bestimmt durch die Aktion des Protagonisten), kombiniert mit unsichtbarem Schnitt (den der Realismus fordert), tragen dazu bei, die Grenzen des Leinwandraumes zu sprengen. (MULVEY, Laura: Visuelle Lust und narratives Kino. Seite 399)

Gerade am Beispiel von Onibaba wird deutlich, dass hier die Mutter eindeutig im Besitz des Blickes ist. Sie wird in ein realistisches Umfeld eingebettet (auch hier wurde zu diesem Zweck das Mittel der Tiefenschärfe eingesetzt) und hat den vollen Handlungsspielraum. Dieser Fakt trägt zu einem großen Teil zu ihrer bedrohlichen Wirkung auf das Publikum bei: Abweichend von der Norm einer unterwürfigen Frau in der Realität des Films, und auch darüber hinaus in der Realzeit 1964, wenn auch nicht in vergleichbar hohem Ausmaß, handelt die Mutter in Onibaba selbständig und mächtig – Privilegien, die sonst nur einem Mann zustehen würden. Am Ende des Films bekommt die Mutter die Strafe für ihre „Selbstüberschätzung“ und wird mit Hilfe von Magie „gezähmt“.

Dass der 1912 in Hiroshima geborene Regisseur Kaneto Shindô, der auch heute noch in der japanischen Filmbranche aktiv ist, direkt durch den Abwurf der Atombomben 1946 auf Japan durch die Amerikaner geprägt wurde, liegt wohl auf der Hand. Seine Heimatstadt wurde zum tragischen Schauplatz am Ende eines Krieges, aus dem das vormals so stolze japanische Volk als Verlierer hervorgehen sollte. Dieses so genannte Atomtrauma beeinflusste zahlreiche Filmemacher Japans – wie beispielsweise Science-Fiction-Filme wie Godzilla oder Gamera bestätigen – aber unter anderem eben auch Shindôs Onibaba und Kuroneko.
Krieg und Gewalt sind einflussnehmende Elemente beider Filme – der Krieg treibt die Menschen in Notsituationen und zwingt sie, sich rücksichtslos zu verhalten. Doch die dargestellte Kriegsverurteilung wäre nichts spezifisch Japanisches. Die Spuren, die der Zweite Weltkrieg in Japan hinterließ, werden in der Veränderungsthematik einzelner Figuren konkret: die alte Frau in Onibaba ist voller Hass und Wut auf ihre Schwiegertochter, setzt sich die Maske eines Samurai – die Maske des Krieges – auf und kann sie nicht mehr abnehmen. Ihre Gefühle, ihr Hass und Zorn, brennen sich durch die Maske in ihre Haut, und werden sie vielleicht auch schließlich töten, wie sie den jungen Samurai ins Verderben lockten, weil er hinter der Maske blind war, und nicht wusste, wohin man ihn führen würde. Als ihm die Maske entfernt wurde, waren die Spuren, die sie hinterlassen hatte, in sein Gesicht eingebrannt. Der Krieg, Angst vor Machtverlust und Rache machen blind, diese negativen Emotionen setzen dem Menschen eine Maske auf, deren Wirkung er nicht mehr kontrollieren kann und die ihn schließlich selbst in den Abgrund stürzt.
In der Rolle japanischer Trümmerfrauen profitieren die beiden weiblichen Hauptfiguren in Onibaba einerseits vom Krieg, indem sie die vorbeiziehenden Samurai mit ihren eigenen Waffen bekämpfen, andererseits sind sie aber auch die Opfer, da die staatlichen Interessen ihnen den Mann und Sohn raubten. Diese Ausgangssituation findet sich auch in Kuroneko, da die Frauen von Kriegern vergewaltigt und ermordet werden, und dann als Geister zurückkehren, um Rache zu nehmen. In beiden Filmen nutzen die weiblichen Figuren das Maximum an Möglichkeiten aus, passen sich der neuen Situation an, an deren Verlauf sie jedoch völlig unbeteiligt waren. Über Krieg und Frieden entscheiden männliche Herrscher, die am Beispiel von Kuroneko, nicht mal selbst in den Krieg ziehen, sondern die Soldaten für ihre Interessen missbrauchen und die Fäden in der Hand halten.
Beide Filme stellen die Waffen der Männer und die Waffen der Frauen einander gegenüber. Die Frauen arbeiten mit List, Tücke und gebrauchen ihren Verstand, die Männer sind von ihren Trieben gesteuert, auch dies wird überdeutlich in der Vergewaltigungsszene in Kuroneko visualisiert, sie nutzen ihre körperliche Kraft und Überlegenheit aus. Die physisch unterlegenen Frauen finden mit Hilfe ihrer Intelligenz andere Wege sich in einer Männergesellschaft real oder auch als Geister zu behaupten. Allerdings bringt in beiden Filmen die eigene Empfindsamkeit – beispielsweise die Eifersucht der Alten in Onibaba oder die Liebe des jungen Mädchens in Kuroneko – die Frauen zum Scheitern. In dem Moment, wo sie anfangen ihre Gefühle zuzulassen, geht ihr Konzept vom Profit an der Dummheit und Schwäche der Männer nicht mehr auf. Sie sind nur stark, wenn sie im Team arbeiten und sich aufeinander verlassen können. Sobald sie ihre Tücke gegeneinander verwenden, verwandelt sich die Verbundenheit zwischen ihnen in Misstrauen. Besonders stark wird dieser Aspekt in Onibaba aufgezeigt: Das Auftauchen Hachis zerstört das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden Frauen. Die Junge hintergeht die Alte mit ihrer heimlichen Liebschaft. Die alte Frau jagt ihrer Schwiegertochter in ihrer Verlustangst und Eifersucht als Dämon maskiert Angst ein, um deren Treffen mit dem Deserteur zu unterbinden. Die alte Frau weiß, dass sie auf das Mädchen angewiesen ist, um zu überleben und fürchtet somit um ihre Existenz. Doch nicht die Liebe der Jungen zu Hachi, sondern die verräterischen Emotionen der Alten führen schließlich zur Katastrophe. Durch die Maske, die die Alte als Indikator für die Ängste der Schwiegertochter identifiziert, ist das bestehende Verhältnis der beiden nachhaltig gestört, auch wenn sie weiterhin zusammenleben sollten, was der Film jedoch offen lässt.

 

Devils

Der Teufel- und Geisterglaube ist seit Jahrhunderten fester Bestandteil der japanischen Kultur. Der Shintoismus ist neben dem aus China und Indien importierten Buddhismus die wichtigste und älteste Religion in Japan. Die Bezeichnung Shintoismus tauchte im 6. Jahrhundert zum ersten Mal auf, als der Buddhismus übers Meer nach Japan kam. Vorher hatte die japanische Religion keine Notwendigkeit gehabt, sich mit einem eigenen Namen gegenüber anderen Glaubensformen abzugrenzen, da keine anderen bekannt waren. Geisterglaube, Ahnenverehrung und der Glaube an eine belebte Natur sind wohl die charakteristischsten Merkmale dieser Religion. Die frühesten schriftlichen Quellen wurden meist von shintoistischen Priestern oder deren Schülern verfasst. Sie befassen sich oft mit märchenhaften und religiösen Themen; ein sehr häufiges Motiv ist beispielsweise, dass ein Gott oder Dämon getarnt den Glauben eines ehrbaren Mannes auf die Probe stellt. Mit dem Aufkommen des Buddhismus verlor Shinto zunehmend an Bedeutung, da diese Glaubensform keine ausgefeilte Philosophie und Ethik aufwies, und somit der Buddhismus die Bedürfnisse der Gläubigen eher befriedigen konnte.

Märchenhafte Tiergestalten und Dämonen treten bereits in den frühesten japanischen Aufzeichnungen auf. Es handelt sich auch oft um eine Kreuzung aus beidem, etwa um einen Teufel, der in Gestalt eines Tieres unter die Menschen geht. So ähnlich verhält es sich auch bei Kuroneko: Die beiden Frauen finden aufgrund ihres grausamen Todes keinen Frieden und warten ruhelos und auf Rache sinnend in Form von Katzengeistern auf ihre Opfer. Den Männern, die der jungen Frau in das abgelegene Haus folgen, erscheinen sie jedoch in menschlicher Gestalt. Und auf den ersten Blick lässt nichts die Vermutung zu, dass es sich bei dem schönen jungen Mädchen um einen Dämon handeln könnte. Der Katze werden in der japanischen Mythologie verschiedene Merkmale zugewiesen. Sie gilt als edel und weise, aber auch als heimtückisch und falsch.

In diesem Fächergemälde von Utagawa Kuniyoshi aus der Edo-Periode mit dem Titel „Tanz der Gespenstertiere“ (Bild) sind verschiedene zu dieser Zeit populäre Tiere abgebildet. Man sieht unter anderem auch eine tanzende und eine musizierende Katze. Hier wird ebenfalls auf die hinterlistige Art der Katzengeister aufmerksam gemacht. Sie tragen menschliche Kleidung, während beispielsweise die Kröte ein rein animalisches Erscheinungsbild aufweist. Die Kröte ist also, was sie ist, aber die Katze gibt sich eine dem Menschen möglichst ähnliche Gestalt, was als Zeichen von Intelligenz und Hinterlist gewertet werden kann.

Sehr häufig sind Tiere die Träger der Handlung, wobei jeder Tierart charakteristische Merkmale zugewiesen werden. […] Dämonische Wesen bevölkern vor allem das Wasser, wie der „Kappa“ und andere Wassergeister. Diejenigen, die in der unzugänglichen Welt des Waldes hausen, sind der Teufel (Oni), die Berggeister (Tengu, Yamachichi) und die Waldfrau (Yamauba). (CHEI, Woon-Jung (Hrsg.): Märchen aus Japan. Seite 170/171)

Onibaba – wörtlich übersetzt bedeutet dies so viel wie Teufelsfrauen – verweist bereits im Titel auf die Bezüge des Films zur japanischen Mythologie. Diese wurde jedoch nur ansatzweise adaptiert. Die Handlung spielt nämlich nicht im undurchdringlichen Dickicht des Dschungels – wo die Onis üblicherweise angesiedelt sind – aber die geisterhaften Arme des Schilfs erwecken den Eindruck einer ähnlich dichten, abgeschlossenen und unüberschaubaren Fauna. Ähnlich wie die teuflischen Waldgeister im klassischen japanischen Märchen lauern auch die beiden Frauen als überraschende Gefahr in ihrer Landschaft. Im Gegensatz zu den auftretenden Männern, die immer aus dem Schilf herausstechen, weithin sichtbar und somit auch eine leichte Beute sind, passen sich die Frauen perfekt in die Landschaft ein. Wenn sie nicht gesehen werden wollen, sind sie für ihre Opfer quasi unsichtbar und schlagen aus dem Nichts zu. Dies gilt noch für Hachi, dem aber diese Umgebung auch vertraut ist. Doch in den Augen der alten Frau macht ihn das nur umso gefährlicher und unberechenbarer.

Eines der bekanntesten Charakteristika der japanischen Kultur ist sicherlich die Naturverbundenheit. […] Wie oben angemerkt, sind im Shinto zwar nicht alle Dinge Götter oder göttlich, aber alle Dinge und Erscheinungen, belebte wie unbelebte, Berge, Steine, Bäume, Tiere, Menschen, sie alle können Götter werden bzw. sein. Wo aber alles potentiell göttlich ist, verwischen auch die Unterschiede zwischen Menschen und Tieren, belebter und unbelebter Materie. Der Abstand zwischen Mensch und Natur, der sich in dem „macht euch die Erde untertan“ ausdrückt, fehlt, der Mensch ist in Japan eingebunden in die Natur, ist ein Teil von ihr. (LOKOWANDT, Ernst: Shinto. Eine Einführung. Seite 68)

Aus dem religiösen und kulturellen Kontext der Japaner heraus wird deutlich, dass auch im Film der Natur eine andere und wichtigere Bedeutung beigemessen werden kann und muss. Die Schilflandschaft in Onibaba und das Wäldchen in Kuroneko werden durch die zahlreichen Naturbilder in den Vordergrund gerückt. Die langen Landschaftsaufnahmen weisen der Umgebung der handelnden Personen eine eigene Rolle, eventuell sogar einen eigenen Charakter zu.
Das Schilf in Onibaba schützt die beiden Frauen einerseits durch die Weite und die Verborgenheit, aber trotzdem sind sie in ihm gefangen, und es macht zumindest der jungen Frau Angst. Durch das Auftauchen Hachis wird die junge Frau vor die Wahl zwischen einem patriarchalischem und einem matriarchalischem System gestellt. Dabei symbolisiert die Natur die weibliche Gesellschaftsform (entsprechend dem Yin), sie ist wild, destruktiv und reaktiv – sie schafft weder Ordnung noch neues Leben, sondern zerstört es. Die männliche Gesellschaft wird symbolisiert durch Landwirtschaft, Armeen und Familie. Seit die Männer in den Krieg zogen, ist dieses System zusammengebrochen: die Frauen können allein die Felder nicht bewirtschaften, und die funktionierenden Familienkonstellationen wurden zerrissen. Die Männer werden nicht per se besser dargestellt als die Frauen, da Hachi selbst auch nichts Neues erschafft, sondern den Frauen die hart erkämpfte Nahrung abspenstig macht. Doch der Film suggeriert, dass die junge Frau nur unter seiner Anleitung etwas Produktives erwirtschaften kann, da ihr die Möglichkeit zu einem Neuanfang geboten wird und sie voller Hoffnung und neuer Jugend ist. Zusammen mit ihrer Schwiegermutter – ohne den Mann – würde sie scheinbar ewig an den stetig selben Ablauf gebunden sein, ohne die Möglichkeit auf eine Veränderung.
Die alte Frau sieht ihre Welt bedroht und versucht mit Hilfe der Unwirklichkeit der Landschaft die Katastrophe abzuwenden, was ihr aber misslingt und das tragische Ende noch beschleunigt. Die Natur, die Einsamkeit und die Eingebundenheit der Figuren in die selbige lassen das Sumpfgebiet als Keimstätte der Bedrohung funktionieren. Zwischen der Wildnis und der weiblichen Natur wird beispielsweise mit der Szene der alten Frau am Baum in Onibaba eine konkrete Verbindung hergestellt. Sie sieht ihre Schwiegertochter und den männlichen Eindringling miteinander schlafen und damit all ihre Befürchtungen bestätigt. Gleichzeitig erinnert das Gesehene sie an ihre eigene, durch Krieg und Alter so lange vernachlässigte Sexualität. Der knorrige, blätterlose Baum steht auf einer Lichtung. Die wilde Natur der Sumpflandschaft scheint vor dem Tod dieser einst mächtigen Pflanze zurückgewichen zu sein. Dies kann als Metapher auf die alte Frau gelesen werden, die durch ihre mangelnde Fruchtbarkeit von dem Lebendigen, dem jungen Paar, so gemieden wird, wie das Schilf den Baum meidet.

Die Bäume repräsentieren das Weltall in unaufhörlicher Regeneration, doch im Mittelpunkt des Weltalls trifft man immer nur einen Baum – des Baum des ewigen Lebens oder des Wissens. Die Große Göttin ist die Personifikation der unversieglichen Quelle der Schöpfung, dieses letzten Grundes der Wirklichkeit, der mythische Ausdruck jener uranfänglichen Ahnung, daß die Heiligkeit, das Leben und die Unsterblichkeit sich in „einem Zentrum“ befinden. (ELIADE, Mircea: Die Religionen und das Heilige. Seite 331)

Dieser Baum des Wissens in Onibaba hat eine exponierte Stellung inne, er hat das Grüne der Jugend hinter sich gebracht. Er ist mit seinem Alter wie die Frau kein Teil mehr einer fruchtbaren, lebendigen Natur. Der Baum ist Repräsentant einer qualvollen, wissenden Unsterblichkeit.

 

Der Bambushain in Kuroneko funktioniert als eine Art Schwelle von der realen Welt in das Reich der Geister. Der Wald ist eine Zwischenzone, in der Umkehr noch möglich ist. Die unheimliche Stimmung des Wäldchens resultiert aus der Abwesenheit anderer Lebewesen und der damit verbundenen unwirklichen Stille, sowie dem mit abgestorbenen Pflanzenteilen übersäten Boden. Außerdem ist die Landschaft ungewöhnlich lichtarm – kein Sonnenstrahl scheint durch die Blätter der Bäume bis auf die Erde zu dringen.

Ein weiteres japanisches Konzept mit shintoistischen Wurzeln ist das Belohnen und Strafen.
Wer ehrfurchtsvoll mit seinem Leben, der Natur und den Göttern umgeht, wird dafür belohnt. Wer jedoch nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, wird untergehen. In der japanischen Mythologie wird dies oft an Frauen verdeutlicht, die nach Macht oder Schönheit streben. Auch Frauen, die aus egoistischen Gründen lügen, faul sind und ihrer Familie – vor allem dem Hausherren und seinen Eltern – nicht den nötigen Respekt entgegen bringen, sind ein häufiges Motiv. Oft gehen diese Frauen mit einem bösen Geist einen Pakt ein, um ihre Ziele zu verwirklichen. Die Konsequenzen ihres Handels können sie jedoch im Vorhinein nie absehen. Die gewonnene Macht oder Schönheit wird ihnen zum Verhängnis.

 

Das Bild „Die Hexe von Asajigahara“ zeigt eine mächtige Frau, die ihre übermenschlichen Fähigkeiten mit dem Verlust ihrer Jugend, einer unstillbaren Mordlust und Boshaftigkeit und dem Eremitendasein bezahlen musste.

In Onibaba hat auch die durch die Maske gewonnene Macht ihre Schattenseiten: sie fügt ihr Schmerzen zu und zerstört ihr Gesicht. Der Fluch kann nur durch das Gelöbnis der Besserung von ihr genommen werden, und die Narben werden sie täglich an ihr Versprechen erinnern.

In den meisten Fällen wird ein solcher Bann jedoch von dem hintergangenen Ehemann oder einem Priester gelöst. Die Frau ist danach von ihren egoistischen Begierden geläutert und kann wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden, in der sie fortan ihrem Mann und den Göttern ehrfurchtsvoll und unterwürfig zu Diensten sein wird.

SheDevils

Weibliche Passivität wird in Japan als eine der höchsten Qualitäten geschätzt. Eine Frau, die sich diesem System aus Zurückhaltung und Dienen nicht unterwirft, sondern selbstbewusst handelt, hat scheinbar ihre Rolle nicht verstanden. Frauen, die sich gegen dieses System auflehnen, vergessen, dass sie als Teil von ihm eher ihre Ziele verwirklichen können. Selbstbewusste Frauen provozieren die Angst des Mannes, von der Frau überflügelt zu werden.

In Japan scheint der Geist des Weiblichen eingespannt zu sein vor den Wagen des patriarchalischen Staates, er bleibt aber sein geheimes Ziel und höchstes Maß. Wenn man auf der Straße eine japanische Mutter mit ihrem Kind auf dem Rücken sieht, heiter schlendernd und summend, spürt man, daß durch sie hindurch der Strom des japanischen Lebens läuft und sich selbst erneuert. Die übereifrigen, allzu selbstbewußten Männer wirken im Vergleich zu ihr wie bloße Auswüchse, gesichtslos und ohne Ursprünglichkeit, nützliche oder schädliche Werkzeuge, kaum eingeweiht in die Geheimnis des Seins. (SINGER, Kurt: Spiegel, Schwert und Edelstein. Seite 87)

Singer empfindet diese Passivität als überaus positiv, für ihn scheint sie ein Zeichen der Überlegenheit der Frau zu sein. Er wertet sie vielmehr als ein Indiz für innere Stärke, anstatt es als Unterlegenheit gegenüber dem Mann zu interpretieren. Doch dem Leser muss eine solche Aussage zwangsläufig als Ausrede für die minderwertige soziale Stellung der Frau erscheinen: eigentlich ist die Frau dem Mann ja geistig überlegen – sie hat nur nichts zu sagen. Ob diese geistige Überlegenheit im alltäglichen Ungleichgewicht der Geschlechter einen Trost bietet, erscheint doch mehr als fragwürdig.

Und auch Filmbeispiele wie Kuroneko und Onibaba machen auf dieses Kräfteungleichgewicht aufmerksam. Zu selbstbewusste Weiblichkeit wirkt teuflisch und gefährdet das patriarchalische Gesellschaftssystem. Beide Filme behandeln unter anderem exakt diese Angst des Mannes eines Kontrollverlustes gegenüber der Frau. Nur eine Zähmung oder die Vernichtung der autarken Bestie Frau kann die alte Ordnung wieder herstellen. Der Mann kann sich zu diesem Zweck das schwache weibliche Herz zu Nutze machen. Er kann die weibliche Macht zerstören, indem er in ihr Emotionen – beispielsweise sexuelles Begehren oder Mutterliebe – auslöst. Die funktionierenden Mikrokosmen der Frauen in beiden Filmen werden schließlich durch ihre schwachen weiblichen Gefühle zu den Männern vernichtet.

In Neale’s view, there are two ways of interpreting the monster. The first is that the monster signifies the boundary between the human and the non-human. The second is that it is the male fear of castration which ultimately produces and delineates the monstrous. Neale argues that man’s fascination with and fear of female sexuality is endlessly reworked within the signifying practices of the horror film. Thus, the horror film offers an abundant display of fetishistic effects whose function is to attest to the perversity of the patriarchal order founded, as it is, on a misconception – the erroneous belief that woman is castrated. (CREED, Barbara: The Monstrous-Feminine. Film, feminism, psychoanalysis. Seite 5)

Das Monströse in den Frauen wird durch die Furcht der Männer vor einem Machtverlust erzeugt. Das Freudsche Modell der penisneidischen Frau und dem die Kastration fürchtenden Mann ist insoweit auf die Filme übertragbar, wenn man dies nicht als wirklich sexuelle Merkmale beziehungsweise körperliche Qualitäten und Mängel interpretiert, sondern das Männliche als Macht habend und die Frau als schwach begreift. Ist das Bedrohliche an den Frauen nur das, was der Mann in sie hineininterpretiert?

Das Prinzip des Mordens um zu überleben in Onibaba funktioniert so lange, bis ein Mann in ihre Welt eindringt, um die alte Ordnung vom Mann als Ernährer der Familie und der Frau als untergeordnete Haushaltskraft wiederherzustellen.
Anders stellt es sich in Kuroneko dar. Hier ist die Rache der Frauen als Opfer des patriarchalischen Systems das Hauptmotiv. Auch hier geht der Plan so lange auf, bis ein Mann in ihre Welt eindringt, für den sie keinen Hass empfinden.

This [Kuroneko] is the notorious Japanese anti-Samurai Horror film. […] They [die beiden Frauen] spend most of the film ripping out the throats of many victims until, in a moment of “Oedipus-type” irony, they find themselves about to kill a samurai who is both their son and husband, respectively.
An interesting combination of visual imagery and gross-out special effects, seasoned with a tad of dime-store psychology. (WEISSER, T./WEISSER, Y.: Japanese Cinema Encyclopedia. Seite 155)

[…] an intimate relationship seems to exist among the filmic presentation of the horror monster, the castration anxiety it evokes, and the cinematic representation of the female form. […] If so, the monster film can be said to combine in the figure of its monster the fascination, fear, and anxiety that this re-enactment of the Oedipal trauma evokes. (GRANT, Barry Keith (Hrsg.): The Dread of Difference. Seite 296/297)

Kuronekos Ironie liegt im verkehrten Ödipus-Motiv des Films. Als sie bemerken, dass sie ihren Sohn und Ehemann töten würden, werden sie in einen unlösbaren Gewissenskonflikt gestürzt. Einerseits haben sie eine liebevolle, persönliche Bindung an ihn, andererseits ist er ein Mann, den sie als Rachegeister eigentlich gezwungen wären zu beseitigen. Die mit diesem Konflikt einhergehende Schwäche macht sie verwundbar und die von ihnen ausgehende Gefahr für das Patriarchat kann abgewendet werden.

Die teuflischen Strategien der Frauen in beiden Filmen Shindôs sind archaisch, simpel und überaus wirkungsvoll.
In Onibaba folgen die Frauen auf animalische Art ihrem Überlebensinstinkt. Sie lauern in der Verborgenheit auf geschwächte Samurai, rauben sie aus und werfen sie anschließend in ein tiefes Loch. Die zahlreichen Skelette in diesem Loch legen stummes Zeugnis darüber ab, wie lange das Mädchen und ihre Schwiegermutter diese Art der Ernährung schon praktizieren. Das Loch selbst, als lauernder Schlund, den die Frauen blind überwinden können, verweist in seiner Beschaffenheit selbst auf etwas eindeutig weiblich Konnotiertes hin. Wie eine überdimensionale Vagina wird das Loch in seiner Enge und Tiefe den Männern zum Verhängnis. Eine Flucht ist ausgeschlossen.

 

Die Frauen in Kuroneko handeln nicht aus einem Überlebensinstinkt, sondern aus Hass auf die Männerwelt, die sie missbraucht hat. Ähnlich wie die Sirenen des Odysseus locken sie die Männer in ihr Verderben. Beispielsweise mit dem Offerieren des Reisweins wiegen sie ihre Opfer so lange in Sicherheit, bis der geeignete Moment zum Mord gegeben ist. Sie suggerieren außerdem dem Gast die Liebe des jungen Mädchens.
In beiden Filmen ist die Grausamkeit geplant und durchdacht – was sie so überaus gefährlich macht – doch die Motive sind unterschiedlich.

In Kuroneko wie auch in Onibaba ist die Schwelle von der Welt, in der die Gesetze der Männer gelten, zu ihrem eigenen Reich mit Wasser markiert. Sobald die Samurai in Onibaba den Fluss passieren und das andere Ufer erreicht haben, sind sie verloren. In Kuroneko hat eine kleine Pfütze im Wald dieselbe Schwellenfunktion wie der Fluss in Onibaba. Sobald diese Schwelle überschritten wurde, gibt es kein Zurück mehr. Das Element Wasser wird in der japanischen Mythologie durch seinen unsteten, im Wandel befindlichen und Fruchtbarkeitsspenden Charakter mit dem Wesen der Frau in Zusammenhang gebracht.

Der überwiegende Teil der gendertheoretischen Filmforschung beschäftigte sich bislang hauptsächlich mit dem Phänomen des männlichen Monsters und der Frau in der Rolle des Opfers. All diese Theorien sind auf Onibaba und Kuroneko nur schwer oder gar nicht zu übertragen. Im europäischen und amerikanischen Kino ist die mordende Frau eine immer noch relativ seltene Erscheinung, die in erster Linie in Slasherfilmen wie I spit on your grave vor dem Hintergrund der Rache einer vergewaltigten Frau an ihren Peinigern thematisiert wird. Kuroneko hat zwar die gleiche Ausgangssituation, verhält sich jedoch in seiner Ästhetik eher wie ein klassischer Horror- bzw. Gruselfilm à la Tourneurs Katzenmenschen. Ob Kaneto Shindô wohl für Kuroneko von diesem Film inspiriert wurde? Die Vermutung läge nahe.
Im US-Kino manifestiert sich die Bedrohung der Gesellschaft durch das Weibliche allerdings in weniger konkreten oder plakativen Filmbeispielen und vor allem in anderen Genres – als Beispiel könnte man hier die Figur des Aliens in der Alien-Serie anführen.

SheDevils on Stage

Schon nach kurzer Zeit drängt sich die Frage nach der Theatralität im Zusammenhang mit den beiden Filmen Shindôs unübersehbar auf. Die Filme folgen in ihrer Schauspielkunst, Erzählstruktur und Inhalt den klassischen japanischen Nô-Stücken.

Die japanische Theaterform Nô entwickelte sich im 14. Jahrhundert aus rituellen Tänzen und Ernteritualen. Vor allem in den Städten Kyoto und Nara wurde das Nô-Spiel an Höfen und in shintoistischen Tempelschreinen populär. Durch den religiösen Kontext aus dem diese Theaterform entstand, wurde das Schauspiel als ein Weg zur Erleuchtung verstanden, es finden sich enge Bezüge zur Meditation. Körperliche Übung und Aufführungspraxis sollten heilende Kräfte für Körper und Geist bergen. Die einzelnen Stücke behandeln fast ausschließlich mythische und religiöse Themen: Geister und Dämonen sind fester Bestandteil in der Figurenkonstellation eines Nô-Stückes, aber auch eifer- und rachsüchtige Frauen finden sich oft in den Erzählungen.

Im 15. Jahrhundert fand eine Entwicklung hin zu einer kammerspielartigen Form für ein Elitepublikum statt. Die Schauspieler wurden an den Hof gebunden, erfuhren somit einen sozialen Aufstieg, der jedoch auch einige negative Effekte für das Nô-Theater mit sich brachte.

Zwei Faktoren konkurrieren in diesem Prozeß: zum einen bringt der soziale Aufstieg der Spieler, ihre zunehmend stärkere Bindung an das höfische Leben eine verstärkte Anlehnung der Bühnengestik an die Körper- und Gebärdensprache der Kriegerkaste. […] Sie bewähren sich zunehmend in den neuen Stilen der Schwert- Reit- und Bogenkünste, deren Bewegungsprinzipien und -muster sie auf die Nô-Bühne übertragen. Zum anderen – und dieses Phänomen wurde lange von der Forschung vernachlässigt – üben sich die Krieger selbst in der Nô-Kunst und erklären diese Ende des 16. Jahrhunderts zu einer obligatorischen körperlich-geistigen Disziplin im pädagogischen Curriculum der Samurai. (SCHOLZ-CIONCA, Stanca: „Halte den Fächer wie ein Schwert“. Seite 139)

Die Übernahme von Gesten der Samurai und das Laienspiel der Krieger selbst wirkten sich entwicklungshemmend und verzerrend auf die Theaterpraxis aus. Zum besseren Verständnis in der pädagogischen Praxis wurde eine Aufsplittung des Nô in seine einzelnen Elemente durchgeführt. Die Bewegungen wurden ebenfalls zur leichteren Nachahmbarkeit für die lernwilligen Samurai stark verlangsamt. Außerdem waren die höfischen Nô-Spieler einer permanenten Doppelbelastung als Darsteller und Lehrer für die jungen Adligen ausgesetzt. So entwickelte sich aus einer eigentlich beschwingt-unterhaltenden Theaterform das streng systematisierte Spiel, was man noch heute mit dem Begriff Nô verbindet.

Das Shogunat erwirkte schließlich im 16. Jahrhundert eine vollständige Kontrolle über die Kunst. Es erfolgte ein Verbot der Weiterentwicklung dieser Theaterform, die unter anderem das Erfinden neuer Stücke und Bewegungen untersagte. Seit dieser Zeit hat sich Nô praktisch nicht mehr verändert und wurde mehr und mehr, aber letzten Endes hauptsächlich durch den Zusammenbruch des Shogunats, von bürgerlichen Theaterformen wie etwa dem Kabuki verdrängt.

Die auffällig langsame und minimalistische Erzählweise der beiden Filme Kaneto Shindôs stellt eine nicht von der Hand zu weisende Parallele zum Nô-Theater dar. Auch die Bewegungen der Schauspieler wirken sehr theatral: hier wäre als Beispiel die häufige Hockhaltung der Darsteller anzuführen, die das Nô-Theater ursprünglich aus einer Bewegung der Samurai übernahm, welche von den Kriegern zur Vorbereitung auf einen Kampf praktiziert wurde. Ein weiteres Indiz für die enge Verbindung zum Nô-Theater ist die starre Mimik der agierenden Figuren, die nur in überaus emotional aufgeladenen Filmsituationen aufgebrochen wird. Auf dem Gesicht der jungen Frau in Onibaba ist, solange ihre Schwiegermutter in der Nähe ist, kaum ein Gefühl für den heimkehrenden Soldaten abzulesen. Ist sie jedoch mit ihm allein, werden ihre Begierde und ihre damit verbundene Schwäche auch über das Minenspiel transportiert.

Voice, action and music are never precisely congruent, for that would be bare and uninteresting. […] The actor should never do what is expected, but rather, by analysing the performance situation – the audience, the season, the time of day, previous plays on the bill – he should choose a play and an interpretation that will elicit audience interest by being unexpected and therefore novel and interesting. (BRANDON, James R. (Hrsg): The Cambridge Guide to Asian Theatre. Seite 177)

Das Unwahrscheinliche und das Unerwartete sind beim Nô-Theater ein entscheidendes Stilmittel. Durch das partielle Auseinanderfallen von Musik, Spiel und Sprache werden dem Zuschauer mehrere Optionen für den Fortgang der Handlung zur Verfügung gestellt. Ein Nô-Stück, das mehrere Ausgangsmöglichkeiten aufwies und mit unerwarteten Wendungen versehen wurde, galt als neu und interessant. Das gleiche gilt vor allem für Onibaba, denn der mögliche Ausgang wird durch das auch späte Einführen neuer Charaktere in die Geschichte immer wieder verändert.

Die wohl offensichtlichste Gemeinsamkeit von Nô und Onibaba liegt in der Wahl der Samuraimaske. Hierzu ist es entscheidend zu wissen, dass das Nô-Theater ein reines Maskentheater ist. Auch die Masken sind engen Vorschriften unterworfen. Es gibt nur eine begrenzte Anzahl von unterschiedlichen Typen und Gefühlsausdrücken. Dies könnte ebenfalls ein Grund für das zurückhaltende Minenspiel der Darsteller in beiden Filmen sein.

Wie auf den beiden Abbildungen gut zu erkennen, handelt es sich bei der Maske in Onibaba um die exakte Nachbildung der Hannya-Maske aus dem klassischen Nô. Die Hannya-Maske mit ihren Hörnen und scharfen Fängen ist wahrscheinlich die bekannteste Nô-Maske überhaupt. Sie steht für eine Frau, die sich aus Wut und Eifersucht in einen Dämon verwandelte und nun rächend durch die Welt zieht, indem sie unschuldige Menschen attackiert. Diese Merkmale der Maske im Nô-Theater verhalten sich deckungsgleich zur Figurenkonzeption der alten Frau im Film.

Insgesamt ist die Rolle der Frau im Nô-Theater äußerst negativ behaftet. Frauen treten nur in Form wehklagender Mütter, naiver und schöner Jungfrauen oder eben alter, bösartiger Geisterwesen auf. Heldenrollen sind allein kräftigen Samuraikriegern oder Königen vorbehalten. Weise Gestalten werden ausschließlich von männlichen Geistern und Göttern, alten Männern oder shintoistischen Priestern verkörpert. Bis zum heutigen Tage ist in der Aufführungspraxis auch noch keine weibliche Rolle im Nô-Theater mit einer echten Frau besetzt worden. Dies ist ein offenkundiger Unterschied zu Onibaba und Kuroneko; allerdings könnte dieses Nô-Dogma auch zum besseren Verständnis der Filme vom Regisseur ignoriert worden sein. Denn das klassische Nô-Spiel ist heutzutage auch für die meisten Japaner ohne ausführliche Programme, Einführungen und Textbücher kaum noch nachvollziehbar.

Nach diesen zahlreichen Gemeinsamkeiten zwischen dem Nô-Theater und den Filmen von Kaneto Shindô liegt die Vermutung nahe, dass er für Onibaba und Kuroneko zwei tatsächlich existierende Nô-Stücke für die Leinwand adaptiert hat. Aus den 240 heute noch bekannten Nô-Stücken ist leider in Übersetzung in die deutsche oder englische Sprache nur ein winziger Bruchteil zu erhalten, deshalb lässt sich ohne Kenntnisse der japanischen Sprache leider nicht ermitteln, ob diese Theorie bestätigt werden kann.

Durch den kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Unterschied Japans zum westlichen Kulturkreis können bei der psychologischen und symbolischen Analyse relativ leicht Fehlinterpretationen des Kinos entstehen. Auch besteht die Gefahr, dass typisch japanische Codes aus einer europäischen Perspektive übersehen werden.

[…] der Wille, unseren Nachbarn zu kennen, wie auch wir gekannt zu werden wünschen, und einen Menschen mit all seinen Licht- und Schattenseiten zu respektieren, wie auch wir respektiert werden möchten. Wenn dies geschieht, sollte alles übrige ein leichtes sein. (SINGER, Kurt: Spiegel, Schwert und Edelstein. Seite 34)


Literaturverzeichnis
BERENSTEIN, Rhona J.: Attack of the Leading Ladies. Gender, Sexuality and Spectatorship in Classic Horror Cinema.
New York 1996.
BRANDON, James R. (Hrsg): The Cambridge Guide to Asian Theatre.
Cambridge 1993.
CHEI, Woon-Jung (Hrsg.): Märchen aus Japan.
Frankfurt am Main 1996.
CREED, Barbara: The Monstrous-Feminine. Film, feminism, psychoanalysis.
New York 1993.
ELIADE, Mircea: Die Religionen und das Heilige. Elemente der Religionsgeschichte.
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GRANT, Barry Keith (Hrsg.): The Dread of Difference. Gender and the Horror Film.
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Hoover, Travis: Onibaba.
http://www.rottentomatoes.com/source-116/
LOKOWANDT, Ernst: Shinto. Eine Einführung.
München 2001.
NEUSS-KANEKO, Margret: Familie und Gesellschaft in Japan. Von der Feudalzeit bis in die Gegenwart.
München 1990.
SCHOLZ-CIONCA, Stanca: „Halte den Fächer wie ein Schwert“. Zur Entwicklung der Körpersprache im japanischen Nô-Theater.
In: FISCHER-LICHTE, Erika/FLEIG, Anne (Hrsg.): Körperinszenierungen. Präsenz und kultureller Wandel.
Tübingen 2000.
SINGER, Kurt: Spiegel, Schwert und Edelstein. Strukturen des japanischen Lebens.
Frankfurt am Main 1991.
WEISSER, Thomas/Weisser, Yuko Mihara: Japanese Cinema Encyclopedia: Horror, Fantasy and Science Fiction Films.
Miami 1997.
YAMANE, Keiko: Das japanische Kino. Geschichte × Filme × Regisseure.
München/Luzern 1985.

Filmographie
Onibaba
Deutscher Titel: Onibaba – Die Töterinnen
Japan 1964
Regie: Kaneto Shindô
Kamera: Kiyomi Kuroda
Darsteller: Nobuko Otowa, Jitsuko Yoshimura, Kei Sato, Jukichi Uno u. a.

Yabu no naka no kuroneko aka Kuroneko
Deutscher Titel: Kuroneko
Japan 1968
Regie: Kaneto Shindô
Kamera: Kiyomi Kuroda
Darsteller: Kichiemon Nakamura, Nobuko Otowa, Kiwako Taichi, Kei Sato u. a.

Berichtigung extern:

Vielen Dank für Ihren spannenden Artikel, besonders für ihre aufschlussreichen Ausführungen über das Nô-Spiel haben mir sehr gefallen. Dennoch kann ich als Theaterwissenschaftler nicht umhin, zwei Anmerkungen zu machen.
Ihr Zitat:
"Hierzu ist es entscheidend zu wissen, dass das Nô-Theater ein reines Maskentheater ist."
Das ist nicht ganz richtig. Das Nô ist, im Gegensatz zum klassischen antiken Theater, kein reines Maskentheater. Im Normalfall trägt nur der shite (Hauptdarsteller) eine Maske und sogar hier gibt es einige wenige Ausnahmen. Der waki (Nebendarsteller) KANN eine Maske tragen, ist aber meist unmaskiert. Alle anderen Teilnehmer eines Nô-Spiels sind grundsätzlich unmaskiert.

Ihr Zitat:
"Bis zum heutigen Tage ist in der Aufführungspraxis auch noch keine weibliche Rolle im Nô-Theater mit einer echten Frau besetzt worden."
Dies ist faktisch falsch! Traditionsgemäß ist das Nô zwar eine reine Männerdomäne, allerdings ist es seit Beginn des 20.Jahrhunderts auch Frauen erlaubt, professionell Nô zu spielen und eine Ausbildung zu erhalten. Dass es diese Frauen nicht einfach haben, das mag sein, aber es gibt weibliche Nô-Darstellerinnen und diese spielen auch Frauenrollen. (Was übrigens sehr interessant ist, denn diese Frauen müssen sich erst ihren weiblichen Attributen entledigen, ihre Brüste und Hüften abbinden, die Schultern auspolstern, um dann das Frauenkostüm tragen zu können).


Mit freundlichen Grüßen,


Alexander Rehn