SM: Performanzen und Verque(e)rungen von Macht

Ein Tagungsbericht von Camillo Rack

 

Am 23. und 24. April fand an der Freien Universität Berlin ein interdisziplinärer Workshop unter dem Titel „SM: Performanzen und Verque(e)rung von Macht“ statt. Es war der erste wissenschaftliche Workshop zu dem Themenkomplex BDSM an einer deutschen Universität. Eingeladen zum Workshop hatte der Literaturwissenschaftler Dr. Volker Woltersdorff vom Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“ . Woltersdorff leitet bei diesem von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) geförderten Forschungsprojekt das Unterprojekt „Sadomasochistische Aufführungen gesellschaftlicher Widersprüche in Kunst, Subkultur und Internet – Das Theater der Macht und die Realität der Phantasmen“, welches dem Bereich „Grenzen von Geschlecht – Praktiken, Räume, symbolische Formen“ zugeordnet ist.

Über den Hintergrund und das Ziel des Workshops erklärte Woltersdorff in der Einladung:

„Die wissenschaftliche Beschäftigung mit sadomasochistischer Praxis, Ästhetik und Subkultur ist bislang ein systematisch kaum etabliertes Forschungsfeld. Dieser Workshop möchte ein Forum schaffen, in dem aus unterschiedlichen disziplinären Perspektiven über Möglichkeiten, diese Lücke zu füllen, nachgedacht werden kann. Der Workshop versteht sich deshalb als konzentriertes Arbeitsgespräch mit Werkstattcharakter. Er soll ein diskursives Feld eröffnen, Forschungsfragen formulieren und Aufgabenfelder benennen. Ziel ist ein fruchtbarer Dialog zwischen den einzelnen Wissenschaften und Subkulturen.“

Der Einladung waren ca. 25 Personen - vorrangig SMlerInnen aus Forschung und Wissenschaft, weniger Interessierte – gefolgt, womit das gewünschte Konzept der Begegnung von Subkultur und Wissenschaft nur partiell aufging. Durch den vorgegebenen, wissenschaftlich-universitären Rahmen fand bereits eine Selektion im Vorfeld statt. Dennoch gab es viele fruchtbare Diskussionen, in denen die eine oder andere weitergehende Forschungsfrage aufgeworfen wurde und Anregungen für noch laufende Projekte lieferten. Dabei geriet vor allem die häufig anzutreffende Fokussierung auf den durch den französischen Philosophen Michel Foucault geprägten Begriff der Macht, der für viele der ReferentInnen einen wichtigen Bezugspunkt bildete, in die Kritik. Der Begriff der „Kontrolle“ rückte hingegen stärker in den Blickwinkel.

Als erster Referent stellte Lüder Tietz (Oldenburg) seine kulturwissenschaftlichen Forschungsergebnisse über die Selbstinszenierung von SMlerInnen bei Prideparaden und deren Impetus vor. Er thematisierte sowohl die Idee der Sichtbarmachung von Deviaten in der heteronormierten Öffentlichkeit als auch die unterschiedlichen Typifizierungen von TeilnehmerInnen jener Paraden. Er ging in seinem Vortrag auf ausgewählte Aspekte der Fetischisierung und der vestimentären Inszenierung von SM ein. Sein Fokus lag dabei auf der empirischen Fundierung der vielfältigen Inszenierungen auf Pride-Paraden im Spannungsverhältnis von persönlichem Stil, als karnevaleske Umkehrung der bestehenden Ordnung und als heteronormativitäts-kritische Strategie. Basis der Untersuchung bildet die Berichterstattung aus der Szene- und Boulevardpresse, Foto- und Videomaterial sowie Tonaufnahmen.

 

Auf der theoretischen Grundlage von George Bataille und Elaine Scarry fußend erläuterte die Theaterwissenschaftlerin Elke Koepping (Berlin) anhand einer Gegenüberstellung vom „Bondage Projekt“ von Matthias T. J. Grimme (Hamburg) und dem Bondageprojekt Art Sensual (Berlin) , mit einer Fixierung auf die Anwendung der sog. „Suspension“-Bondage, unterschiedliche Interaktionen beim Bondage. Sie thematisierte sowohl das Verhältnis von Bondagemaster zur Sub als auch die Wechselwirkung, die mit dem Publikum während der Performance stattfindet. Sie stützte sich dabei auf Gespräche mit Maliz und Zamil von Art Sensual als auch auf ihre teilnehmende Beobachtungen von Bondageperformancen. In ihrem Vortrag spielte sowohl die Fetischisierung des Bondageseils als auch die besonders stark auftauchende Gradwanderung zwischen Kontrolle und Freiheit eine wichtige Rolle.

Nach der Mittagspause präsentierte Robin Bauer (Hamburg) Zwischenergebnisse einer Doktorarbeit über die Verquerung von Macht bei sadomasochistisch orientierten Queer-Transgender-Menschen aus den USA und Europa. Entlang von acht Thesen, die Bauer mit bereits transkribierten Interviewauszügen (lediglich InterviewpartnerInnen aus Amerika) belegte, boten die Ergebnisse empirischen Input für die weiterführende Diskussion über den Umgang und Bewertung von dem Faktor „Macht“. Neben geläufigen Thesen wie z.B. der Eingangsthese, daß Machtaspekte jede Sexualität durchziehen, was eine Differenzierung zwischen „Vanilla“ und „Sadomasochismus“ unter diesem Aspekt ad absurdum führt, beinhaltete die Untersuchung auch einige bisher wenig untersuchte Thesen. Dabei waren vor allem die 6. und 7. These, welche aus Zeitgründen leider nicht mehr adäquat mit Zitaten belegt werden konnten, von großer Relevanz. Es handelte sich um die Thesen:
6. BDSM kann es ermöglichen, eine Kultur zu schaffen, die Verschiebungen von Bedeutungen (z.B. von Handlungen und Beziehungen zwischen Menschen) im Sinne einer queeren Politik erwirkt. In diesem Sinne wird das Praktizieren als Empowerment erlebt.
7. BDSM-Räume und Praktiken funktionieren als Experimentier-Räume zum Entwerfen neuer Geschlechter und Sexualitäten, beispielsweise durch Gender Play Praktiken, und verqueeren somit herrschende Machtstrukturen hinsichtlich von Geschlecht und Sexualität.

Die beiden Soziologinnen Prof. Dr. Nina Degele und Dr. Dominique Schirmer (Freiburg) stellten Forschungsergebnisse aus zwei unterschiedlichen Projekten vor. Das erste Forschungsprojekt war eine Untersuchung unter dem Titel „Sich schön machen“. Die aus diesem Forschungsprojekt exzerpierte These für den Workshop, die auch auf die Zwischenergebnisse des zweiten Projektes partiell übertragbar ist, lautete, daß beim SM eine Umwertung von Ästhetik vorgenommen wird – teilweise vergleichbar mit der Umwertung von „Häßlichkeit“ durch jugendliche Subkulturen. Gleichzeitig findet sich ein Abgrenzung zu anderen Gruppen wieder, wie es auch von der Mainstreamgesellschaft betrieben wird. Bei dem anderen Projekt handelt es sich um ein noch laufendes Projekt über Schmerz und den Umgang mit Schmerz. Wie auch das Projekt über Schönheit wird dabei auf die Methode der Gruppeninterviews zurückgegriffen. Zu den untersuchten Gruppen gehören neben SMlerInnen auch schlagende Verbindungen, SportlerInnen und junge Mütter. Der Vergleich von einem sportlichen Flow-Erlebnis zur sadomasochistischen Schmerzwahrnehmung bildete während des Workshops wiederholt einen Anknüpfungspunkt für Diskussionen genauso wie die scheinbare Zentralstellung des Begriffes „Macht“ in SM, die von mehreren TeilnehmerInnen hinterfragt wurde. Im Fokus der Vorstellung dieses Projektes stand die Skizzierung der Umwertung des in unserem Kulturkreis durch die christliche Religion bestimmten Wahrnehmung von Schmerz. Ein weiterer spannender Aspekt, der in diesem Rahmen thematisiert wurde, war die geschlechtliche Konnotation von Schmerz – „Schmerz erleiden“ als ein Ritus von Männlichkeit. Für die BDSM-Subkultur konstatierten Degele und Schirmer in Bezug auf Scmerzwahrnehmung: „Die Wertschätzigkeit von Verletzlichkeit Schmerz, der unvoreingenommene Umgang mit Schmerz und dem Bejahen von Schmerz zur Identitäts-konstruktion der BDSM-Kultur gehört.“

Von einem philosophischen Background her näherte sich Dr. Dr. Christoph Holzhey (Siegen) dem Begriff des Masochismus – im zweiten Teil seines Vortrages bezugnehmend auf den französischen Philosophen Gilles Deleuze. Im Zentrum seiner Überlegung stand dabei das Verhältnis von „Macht“ und „Lust“ bzw. „Schmerz“ und „Lust“. Seine These lautete, daß Lust und Schmerz nicht voneinander zu trennen seien. Diese vorgenommene Trennung sei Paradox und ein kulturelles Konstrukt. Macht als Lustquelle, wie sie häufig in der BDSM-Subkultur rezepiert wird, ist auf jede Form von Sexualität zu übertragen. Bei der Herleitung seiner Thesen arbeitete er mit Verweisen auf die beiden Psychoanalytiker Jacques Lacon und Sigmund Freud. Im weiteren Verlauf thematisierte er die Unterscheidung der Phänomene „Sadismus“ und „Masochismus“ – letzteres unterteilte er in einen moralischen und sexuellen Masochismus - im Sinne Deleuzes (vgl. „Sacher-Masoch und der Masochismus“ ). Er interpretierte in diesem Rahmen die Kritik von ihm an der sadomasochistischen Einheit als eine beispielhafte Analyse unterschiedlicher Lustorganisationen.

Darauf bezugnehmend erläuterte Dr. Michael Groneberg (Fribourg) ebenfalls aus einer philosophisch-geschulten Sicht einige Aspekte der SM-Sexualität. Seine Kritik richtete sich einerseits gegen die Fixierung auf den Begriff der „Macht“ für SM-Sexualität anderseits auch gegen die fehlende Dynamik in der Herstellung des Herrschaftsverhältnisses in SM-Beziehung. Desweiteren unterstellte er der (den) existierende(n) SM-Szene(n) eine stärkere Affinität zum Masochismus (in Bezugnahme auf den konsensualen Charakter, der sich bereits zu einem gewissen Grade bei der Novelle „Venus im Pelz“ von Sacher-Masoch wiederfindet) als zum „Sadismus“, dessen moderne Variante lediglich in einigen Ausprägungen im „Satanismus“ wiederzufinden sei. Er plädierte darüber hinaus basierend auf dem bereits genannten Deleuze-Ansatz folgend und den die Entstehungsgeschichte des Begriffes rezipierend formulierte er die Forderung nach einer nicht an der Beziehung von „Herr und Knecht“ (Hegel) orientierten Differenzierung der beiden Begriffe als unabhängig voneinander existierende Begrifflichkeiten.

Zum Abschluß des Tages führten Zamil und Maliz – bekannt als „Art Sensual“ - eine kurze Bondage-Performance vor und stellten sich den Fragen des Publikums, die sehr allgemeiner Art – z.B. über die Unterschiede von Asian und Western-Bondage - und auch konkret über die Handhabung bei Performances mit dem Safety Word ausfielen. Alien Felix vom Planten Mars las zum Ausklang eine pornographische, auf einem homosexuellen Kontext aufgebaute Kurzgeschichte („Liebe in Zeiten von XTC“) vor.

Am Sonntag bildete der Beitrag der Journalistin und Übersetzerin Kathrin Passig (Berlin) den Auftakt des Programms. Sie stellte die Thesen des amerikanischen Psychologen Roy F. Baumeister über Masochismus und dessen blinde Flecken vor – wie z.B. das Fehlen eines Erklärungsansatzes für den Sadismus. Baumeister betrachtete den sexuellen Masochismus adäquat zu anderen Verhaltensweisen wie Meditation und Extremsport als einen Ausdruck von Flucht vor Selbstaufmerksamkeit. Er rückte damit das Aufkommen von sexuellem Masochismus in eine Entwicklungs-tradition der philosophischen Entstehung von einer individuellen Identität in der Neuzeit. Er negierte mit dieser Auffassung das weitgehend vorherrschende Bild, daß Masochismus in einem Zusammenhang mit selbstzerstörerischen Impetus stehe.

Im Anschluß stellte Renate Lorenz (Berlin) ihre Forschungsergebnisse über das sexualisierte Herrschafts- und Liebesverhältnis der Hausangestellten Hannah Cullwick und dem Bourgeois Arthur Murphy im viktorianischen England vor. Entlang historischer Materialien (Auszügen aus Tagebüchern, Fotographien, Briefen) rekonstruierte sie das wechselseitige Verhältnis von Arbeit und Sexualität. Dabei gerieten vor allem der Genderaspekt in der Beziehung der beiden in den Blickpunkt. Neben der durch harte körperliche Arbeit gestählten Hannah Cullwick wirkte der nicht körperlich tätige Beamte Arthur Murphy sehr feminin. Gleichzeitig versucht er immer wieder in Inszenierung für Fotos ein Herrschaftsverhältnis deutlich zu machen, z.B. indem er sie als farbiger Sklave neben sich ablichten ließ, womit die Beziehung gleichzeitig den Aspekt eines homoerotischen Beziehungsgeflechtes eröffnet. Die Sexualisierung ihres Arbeitsverhältnises spielte für das Selbstverständnis und die Selbsttechnologie von Hannah Cullwick als Arbeiterin eine große Bedeutung. Die Inszenierung der Beziehung ging mit der Verwendung von sadomasochistischer Symbolik (Sklavenband, Anrede von Murpy mit „Master“) einher. Im kommenden Hahr werden die Forschungsergebnisse der Untersuchungen in Berlin im Rahmen einer Ausstellung präsentiert.

Den Abschluß des Workshops stellte der Beitrag von Prof. Dr. Stefanie von Schnurbein (Berlin) über das problematische Verhältnis von SM und Spiritualität dar. Sie verstand ihren Beitrag als einen ersten Versuch, mögliche Überschneidungen von Religion / Spiritualität und SM-Praktiken und –Philosophien aufzuzeigen. Ihrem Forschungsschwerpunkt entsprechend thematisierte sie dabei vorrangig die Schnittstellen von neuheidnischen Religionen bzw. „alternativer“ Spiritualität und deren ideologiekritischen Problematik. Als Beispiel wählte sie den amerikanischen Neuheiden Stephen Flowers alias Edred Thorsson („Order of Triskehon“) aus, der sich bei seiner „Carnal Alchemy“ explizit auf den Roman „Geschichte der O“ von Pauline Reagé bezieht. Symptomatisch für die Vereinnahmung von SM-Praktiken im Mainstream der neuheidnischen Religionsgemeinschaften ist das Konstrukt, daß SM-Praktiken eine uralte, vorchristliche und durch das Christentum bzw. den Monotheismus allgemein unterdrückte Form von Sexualität sei, der magische Eigenschaften zugerechnet werden.

Deutlich wurde bei diesem Workshop, daß es viele nicht geklärte Forschungsfragen im Bereich der Forschung zu Sadomasochismus gibt, die einer Untersuchung harren. Die Vielzahl der vertretenen Disziplinen machte darüber hinaus deutlich, in welchem weiten Spektrum sich eine Untersuchung von Phänomen von BDSM vollziehen können. In seiner fächerübergreifenden Ausprägung ermöglichte der Workshop eine Vernetzung von WissenschaftlerInnen unterschiedlicher Disziplinen, die einen Schwerpunkt auf die Untersuchung von BDSM legen. Spannend war zu dem, daß der Workshop teilweise eine Symbiose aus Wissenschaft und Subkultur herstellte. Es bleibt zu hoffen, daß der Impuls, den dieser Workshop auslöste, nicht ungehört verhallt. Ende des kommenden Jahres wird der Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen“ eine internationale Konferenz zu diesem Themenkomplex veranstalten, wo die Forschungsergebnisse vertieft werden sollen und vielleicht auch weiterreichende Impulse für eine Forschung zur SM-Thematik jenseits seiner Stigmatisierung ausgehen können.

Camillo Rack