Oliver Hahm

Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia

Sam Peckinpahs persönlichster Film. Eine Hommage

 

I did 'Alfredo Garcia' and I did it exactly the way I wanted to.
Good or bad, like it or not, that was my film.' (Sam Peckinpah)

Sam Peckinpah und seine Charaktere sind oft als Antihelden, Mavericks und Outlaws signifiziert und die wesentlichen Merkmale, die ihnen und ihren Filmen (gelegentlich voreilig und unrelativiert) zugeschrieben werden, setzen sich aus Gewalt, Schmutz, Alkoholismus und einer machistischen Tendenz zusammen. „Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia“ entspricht diesen Kennzeichnungen zum Teil mehr als viele andere Filme des eigenwilligen Regisseurs und obwohl auch der (selbst für Peckinpah) unorthodoxe Plot von Direktheit und Blutrünstigkeit strotzt, findet der maßgebende Teil der Erzählung und die angemessene Rezeption auf einer höheren, transzendierten Ebene statt.

Erzürnt über die Schwangerschaft seiner Tochter bietet ein mexikanischer Großgrundbesitzer eine Million US-Dollar für die Ergreifung des potentiellen Kindsvaters Alfredo Garcia. Er hegt jedoch nicht die Absicht, diesen auf seine väterlichen Pflichten aufmerksam zu machen, der Patriarch setzt die Summe vielmehr als wortwörtlichstes Kopfgeld aus und verlangt, dass man ihm das abgeschlagene Haupt Garcias als Beweis für dessen Ergreifung überbringe. Als sich verschiedene Parteien auf die Suche begeben, geraten zwei dieser Gangster in Mexiko an den abgehalfterten Bar-Pianisten Bennie (Warren Oates) und versprechen ihm Zehntausend Dollar, für Garcias Kopf. Durch seine Freundin Elita (Isela Vega) erfährt Bennie, dass Garcia bei einem Unfall ums Leben gekommen und auf einem mexikanischen Friedhof beerdigt sei. Gemeinsam bricht er mit ihr zu einer Fahrt in ihre gemeinsame Zukunft auf, ohne ihr jedoch von seiner makaberen Absicht zu erzählen, Garcias begrabenem Leichnam den Kopf abzutrennen und so ihr gemeinsames Glück zu finanzieren.

In der Gesamtinszenierung des Films - seiner Struktur, Themen und Stilisierung - verbindet Peckinpah – wie auch später in „Convoy“ - verschiedene Genre. So werden hier einerseits die Motive einer (desillusionierten) Freiheitssuche und der Rastlosigkeit einer diffusen Reise aufgegriffen, welche für das Road Movie konstitutiv sind. Zugleich erinnert die selbstverständliche und unausweichliche Gewaltbereitschaft und Gesetzlosigkeit der Figuren an den Western - nicht zuletzt an Peckinpahs eigene Spezialform dieses klassischen Genres. Weiterhin kann die Figurenkonstellation aus Bennie, Elita und Garcia, mit dem sie eine mehrtägige Affaire hatte und der nur in Form seines abgeschlagenen Kopfes präsent ist, als bizarre melodramatische ménage à trois gelesen werden.

Gewalttätigkeiten, Vulgarität, Trunkenheit und eine unsaubere bis degoutante Atmosphäre durchziehen beinahe die gesamte Handlung, doch trotz dieser kontroversen Sujets, wäre es ein oberflächliches Urteil, diesen Film in die Ecke substanzloser Trash- und Schundkultur zu schieben. Peckinpah erzählt die Geschichte durch die Augen einer gescheiterten, aber unerbittlichen Figur. Im Zuge der Post-Production-Code-Ära des New Hollywood, wo der Weg frei gemacht wurde für unkonventionelle bis deviante Charaktere, verkörpert Warren Oates einen herausragenden Antihelden. Von ausschließlich negativen (männlichen) Figuren umgeben - wie den selbstzerstörerischer Geldgier verfallenen Gangstern, räuberischen und vergewaltigenden Bikern und dem mexikanischen Patriarchen, der seiner schwangeren Tochter erbarmungslos den Arm brechen lässt, um den Namen des Erzeugers zu erfahren – hebt sich Bennie in kleinen, aber prägnanten Nuancen ab.

Ebenfalls von der Suche nach Alfredo Garcias Kopf besessen, schleicht sich eine immer stärker werdende Metaebene ein, auf der der Gegenwert des abgeschlagenen Hauptes ins Metaphysische gerät. Bennie selbst spricht zu Beginn der Reise metaphorisch vom Goldenen Vlies und mit Fortschreiten der Suche und der steigenden Zahl der Opfer drängen sich weitere weltliterarischer Figuren und Motive auf, wie bspw. Captain Ahab, dessen Suche nach dem weißen Wal zu einer allumfassenden Sinnsuche und Bestimmung gerät.

Dass es Peckinpah gelingt in seiner rohen Direktheit solch transzendierte Ebenen zu etablieren, ist seinem individuellen Stil geschuldet. Schon in „The Wild Bunch“ arbeitete er mit Metaphern, die kaum weniger subtil sein konnten – man denke an die Vielzahl Ameisen, die über zwei Skorpione herfällt – die sich jedoch aufgrund starker Darsteller und Charaktere und des intensiven Gesamteindrucks nahtlos einfügten, ohne ins trivial Plakative zu geraten. In „Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia“ gelingt es Peckinpah ebenso so gut, seinen Charakteren zwischen den lauten und actiongefüllten Szenen genügend Zeit im richtigen Augenblick zu gewähren und setzt ihre ausdruckstarken Gesichter und Worte in adäquaten Einstellungen und Perspektiven um.

Schauplatz der hier geschilderten Jagd ist Mexiko, das Exil und El Dorado der Ausgestoßenen und Außenseiter, die unter der zivilisierenden bis faschistischen Frontier-Mentalität nicht Fuß fassen konnten. Bennie ist ein Verlierer, der in den Zehntausend Dollar Kopfgeld eine letzte Hoffnung - „eine Fahrkarte für den letzten Zug“, wie er sagt – und somit seine Bestimmung sieht. Solch ein letzter Fatalismus, der in seiner nihilistisch geprägten Umwelt beinah trotzig wirkt, bringt Bennie (wie auch andere Protagonisten Peckinpahs) in die Nähe der Figuren Akira Kurosawas oder den Helden klassischer Mythologie, die ihrer Rolle oder einem bestimmten Credo unwiderruflich verhaftet sind. Als schließlich auch Elita (und somit Bennies einzige Zukunftsperspektive) den tragischen Kollateralschäden zum Opfer fällt, wandelt sich die Schatzsuche zu einem vergeltenden Racheakt, in dem ihm der Kopf Garcias nur noch zum Urheber der Hetzjagd führen soll.

Gefühle des Unheimlichen und Unwirklichen schleichen sich ein, wenn Oates mit dem abgeschlagenen Kopf auf dem Beifahrersitz durch Mexiko fährt und mit letzten Mitteln und Kräften versucht, diesen vor der endgültigen Verwesung zu schützen. Den Kopf in einen Sack gesteckt, der von unzähligen Schmeißfliegen besetzt ist, spricht er mit dem imaginären Garcia wie mit einem Freund oder gar einer höheren (spirituellen) Instanz. Profanes und Sakrales fallen in diesen Szenen direkt zusammen und bringen die Essenz Peckinpahs und seines Werkes auf den Punkt.

Wie in vielen seiner Filme sind Tod und Sterben beinahe allgegenwärtig und wie in den berühmten Augenblicken aus „The Wild Bunch“ greift Peckinpah in diesen Szenen auf seine eindrucksvollen und viel zitierten Zeitlupenaufnahmen zurück, die das unausweichliche Stillstehen menschlicher Existenz im wahrsten Sinne festhalten. Zugleich sind jedoch Vorwürfe der Gewaltverherrlichung nicht ohne weiteres haltbar. Trotz eines recht hohen Body Counts und einer unausgesprochenen Selbstverständlichkeit an Gewaltanwendung, wirken die beteiligten Figuren – allen voran der Protagonist – niemals engagiert oder begeistert von ihrem Tun, ihr Habitus ist vielmehr von Resignation und Ausweglosigkeit gezeichnet. Sie sind Gefangene in ihren persönlichen Spiralen aus Gewalt, an deren Ende der Tod steht.

Als einer der persönlichsten, besten und wichtigsten Filme Peckinpahs, spiegelt „Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia“ gleichzeitig das eigene Leben Peckinpahs, der als visionärer, individualistischer und schwer trinkender Maverick unter den amerikanischen Studio-Regisseuren oftmals (und manchmal vergeblich) versuchte, sich gegen übermächtige Instanzen hinwegzusetzen. „Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia“ ist ein herausragender Film New Hollywoods, der trotz seiner Synthese klassischer Hollywood-Genre in jedem Augenblick die ergiebige Eigensinnigkeit eines außergewöhnlichen Filmemachers spüren lässt und somit die Auteur-Theorie kräftigt.