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Claudia Jubeh
Religiöse Mythen in Hollywood
Auf den Spuren des Messias
„Im Kern eines jeden Unterhaltungsfilms
steckt eine religiöse oder magische Erzählung.“
Georg Seeßlen (1)
Der Held einer Geschichte wird auch im Zeitalter profaner
Erzählungen nicht umsonst Held genannt, denn auch er wandelt auf
den Spuren des „Heros in tausend Gestalten“ und ist als exponierte
Hauptfigur etwas Besonderes, selbst wenn er nicht göttlichen Ursprungs
ist. Held wird man nicht allein durch seine Abstammung, sondern vor allem
durch den Weg, den man beschreitet, die Prüfungen, die man bestehen
muss, und das Ziel, das es zu erreichen gilt. Wie die letzten Kinojahre
zeigten, können auch kleine Männlein mit großen, haarigen
Füßen Helden sein, vor denen sich selbst ein König verneigt.
Auf seinem Weg verlässt der Held das Reich der Normalsterblichen
und betritt die Sphäre des großen kosmischen Rätsels.(2)
Religiöse Mythen bedienen sich ebenso dieser zirkulären Reisedramaturgie,
um die Besonderheiten und Botschaften ihrer jeweiligen Religionen oder
Religionsstifter zu verdeutlichen. Als Sinnbild dafür mag Uroboros
gelten, die Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißend verdeutlicht,
dass Anfang und Ende gleich, jedoch nicht identisch sind. Die in unseren
Breiten bekannteste jener mythischen Reisen ist die des Zimmermanns aus
Galiläa, der in den Tod ging, um seinen Vater mit den Menschen zu
versöhnen und seinem Volk das Elixier des Lebens – den heiligen
Geist – zu bringen.
Im Prinzip sind Ursprungsmythen aller Couleur als religiöse
Mythen zu bezeichnen, da sie den Ursprung einer Gemeinschaft markieren,
die durch zyklisch zelebrierte Erinnerungsriten daran ihren Zusammenhalt
bekräftigt. Diese Mythen können überformt und den kulturellen
Veränderungen angepasst werden, während ihre Essenz doch stets
gleich bleibt.(3) So ist es nicht verwunderlich, dass die großen
Feste der Christen – Weihnachten und Ostern – ihre Ursprünge
in heidnisch-germanischen Riten haben, die noch den Wandel der natürlichen
Jahreszeiten zelebrierten, nicht die Ereignisse des Heilsgeschehens.
Mircea Eliade(4) beschreibt Mythos als Bericht von einem
primordialen Ereignis – als eine heilige Geschichte, die am Beginn
der Zeit stattfand und in welcher das Geheimnis von Göttern und Heroen
enthüllt wird. Sinnstiftend ist ein solcher Gründungsmythos
insofern, als im Wie des Einbruchs des Heiligen in die Welt immer auch
das entsprechende Warum enthalten ist. Im Vorgang dieser Enthüllung
wird die Geschichte zur Wahrheit, im Sinne eines Berichts über die
'Schöpfung’ von Realitäten. Das Heilige selbst ist damit
das Reale par excellence, denn „was der Sphäre des Profanen
angehört, hat am Sein nicht teil, weil das Profane durch keinen Mythos
ontologisch gegründet wurde und kein exemplarisches Modell besitzt.“(5)
Aus diesem Verständnis heraus beschreibt Eliade die Hauptfunktion
des Mythos, die darin besteht, exemplarische Modelle für alle Riten
und wesentlichen Betätigungen des Menschen festzuhalten. Durch Nachahmung
der göttlichen Vorbilder (imitatio dei) bewahre sich der Mensch einen
Platz im Heiligen.
Im Christentum nimmt die Heilsgeschichte eine der mythischen
Urzeit analoge Funktion ein.(6) Die Zeiterfahrung göttlichen Handelns
rückt ab von der Begründung der Welt hin zu einer künftigen
Vollendung göttlicher Herrschaft, wird also von der Vergangenheit
in die Zukunft verlegt. Der ursprüngliche Schöpfungsaspekt wird
sekundär zugunsten eines zukünftigen Heilsgeschehens. Die Person
Jesu Christi übernimmt dabei die Funktion des mythischen Archetyps.
Die christliche Nächstenliebe gilt als Nachvollzug Jesu Verhaltens
und mit dem entsprechenden Nachvollzug von Taufe und Abendmahl wird ein
urzeitlich-archetypisches Geschehen ständig vergegenwärtigt.
Der Zusammenhang von Mythos und Kultus im Christentum erstreckt sich bis
hin zur zyklischen Vergegenwärtigung des Heilsgeschehens im Kirchenjahr.
Pannenbergs These lautet, dass der Mythos dabei nicht mehr die Funktion
hat, die universale Wahrheit des geschichtlichen Selbsterweises Gottes
argumentativ zu beweisen, sondern sie lediglich zu veranschaulichen. Die
Gläubigen bilden dabei eine Erzählgemeinschaft, deren erzählte
Erinnerung primär eine memoria passionis darstellt, eine Erinnerung
an die Leiden Christi. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Aspekt
des Opfers.
Archaische Fruchtbarkeitsriten sind seit jeher mit einem
sakralen Opfer verbunden, als solches ließe sich in weiterem Sinne
auch das des Jesus Christus begreifen, der durch die Selbstopferung den
Bestand seiner Art erhalten konnte. Der Ackerbau, eine ehemals sakrale
Tätigkeit, wird in frühgeschichtlichen Mythen überliefert
als mühselige Folge eines urzeitlichen Mordes und damit ersten Sündenfalls.(7)
Ein göttliches Wesen (dema-Gottheit) ließ sich dereinst opfern,
damit aus seinem Leib Obstbäume wachsen konnten, um die Menschen
zu ernähren. Dieser erste Mord brachte den Ackerbau sowie den Tod
in die Welt, mit der Notwendigkeit der Sexualität als einziger Möglichkeit
der Erhaltung der Art – so hat der Mensch sich nährend, fortpflanzend
und schließlich sterbend Teil an der Existenz der dema.
Das archaische Motiv des Menschenopfers selbst ist dabei
als Reminiszenz an das Alte Testament ins Christentum eingedrungen –
mit Isaac, der von seinem Vater Abraham auf Gottes Geheiß hin geopfert
werden sollte und an dessen Stelle schließlich ein Schaf geschlachtet
wurde. Die Tradition setzte sich fort mit Christus, dem „Lamm“
Gottes sowie im Islam, wo die Muslime jährlich der Errettung Isaacs
durch Gottes Hand mit der Schlachtung eines Schafes gedenken.
Während also der rachsüchtige Gott des Alten
Testaments noch selbstverständlich Menschenopfer forderte, wandelt
er sich im Zuge christlicher Mythologie zu einem vergebenden, beschützenden
und liebenden Gott, der seinen eigenen Sohn und Heiland der Ignoranz der
Menschen ausliefert. Die Selbstopferung des Sohnes Gottes ist in diesem
Zusammenhang das Ende des Opferkults schlechthin, da das größtmögliche
Opfer bereits hingegeben wurde, um Gottes Zorn zu besänftigen und
ihn für immer seinen menschlichen Kindern gegenüber versöhnlich
zu stimmen. Das Opfer selbst bleibt aufgrund seines unermesslichen Wertes
für immer unfassbar, so dass es lediglich zyklisch erinnert werden
kann.
Dem Aspekt der Verschwendung des wertvollen Opfers wird
in Mel Gibsons The Passion of the Christ (2004) auf eine höchst zweifelhafte
Weise Rechnung getragen, indem Jesu Blut und Fleisch an jeder Station
seiner Passion wortwörtlich dahin geworfen und verschwendet werden.
Dass diese Form einer memoria passionis nicht in der Kirche,
sondern im Kino stattfand, spricht für deren jeweilige Stellung innerhalb
der modernen Gesellschaft. Der Film als Massenmedium erreicht heute ungleich
mehr Menschen als religiöse Institutionen allein. Dennoch gibt es
nach wie vor eine Suche nach Antworten und ein Bedürfnis nach Erlösung,
die auch der empor zur Leinwand gerichtete Blick sich erhofft. Es würde
zu weit gehen, das Kino als neue Tempel zu bezeichnen, dennoch werden
darin auch religiöse Fragen fernab von jeder Dogmatik verhandelt.
Erlöserfiguren wie Bruce Willis oder Donnie Darko ziehen ihr jeweiliges
Publikum in den Bann und bieten für eine Weile Antworten, einen Sinn,
oder auch nur das Gefühl, Teil eines großen Ganzen zu sein.
Während in kosmogonischen Mythen der (zyklische) regressus
ad originem eine Notwendigkeit zur Erhaltung von Reinheit und Echtheit
einer Gesellschaft darstellt, kann die Popularität des Messias-Mythos
im Kino Zeichen einer regressiven Grundströmung unterhalb der evolutionären
Entwicklung sein, die um so stärker wird, je mehr sich die aufgeklärte
Gesellschaft von ihren mythischen Ursprüngen entfernt. Vielleicht
ist The Passion of the Christ auch in diesem Fall wieder ein Paradebeispiel,
da der Film noch weit hinter die Ursprünge des Christentums zurückgeht
und in seiner Gewaltorgie nicht nur den zornigen und strafenden Gott des
Alten Testaments beschwört, sondern auch einem archaischen Blut-
und Opferkult huldigt. So wirkt die Auferstehungsszene trotz ihrer Kürze
eher beklemmend – in voller epischer Länge erzählt hätte
nach all dem Blutrausch eine Begegnung mit dem Auferstandenen auf das
Publikum wohl wie eine Begegnung mit Michael Myers gewirkt.
1. Die jüdisch-christlichen Ursprünge des Messias-Mythos
Erlöserfiguren gibt es in nahezu allen Religionen und
Weltanschauungen, jedoch in recht unterschiedlichen Formen. Das populäre
Verständnis von Messias als dem Führer einer Gemeinschaft, der
diese von Not und Leid befreit, stammt aus dem Alten Testament. Im Christentum
sowie im Islam findet diese Tradition eine Fortsetzung jeweils eigener
Ausprägung.
Der Begriff Messias ist die gräzisierte Form des hebräischen
maschiach und bedeutet wie seine griechische Übersetzung „der
Gesalbte“. Obwohl auch Hohepriester und selbst gewöhnliche
Priester durch die Salbung geweiht wurden, wurde die Bezeichnung zuerst
für die Könige Israels gebraucht, die im Zuge ihrer Krönung
gesalbt wurden. Erst in späteren Büchern der Bibel findet eine
Bedeutungsverschiebung des zunächst weltlichen Begriffs hin zu einer
göttlichen Konnotation statt.
Die rabbinische Literatur versteht trotz unterschiedlicher
Auffassungen in einigen Einzelheiten unter dem Messias eine endzeitliche
Gestalt, einen menschlichen Herrscher aus dem königlichen Geschlecht
Davids, der den Tempel in Jerusalem wieder errichten wird, um die ganze
Menschheit zu erlösen und zur Vollendung zu führen. Einem so
entstehenden Himmelreich auf Erden wird er als König vorstehen. Die
messianische Zeit würde ein letztes Goldenes Zeitalter sein vor dem
Ende aller Zeiten und der Wiederauferstehung der Toten. Die Zeit vor dem
Erscheinen des Messias jedoch ist durch Dunkelheit, Schmerz und Entbehrung
geprägt, wie das jüdische Volk sie besonders in der Zeit der
Zerstörung des Zweiten Tempels durchlitt, in der messianische Vorstellungen
eine Hochkonjunktur erlebten.(8)
Dem Kommen des Messias gehen also gesellschaftliche Unruhen
und ein moralischer Niedergang voraus. Es gibt aber auch äußere
Anzeichen wie Dürre, Hungersnöte, Aufruhr und Krieg.
Während die rabbinische Literatur uneins ist betreffs des genauen
Zeitpunkts seiner Erscheinung, scheinen jederzeit gesellschaftliche Umbrüche
oder Notsituationen wie die grausame Unterdrückung eines Volkes durch
ein anderes eine solche Hoffnung zu beleben. Dies entspricht meines Erachtens
nach dem zutiefst menschlichen Bedürfnis nach Erlösung, nach
der Befreiung von Leid und Schmerz oder filmisch gesprochen – nach
einem Happy End. Auf eine einfache Formel gebracht, lässt sich also
festhalten: je dunkler die Zeiten, desto näher der Erlöser.
Erlöst werden die Gerechten, wie Lot, der als einziger vor Gottes
Zorn bewahrt wurde, oder aber die schlimmsten Sünder – ein
Gedanke, der eine besonders starke Ausprägung im Christentum fand
– damit jene die unendliche Gnade Gottes erkennen und zu ihm umkehren.
Die Personifizierung des Messias als jüdischer König(9)
spricht einer dezidiert göttlichen Herkunft, wie dies im Christentum
der Fall ist, natürlich ab. Dennoch ist dieser Herrscher mit göttlichen
Vollmachten ausgestattet, um seinen Siegeszug – und damit auch den
seines Herrn – auf Erden zu vervollkommnen. In der jüdischen
Vorstellung ist dabei die Erlösung eng mit einer idealisierten Herrschaftskonzeption
unter einem charismatischen König verknüpft. Unter seiner Führung
werden Städte und Tempel wieder aufgebaut. Es verschwinden Hunger,
Durst, Krankheit und selbst Tod vom Angesicht der Erde. Nahrung und Glückseligkeit
gibt es im Überfluss. Die auf solche Art gesegneten Geschöpfe
– Menschen und Tiere – werden fortan existieren, um Gott zu
dienen und sind nunmehr rein genug, um seinen Namen anzurufen, was bekanntermaßen
im Judentum ein Sakrileg darstellt.
Noch ist der Tempel jedoch nicht wieder aufgebaut und lebt
die Menschheit nicht in Frieden. Die Hoffnung auf einen Messias aus dem
Hause Davids besteht für den Gläubigen weiterhin, besitzt aber
auch für andere eine gewisse Faszination.
1.1. Jesus als Messias
Bei der Verbindung der beiden Themenkomplexe Jesus und Messias
gelangt man schnell an eine komplizierte Schnittstelle zwischen Juden-
und Christentum, sind doch in der Person Jesu Christi die Gemeinsamkeiten,
aber auch Abgrenzungsbestrebungen beider Religionen vereint, die nicht
zuletzt auch in jüngerer Geschichte blutige Folgen nach sich zogen.
Die Bezeichnung Messias für Jesus kommt außer
an zwei Stellen im Johannesevangelium nicht im Neuen Testament vor. Das
griechische bzw. latinisierte Äquivalent Christus als wichtigstes
Attribut Jesu dagegen mehrere hundert Male. In Joh 1,41 und 4,25 wird
der Messiasbegriff im biblisch-jüdischen Erlösungskontext verwendet
und zu einem Element der christlich-jenseitigen Heilslehre ausgebaut.
Das Lukasevangelium seinerseits betont als einziges den irdisch-diesseitigen
Aspekt des messianischen Jesus, in seiner Titulierung als König (ßas??e??),
die Lukas in eigenmächtiger Anpassung der Vorlage aus dem Markusevangelium
vornahm.(10) Weitere Spezifika des Lukasevangeliums – die auch nur
dort vorkommen – sind die Anklage durch den Hohen Rat, Jesus habe
sich als Messias-König bezeichnet, sowie seine Überstellung
an Herodes Antipas, welcher Jesus’ Königswürde verspottet.
All dies spricht für eine spezifische Interpretation des Messias
als königlichem Erbe Davids, die Lukas in Anlehnung an das jüdische
Verständnis eines politisch-militärischen Herrschers vornimmt.
An dieser Stelle fällt bereits auf, dass die verschiedenen
Evangelien scheinbar recht unterschiedliche Interpretationen zu Leben
und Wirken Jesu Christi bieten. Peter de Rosa bezeichnet das Christentum
als eine hochkomplexe Mythologie, als deren Held Jesus Christus fungiert.(11)
Da die Evangelien einander in der Schilderung von Leben und Werk ihres
Heilands stark widersprechen, begegnet dem Leser Jesus Christus darin
bereits als ein Mythos, dessen Wahrheit durch ideologische Überformung
verdeckt wird. Angefangen vom Kindermord in Bethlehem bis zu seinem Tod
am Kreuz begegnen einem höchst diffuse und widersprüchliche
Schilderungen im Neuen Testament, die mit historischen Fakten schwer in
Einklang zu bringen sind.
Tatsächlich wurden die Evangelien erst lange nach Jesu
Tod verfasst und zwar nicht, wie es die Bezeichnungen nahe legen, von
seinen ehemaligen Jüngern, sondern von Menschen, die ihn nicht einmal
gekannt haben können. Auf diese Weise sind die Spuren des Menschen
Jesus leider bis zur Unkenntlichkeit verwischt worden, der Mythos Jesus
trägt jedoch nach wie vor bisweilen skurrile Blüten. Wie es
jeder Jude auch heute noch tut, bezeichnete sich Jesus als Kind Gottes,
nicht jedoch im Sinne eines direkten Nachkommen, da dies für ihn
eine unerhörte Blasphemie gewesen wäre. Wie viele andere Doktrinen
wurde so auch die Gottnatur Christi erst 325 n.C., auf dem Konzil von
Nizäa festgelegt.
Als gläubiger Jude beachtete Jesus die religiösen
Gesetze seines Volkes und trachtete eher nach einer Reformierung der Verhältnisse,
als dass er sich als Begründer eines neuen Glaubens sah. Der Konflikt
mit den Pharisäern und ihrer Auslegung der religiösen Gesetze
war dagegen in solchen Zeiten der Not eine wichtige Motivation für
seine Lehren von Solidarität, Gewaltverzicht und Demut. Der wesentliche
Unterschied zum von den Juden erwarteten Messias bestand jedoch darin,
dass das Reich, welches Jesus den Gläubigen predigte, kein irdisches,
sondern ein jenseitiges war. Diese Abwertung des diesseitigen Lebens lässt
sich in seinen Grundzügen durchaus aus der politischen Situation
des jüdischen Volkes erklären. Da die wiederholten Aufstände
gegen die römische Besatzung zu keinerlei dauerhaften Erfolgen führte,
erschien die Erduldung aller irdischen Drangsale als eine göttliche
Prüfung und notwendige Bedingung einer jenseitigen 'Entschädigung’,
die den von seinen irdischen Lasten befreiten Gläubigen aus dem Staub
der Erde in ätherische Gefilde empor heben und ins Licht führen
sollte – eine Metapher, die einen bleibenden Eindruck auf die bildende
Kunst bis hin zum Film haben sollte.
Jesus selbst hatte jedoch keinerlei Anweisungen hinterlassen
für die Weiterführung des von ihm erschaffenen Kultes im Falle
seines Ablebens. Wie viele seiner Zeitgenossen sah er selbst in den historischen
Wirren die Vorzeichen für das Kommen des Messias und das damit verbundene
Endes der Welt. Da er glaubte, jenes Ende sei nah, hinterließ er
folgerichtig kein Vermächtnis. Im Gegenteil – er predigte die
Umkehr, nicht im Sinne des falsch übertragenen Aufrufs zur Reue,
sondern im Sinne einer Rückwendung zu Gottes Botschaft – der
Thora – um Aufnahme zu finden in das ewige Reich, das bevor stand.
Sein unrühmlicher Tod und vor allem die ausbleibende Rettung mussten
seine Anhänger also gehörig verwirren. Die biblischen Erzählungen
seiner Auferstehung und bevorstehenden Rückkehr sind daher durchaus
vor dem Hintergrund der jüdischen Erlösererwartung zu interpretieren,
die sich mit Jesu physischem Tod nun folgerichtig in eine jenseitige Heilserwartung
wandeln musste.(12)
Tatsächlich enthält der Messias-Mythos, wie er
uns im Neuen Testament begegnet, auch starke archaische Elemente. Während
u.a. die Jungfrauengeburt bei den Synoptikern widersprüchlich erwähnt
wird, lässt Johannes sie zugunsten einer bemerkenswerten Verschiebung
aus – der Vergöttlichung Marias, einer entscheidenden Voraussetzung
für den späteren Marienkult. Tatsächlich erinnern besonders
Ikonen der, sonst so sittsam verhüllten, stillenden Maria und des
saugenden Heilands in trauter Zweisamkeit an die Muttergottheit der Steinzeit
mit ihren exponierten Brüsten als Symbol und Gewähr von Schutz
und Fruchtbarkeit. Ein anderes ikonographisches Urbild – die den
Horus stillende Isis – lässt sich bis auf 5500 v.C. zurück
datieren.(13)
Das bedeutendste Element des christlichen Glaubens jedoch,
das zudem archaischen Ursprungs ist, stellt der bereits erwähnte
Opfermythos, bzw. die Selbstopferung Jesu dar.
1.2. Jesus im Film – Die Wiederkehr des Mythos
Nicht erst seit Mel Gibsons ehrgeiziger Verfilmung „The
Passion of the Christ“ von 2004 lösen künstlerische Annäherungen
an den christlichen Erlöser zuweilen erhitzte Kontroversen aus. Trotzdem
oder vielleicht gerade deshalb sind biblische Stoffe seit jeher ein vor
allem beim Publikum beliebtes Gerüst filmischer Umsetzung. Bereits
1897 entstanden die ersten 'Bibelfilme’, die zunächst nur aus
dem Abfilmen bekannter Passionsspiele bestanden. Die Bekanntheit des Stoffes
und seiner Bedeutung sollte dem Publikum den Zugang zum neuen Medium Film
erleichtern sowie zu einer Erhöhung seines Prestiges beitragen. Allerdings
dienten Bibelfilme auch als Vorwand zur Darstellung exotischer Schauplätze,
skandalöser Ausschweifungen und exzessiver Gewalt. Vor allem in den
50er Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden durch CinemaScope und
andere Breitwand-Formate besonders viele solcher „Kolossalgemälde
und Historienspektakel“(14), die sich der neuen Technik zur Darstellung
imposanter Massenszenen bedienten, um vor allem auch der Konkurrenz durch
das Fernsehen entgegen zu treten.
Die Geschichte Jesu wird in den meisten Fällen als fiktionale Biographie
erzählt – ein Heldenmythos, der die verschiedenen Stationen
von Geburt, Sendung, Wundertaten, Prüfung bis zur Vollendung des
ihm bestimmten Schicksals durchläuft. Neben diesen sogenannten direkten
Jesus-Filmen(15) gibt es auch indirekte Jesus-Filme, deren Hauptfigur
eine andere Person ist, während die Geschichte des Christus lediglich
als Rahmenhandlung dient. Der bekannteste unter ihnen ist sicherlich der
1959 von William Wyler inszenierte und mit 9 Oscars ausgezeichnete Ben
Hur. Wie in den meisten Filmen dieser Art findet auch an Ben Hur eine
Christianisierung statt, eine Ablösung von der alten Religion –
in diesem Fall das Judentum mit seinem Credo von Auge um Auge, Zahn um
Zahn – und eine Hinwendung zu dem liebenden Gott, der auch seinen
Feinden noch vergibt. In diesem Sinne fungiert Ben Hur als alter Ego Jesu
Christi. Es werden christliche Werte wie Nächstenliebe, Selbstlosigkeit
und Vergebung propagiert, der Spannungsbogen aber orientiert sich hauptsächlich
an der Bekehrung des jeweiligen „Ungläubigen“.
Auch im 1953 von Henry Koster inszenierten Film The Robe
wird ein römischer Feldherr durch die Begegnung mit Jesus und der
christlichen Gemeinde von seinem „Irrglauben“ befreit, nachdem
er einige Prüfungen bestehen musste, und darf in der fulminanten
Schlussszene als Märtyrer vom Palast des römischen Kaisers direkt
in die himmlischen Gefilde hinauf schreiten.
Diese letzte Szene versinnbildlicht in ihrem bedeutungsschwangeren Technicolor-Overkill
eine Kritik, die sich häufig an die Bibelfilme jener Zeit richtete
– jene kitschige Postkartenidylle vor Monumentalgemälden des
alten Palästina, vermengt mit amerikanisch-puritanischer Weltsicht
und ihrer klaren Einteilung in Gut und Böse, sowie der moralinsauren
Einsicht, dass auf jede Tat ihre gerechte Strafe oder Belohnung erfolgt,
wenn auch nicht notwendig in dieser Welt. So wirken die männlichen
Helden dieser Filme stets ein wenig zu heldenhaft und die (Jung-) Frauen
an ihrer Seite stets ein wenig zu aufopferungsvoll. Und vor dem Himmel
der alten Renaissance-Meister ist Jesus im Hintergrund zur altbekannten
Geste erstarrt.
Dennoch lässt sich die damalige Beliebtheit des Themas nicht nur
durch die meist imposante Inszenierung und die Sensationslust des Publikums
erklären. In der Tat existierte in Nachfolge des Zweiten Weltkriegs
ein Bedürfnis nach Erinnerung der alten Werte, einer Rückbesinnung
auf jene alte Welt, in der noch Zeichen und Wunder geschahen und Gott
noch greifbar schien. Mit der Erkenntnis des Holocaust ergab sich auch
die Herausforderung einer historischen Revision der jüdischen Ursprünge
des Christentums, sowie der Versuch einer Absage an sinnlose Gewalt.
Dieses ambivalenten Verhältnisses von christlichen
Werten und historischer Realität nimmt sich Nicholas Ray in King
of Kings (1961) an. Rays Rebel Without a Cause (1955) scheint sich in
King of Kings in zwei Personen zu manifestieren. In Jesus von Nazareth
und Jesus Barabbas, die nicht nur durch die Namensgleichheit zueinander
in Beziehung stehen (wie Barabbas es ausdrückt: „I am fire,
he is water“). Während Barabbas als Freiheits-kämpfer
mit Gewalt versucht, das fortwährende Abschlachten seines Volkes
durch die Römer zu verhindern, predigt der Rabbi aus Nazareth seinen
Jüngern das Wort Gottes und vollbringt Wunderheilungen. Hier wird
bereits die jüdische Messiaskonzeption als militärisch errungene
Herrschaft zugunsten eines frühchristlichen Pazifismus demontiert.
Sowohl der bewusst gewählte Titel Rabbi, als auch Barabbas Exposition
als Held des Widerstandes versetzen die Thematik in einen spezifisch jüdischen
historischen Rahmen. Der Kampf gegen die Unterdrücker wird zwar an
zwei unterschiedlichen Fronten geführt, dennoch scheint das Ziel
nicht verschieden. Dieser Aspekt des jüdischen Befreiungskampfes
wird bspw. in Ben Hur völlig marginalisiert zugunsten einer persönlichen
Racheodyssee des Helden, derweil The Robe in pathetischer Manier den Untergang
eines zerfallenden Imperiums mit dem Siegeszug des Himmelreiches einläutet.
Während die Konzentration auf theologisch nicht vorbelastete
Helden im indirekten Jesus-Film die Möglichkeit zur abenteuerlichen
Ausschmückung der frei erfundenen Haupthandlung bietet, ist der direkte
Jesus-Film genötigt, seinen Schau-Wert auf einer visuellen und auch
diskursiven Ebene zu erweisen, da die Bekanntheit des Ausgangs der Geschichte
nicht viel Raum für freie Interpretationen lässt.(16) Mel Gibson
führt diesen Ansatz durch die Konzentration auf die Folterung und
Kreuzigung Christi in seinem Hybrid aus splatter movie, Blockbuster und
esoterischem Heldenepos sowohl ästhetisch als auch intellektuell
völlig ad absurdum – zu oberflächlich die Symbolik, zu
einfältig die Trickkiste emotionaler Manipulation.(17)
Natürlich könnte man King of Kings eine ähnliche Naivität
im Umgang mit seiner Hauptfigur vorwerfen. Zu abgenutzt erscheinen die
Muster der Darstellung – von der immer gleichen Frisur des Heilands
bis hin zur religiösen Metaphorik. Dennoch erscheinen die ästhetischen
Konventionen in ihrer bis hin zur Lichtsetzung ikonographischen Anlehnung
an mittelalterliche und Renaissance-Malerei auf den zweiten Blick durchbrochen
von gegenläufigen Perspektiven und modernen Diskursen, vor denen
die traditionelle Heilsgeschichte in den Hintergrund tritt. Der Wichtigste
bleibt dabei sicherlich die Betonung des jüdischen Hintergrundes
des christlichen Erlösers, der durch das Element des gerechten Widerstands
in Jesus’ alter ego Barabbas noch betont wird.
Trotz allem hat Ray an erster Stelle einen „klassischen“
Jesus-Film abgeliefert, der sich nicht wie bspw. Scorsese mit dem Menschen,
sondern mit dem Mythos Jesus Christus beschäftigt. Dies zeigt sich
vor allem auch in der Darstellung der Frauenfiguren um den Erlöser.
Der Gegensatz von Reinheit und Verdorbenheit sowie von heiligen und gefallenen
Frauenfiguren sind häufig wiederkehrende Mittel filmischer Messias-Darstellungen.
Zur Betonung des Gegensatzes von römisch-heidnischer Dekadenz und
christlicher Reinheit fungieren die verderbte Salome, die ihren Stiefvater
mit einem aufreizenden Tanz dazu verführt, Johannes den Täufer
zu köpfen, und die geläuterte Maria Magdalena auf der anderen
Seite, die dem Auferstandenen als Erste begegnet.
Immer wieder gibt es auch die schwankenden Gestalten und
bekehrten Heiden um den Messias. Die Figur des Verräters nimmt dabei
eine Sonderstellung ein. Wie später auch bei Scorsese ist das Judas-Bild
Rays weitaus differenzierter als es der biblische Kanon zulässt.
Judas als schwankendes Bindeglied zwischen den Antipoden Jesus und Barabbas
erscheint hier nicht als hakennasiger Verräter, sondern als verzweifelter
Patriot, der sich nach Erkenntnis seiner Tat noch selbst stigmatisiert
und damit erneut in die Nähe des Erlösers rückt. Während
der patriotische Judas in King of Kings zwischen alttestamentarischem
Vergeltungscredo und der frohen Botschaft der Vergebung unentschieden
bleibt, fungieren Personen wie der Römer Lucius oder auch Ben Hur
theologisch wirksam als die spät, aber endlich zum „wahren“
Glauben Bekehrten.
Es ist die Aura des Messias, die ihn in aller Augen als
solchen erkenntlich macht. Ray setzt dafür vor allem Großaufnahmen
von Jeffrey Hunters strahlend blauen Augen ein. Da es William Wyler durch
den Autor seiner Romanvorlage, Lewis Wallace, verboten war, das Gesicht
Jesu zu zeigen, wendet er in einer Schlüsselszene einen optischen
Trick an. Als Jesus dem gefangenen Ben Hur Wasser reicht, stürmt
ein darüber erzürnter römischer Legionär mit seiner
Peitsche auf ihn zu. Er hält jedoch verunsichert und wie verzaubert
inne, als Jesus sich mit dem Rücken zur Kamera zu beinahe übermenschlicher
Größe aufrichtet. Natürlich betont auch in dieser Szene
eine besonders ätherische Musikkomposition die mystische Dimension
des Dargestellten. Ein weiteres bedeutsames Element dieser Szene ist die
(christliche) Wassersymbolik, die am Ende des Films in eine Wunderheilung
mündet. Als nach Jesu Tod der einsetzende Regen mit dem Blut des
Heilands vermengt in Bächen über das trockene Land fließt,
wo er schließlich die Höhle der beiden aussätzigen Frauen
erreicht, sind sie auf wundersame Weise geheilt. Wasser steht hier als
mehrdeutiges Symbol für Jesus selbst, die christliche Botschaft und
für eine elementare physische wie spirituelle Nahrung. Nicholas Ray
verwendet die Wassersymbolik ähnlich, es kommt noch die Jungsche
Interpretation dessen als Symbol des kollektiven Unbewussten hinzu,(18)
was bei Dune (1984) später noch deutlicher wird.
Als Beweis seiner göttlichen Abstammung und seiner Mission gleichermaßen
verfügt der Messias über außergewöhnliche Kräfte,
die sich auch auf ihm angehörende Gegenstände übertragen
können. Die Episode der Bibel, nach der eine Frau durch die Berührung
von Jesus’ Gewand geheilt wurde, baut The Robe zu epischer Länge
aus, wobei das Kleidungsstück seinen neuen Besitzer, einen römischen
Feldherrn, zunächst in den Wahnsinn treibt.(19)
Die filmische Darstellung des wunderbaren und charismatischen
Gottessohnes beruht also auf gewissen Konventionen, die beim Publikum
als bekannt vorausgesetzt werden können. Dazu gehören nicht
nur seine Fähigkeiten, oder die Übertragung dieser auf andere
Personen und Gegenstände. Es beginnt bereits bei seinem Aussehen.
Die meisten Jesus-Darsteller sind, den Traditionen europäischer Malerei
folgend, unsemitische und hellhäutige, bärtige junge Männer,
das leicht gelockte helle Haar zur typischen halblangen Frisur geformt.
Diese Konvention wurde der sakralen Malerei der Renaissance entnommen,
die ihrem Schönheitsideal entsprechend das Heiligste auch als das
Schönste darzustellen versuchte. Sie wird meist nur von Regisseuren
gebrochen, die eine eher kritische Betrachtung des Themas wählen,
wie bspw. Pier Paolo Pasolini oder Roberto Rossellini.
Der thematische Ansatz bestimmt also bereits die Wahl des
Schauspielers, der diese Rolle ausfüllen muss. George Stevens wählte
für The Greatest Story Ever Told (1965) den noch relativ unbekannten
Max von Sydow aus, um das Indentifikationspotential zu erhöhen. Martin
Scorsese wählte bewusst den bekannteren Charakterdarsteller Willem
Dafoe, um genau diese Identifikation zu verhindern und die kritische Distanz
zwischen Darsteller und Figur zu wahren. Nicholas Ray besetzte die Rolle
mit dem damaligen Sexsymbol Jeffrey Hunter, der durch seine sanfte, maskuline
Aura dem idealisierten Bild männlicher Schönheit im Hollywood-Kino
jener Zeit entspricht. Dies betont andererseits auch genau den Akzent,
den Ray während der ganzen Geschichte immer wieder unterschwellig
einbringt – die Menschlichkeit Jesu. In diesem Sinn bezeichnet sich
Rays Jesus auch als „Son of Man“, nicht nur in der Schlüsselszene
der Bergpredigt. Jesus ist an erster Stelle Sohn – einer, der rebelliert
gegen die Traditionen der Vorväter und den die Erwartungen des Übervaters
beinahe erdrücken. Der Konflikt mit dem Vater oder die völlige
Abwesenheit eines Vaters, der sich nur noch über Institutionen manifestiert,
ist eine der Hauptthematiken auch moderner Messiaserzählungen. Sicher
ist auch Ödipus nicht der Urmythos, der diesen Zusammenhang artikuliert,
dennoch spitzt er sich in der Geschichte Jesu dramatisch zu. Der Marginalisierung
von Josef in der Bibel entspricht der Leugnung seiner Vaterschaft Jesu
und dessen Ersetzung durch den unerreichbaren, göttlichen Übervater.(20)
Wo der menschliche, greifbare Vater noch vorhanden ist, muss er, wie in
Dune, entweder sterben oder wird anderweitig ersetzt durch ein Idol, das
durch seine unerreichbare Ferne beim Helden jedoch ein psychologisches
Trauma mit weitreichenden Folgen auslösen muss. Die sogenannte heilige
Familie kann also bereits in Ihrem Ursprung als zerrüttet und traumatisierend
entlarvt werden. Dem entspricht die einseitige Darstellung der Mutter
als reines, gutes Wesen, die im (psychoanalytischen) frühkindlichen
Stadium der bedürfnisorientierten Aufspaltung in gute und böse
Mutter befangen scheint.(21)
Kaum ein Jesus-Film kommt bei der Darstellung des Abendmahls
an Leonardo da Vincis berühmtem Gemälde vorbei, das sich ebenso
wie die Pietà oder die berühmt-berüchtigte Haarpracht
des Heilands im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes auf eine ganz
bestimmte Weise manifestiert hat. Es gibt keine Fotografien oder authentischen
Beschreibungen des Aussehens Jesus’. So widersetzte sich das Urchristentum,
dem alttestamentarischen Bilderverbot entsprechend, einer Verehrung von
Idolen – der Bibel, dem Wort Gottes sollte allein Verehrung zukommen.
Die christliche Malerei wurde erst von synkretistischen Kreisen eingeführt
und in der Geschichte beider ausgebaut.(22) Die so entstandenen Bildwerke
entbehren oftmals jeder historischen Wahrscheinlichkeit. So wird auch
im auf höchste Authentizität bedachten The Passion of the Christ
munter durch die Handflächen gekreuzigt, was keiner historischen
Realität, geschweige denn faktischen Möglichkeit, entspricht.
In den meisten Jesus-Filmen werden die Evangelien wild gemischt und mit
Heiligen- und anderen Legenden kombiniert, es werden die verschiedensten
Stile der abendländischen Kirchenmalerei nach Figurenkonstellation,
Farbgebung und Lichtsetzung hin abgefragt und kopiert, bis hin zur Kopie
der Kopie der Kopie.(23)
So scheint sich auf radikale Weise im letzten Exemplar
dieser Filmreihe die These de Rosas bestätigt zu haben: „Jeder
Christ gestaltet seinen eigenen Jesus, ob er es weiß oder nicht.“(24)
Wo Ray einen jugendlich-schönen sanften Rebell erschafft und Scorsese
einen von Selbstzweifeln geplagten Suchenden, stellt Gibson den geschundenen
Männerkörper eines übermenschlichen Helden zur Schau, dessen
mythisch-mystische Elemente auf ein paar Zaubertricks und den alles dominierenden
Opferkult reduziert sind.(25)
Dabei sind Aussehen, Körperhaltung und Gesten all
dieser Jesusse ein Sublimat der kulturellen Traditionen, Interpretationen
und Konventionen der letzten knapp zweitausend Jahre – ebenso wie
deren Nebenfiguren. Die Darstellung von Leben und Werk des Jesus von Nazareth
ist in Ermangelung konkreter historischer Belege immer auch die Projektion
der Hoffnungen, Wünsche und Ängste der Interpreten, die sich
im Laufe der Zeit zu einem gewissen Kanon zusammen gefunden haben. Entstanden
ist daraus ein Jesus-Mythos, der auf seinem Weg in vielen Punkten ganz
dem Campbellschen Schema der hero’s journey(26) zu folgen scheint.
Auf seine Sendung folgen die Begegnung mit dem Mentor (Johannes der Täufer),
diverse Prüfungen (Versuchung in der Wüste) und Abenteuer (Wunderheilungen),
die Begegnungen mit Verbündeten (die Jünger) und Feinden bis
hin zur tiefsten Höhle, die auch ein Garten sein kann. Nachdem die
letzte Prüfung (Prozess und Kreuzigung) bestanden ist und mit der
Wiederauferstehung des Helden belohnt wird, kehrt dieser zurück mit
dem Elixier des Lebens, dem heiligen Geist, den er unter sein Volk bringt.(27)
2. Messias-Figuren seit der Moderne
Neben den 'einfachen’ Helden hat das zeitgenössische
Kino auch ein ganzes Arsenal an messianischen bzw. Erlöserfiguren
zu bieten. Bezeichnenderweise lassen diese sich hauptsächlich im
Genre des anglo-amerikanischen Actionfilms nieder, um ihren Kampf gegen
das Böse zu führen. Sie tragen so illustre Namen wie Connor
MacLeod, John McClane, oder einfach nur Terminator.(28)
Eine postmoderne Spielart des Messias-Mythos bietet The
Matrix (1998) von Larry und Andy Wachowski, der selbigen durch selbstreflexive
Verweise ständig bricht und erweitert, ohne die Idee jedoch der Lächerlichkeit
preiszugeben. Im Universum der Matrix scheint der Erlöser nicht mehr
Teil einer fernen Vergangenheit, sondern notwendige Folge einer als lineares
Fortschreiten der technischen Entwicklung verstandenen Zukunft. Auch hier
werden mythisch-christliche Elemente wie Namen, Personenkonstellationen,
Charaktere und Handlungsmuster strukturell in diese Zukunft verlegt.(29)
Trotz thematischer Verschiedenheit herrscht in diesen Filmen
ein strukturelles Verhältnis von Gewalt, Technologie und Mythologie.
Ihre Helden verfügen trotz ihrer unterschiedlich bedingten Außenseiter-
bzw. Einzelgängertums über moralische Integrität, die sie
gegen den Widerstand feindlicher Personen oder Institutionen zu verteidigen
gezwungen sind. So wird ihre Gewaltbereitschaft stets vor dem Hintergrund
einer ultimativen Bosheit des jeweiligen Feindes gerechtfertigt. Sie setzen
ihre Kräfte jedoch nicht aus egoistischen Gründen ein, sondern
immer, um eine Gruppe von Menschen oder sogar die gesamte Menschheit zu
retten (stellvertretend die eigenen Familie) und damit vom Bösen
zu erlösen. Der Actionheld tritt somit die Nachfolge des mythischen
Helden an, wobei der Einsatz von Zauberkraft und magischen Waffen weitestgehend
durch brachiale Körperkraft bzw. virtuose Körperbeherrschung
und hoch technisierte Gerätschaften ersetzt wurde.
Dabei lässt sich die Struktur des Kampfmythos nach
Kenneth Duva Burke(30) in ihren Grundzügen auch auf diese Filme übertragen.
Held und Gegner sind eindeutig identifizierbar als gut oder böse,
gleichwohl beide göttlichen Ursprungs sind. Ihrer Herkunft verdanken
ebenfalls beide außergewöhnliche Eigenschaften und Fähigkeiten.
Die Boshaftigkeit des Feindes stellt eine Gefahr für die Welt und
ihren Bestand dar, der Held ist daher zum Kampf gezwungen. Er wird vom
verschlagenen Feind jedoch niedergerungen und verliert beinahe, bis er
den Kampf durch die Anwendung drastischer Mittel doch noch gewinnt. Nachdem
der Feind vernichtet wurde, feiert der Held seinen Sieg, wird „gereinigt“
und begründet einen Kult oder errichtet einen Tempel für sich.
Im säkularisierten Actionfilm ist die göttliche
Herkunft meist auf eine gemeinsame (ethnische) oder anderweitig besondere
Herkunft reduziert, bzw. auf einen vergleichbaren Ausbildungsweg. Das
Kräftemessen findet also auf einer gleichberechtigten Ebene statt,
im Sinne einer Herausforderung für das Gute. Die Siegesfeier wird
eher in den privaten Bereich verlegt, der Held begründet oder führt
seine Familie wieder zusammen – ganz im Sinne puritanischer Moralvorstellungen.
Da er jedoch zur Errettung der Menschheit moralische Opfer gebracht hat,
muss er zunächst durch ein moralisch ebenso integeres Wesen oder
Institution von seinen Sünden „bereinigt“ werden, indem
ihm die Notwendigkeit drastischer Maßnahmen wiederholt versichert
und damit deren gesamtgesellschaftliche Akzeptanz bekräftigt wird.
Obwohl der Held als Individualist eingeführt wird,
dient das Konzept der Männerfreundschaft, hauptsächlich mit
gesellschaftlich randnahen Gruppen wie Afroamerikaner, Juden oder Outlaws,
der Betonung seiner moralischen Integrität. Es gibt die väterlichen
Freunde, die als Lehrmeister dienen, wie Sean Connerys Figur in Highlander,
oder Freundschaften, die dem Kampf gegen soziale Institutionen dienen,
wie die von John McClane mit dem afroamerikanischen Polizisten Paul. Letztlich
jedoch bestehen diese Freundschaften in einem bedingungslosen „Dienen
und Beschützen eines als höher erachteten Wesens“(31),
wie es John Connor für den T-100 in Terminator 2 (1991) darstellt.
In letztgenanntem Film wird das Messias-Konzept besonders
deutlich. John ist de facto der Retter der Menschheit, auch wenn sich
das erst in der Zukunft erweisen wird. Da er jedoch auf den bedingungslosen
Schutz des T-100 angewiesen ist, findet gewissermaßen eine Figurendopplung
statt. So erhält auch die Maschine Erlöserzüge, zumal sie
von John mit humanistischen Grundsätzen ausgestattet wird. Die beiden
Desperados bilden mit der aus der Irrenanstalt befreiten Sarah Connor
zusammen eine trashige Art heiliger Familie, da Sarah ausdrücklich
die väterlichen Qualitäten des Terminators hervorhebt. Der leibliche
Vater ist tot und damit, wie im Falle Jesu Christi, zugunsten eines lehrenden
Übervaters marginalisiert. Die biblischen Anleihen sind überdeutlich:
Sarah selbst ist die Namensvetterin der biblischen Stammmutter Israels,
obwohl sie besonders im ersten Teil deutliche Marienzüge trägt,
während die Initialen ihres Sohnes J. C. denen Jesu Christi gleichen.
Der T-100 selbst opfert sich am Ende für das Überleben
der Menschheit und lässt sich in einer das Höllenfeuer versinnbildlichenden
Stahlschmelze auflösen. Die Maschine als Symbol der Auflehnung des
Menschen gegen die Schöpfung kehrt somit an ihren Ursprung zurück.
In diesem Universum gilt die zunehmende Technisierung der Welt als Wurzel
allen Übels, denn sie ist das Symbol der dämonischen Kraft,
die die göttliche Allmacht in Frage stellt. Die Folge dieser Technisierung
sind Waffen, die wie Menschen aussehen, gigantische Explosionen oder die
apokalyptischen Visionen des nuklearen Infernos von Sarah Connor. Nicht
umsonst heißt der Club im ersten Teil der Terminator-Reihe, in welchem
es zur Begegnung zwischen Sarah, Kyle und dem zerstörerischen Terminator
kommt, „Tech Noir“. Unübertroffener Ausdruck dieser schwarzen
Magie ist der T-1000, das namen- und gesichtslose Böse, der beinahe
jede beliebige Form annehmen kann. So wird eine Paranoia gegen den Feind
im Inneren geschürt, da selbst der Nächste plötzlich fremd
sein kann. Ebenso verhält es sich mit den Agenten in der Matrix.
In dieser filmischen Vision erreicht die Perfidität der Maschinen
ihren Höhepunkt, da sie die Menschen über den tatsächlichen,
postapokalyptischen Zustand der Welt mittels einer computergenerierten
Simulation hinweg täuschen.
Können die Feinde der Erlöserhelden trotz ihrer
satanischen Züge extrem verschieden sein, ähneln die Frauenfiguren
sich doch sehr. Trotz ihrer an moderne Verhältnisse oberflächlich
angepassten selbstbestimmten Lebensweise erweisen sie sich im Zuge der
Ereignisse immer als schwache Wesen, die beschützt und gerettet werden
müssen. Dabei zeichnen sie sich vor allem durch ihre Qualitäten
als (potentielle) Ehefrauen und Mütter aus, denn sie sind dem Helden
trotz anfänglicher Widerstände stets treu ergeben. Das Klischee
des aktiven männlichen und passiven weiblichen Prinzips wird zelebriert.
Eine leichte Abweichung bietet dabei Sarah Connor, die in Terminator 2
das Image des hilflosen Weibchens abstreift und sich während ihrer
Haft zu einer maskulin wirkenden Kampfmaschine ausbildet. Von der Mutter
des kindlichen Gottes John wird sie selbst zu einer archaischen Muttergottheit,
die ihr Kind mit all ihrer Macht beschützt.
Auch die Helden dieser Filme sind nicht mehr nur strahlende
Ritter in schimmernder Rüstung, sie sind auf je eigene Art gebrochene,
unkonventionelle Gestalten, die ihre Sonderstellung in der Welt durch
ihren Individualismus untermauern. Sie laufen in verschwitzten Unterhemden
herum und tragen die Narben ihrer Kämpfe zur Schau, oder sie bereiten
sich in den schottischen Highlands oder dem Moloch L.A. auf den ultimativen
Endkampf vor. Ihre Maskulinität ist eine Mischung aus körperlicher
Kraft, intelligentem Wortwitz und jungenhaftem Charme – jene Spannung
zwischen Macht und Verletzlichkeit, die das heutige Bild von Jesus Christus
bestimmt.
Das Weltbild, das in Filmen dieser Art vermittelt wird,
ist als dualistisches Weltbild zutiefst archaisch und lebt von dem ewigen
Kampf zwischen Licht und Finsternis. Das Leben selbst ist ein Kampf, der
sowohl Gehorsam, als auch Opfer fordert und dennoch von Wundern geprägt
ist. Der mythologische Grundstock ist meist mit einem christlichen Überbau
versehen – Kirchen dienen als gewaltfreies Refugium, christliche
Werte werden erneuert oder bestätigt, der Erlöser ist stets
ein Mitglied der WASP-Gemeinde. Dennoch ist das Gewaltlosigkeits-Ethos
des frühen Christentums hin zu meist hektischem Missions-Aktivismus
verschoben, was sicherlich auch dem Genre und dem darin zugrunde liegenden
Kampfmythos geschuldet ist.
Apokalyptische Weltuntergangsszenarien erfreuen sich stetig
wachsender Beliebtheit. Man könnte annehmen, dass dies auf ein gesteigertes
Bewusstsein für den Umgang des Menschen mit seiner Außen- und
Innenwelt hindeutet, meist aber ist es nur Ausdruck eines videospielseligen
esoterischen Eskapismus, wie er im letzten Teil der Matrix-Trilogie (2003)
seinen (vorläufig) abstrusesten Höhepunkt findet – gleicher
Spieler, neue Runde…
3. Dune oder Der Messias der Postmoderne
Frank Herberts enzyklopädisches Erlöser-Epos,
das erstmals komplett 1965 erschien, galt aufgrund seiner komplizierten
Zusammenhänge von Geschichte, Politik, Religion sowie seiner umfassenden
Mythologie lange Zeit als unverfilmbar. Herbert schuf ein Universum des
11. Jahrtausends, das auf der uns bekannten Welt zwar basiert, wie seine
Bewohner aber völlig in eine kosmisch-mythologische Ebene aufgehoben
ist. Dreh- und Angelpunkt dieses Universums ist das Spice, eine bewusstseinserweiternde
Droge, die nur auf dem Wüstenplaneten Arrakis gewonnen werden kann
und Grundlage ist für die Raumfahrt und damit auch den Handel, sowie
den Machterhalt verschiedener Sekten und Herrscherhäuser.
Es ist ein postmoderner Raum, der Relikte aus Industriezeitalter und Barock,
Buddhismus und Islam, Gentechnik und Mystik miteinander verschmilzt, die
dennoch nur die Fassade einer obskuren Mythologie bildet. Kern dieser
Mythologie ist der durch genetische Zuchtprogramme und Bewusst-seinstraining
hervorgebrachte Kwisatz Haderach,(32) der als Mahdi das Wüstenvolk
der Fremen zum Aufstand führt(33) und durch die Einnahme einer giftigen
Substanz – dem Wasser des Lebens – vollkommenes Wissen über
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erhält. Dadurch wird er zum
prophezeiten Messias des Wüstenplaneten. Der Planet selber ist bereits
eine mythische terra incognita, seine weiten Sandwüsten sind nicht
nur landschaftsarchitektonische Staffage, sondern bereits Symbole ihrer
eigenen, weitreichenden Bedeutung. Es ist ein heiliges Land, das vom Messias
betreten und für immer verändert werden wird, wie seine Visionen
zeigen.
Das Messias-Konzept in „Dune“ ist ein eindeutig
islamisches(34), obwohl es einige Querverweise auf Christentum und Buddhismus
enthält. Mahdi leitet sich von der arabischen Wurzel ?-?-? (h-d-y)
ab und bedeutet „der von Gott Rechtgeleitete“. Es ist ein
in Grundzügen dem Christentum entlehntes Konzept und kam in der Zeit
nach dem Tod des Propheten Muhammad auf, der wie Jesus keine eindeutigen
Anweisungen für die Wahl eines Nachfolgers hinterlassen hatte. Die
daraufhin entbrennenden Machtkämpfe zwischen den verschiedenen Aspiranten
gefährdeten die Einheit des Islams, der sich bereits in Sekten aufspaltete.
So wird der Glaube an das Kommen eines Mahdi, der die ursprüngliche
Einheit und Reinheit des Islams wiederherstellen wird, heute vor allem
von den Schiiten vertreten, die sich in der Erbfolge der Herrschaft übergangen
sehen. Jener Mahdi ist, ähnlich dem jüdischen Messias-Konzept,
ein politischer Herrscher, der durch politische Revolution und religiöse
Restauration ein neues „goldenes Zeitalter“ einleiten wird,
in welchem Politik und Religion glorreich und zu aller Wohl vereint sind.(35)
David Lynchs Verfilmung Dune (1984) verkürzt, den
Produktions-bedingungen geschuldet, den enzyklopädischen Ansatz des
Werks auf einige Hauptaspekte, die expositionsartig aneinander gereiht
sind. Auch Lynchs Messias Paul Atreides, verkörpert von Kyle MacLachlan,
ist ein jünglingshafter Sohn, der den toten Vater idealisiert und
anbetet. Um die heilige Familie zu vervollständigen ist seine Mutter,
Lady Jessica, durch das Trinken des Wassers des Lebens bereits in den
Stand einer „Heiligen Mutter“ gehoben worden. Pauls Streben
nach dem Vermächtnis des Vaters („Das Schlafende muss erwachen!“)
gestaltet Lynch als eine innere Reise durch mehrere Bewusstseinsebenen,
deren physische Entsprechung, der Heilige Krieg – Jihad(36) –
den Paul auf das gesamte Universum ausdehnt, nur randläufig zur Geltung
kommt. Lynch inszeniert Dune als fragmentierte Augenblicksaufnahme innerhalb
eines allmächtigen Bewusstseins. Die immer wiederkehrenden Bilder
von Wasser als Symbol eines kollektiven Unterbewussten, sowie Schwebezuständen
betonen die mystischen Aspekte dieser Welt. Sowohl die politischen, gesellschaftlichen,
als auch ökologischen Folgen von Pauls Herrschaft blendet Lynch aus.
Er ersetzt den herrschaftskritischen Aspekt Herberts – auch Paul
Muad’dib Atreides wird von der Macht korrumpiert – durch die
mystische Vision eines mächtigen Verfalls. Lynchs Freakshow –
von den widerwärtigen Harkonnen über die imposanten Sandwürmer
bis hin zum Gilde-Navigator, den seine Spice-Sucht allmählich in
den Wurm transformiert, durch den es entsteht – ist illustrativer
Bestandteil dieser ruinierten Welt. Deren technische Formationen muten
an wie altertümliche Industrieruinen aus einer Jules-Verne-Phantasie,
antiquierte Überbleibsel der „schönen und unsinnigen Maschine“.(37)
Nie werden diese überdimensionalen, mit Gold verzierten Maschinen
bedient, ihr Dasein ist lediglich Verweis auf ein vergangenes, großes
Zeitalter. In den dunklen Gängen des Dune/Lynch-Universums wirken
sie in ihrer Nutzlosigkeit nur noch monströser. So auch dessen Bewohner
in ihren kolonialen Uniformen und Gewändern, die sich scheinbar anstelle
der Maschinen technisiert haben und nun nicht nur physisch, sondern auch
psychisch den Gesetzen der Mechanik zu folgen scheinen. Ursache dieser
eigenartigen Verschmelzung von Fleisch, Geist und Mechanik ist immer wieder
das Spice – das Bestreben nach seiner Beherrschung ebenso wie die
Fähigkeiten, die es verleiht.
Lynchs Paul, der Messias, ist ein Träumer, der sich
wachend darüber bewusst wird, dass er träumt und seine Träume
wahr sind. Ein ernster junger Mann, der seine Position im Universum scheinbar
pflichtbewusst einnimmt. Selbst der Tod des Verräters Yueh, eines
engen Vertrauten des Hauses Atreides, scheint nur ein Klicken im Zahnrad
der schönen, goldenen Maschine seines Bewusstseins zu sein. Paul
ist das Resultat einer sich selbst erfüllenden Prophezeihung, seine
Herrschaft jedoch läutet nicht das messianische Zeitalter ein –
im Gegenteil. Seine Vision von einem Garten Eden, einem künstlich
geschaffenen Paradies auf Arrakis, wird katastrophale ökologische
und sozialpolitische Folgen haben – zumindest im Roman.
Viele von Lynchs visionären und halluzinatorischen
Einstellungen fielen leider der Schere zum Opfer und das Endergebnis ist
weit davon entfernt, ein echter „Lynch“ zu sein, dennoch erschafft
er hier einen Typus von Erlöser, der, fernab vom klassischen Actionhelden,
in seiner kindlich wirkenden Sanftheit wieder an die unfassbare Aura des
Filmhelden Jesus von Nazareth erinnert. Ein Messias, den man an den Reaktionen
der anderen als solchen erkennt und der eine offene Projektionsfläche
für Erlöserhoffnungen aller Art bietet.
Lynch entscheidet sich für eine Utopie des Messias-Mythos
als dem, der kam, um den Menschen Frieden zu bringen und das Antlitz der
Erde (Arrakis) zu verändern. Während er zum Herrscher des Wüstenplaneten
gekrönt wird, verkündet Paul gebieterisch Gottes Allmacht und
lässt es schließlich Kraft seiner Fähigkeiten zum ersten
Mal regnen über dem trockenen Land. Alles wird gut…
Abschließende Bemerkungen
Während sich die Jesus-Filme im Hollywood der 50er
und 60er Jahre an einer quasi-historischen Darstellung dieser Figur orientierten,
weicht dies in den 70er und 80er Jahren allgemein einer kritischeren Betrachtung,
die sich weg vom WASP-Ideal hin zu menschlicheren – auch gebrocheneren
– Darstellungen bewegt. Gleichzeitig erleben Erlöserfiguren
im amerikanischen Blockbusterformat ihre actionreiche Geburt. Sie kämpfen
in vorwiegend apokalyptischen Szenarien für die Errettung der Menschheit.
Trotz ihres zumeist rüden Auftretens und einer gewissen Neigung zur
Gewalt fügen sie sich letztlich in einen großen biblisch-christlichen
Kontext ein. Ihre großen Schlachten werden daher meist in heruntergekommenen
Großstädten und bei Nacht, d.h. gegen die Finsternis, geschlagen,
und an ihren Namen lassen sie sich häufig unschwer als Nachfahren
ihrer biblischen Ahnen identifizieren.
Den Glaubhaftigkeitskonventionen der Moderne folgend, sind
diese Erlöser keine göttlichen Sprösslinge, sondern üben
so geerdete Berufe wie den des Polizisten aus. Dabei sind sie nicht nur
in diversen Kampftechniken bewandert, sondern beherrschen auch den Umgang
mit hochexplosiven Materialien souverän. Gefährlich wird ihnen
meist nur ihre Schwäche für die Familie, welche sie hin und
wieder aus grenzfälligen Situationen befreien müssen. Erlösen
sie dabei die Welt vor solch bösartigen Auswüchsen der Technik
wie intelligente Computer, Atombomben oder Killerviren – im Falle
von Jack Bauer sogar innerhalb von 24 Stunden – dankt es ihnen Gottvater
oder der amerikanische Präsident höchstselbst.
Ideales und auch bevorzugtes Genre für solche Messiasvisionen
ist die Science Fiction. Die technikverseuchte Landschaft großstädtischer
Molochs eignet sich hervorragend als Brutstätte von Engeln und Teufeln,
die in einem furiosen Endkampf alles in die Luft jagen, bis am Ende doch
das Gute siegen darf.
Im postmodernen Kontext vermischen sich dabei christliche Elemente wie
die heilige Familie oder Trinität mit fernöstlicher Kampfkunst
und Spiritualität. Der Erlöser ist zwar meist Angehöriger
der WASP-Familie, darf aber im Zeitalter der Globalisierung die Errungenschaften
anderer Kulturen für seinen Kreuzzug gegen das amorphe Böse
nutzen – insofern diese so massenkompatibel sind wie das Meditieren.
So eröffnet sich ein Spielraum aus verschiedenen Realitäten
und Bewusstseinsebenen, mit Verweisen aus Jahrhunderten von Kunst, Geschichte,
Technik und Denken.
Der Messias des postmodernen Film- und Fernsehformats ist
längst nicht mehr wie seine historischen Vorgänger an Belehrung
und Bekehrung interessiert. Dennoch gestaltet sich seine Weltsicht ähnlich
simpel durch die allumfassende Aufteilung in Gut und Böse, in ein
Für-mich und ein Gegen-mich. Spirituelle Momente sind auf illustrative
oder ideologische Zwecke reduziert, statt lehrreicher Gleichnisse herrscht
rohe, dennoch gerechtfertigte Gewalt.
Der Messias, wie er uns durch die Hollywood-Brille entgegen
tritt, ist zuerst und vielleicht schon immer ein Popstar – umfeiert
und umjubelt, aber auch gehasst und gefürchtet. Er ist eine Projektionsfläche
für die Hoffnungen und Ängste derer, die zu im aufschauen und
vereint die Attribute und Fähigkeiten in sich, die dies widerspiegeln.
In dieser Eigenschaft wird er zu einem entpersonalisierten Mythos, einem
Gesicht, dem erst eine Geschichte gegeben werden muss, die dessen Funktion
unterstützt. Als Popstar ist er allgegenwärtig und dennoch ein
Phantom als Mensch – bekanntestes Exemplar dieser speziellen medienwirksamen
Gattung fernab von Hollywood ist sicherlich Osama bin Laden.
Die Sehnsucht nach einer Heilsgestalt oder einem Helden
ist so alt wie die Menschheit selbst, im Mythos findet sie eine formale
Artikulation, die diesem Bedürfnis gerecht wird. Der Film als noch
junge Erzählform des Mythos vermag dies auf die ihm eigene Weise
zu bearbeiten. Er reproduziert die Ikonographie, aber er schafft auch
neue Ikonen. Der Mythos wird durch ihn gebrochen, entlarvt, aber auch
neu konstruiert und wiederhergestellt. Der Film gibt seinen Erlöserfiguren
zwar stets neue Gesichter, der Mythos aber bleibt der alte. Als audiovisuelles
Medium ist er das ideale Transportmittel sowohl für den Mythos als
auch für aufklärerische Tendenzen. Im christlichen Kontext mögen
dies The Passion of the Christ einerseits und The Last Temptation of Christ
andererseits exemplifizieren.
So vielschichtig der Mythos selbst ist, so vermag auch
seine filmische Form sich zu gestalten. Letztendlich lässt sich die
allumfassende Erzählung von Begründung und Ende der Welt in
unendlich viele Momentaufnahmen aus unterschiedlichsten Perspektiven und
Zeiten aufspalten. Die Geschichte des Messias ist nur eine davon, die
an ihren Peripherien an Dutzende anderer anknüpft.
Anmerkungen
(1) Hasenberg, Peter (Hrsg.) u.a.: Spuren des Religiösen
im Film, S. 10
(2) Vgl. hierzu Campbell, Joseph: Der Heros in tausend Gestalten
(3) Campbell vergleicht in o.g. Werk die Mythen verschiedenster Völker
auf der Erde, wobei sich erstaunliche Ähnlichkeiten finden lassen.
Dies könnte ein Hinweis auf eine Art archaisches Kollektivbewusstsein
sein, das die verschiedenen menschheitsgeschichtlichen Stufen der Entwicklung
von Sein und Bewusstsein auf einer unterbewussten Ebene in Form von Mythen
reflektiert.
(4) Eliade, Mircea: Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen.
In: Barner, Wilfried (Hrsg) u.a.: Texte zur modernen Mythentheorie
(5) Eliade, S. 79
(6) Vgl. hierzu Pannenberg,Wolfhart: Die Weltgründende Funktion des
Mythos und der christliche Offenbarungsglaube. In: Barner, Wilfried (Hrsg)
u.a.: Texte zur modernen Mythentheorie
(7) Vgl. Eliade, S. 83
(8) vgl. hierzu: Goldmann, Alain: Die messianische Vision im rabbinischen
Judentum. in: Stegemann, Ekkehard (Hrsg.): Messiasvorstellungen bei Juden
und Christen
(9) Es existieren auch gegenteilige Auffassungen, die das gesamte Volk
Israel als Heilsbringer für die Menschheit betrachten. Vgl. hierzu
Goldmann, S. 65
(10) Vgl. hierzu: Stegemann, Wolfgang: Jesus als Messias in der Theologie
des Lukas. in: Stegemann, Ekkehard: Messiasvorstellungen bei Juden und
Christen
(11) deRosa, Peter: Der Jesus-Mythos
(12) Dies sind sicherlich nur einige wenige Aspekte, die zur Entwicklung
des Christentums beitrugen.
(13) Bis heute kann man vielerorts eine in kleinen Flaschen verschlossene
weiße Flüssigkeit erwerben, die eifrig als Milch der Mutter
Gottes angepriesen wird, und pilgern stillende Mütter zur Bethlehemer
Milchgrotte, in der Maria Jesus stillte, um ein weißes Pulver von
den Wänden zu kratzen, dass sie zu einem heilsamen, den Milchfluss
anregenden Getränk anrühren.
(14) Langenhorst, Georg: Jesus ging nach Hollywood, S. 40
(15) Ich beziehe mich auf die von Georg Langenhorst getroffene Einteilung
der Bibelfilme in den altestamentarischen, den direkten und indirekten
Jesus-Film, sowie Filme des Christus inkognito. Bruce Babington schlägt
eine Unterteilung in „old testament epic“, „christ film“,
sowie das „roman/christian epic“ vor.
(16) Mit dieser Konvention spielt Scorsese in The Last Temptation of Christ
(1988) nach dem Roman von Nikos Kazantzakis, der genau an der Stelle des
allen bekannten Ausgangs der Geschichte ansetzt und durch die Verhinderung
der Kreuzigung durch einen Boten Satans den Gottessohn in seinen Wünschen
und Hoffnungen erst menschlich erscheinen lässt.
(17) Vgl. hierzu Georg Seeßlens Artikel „Bad Religion im Popcorn-Palast“
in epd-Film 04/2004.
(18) Vgl. hierzu Bruce Babington: Biblical epics, S. 134
(19) Darstellungen der Kreuzigung orientieren sich wie in The Robe meist
an den entsprechenden äußerst anschaulichen Passagen des Johannes-Evangeliums.
(20) An diesem Punkt ergibt sich ein theologischer Widerspruch. Sollte
Jesus tatsächlich der im AT prophezeite Messias aus dem Hause Davids
sein, ist eine unbefleckte Empfängnis unmöglich, da nur Josef
aus dem Hause Davids abstammt, nicht aber Maria.
(21) Ein Themenkomplex, der sich u.a. auch auf faszinierende Weise in
David Cronenbergs Spider (2002) spiegelt.
(22) Vgl. Sachs, Hannelore u.a.: Wörterbuch der christlichen Ikonographie,
S. 65.
(23) Mel Gibson hat sich offensichtlich in einigen Punkten bei Ray bedient.
So gibt es auffallende Ähnlichkeiten bei beiden Jesusfiguren, der
Lichtsetzung während des Abendmahls, ebenso wie die Szene im Garten
Gethsemane usw. usf.
(24) Peter de Rosa: Der Jesus-Mythos, S. 178
(25) Vgl. hierzu die Anmerkungen Georg Seeßlens zu den Gibsonschen
Heldenfiguren in epd-Film 04/2004.
(26) Nach Voytilla, Stuart: Myth and the movies: discovering the mythic
structure of 50 unforgettable films, Studio City 1999
(27) Jesus scheint, wie aus einigen Episoden der Bibel entnehmbar ist,
seine Botschaft ausschließlich an das Volk der Juden gerichtet zu
haben, die auch er als auserwählt betrachtete. Die Universalität
des Christentums, das seine Mission auf alle Völker der Erde ausdehnte,
ist demnach ein nachträglicher Zusatz der Evangelisten und anderer
Autoren. Vgl. hierzu Peter de Rosa: Der Jesus-Mythos
(28) Christopher Lambert spielt den unsterblichen Highlander (1986), Bruce
Willis verkörpert John McClane in der Die Hard – Reihe (1988
etc.) und Arnold Schwarzenegger gibt 1985 erstmals den Terminator.
(29) Angefangen bei Neo, ein Anagramm für „One“, womit
auf die Universalität des Erlösers angespielt wird, bis hin
zu Verweisen auf die griech. Mythologie mit Morpheus oder dem Orakel.
Auch hier ist das Böse ein satanischer Meister der „Verkleidung“,
der für einen geringen Lohn den Verräter Cypher dazu bringt,
das Gute an die Finsternis auszuliefern.
(30) Vgl. Kenneth Duva Burke: Mythos, Dichtung und Philosophie. In: Texte
zur Modernen Mythentheorie
(31) Pollnick, Yvonne: Der Terminator als Messias, S. 124
(32) Kwisatz Haderach stammt aus dem Hebräischen: ????? ???? (qfizat
ha-derekh) und bedeutet wörtlich “der über den Weg hinausspringt”,
also eine signifikante Abweichung oder einen bedeutenden Durchbruch.
(33) Historisches Vorbild für Herberts Aufstand eines Wüstenvolkes
gegen ein mächtiges Imperium unter Führerschaft eines Fremden
mag dabei die Revolte der Araber gegen das Osmanische Reich unter T.E.
Lawrence gewesen sein.
(34) Als einführenden etymologischen Überblick der arabisch-islamischen
Begriffe in „Dune“ sei http://baheyeldin.com/literature/arabic-and-islamic-themes-in-frank-herberts-dune.html
empfohlen. Leider ist mir nicht bekannt, inwiefern Herbert sich an Ibn
Khaldouns „Buch der Beispiele. Al-Muqaddima“ von 1377 orientiert.
Ein ähnlicher enzyklopädischer Ansatz im Aufstellen von Herrschaftschroniken
sowie dessen zyklisches Weltbild legen derartige Vermutungen jedoch nahe.
(35) Während im sunnitischen Islam (ca. 90% der Muslime) das Konzept
eines göttlich inspirierten Erlösers eher abgelehnt wird und
die Restauration des Islam den politischen Herrschern überantwortet
bleibt, glauben die Schiiten, dass der erwartete Mahdi die Wiedergeburt
des (je nach Sekte) 5., 7. oder 12. Imams in Nachfolge Alis, des Schwiegersohns
des Propheten, sei.
(36) Der Begriff Jihad (????) bedeutet auf arabisch zwar keinesfalls Heiliger
Krieg, wird von den meisten Orientalisten sowie islamischen Fundamentalisten
aber synonym gebraucht.
(37) Georg Seeßlen: David Lynch und seine Filme, S. 83
Quellenverzeichnis
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New York 1993
Barner, Wilfried/ Detken, Anke/ Wesche, Jörg
(Hrsg.): Texte zur modernen Mythentheorie, Stuttgart 2003
Campbell, Joseph: Der Heros in tausend Gestalten,
Frankfurt 1999
deRosa, Peter: Der Jesus-Mythos: über die Krise
des christlichen Glaubens, München 1991
Encyclopedia of Islam (CD-Rom Edition): Al-Mahdi,
Leiden 2001
Fischer, Robert: David Lynch. Die dunkle Seite der
Seele, S. 87-107
Hasenberg, Peter (Hrsg.) u.a.: Spuren des Religiösen
im Film: Meilensteine aus 100 Jahren Kinogeschichte, Mainz 1995
Herbert, Frank: Der Wüstenplanet, 7. Auflage,
München 1982
Heuermann, Hartmut; Medienkultur und Mythen. Regressive
Tendenzen im Fortschritt der Moderne, Reinbek b. Hamburg 1994
Langenhorst, Georg: Jesus ging nach Hollywood. Die
Wiederentdeckung Jesu in Literatur und Film der Gegenwart, Düsseldorf
1998
Meyer, Petra Maria: MATRIX: Körper und Medieninszenierung
im postmodernen Film. In: Felix, Jürgen (Hrsg.): Die Postmoderne
im Kino. Ein Reader, Marburg 2002, S. 297-320
Pollnick, Yvonne: Der Terminator als Messias. Amerikanisches
Actionkino als moderner Kulturträger, Taunusstein 2000
Sachs, Hannelore: Wörterbuch der christlichen
Ikonographie, Regensburg 2004
Seeßlen, Georg: David Lynch und seine Filme,
Marburg 1997, S. 69-86
Seeßlen, Georg/ Jung, Fernand: Science Fiction.
Grundlagen des populären Films, Marburg 2003
Stegemann, Ekkehard (Hrsg.): Messias-Vorstellungen
bei Juden und Christen. Stuttgart 1993
Stiglegger, Marcus: Ritual & Verführung.
Schaulust, Spektakel und Sinnlichkeit im Film. Berlin 2006
Woods, Paul A.: Weirdsville USA: The obsessive universe
of David Lynch, London 1997
http://www.dunenovels.com/bios/frank.html
http://www.arrakis.co.uk/herbert.html
http://baheyeldin.com/literature/arabic-and-islamic-themes-in-frank-herberts-dune.html
http://en.wikipedia.org/wiki/Dune_%28film%29
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