Seduktionstheorie des Films VI

Claudia Jubeh

Religiöse Mythen in Hollywood

Auf den Spuren des Messias

 

„Im Kern eines jeden Unterhaltungsfilms steckt eine religiöse oder magische Erzählung.“ Georg Seeßlen (1)

Der Held einer Geschichte wird auch im Zeitalter profaner Erzählungen nicht umsonst Held genannt, denn auch er wandelt auf den Spuren des „Heros in tausend Gestalten“ und ist als exponierte Hauptfigur etwas Besonderes, selbst wenn er nicht göttlichen Ursprungs ist. Held wird man nicht allein durch seine Abstammung, sondern vor allem durch den Weg, den man beschreitet, die Prüfungen, die man bestehen muss, und das Ziel, das es zu erreichen gilt. Wie die letzten Kinojahre zeigten, können auch kleine Männlein mit großen, haarigen Füßen Helden sein, vor denen sich selbst ein König verneigt.

Auf seinem Weg verlässt der Held das Reich der Normalsterblichen und betritt die Sphäre des großen kosmischen Rätsels.(2) Religiöse Mythen bedienen sich ebenso dieser zirkulären Reisedramaturgie, um die Besonderheiten und Botschaften ihrer jeweiligen Religionen oder Religionsstifter zu verdeutlichen. Als Sinnbild dafür mag Uroboros gelten, die Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißend verdeutlicht, dass Anfang und Ende gleich, jedoch nicht identisch sind. Die in unseren Breiten bekannteste jener mythischen Reisen ist die des Zimmermanns aus Galiläa, der in den Tod ging, um seinen Vater mit den Menschen zu versöhnen und seinem Volk das Elixier des Lebens – den heiligen Geist – zu bringen.

Im Prinzip sind Ursprungsmythen aller Couleur als religiöse Mythen zu bezeichnen, da sie den Ursprung einer Gemeinschaft markieren, die durch zyklisch zelebrierte Erinnerungsriten daran ihren Zusammenhalt bekräftigt. Diese Mythen können überformt und den kulturellen Veränderungen angepasst werden, während ihre Essenz doch stets gleich bleibt.(3) So ist es nicht verwunderlich, dass die großen Feste der Christen – Weihnachten und Ostern – ihre Ursprünge in heidnisch-germanischen Riten haben, die noch den Wandel der natürlichen Jahreszeiten zelebrierten, nicht die Ereignisse des Heilsgeschehens.

Mircea Eliade(4) beschreibt Mythos als Bericht von einem primordialen Ereignis – als eine heilige Geschichte, die am Beginn der Zeit stattfand und in welcher das Geheimnis von Göttern und Heroen enthüllt wird. Sinnstiftend ist ein solcher Gründungsmythos insofern, als im Wie des Einbruchs des Heiligen in die Welt immer auch das entsprechende Warum enthalten ist. Im Vorgang dieser Enthüllung wird die Geschichte zur Wahrheit, im Sinne eines Berichts über die 'Schöpfung’ von Realitäten. Das Heilige selbst ist damit das Reale par excellence, denn „was der Sphäre des Profanen angehört, hat am Sein nicht teil, weil das Profane durch keinen Mythos ontologisch gegründet wurde und kein exemplarisches Modell besitzt.“(5) Aus diesem Verständnis heraus beschreibt Eliade die Hauptfunktion des Mythos, die darin besteht, exemplarische Modelle für alle Riten und wesentlichen Betätigungen des Menschen festzuhalten. Durch Nachahmung der göttlichen Vorbilder (imitatio dei) bewahre sich der Mensch einen Platz im Heiligen.

Im Christentum nimmt die Heilsgeschichte eine der mythischen Urzeit analoge Funktion ein.(6) Die Zeiterfahrung göttlichen Handelns rückt ab von der Begründung der Welt hin zu einer künftigen Vollendung göttlicher Herrschaft, wird also von der Vergangenheit in die Zukunft verlegt. Der ursprüngliche Schöpfungsaspekt wird sekundär zugunsten eines zukünftigen Heilsgeschehens. Die Person Jesu Christi übernimmt dabei die Funktion des mythischen Archetyps. Die christliche Nächstenliebe gilt als Nachvollzug Jesu Verhaltens und mit dem entsprechenden Nachvollzug von Taufe und Abendmahl wird ein urzeitlich-archetypisches Geschehen ständig vergegenwärtigt. Der Zusammenhang von Mythos und Kultus im Christentum erstreckt sich bis hin zur zyklischen Vergegenwärtigung des Heilsgeschehens im Kirchenjahr. Pannenbergs These lautet, dass der Mythos dabei nicht mehr die Funktion hat, die universale Wahrheit des geschichtlichen Selbsterweises Gottes argumentativ zu beweisen, sondern sie lediglich zu veranschaulichen. Die Gläubigen bilden dabei eine Erzählgemeinschaft, deren erzählte Erinnerung primär eine memoria passionis darstellt, eine Erinnerung an die Leiden Christi. Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Aspekt des Opfers.

Archaische Fruchtbarkeitsriten sind seit jeher mit einem sakralen Opfer verbunden, als solches ließe sich in weiterem Sinne auch das des Jesus Christus begreifen, der durch die Selbstopferung den Bestand seiner Art erhalten konnte. Der Ackerbau, eine ehemals sakrale Tätigkeit, wird in frühgeschichtlichen Mythen überliefert als mühselige Folge eines urzeitlichen Mordes und damit ersten Sündenfalls.(7) Ein göttliches Wesen (dema-Gottheit) ließ sich dereinst opfern, damit aus seinem Leib Obstbäume wachsen konnten, um die Menschen zu ernähren. Dieser erste Mord brachte den Ackerbau sowie den Tod in die Welt, mit der Notwendigkeit der Sexualität als einziger Möglichkeit der Erhaltung der Art – so hat der Mensch sich nährend, fortpflanzend und schließlich sterbend Teil an der Existenz der dema.

Das archaische Motiv des Menschenopfers selbst ist dabei als Reminiszenz an das Alte Testament ins Christentum eingedrungen – mit Isaac, der von seinem Vater Abraham auf Gottes Geheiß hin geopfert werden sollte und an dessen Stelle schließlich ein Schaf geschlachtet wurde. Die Tradition setzte sich fort mit Christus, dem „Lamm“ Gottes sowie im Islam, wo die Muslime jährlich der Errettung Isaacs durch Gottes Hand mit der Schlachtung eines Schafes gedenken.

Während also der rachsüchtige Gott des Alten Testaments noch selbstverständlich Menschenopfer forderte, wandelt er sich im Zuge christlicher Mythologie zu einem vergebenden, beschützenden und liebenden Gott, der seinen eigenen Sohn und Heiland der Ignoranz der Menschen ausliefert. Die Selbstopferung des Sohnes Gottes ist in diesem Zusammenhang das Ende des Opferkults schlechthin, da das größtmögliche Opfer bereits hingegeben wurde, um Gottes Zorn zu besänftigen und ihn für immer seinen menschlichen Kindern gegenüber versöhnlich zu stimmen. Das Opfer selbst bleibt aufgrund seines unermesslichen Wertes für immer unfassbar, so dass es lediglich zyklisch erinnert werden kann.

Dem Aspekt der Verschwendung des wertvollen Opfers wird in Mel Gibsons The Passion of the Christ (2004) auf eine höchst zweifelhafte Weise Rechnung getragen, indem Jesu Blut und Fleisch an jeder Station seiner Passion wortwörtlich dahin geworfen und verschwendet werden.

Dass diese Form einer memoria passionis nicht in der Kirche, sondern im Kino stattfand, spricht für deren jeweilige Stellung innerhalb der modernen Gesellschaft. Der Film als Massenmedium erreicht heute ungleich mehr Menschen als religiöse Institutionen allein. Dennoch gibt es nach wie vor eine Suche nach Antworten und ein Bedürfnis nach Erlösung, die auch der empor zur Leinwand gerichtete Blick sich erhofft. Es würde zu weit gehen, das Kino als neue Tempel zu bezeichnen, dennoch werden darin auch religiöse Fragen fernab von jeder Dogmatik verhandelt. Erlöserfiguren wie Bruce Willis oder Donnie Darko ziehen ihr jeweiliges Publikum in den Bann und bieten für eine Weile Antworten, einen Sinn, oder auch nur das Gefühl, Teil eines großen Ganzen zu sein.

Während in kosmogonischen Mythen der (zyklische) regressus ad originem eine Notwendigkeit zur Erhaltung von Reinheit und Echtheit einer Gesellschaft darstellt, kann die Popularität des Messias-Mythos im Kino Zeichen einer regressiven Grundströmung unterhalb der evolutionären Entwicklung sein, die um so stärker wird, je mehr sich die aufgeklärte Gesellschaft von ihren mythischen Ursprüngen entfernt. Vielleicht ist The Passion of the Christ auch in diesem Fall wieder ein Paradebeispiel, da der Film noch weit hinter die Ursprünge des Christentums zurückgeht und in seiner Gewaltorgie nicht nur den zornigen und strafenden Gott des Alten Testaments beschwört, sondern auch einem archaischen Blut- und Opferkult huldigt. So wirkt die Auferstehungsszene trotz ihrer Kürze eher beklemmend – in voller epischer Länge erzählt hätte nach all dem Blutrausch eine Begegnung mit dem Auferstandenen auf das Publikum wohl wie eine Begegnung mit Michael Myers gewirkt.


1. Die jüdisch-christlichen Ursprünge des Messias-Mythos

Erlöserfiguren gibt es in nahezu allen Religionen und Weltanschauungen, jedoch in recht unterschiedlichen Formen. Das populäre Verständnis von Messias als dem Führer einer Gemeinschaft, der diese von Not und Leid befreit, stammt aus dem Alten Testament. Im Christentum sowie im Islam findet diese Tradition eine Fortsetzung jeweils eigener Ausprägung.
Der Begriff Messias ist die gräzisierte Form des hebräischen maschiach und bedeutet wie seine griechische Übersetzung „der Gesalbte“. Obwohl auch Hohepriester und selbst gewöhnliche Priester durch die Salbung geweiht wurden, wurde die Bezeichnung zuerst für die Könige Israels gebraucht, die im Zuge ihrer Krönung gesalbt wurden. Erst in späteren Büchern der Bibel findet eine Bedeutungsverschiebung des zunächst weltlichen Begriffs hin zu einer göttlichen Konnotation statt.

Die rabbinische Literatur versteht trotz unterschiedlicher Auffassungen in einigen Einzelheiten unter dem Messias eine endzeitliche Gestalt, einen menschlichen Herrscher aus dem königlichen Geschlecht Davids, der den Tempel in Jerusalem wieder errichten wird, um die ganze Menschheit zu erlösen und zur Vollendung zu führen. Einem so entstehenden Himmelreich auf Erden wird er als König vorstehen. Die messianische Zeit würde ein letztes Goldenes Zeitalter sein vor dem Ende aller Zeiten und der Wiederauferstehung der Toten. Die Zeit vor dem Erscheinen des Messias jedoch ist durch Dunkelheit, Schmerz und Entbehrung geprägt, wie das jüdische Volk sie besonders in der Zeit der Zerstörung des Zweiten Tempels durchlitt, in der messianische Vorstellungen eine Hochkonjunktur erlebten.(8)

Dem Kommen des Messias gehen also gesellschaftliche Unruhen und ein moralischer Niedergang voraus. Es gibt aber auch äußere Anzeichen wie Dürre, Hungersnöte, Aufruhr und Krieg.
Während die rabbinische Literatur uneins ist betreffs des genauen Zeitpunkts seiner Erscheinung, scheinen jederzeit gesellschaftliche Umbrüche oder Notsituationen wie die grausame Unterdrückung eines Volkes durch ein anderes eine solche Hoffnung zu beleben. Dies entspricht meines Erachtens nach dem zutiefst menschlichen Bedürfnis nach Erlösung, nach der Befreiung von Leid und Schmerz oder filmisch gesprochen – nach einem Happy End. Auf eine einfache Formel gebracht, lässt sich also festhalten: je dunkler die Zeiten, desto näher der Erlöser. Erlöst werden die Gerechten, wie Lot, der als einziger vor Gottes Zorn bewahrt wurde, oder aber die schlimmsten Sünder – ein Gedanke, der eine besonders starke Ausprägung im Christentum fand – damit jene die unendliche Gnade Gottes erkennen und zu ihm umkehren.

Die Personifizierung des Messias als jüdischer König(9) spricht einer dezidiert göttlichen Herkunft, wie dies im Christentum der Fall ist, natürlich ab. Dennoch ist dieser Herrscher mit göttlichen Vollmachten ausgestattet, um seinen Siegeszug – und damit auch den seines Herrn – auf Erden zu vervollkommnen. In der jüdischen Vorstellung ist dabei die Erlösung eng mit einer idealisierten Herrschaftskonzeption unter einem charismatischen König verknüpft. Unter seiner Führung werden Städte und Tempel wieder aufgebaut. Es verschwinden Hunger, Durst, Krankheit und selbst Tod vom Angesicht der Erde. Nahrung und Glückseligkeit gibt es im Überfluss. Die auf solche Art gesegneten Geschöpfe – Menschen und Tiere – werden fortan existieren, um Gott zu dienen und sind nunmehr rein genug, um seinen Namen anzurufen, was bekanntermaßen im Judentum ein Sakrileg darstellt.

Noch ist der Tempel jedoch nicht wieder aufgebaut und lebt die Menschheit nicht in Frieden. Die Hoffnung auf einen Messias aus dem Hause Davids besteht für den Gläubigen weiterhin, besitzt aber auch für andere eine gewisse Faszination.


1.1. Jesus als Messias

Bei der Verbindung der beiden Themenkomplexe Jesus und Messias gelangt man schnell an eine komplizierte Schnittstelle zwischen Juden- und Christentum, sind doch in der Person Jesu Christi die Gemeinsamkeiten, aber auch Abgrenzungsbestrebungen beider Religionen vereint, die nicht zuletzt auch in jüngerer Geschichte blutige Folgen nach sich zogen.

Die Bezeichnung Messias für Jesus kommt außer an zwei Stellen im Johannesevangelium nicht im Neuen Testament vor. Das griechische bzw. latinisierte Äquivalent Christus als wichtigstes Attribut Jesu dagegen mehrere hundert Male. In Joh 1,41 und 4,25 wird der Messiasbegriff im biblisch-jüdischen Erlösungskontext verwendet und zu einem Element der christlich-jenseitigen Heilslehre ausgebaut. Das Lukasevangelium seinerseits betont als einziges den irdisch-diesseitigen Aspekt des messianischen Jesus, in seiner Titulierung als König (ßas??e??), die Lukas in eigenmächtiger Anpassung der Vorlage aus dem Markusevangelium vornahm.(10) Weitere Spezifika des Lukasevangeliums – die auch nur dort vorkommen – sind die Anklage durch den Hohen Rat, Jesus habe sich als Messias-König bezeichnet, sowie seine Überstellung an Herodes Antipas, welcher Jesus’ Königswürde verspottet. All dies spricht für eine spezifische Interpretation des Messias als königlichem Erbe Davids, die Lukas in Anlehnung an das jüdische Verständnis eines politisch-militärischen Herrschers vornimmt.

An dieser Stelle fällt bereits auf, dass die verschiedenen Evangelien scheinbar recht unterschiedliche Interpretationen zu Leben und Wirken Jesu Christi bieten. Peter de Rosa bezeichnet das Christentum als eine hochkomplexe Mythologie, als deren Held Jesus Christus fungiert.(11) Da die Evangelien einander in der Schilderung von Leben und Werk ihres Heilands stark widersprechen, begegnet dem Leser Jesus Christus darin bereits als ein Mythos, dessen Wahrheit durch ideologische Überformung verdeckt wird. Angefangen vom Kindermord in Bethlehem bis zu seinem Tod am Kreuz begegnen einem höchst diffuse und widersprüchliche Schilderungen im Neuen Testament, die mit historischen Fakten schwer in Einklang zu bringen sind.

Tatsächlich wurden die Evangelien erst lange nach Jesu Tod verfasst und zwar nicht, wie es die Bezeichnungen nahe legen, von seinen ehemaligen Jüngern, sondern von Menschen, die ihn nicht einmal gekannt haben können. Auf diese Weise sind die Spuren des Menschen Jesus leider bis zur Unkenntlichkeit verwischt worden, der Mythos Jesus trägt jedoch nach wie vor bisweilen skurrile Blüten. Wie es jeder Jude auch heute noch tut, bezeichnete sich Jesus als Kind Gottes, nicht jedoch im Sinne eines direkten Nachkommen, da dies für ihn eine unerhörte Blasphemie gewesen wäre. Wie viele andere Doktrinen wurde so auch die Gottnatur Christi erst 325 n.C., auf dem Konzil von Nizäa festgelegt.

Als gläubiger Jude beachtete Jesus die religiösen Gesetze seines Volkes und trachtete eher nach einer Reformierung der Verhältnisse, als dass er sich als Begründer eines neuen Glaubens sah. Der Konflikt mit den Pharisäern und ihrer Auslegung der religiösen Gesetze war dagegen in solchen Zeiten der Not eine wichtige Motivation für seine Lehren von Solidarität, Gewaltverzicht und Demut. Der wesentliche Unterschied zum von den Juden erwarteten Messias bestand jedoch darin, dass das Reich, welches Jesus den Gläubigen predigte, kein irdisches, sondern ein jenseitiges war. Diese Abwertung des diesseitigen Lebens lässt sich in seinen Grundzügen durchaus aus der politischen Situation des jüdischen Volkes erklären. Da die wiederholten Aufstände gegen die römische Besatzung zu keinerlei dauerhaften Erfolgen führte, erschien die Erduldung aller irdischen Drangsale als eine göttliche Prüfung und notwendige Bedingung einer jenseitigen 'Entschädigung’, die den von seinen irdischen Lasten befreiten Gläubigen aus dem Staub der Erde in ätherische Gefilde empor heben und ins Licht führen sollte – eine Metapher, die einen bleibenden Eindruck auf die bildende Kunst bis hin zum Film haben sollte.

Jesus selbst hatte jedoch keinerlei Anweisungen hinterlassen für die Weiterführung des von ihm erschaffenen Kultes im Falle seines Ablebens. Wie viele seiner Zeitgenossen sah er selbst in den historischen Wirren die Vorzeichen für das Kommen des Messias und das damit verbundene Endes der Welt. Da er glaubte, jenes Ende sei nah, hinterließ er folgerichtig kein Vermächtnis. Im Gegenteil – er predigte die Umkehr, nicht im Sinne des falsch übertragenen Aufrufs zur Reue, sondern im Sinne einer Rückwendung zu Gottes Botschaft – der Thora – um Aufnahme zu finden in das ewige Reich, das bevor stand. Sein unrühmlicher Tod und vor allem die ausbleibende Rettung mussten seine Anhänger also gehörig verwirren. Die biblischen Erzählungen seiner Auferstehung und bevorstehenden Rückkehr sind daher durchaus vor dem Hintergrund der jüdischen Erlösererwartung zu interpretieren, die sich mit Jesu physischem Tod nun folgerichtig in eine jenseitige Heilserwartung wandeln musste.(12)

Tatsächlich enthält der Messias-Mythos, wie er uns im Neuen Testament begegnet, auch starke archaische Elemente. Während u.a. die Jungfrauengeburt bei den Synoptikern widersprüchlich erwähnt wird, lässt Johannes sie zugunsten einer bemerkenswerten Verschiebung aus – der Vergöttlichung Marias, einer entscheidenden Voraussetzung für den späteren Marienkult. Tatsächlich erinnern besonders Ikonen der, sonst so sittsam verhüllten, stillenden Maria und des saugenden Heilands in trauter Zweisamkeit an die Muttergottheit der Steinzeit mit ihren exponierten Brüsten als Symbol und Gewähr von Schutz und Fruchtbarkeit. Ein anderes ikonographisches Urbild – die den Horus stillende Isis – lässt sich bis auf 5500 v.C. zurück datieren.(13)

Das bedeutendste Element des christlichen Glaubens jedoch, das zudem archaischen Ursprungs ist, stellt der bereits erwähnte Opfermythos, bzw. die Selbstopferung Jesu dar.


1.2. Jesus im Film – Die Wiederkehr des Mythos

Nicht erst seit Mel Gibsons ehrgeiziger Verfilmung „The Passion of the Christ“ von 2004 lösen künstlerische Annäherungen an den christlichen Erlöser zuweilen erhitzte Kontroversen aus. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb sind biblische Stoffe seit jeher ein vor allem beim Publikum beliebtes Gerüst filmischer Umsetzung. Bereits 1897 entstanden die ersten 'Bibelfilme’, die zunächst nur aus dem Abfilmen bekannter Passionsspiele bestanden. Die Bekanntheit des Stoffes und seiner Bedeutung sollte dem Publikum den Zugang zum neuen Medium Film erleichtern sowie zu einer Erhöhung seines Prestiges beitragen. Allerdings dienten Bibelfilme auch als Vorwand zur Darstellung exotischer Schauplätze, skandalöser Ausschweifungen und exzessiver Gewalt. Vor allem in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden durch CinemaScope und andere Breitwand-Formate besonders viele solcher „Kolossalgemälde und Historienspektakel“(14), die sich der neuen Technik zur Darstellung imposanter Massenszenen bedienten, um vor allem auch der Konkurrenz durch das Fernsehen entgegen zu treten.
Die Geschichte Jesu wird in den meisten Fällen als fiktionale Biographie erzählt – ein Heldenmythos, der die verschiedenen Stationen von Geburt, Sendung, Wundertaten, Prüfung bis zur Vollendung des ihm bestimmten Schicksals durchläuft. Neben diesen sogenannten direkten Jesus-Filmen(15) gibt es auch indirekte Jesus-Filme, deren Hauptfigur eine andere Person ist, während die Geschichte des Christus lediglich als Rahmenhandlung dient. Der bekannteste unter ihnen ist sicherlich der 1959 von William Wyler inszenierte und mit 9 Oscars ausgezeichnete Ben Hur. Wie in den meisten Filmen dieser Art findet auch an Ben Hur eine Christianisierung statt, eine Ablösung von der alten Religion – in diesem Fall das Judentum mit seinem Credo von Auge um Auge, Zahn um Zahn – und eine Hinwendung zu dem liebenden Gott, der auch seinen Feinden noch vergibt. In diesem Sinne fungiert Ben Hur als alter Ego Jesu Christi. Es werden christliche Werte wie Nächstenliebe, Selbstlosigkeit und Vergebung propagiert, der Spannungsbogen aber orientiert sich hauptsächlich an der Bekehrung des jeweiligen „Ungläubigen“.

Auch im 1953 von Henry Koster inszenierten Film The Robe wird ein römischer Feldherr durch die Begegnung mit Jesus und der christlichen Gemeinde von seinem „Irrglauben“ befreit, nachdem er einige Prüfungen bestehen musste, und darf in der fulminanten Schlussszene als Märtyrer vom Palast des römischen Kaisers direkt in die himmlischen Gefilde hinauf schreiten.
Diese letzte Szene versinnbildlicht in ihrem bedeutungsschwangeren Technicolor-Overkill eine Kritik, die sich häufig an die Bibelfilme jener Zeit richtete – jene kitschige Postkartenidylle vor Monumentalgemälden des alten Palästina, vermengt mit amerikanisch-puritanischer Weltsicht und ihrer klaren Einteilung in Gut und Böse, sowie der moralinsauren Einsicht, dass auf jede Tat ihre gerechte Strafe oder Belohnung erfolgt, wenn auch nicht notwendig in dieser Welt. So wirken die männlichen Helden dieser Filme stets ein wenig zu heldenhaft und die (Jung-) Frauen an ihrer Seite stets ein wenig zu aufopferungsvoll. Und vor dem Himmel der alten Renaissance-Meister ist Jesus im Hintergrund zur altbekannten Geste erstarrt.
Dennoch lässt sich die damalige Beliebtheit des Themas nicht nur durch die meist imposante Inszenierung und die Sensationslust des Publikums erklären. In der Tat existierte in Nachfolge des Zweiten Weltkriegs ein Bedürfnis nach Erinnerung der alten Werte, einer Rückbesinnung auf jene alte Welt, in der noch Zeichen und Wunder geschahen und Gott noch greifbar schien. Mit der Erkenntnis des Holocaust ergab sich auch die Herausforderung einer historischen Revision der jüdischen Ursprünge des Christentums, sowie der Versuch einer Absage an sinnlose Gewalt.

Dieses ambivalenten Verhältnisses von christlichen Werten und historischer Realität nimmt sich Nicholas Ray in King of Kings (1961) an. Rays Rebel Without a Cause (1955) scheint sich in King of Kings in zwei Personen zu manifestieren. In Jesus von Nazareth und Jesus Barabbas, die nicht nur durch die Namensgleichheit zueinander in Beziehung stehen (wie Barabbas es ausdrückt: „I am fire, he is water“). Während Barabbas als Freiheits-kämpfer mit Gewalt versucht, das fortwährende Abschlachten seines Volkes durch die Römer zu verhindern, predigt der Rabbi aus Nazareth seinen Jüngern das Wort Gottes und vollbringt Wunderheilungen. Hier wird bereits die jüdische Messiaskonzeption als militärisch errungene Herrschaft zugunsten eines frühchristlichen Pazifismus demontiert.
Sowohl der bewusst gewählte Titel Rabbi, als auch Barabbas Exposition als Held des Widerstandes versetzen die Thematik in einen spezifisch jüdischen historischen Rahmen. Der Kampf gegen die Unterdrücker wird zwar an zwei unterschiedlichen Fronten geführt, dennoch scheint das Ziel nicht verschieden. Dieser Aspekt des jüdischen Befreiungskampfes wird bspw. in Ben Hur völlig marginalisiert zugunsten einer persönlichen Racheodyssee des Helden, derweil The Robe in pathetischer Manier den Untergang eines zerfallenden Imperiums mit dem Siegeszug des Himmelreiches einläutet.

Während die Konzentration auf theologisch nicht vorbelastete Helden im indirekten Jesus-Film die Möglichkeit zur abenteuerlichen Ausschmückung der frei erfundenen Haupthandlung bietet, ist der direkte Jesus-Film genötigt, seinen Schau-Wert auf einer visuellen und auch diskursiven Ebene zu erweisen, da die Bekanntheit des Ausgangs der Geschichte nicht viel Raum für freie Interpretationen lässt.(16) Mel Gibson führt diesen Ansatz durch die Konzentration auf die Folterung und Kreuzigung Christi in seinem Hybrid aus splatter movie, Blockbuster und esoterischem Heldenepos sowohl ästhetisch als auch intellektuell völlig ad absurdum – zu oberflächlich die Symbolik, zu einfältig die Trickkiste emotionaler Manipulation.(17)
Natürlich könnte man King of Kings eine ähnliche Naivität im Umgang mit seiner Hauptfigur vorwerfen. Zu abgenutzt erscheinen die Muster der Darstellung – von der immer gleichen Frisur des Heilands bis hin zur religiösen Metaphorik. Dennoch erscheinen die ästhetischen Konventionen in ihrer bis hin zur Lichtsetzung ikonographischen Anlehnung an mittelalterliche und Renaissance-Malerei auf den zweiten Blick durchbrochen von gegenläufigen Perspektiven und modernen Diskursen, vor denen die traditionelle Heilsgeschichte in den Hintergrund tritt. Der Wichtigste bleibt dabei sicherlich die Betonung des jüdischen Hintergrundes des christlichen Erlösers, der durch das Element des gerechten Widerstands in Jesus’ alter ego Barabbas noch betont wird.

Trotz allem hat Ray an erster Stelle einen „klassischen“ Jesus-Film abgeliefert, der sich nicht wie bspw. Scorsese mit dem Menschen, sondern mit dem Mythos Jesus Christus beschäftigt. Dies zeigt sich vor allem auch in der Darstellung der Frauenfiguren um den Erlöser. Der Gegensatz von Reinheit und Verdorbenheit sowie von heiligen und gefallenen Frauenfiguren sind häufig wiederkehrende Mittel filmischer Messias-Darstellungen. Zur Betonung des Gegensatzes von römisch-heidnischer Dekadenz und christlicher Reinheit fungieren die verderbte Salome, die ihren Stiefvater mit einem aufreizenden Tanz dazu verführt, Johannes den Täufer zu köpfen, und die geläuterte Maria Magdalena auf der anderen Seite, die dem Auferstandenen als Erste begegnet.

Immer wieder gibt es auch die schwankenden Gestalten und bekehrten Heiden um den Messias. Die Figur des Verräters nimmt dabei eine Sonderstellung ein. Wie später auch bei Scorsese ist das Judas-Bild Rays weitaus differenzierter als es der biblische Kanon zulässt. Judas als schwankendes Bindeglied zwischen den Antipoden Jesus und Barabbas erscheint hier nicht als hakennasiger Verräter, sondern als verzweifelter Patriot, der sich nach Erkenntnis seiner Tat noch selbst stigmatisiert und damit erneut in die Nähe des Erlösers rückt. Während der patriotische Judas in King of Kings zwischen alttestamentarischem Vergeltungscredo und der frohen Botschaft der Vergebung unentschieden bleibt, fungieren Personen wie der Römer Lucius oder auch Ben Hur theologisch wirksam als die spät, aber endlich zum „wahren“ Glauben Bekehrten.

Es ist die Aura des Messias, die ihn in aller Augen als solchen erkenntlich macht. Ray setzt dafür vor allem Großaufnahmen von Jeffrey Hunters strahlend blauen Augen ein. Da es William Wyler durch den Autor seiner Romanvorlage, Lewis Wallace, verboten war, das Gesicht Jesu zu zeigen, wendet er in einer Schlüsselszene einen optischen Trick an. Als Jesus dem gefangenen Ben Hur Wasser reicht, stürmt ein darüber erzürnter römischer Legionär mit seiner Peitsche auf ihn zu. Er hält jedoch verunsichert und wie verzaubert inne, als Jesus sich mit dem Rücken zur Kamera zu beinahe übermenschlicher Größe aufrichtet. Natürlich betont auch in dieser Szene eine besonders ätherische Musikkomposition die mystische Dimension des Dargestellten. Ein weiteres bedeutsames Element dieser Szene ist die (christliche) Wassersymbolik, die am Ende des Films in eine Wunderheilung mündet. Als nach Jesu Tod der einsetzende Regen mit dem Blut des Heilands vermengt in Bächen über das trockene Land fließt, wo er schließlich die Höhle der beiden aussätzigen Frauen erreicht, sind sie auf wundersame Weise geheilt. Wasser steht hier als mehrdeutiges Symbol für Jesus selbst, die christliche Botschaft und für eine elementare physische wie spirituelle Nahrung. Nicholas Ray verwendet die Wassersymbolik ähnlich, es kommt noch die Jungsche Interpretation dessen als Symbol des kollektiven Unbewussten hinzu,(18) was bei Dune (1984) später noch deutlicher wird.
Als Beweis seiner göttlichen Abstammung und seiner Mission gleichermaßen verfügt der Messias über außergewöhnliche Kräfte, die sich auch auf ihm angehörende Gegenstände übertragen können. Die Episode der Bibel, nach der eine Frau durch die Berührung von Jesus’ Gewand geheilt wurde, baut The Robe zu epischer Länge aus, wobei das Kleidungsstück seinen neuen Besitzer, einen römischen Feldherrn, zunächst in den Wahnsinn treibt.(19)

Die filmische Darstellung des wunderbaren und charismatischen Gottessohnes beruht also auf gewissen Konventionen, die beim Publikum als bekannt vorausgesetzt werden können. Dazu gehören nicht nur seine Fähigkeiten, oder die Übertragung dieser auf andere Personen und Gegenstände. Es beginnt bereits bei seinem Aussehen. Die meisten Jesus-Darsteller sind, den Traditionen europäischer Malerei folgend, unsemitische und hellhäutige, bärtige junge Männer, das leicht gelockte helle Haar zur typischen halblangen Frisur geformt. Diese Konvention wurde der sakralen Malerei der Renaissance entnommen, die ihrem Schönheitsideal entsprechend das Heiligste auch als das Schönste darzustellen versuchte. Sie wird meist nur von Regisseuren gebrochen, die eine eher kritische Betrachtung des Themas wählen, wie bspw. Pier Paolo Pasolini oder Roberto Rossellini.

Der thematische Ansatz bestimmt also bereits die Wahl des Schauspielers, der diese Rolle ausfüllen muss. George Stevens wählte für The Greatest Story Ever Told (1965) den noch relativ unbekannten Max von Sydow aus, um das Indentifikationspotential zu erhöhen. Martin Scorsese wählte bewusst den bekannteren Charakterdarsteller Willem Dafoe, um genau diese Identifikation zu verhindern und die kritische Distanz zwischen Darsteller und Figur zu wahren. Nicholas Ray besetzte die Rolle mit dem damaligen Sexsymbol Jeffrey Hunter, der durch seine sanfte, maskuline Aura dem idealisierten Bild männlicher Schönheit im Hollywood-Kino jener Zeit entspricht. Dies betont andererseits auch genau den Akzent, den Ray während der ganzen Geschichte immer wieder unterschwellig einbringt – die Menschlichkeit Jesu. In diesem Sinn bezeichnet sich Rays Jesus auch als „Son of Man“, nicht nur in der Schlüsselszene der Bergpredigt. Jesus ist an erster Stelle Sohn – einer, der rebelliert gegen die Traditionen der Vorväter und den die Erwartungen des Übervaters beinahe erdrücken. Der Konflikt mit dem Vater oder die völlige Abwesenheit eines Vaters, der sich nur noch über Institutionen manifestiert, ist eine der Hauptthematiken auch moderner Messiaserzählungen. Sicher ist auch Ödipus nicht der Urmythos, der diesen Zusammenhang artikuliert, dennoch spitzt er sich in der Geschichte Jesu dramatisch zu. Der Marginalisierung von Josef in der Bibel entspricht der Leugnung seiner Vaterschaft Jesu und dessen Ersetzung durch den unerreichbaren, göttlichen Übervater.(20) Wo der menschliche, greifbare Vater noch vorhanden ist, muss er, wie in Dune, entweder sterben oder wird anderweitig ersetzt durch ein Idol, das durch seine unerreichbare Ferne beim Helden jedoch ein psychologisches Trauma mit weitreichenden Folgen auslösen muss. Die sogenannte heilige Familie kann also bereits in Ihrem Ursprung als zerrüttet und traumatisierend entlarvt werden. Dem entspricht die einseitige Darstellung der Mutter als reines, gutes Wesen, die im (psychoanalytischen) frühkindlichen Stadium der bedürfnisorientierten Aufspaltung in gute und böse Mutter befangen scheint.(21)

Kaum ein Jesus-Film kommt bei der Darstellung des Abendmahls an Leonardo da Vincis berühmtem Gemälde vorbei, das sich ebenso wie die Pietà oder die berühmt-berüchtigte Haarpracht des Heilands im kulturellen Gedächtnis des Abendlandes auf eine ganz bestimmte Weise manifestiert hat. Es gibt keine Fotografien oder authentischen Beschreibungen des Aussehens Jesus’. So widersetzte sich das Urchristentum, dem alttestamentarischen Bilderverbot entsprechend, einer Verehrung von Idolen – der Bibel, dem Wort Gottes sollte allein Verehrung zukommen. Die christliche Malerei wurde erst von synkretistischen Kreisen eingeführt und in der Geschichte beider ausgebaut.(22) Die so entstandenen Bildwerke entbehren oftmals jeder historischen Wahrscheinlichkeit. So wird auch im auf höchste Authentizität bedachten The Passion of the Christ munter durch die Handflächen gekreuzigt, was keiner historischen Realität, geschweige denn faktischen Möglichkeit, entspricht. In den meisten Jesus-Filmen werden die Evangelien wild gemischt und mit Heiligen- und anderen Legenden kombiniert, es werden die verschiedensten Stile der abendländischen Kirchenmalerei nach Figurenkonstellation, Farbgebung und Lichtsetzung hin abgefragt und kopiert, bis hin zur Kopie der Kopie der Kopie.(23)

So scheint sich auf radikale Weise im letzten Exemplar dieser Filmreihe die These de Rosas bestätigt zu haben: „Jeder Christ gestaltet seinen eigenen Jesus, ob er es weiß oder nicht.“(24) Wo Ray einen jugendlich-schönen sanften Rebell erschafft und Scorsese einen von Selbstzweifeln geplagten Suchenden, stellt Gibson den geschundenen Männerkörper eines übermenschlichen Helden zur Schau, dessen mythisch-mystische Elemente auf ein paar Zaubertricks und den alles dominierenden Opferkult reduziert sind.(25)

Dabei sind Aussehen, Körperhaltung und Gesten all dieser Jesusse ein Sublimat der kulturellen Traditionen, Interpretationen und Konventionen der letzten knapp zweitausend Jahre – ebenso wie deren Nebenfiguren. Die Darstellung von Leben und Werk des Jesus von Nazareth ist in Ermangelung konkreter historischer Belege immer auch die Projektion der Hoffnungen, Wünsche und Ängste der Interpreten, die sich im Laufe der Zeit zu einem gewissen Kanon zusammen gefunden haben. Entstanden ist daraus ein Jesus-Mythos, der auf seinem Weg in vielen Punkten ganz dem Campbellschen Schema der hero’s journey(26) zu folgen scheint. Auf seine Sendung folgen die Begegnung mit dem Mentor (Johannes der Täufer), diverse Prüfungen (Versuchung in der Wüste) und Abenteuer (Wunderheilungen), die Begegnungen mit Verbündeten (die Jünger) und Feinden bis hin zur tiefsten Höhle, die auch ein Garten sein kann. Nachdem die letzte Prüfung (Prozess und Kreuzigung) bestanden ist und mit der Wiederauferstehung des Helden belohnt wird, kehrt dieser zurück mit dem Elixier des Lebens, dem heiligen Geist, den er unter sein Volk bringt.(27)



2. Messias-Figuren seit der Moderne

Neben den 'einfachen’ Helden hat das zeitgenössische Kino auch ein ganzes Arsenal an messianischen bzw. Erlöserfiguren zu bieten. Bezeichnenderweise lassen diese sich hauptsächlich im Genre des anglo-amerikanischen Actionfilms nieder, um ihren Kampf gegen das Böse zu führen. Sie tragen so illustre Namen wie Connor MacLeod, John McClane, oder einfach nur Terminator.(28)

Eine postmoderne Spielart des Messias-Mythos bietet The Matrix (1998) von Larry und Andy Wachowski, der selbigen durch selbstreflexive Verweise ständig bricht und erweitert, ohne die Idee jedoch der Lächerlichkeit preiszugeben. Im Universum der Matrix scheint der Erlöser nicht mehr Teil einer fernen Vergangenheit, sondern notwendige Folge einer als lineares Fortschreiten der technischen Entwicklung verstandenen Zukunft. Auch hier werden mythisch-christliche Elemente wie Namen, Personenkonstellationen, Charaktere und Handlungsmuster strukturell in diese Zukunft verlegt.(29)

Trotz thematischer Verschiedenheit herrscht in diesen Filmen ein strukturelles Verhältnis von Gewalt, Technologie und Mythologie. Ihre Helden verfügen trotz ihrer unterschiedlich bedingten Außenseiter- bzw. Einzelgängertums über moralische Integrität, die sie gegen den Widerstand feindlicher Personen oder Institutionen zu verteidigen gezwungen sind. So wird ihre Gewaltbereitschaft stets vor dem Hintergrund einer ultimativen Bosheit des jeweiligen Feindes gerechtfertigt. Sie setzen ihre Kräfte jedoch nicht aus egoistischen Gründen ein, sondern immer, um eine Gruppe von Menschen oder sogar die gesamte Menschheit zu retten (stellvertretend die eigenen Familie) und damit vom Bösen zu erlösen. Der Actionheld tritt somit die Nachfolge des mythischen Helden an, wobei der Einsatz von Zauberkraft und magischen Waffen weitestgehend durch brachiale Körperkraft bzw. virtuose Körperbeherrschung und hoch technisierte Gerätschaften ersetzt wurde.

Dabei lässt sich die Struktur des Kampfmythos nach Kenneth Duva Burke(30) in ihren Grundzügen auch auf diese Filme übertragen. Held und Gegner sind eindeutig identifizierbar als gut oder böse, gleichwohl beide göttlichen Ursprungs sind. Ihrer Herkunft verdanken ebenfalls beide außergewöhnliche Eigenschaften und Fähigkeiten. Die Boshaftigkeit des Feindes stellt eine Gefahr für die Welt und ihren Bestand dar, der Held ist daher zum Kampf gezwungen. Er wird vom verschlagenen Feind jedoch niedergerungen und verliert beinahe, bis er den Kampf durch die Anwendung drastischer Mittel doch noch gewinnt. Nachdem der Feind vernichtet wurde, feiert der Held seinen Sieg, wird „gereinigt“ und begründet einen Kult oder errichtet einen Tempel für sich.

Im säkularisierten Actionfilm ist die göttliche Herkunft meist auf eine gemeinsame (ethnische) oder anderweitig besondere Herkunft reduziert, bzw. auf einen vergleichbaren Ausbildungsweg. Das Kräftemessen findet also auf einer gleichberechtigten Ebene statt, im Sinne einer Herausforderung für das Gute. Die Siegesfeier wird eher in den privaten Bereich verlegt, der Held begründet oder führt seine Familie wieder zusammen – ganz im Sinne puritanischer Moralvorstellungen. Da er jedoch zur Errettung der Menschheit moralische Opfer gebracht hat, muss er zunächst durch ein moralisch ebenso integeres Wesen oder Institution von seinen Sünden „bereinigt“ werden, indem ihm die Notwendigkeit drastischer Maßnahmen wiederholt versichert und damit deren gesamtgesellschaftliche Akzeptanz bekräftigt wird.

Obwohl der Held als Individualist eingeführt wird, dient das Konzept der Männerfreundschaft, hauptsächlich mit gesellschaftlich randnahen Gruppen wie Afroamerikaner, Juden oder Outlaws, der Betonung seiner moralischen Integrität. Es gibt die väterlichen Freunde, die als Lehrmeister dienen, wie Sean Connerys Figur in Highlander, oder Freundschaften, die dem Kampf gegen soziale Institutionen dienen, wie die von John McClane mit dem afroamerikanischen Polizisten Paul. Letztlich jedoch bestehen diese Freundschaften in einem bedingungslosen „Dienen und Beschützen eines als höher erachteten Wesens“(31), wie es John Connor für den T-100 in Terminator 2 (1991) darstellt.

In letztgenanntem Film wird das Messias-Konzept besonders deutlich. John ist de facto der Retter der Menschheit, auch wenn sich das erst in der Zukunft erweisen wird. Da er jedoch auf den bedingungslosen Schutz des T-100 angewiesen ist, findet gewissermaßen eine Figurendopplung statt. So erhält auch die Maschine Erlöserzüge, zumal sie von John mit humanistischen Grundsätzen ausgestattet wird. Die beiden Desperados bilden mit der aus der Irrenanstalt befreiten Sarah Connor zusammen eine trashige Art heiliger Familie, da Sarah ausdrücklich die väterlichen Qualitäten des Terminators hervorhebt. Der leibliche Vater ist tot und damit, wie im Falle Jesu Christi, zugunsten eines lehrenden Übervaters marginalisiert. Die biblischen Anleihen sind überdeutlich: Sarah selbst ist die Namensvetterin der biblischen Stammmutter Israels, obwohl sie besonders im ersten Teil deutliche Marienzüge trägt, während die Initialen ihres Sohnes J. C. denen Jesu Christi gleichen.

Der T-100 selbst opfert sich am Ende für das Überleben der Menschheit und lässt sich in einer das Höllenfeuer versinnbildlichenden Stahlschmelze auflösen. Die Maschine als Symbol der Auflehnung des Menschen gegen die Schöpfung kehrt somit an ihren Ursprung zurück. In diesem Universum gilt die zunehmende Technisierung der Welt als Wurzel allen Übels, denn sie ist das Symbol der dämonischen Kraft, die die göttliche Allmacht in Frage stellt. Die Folge dieser Technisierung sind Waffen, die wie Menschen aussehen, gigantische Explosionen oder die apokalyptischen Visionen des nuklearen Infernos von Sarah Connor. Nicht umsonst heißt der Club im ersten Teil der Terminator-Reihe, in welchem es zur Begegnung zwischen Sarah, Kyle und dem zerstörerischen Terminator kommt, „Tech Noir“. Unübertroffener Ausdruck dieser schwarzen Magie ist der T-1000, das namen- und gesichtslose Böse, der beinahe jede beliebige Form annehmen kann. So wird eine Paranoia gegen den Feind im Inneren geschürt, da selbst der Nächste plötzlich fremd sein kann. Ebenso verhält es sich mit den Agenten in der Matrix. In dieser filmischen Vision erreicht die Perfidität der Maschinen ihren Höhepunkt, da sie die Menschen über den tatsächlichen, postapokalyptischen Zustand der Welt mittels einer computergenerierten Simulation hinweg täuschen.

Können die Feinde der Erlöserhelden trotz ihrer satanischen Züge extrem verschieden sein, ähneln die Frauenfiguren sich doch sehr. Trotz ihrer an moderne Verhältnisse oberflächlich angepassten selbstbestimmten Lebensweise erweisen sie sich im Zuge der Ereignisse immer als schwache Wesen, die beschützt und gerettet werden müssen. Dabei zeichnen sie sich vor allem durch ihre Qualitäten als (potentielle) Ehefrauen und Mütter aus, denn sie sind dem Helden trotz anfänglicher Widerstände stets treu ergeben. Das Klischee des aktiven männlichen und passiven weiblichen Prinzips wird zelebriert. Eine leichte Abweichung bietet dabei Sarah Connor, die in Terminator 2 das Image des hilflosen Weibchens abstreift und sich während ihrer Haft zu einer maskulin wirkenden Kampfmaschine ausbildet. Von der Mutter des kindlichen Gottes John wird sie selbst zu einer archaischen Muttergottheit, die ihr Kind mit all ihrer Macht beschützt.

Auch die Helden dieser Filme sind nicht mehr nur strahlende Ritter in schimmernder Rüstung, sie sind auf je eigene Art gebrochene, unkonventionelle Gestalten, die ihre Sonderstellung in der Welt durch ihren Individualismus untermauern. Sie laufen in verschwitzten Unterhemden herum und tragen die Narben ihrer Kämpfe zur Schau, oder sie bereiten sich in den schottischen Highlands oder dem Moloch L.A. auf den ultimativen Endkampf vor. Ihre Maskulinität ist eine Mischung aus körperlicher Kraft, intelligentem Wortwitz und jungenhaftem Charme – jene Spannung zwischen Macht und Verletzlichkeit, die das heutige Bild von Jesus Christus bestimmt.

Das Weltbild, das in Filmen dieser Art vermittelt wird, ist als dualistisches Weltbild zutiefst archaisch und lebt von dem ewigen Kampf zwischen Licht und Finsternis. Das Leben selbst ist ein Kampf, der sowohl Gehorsam, als auch Opfer fordert und dennoch von Wundern geprägt ist. Der mythologische Grundstock ist meist mit einem christlichen Überbau versehen – Kirchen dienen als gewaltfreies Refugium, christliche Werte werden erneuert oder bestätigt, der Erlöser ist stets ein Mitglied der WASP-Gemeinde. Dennoch ist das Gewaltlosigkeits-Ethos des frühen Christentums hin zu meist hektischem Missions-Aktivismus verschoben, was sicherlich auch dem Genre und dem darin zugrunde liegenden Kampfmythos geschuldet ist.

Apokalyptische Weltuntergangsszenarien erfreuen sich stetig wachsender Beliebtheit. Man könnte annehmen, dass dies auf ein gesteigertes Bewusstsein für den Umgang des Menschen mit seiner Außen- und Innenwelt hindeutet, meist aber ist es nur Ausdruck eines videospielseligen esoterischen Eskapismus, wie er im letzten Teil der Matrix-Trilogie (2003) seinen (vorläufig) abstrusesten Höhepunkt findet – gleicher Spieler, neue Runde…


3. Dune oder Der Messias der Postmoderne

Frank Herberts enzyklopädisches Erlöser-Epos, das erstmals komplett 1965 erschien, galt aufgrund seiner komplizierten Zusammenhänge von Geschichte, Politik, Religion sowie seiner umfassenden Mythologie lange Zeit als unverfilmbar. Herbert schuf ein Universum des 11. Jahrtausends, das auf der uns bekannten Welt zwar basiert, wie seine Bewohner aber völlig in eine kosmisch-mythologische Ebene aufgehoben ist. Dreh- und Angelpunkt dieses Universums ist das Spice, eine bewusstseinserweiternde Droge, die nur auf dem Wüstenplaneten Arrakis gewonnen werden kann und Grundlage ist für die Raumfahrt und damit auch den Handel, sowie den Machterhalt verschiedener Sekten und Herrscherhäuser.
Es ist ein postmoderner Raum, der Relikte aus Industriezeitalter und Barock, Buddhismus und Islam, Gentechnik und Mystik miteinander verschmilzt, die dennoch nur die Fassade einer obskuren Mythologie bildet. Kern dieser Mythologie ist der durch genetische Zuchtprogramme und Bewusst-seinstraining hervorgebrachte Kwisatz Haderach,(32) der als Mahdi das Wüstenvolk der Fremen zum Aufstand führt(33) und durch die Einnahme einer giftigen Substanz – dem Wasser des Lebens – vollkommenes Wissen über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erhält. Dadurch wird er zum prophezeiten Messias des Wüstenplaneten. Der Planet selber ist bereits eine mythische terra incognita, seine weiten Sandwüsten sind nicht nur landschaftsarchitektonische Staffage, sondern bereits Symbole ihrer eigenen, weitreichenden Bedeutung. Es ist ein heiliges Land, das vom Messias betreten und für immer verändert werden wird, wie seine Visionen zeigen.

Das Messias-Konzept in „Dune“ ist ein eindeutig islamisches(34), obwohl es einige Querverweise auf Christentum und Buddhismus enthält. Mahdi leitet sich von der arabischen Wurzel ?-?-? (h-d-y) ab und bedeutet „der von Gott Rechtgeleitete“. Es ist ein in Grundzügen dem Christentum entlehntes Konzept und kam in der Zeit nach dem Tod des Propheten Muhammad auf, der wie Jesus keine eindeutigen Anweisungen für die Wahl eines Nachfolgers hinterlassen hatte. Die daraufhin entbrennenden Machtkämpfe zwischen den verschiedenen Aspiranten gefährdeten die Einheit des Islams, der sich bereits in Sekten aufspaltete. So wird der Glaube an das Kommen eines Mahdi, der die ursprüngliche Einheit und Reinheit des Islams wiederherstellen wird, heute vor allem von den Schiiten vertreten, die sich in der Erbfolge der Herrschaft übergangen sehen. Jener Mahdi ist, ähnlich dem jüdischen Messias-Konzept, ein politischer Herrscher, der durch politische Revolution und religiöse Restauration ein neues „goldenes Zeitalter“ einleiten wird, in welchem Politik und Religion glorreich und zu aller Wohl vereint sind.(35)

David Lynchs Verfilmung Dune (1984) verkürzt, den Produktions-bedingungen geschuldet, den enzyklopädischen Ansatz des Werks auf einige Hauptaspekte, die expositionsartig aneinander gereiht sind. Auch Lynchs Messias Paul Atreides, verkörpert von Kyle MacLachlan, ist ein jünglingshafter Sohn, der den toten Vater idealisiert und anbetet. Um die heilige Familie zu vervollständigen ist seine Mutter, Lady Jessica, durch das Trinken des Wassers des Lebens bereits in den Stand einer „Heiligen Mutter“ gehoben worden. Pauls Streben nach dem Vermächtnis des Vaters („Das Schlafende muss erwachen!“) gestaltet Lynch als eine innere Reise durch mehrere Bewusstseinsebenen, deren physische Entsprechung, der Heilige Krieg – Jihad(36) – den Paul auf das gesamte Universum ausdehnt, nur randläufig zur Geltung kommt. Lynch inszeniert Dune als fragmentierte Augenblicksaufnahme innerhalb eines allmächtigen Bewusstseins. Die immer wiederkehrenden Bilder von Wasser als Symbol eines kollektiven Unterbewussten, sowie Schwebezuständen betonen die mystischen Aspekte dieser Welt. Sowohl die politischen, gesellschaftlichen, als auch ökologischen Folgen von Pauls Herrschaft blendet Lynch aus. Er ersetzt den herrschaftskritischen Aspekt Herberts – auch Paul Muad’dib Atreides wird von der Macht korrumpiert – durch die mystische Vision eines mächtigen Verfalls. Lynchs Freakshow – von den widerwärtigen Harkonnen über die imposanten Sandwürmer bis hin zum Gilde-Navigator, den seine Spice-Sucht allmählich in den Wurm transformiert, durch den es entsteht – ist illustrativer Bestandteil dieser ruinierten Welt. Deren technische Formationen muten an wie altertümliche Industrieruinen aus einer Jules-Verne-Phantasie, antiquierte Überbleibsel der „schönen und unsinnigen Maschine“.(37) Nie werden diese überdimensionalen, mit Gold verzierten Maschinen bedient, ihr Dasein ist lediglich Verweis auf ein vergangenes, großes Zeitalter. In den dunklen Gängen des Dune/Lynch-Universums wirken sie in ihrer Nutzlosigkeit nur noch monströser. So auch dessen Bewohner in ihren kolonialen Uniformen und Gewändern, die sich scheinbar anstelle der Maschinen technisiert haben und nun nicht nur physisch, sondern auch psychisch den Gesetzen der Mechanik zu folgen scheinen. Ursache dieser eigenartigen Verschmelzung von Fleisch, Geist und Mechanik ist immer wieder das Spice – das Bestreben nach seiner Beherrschung ebenso wie die Fähigkeiten, die es verleiht.

Lynchs Paul, der Messias, ist ein Träumer, der sich wachend darüber bewusst wird, dass er träumt und seine Träume wahr sind. Ein ernster junger Mann, der seine Position im Universum scheinbar pflichtbewusst einnimmt. Selbst der Tod des Verräters Yueh, eines engen Vertrauten des Hauses Atreides, scheint nur ein Klicken im Zahnrad der schönen, goldenen Maschine seines Bewusstseins zu sein. Paul ist das Resultat einer sich selbst erfüllenden Prophezeihung, seine Herrschaft jedoch läutet nicht das messianische Zeitalter ein – im Gegenteil. Seine Vision von einem Garten Eden, einem künstlich geschaffenen Paradies auf Arrakis, wird katastrophale ökologische und sozialpolitische Folgen haben – zumindest im Roman.

Viele von Lynchs visionären und halluzinatorischen Einstellungen fielen leider der Schere zum Opfer und das Endergebnis ist weit davon entfernt, ein echter „Lynch“ zu sein, dennoch erschafft er hier einen Typus von Erlöser, der, fernab vom klassischen Actionhelden, in seiner kindlich wirkenden Sanftheit wieder an die unfassbare Aura des Filmhelden Jesus von Nazareth erinnert. Ein Messias, den man an den Reaktionen der anderen als solchen erkennt und der eine offene Projektionsfläche für Erlöserhoffnungen aller Art bietet.

Lynch entscheidet sich für eine Utopie des Messias-Mythos als dem, der kam, um den Menschen Frieden zu bringen und das Antlitz der Erde (Arrakis) zu verändern. Während er zum Herrscher des Wüstenplaneten gekrönt wird, verkündet Paul gebieterisch Gottes Allmacht und lässt es schließlich Kraft seiner Fähigkeiten zum ersten Mal regnen über dem trockenen Land. Alles wird gut…


Abschließende Bemerkungen

Während sich die Jesus-Filme im Hollywood der 50er und 60er Jahre an einer quasi-historischen Darstellung dieser Figur orientierten, weicht dies in den 70er und 80er Jahren allgemein einer kritischeren Betrachtung, die sich weg vom WASP-Ideal hin zu menschlicheren – auch gebrocheneren – Darstellungen bewegt. Gleichzeitig erleben Erlöserfiguren im amerikanischen Blockbusterformat ihre actionreiche Geburt. Sie kämpfen in vorwiegend apokalyptischen Szenarien für die Errettung der Menschheit. Trotz ihres zumeist rüden Auftretens und einer gewissen Neigung zur Gewalt fügen sie sich letztlich in einen großen biblisch-christlichen Kontext ein. Ihre großen Schlachten werden daher meist in heruntergekommenen Großstädten und bei Nacht, d.h. gegen die Finsternis, geschlagen, und an ihren Namen lassen sie sich häufig unschwer als Nachfahren ihrer biblischen Ahnen identifizieren.

Den Glaubhaftigkeitskonventionen der Moderne folgend, sind diese Erlöser keine göttlichen Sprösslinge, sondern üben so geerdete Berufe wie den des Polizisten aus. Dabei sind sie nicht nur in diversen Kampftechniken bewandert, sondern beherrschen auch den Umgang mit hochexplosiven Materialien souverän. Gefährlich wird ihnen meist nur ihre Schwäche für die Familie, welche sie hin und wieder aus grenzfälligen Situationen befreien müssen. Erlösen sie dabei die Welt vor solch bösartigen Auswüchsen der Technik wie intelligente Computer, Atombomben oder Killerviren – im Falle von Jack Bauer sogar innerhalb von 24 Stunden – dankt es ihnen Gottvater oder der amerikanische Präsident höchstselbst.

Ideales und auch bevorzugtes Genre für solche Messiasvisionen ist die Science Fiction. Die technikverseuchte Landschaft großstädtischer Molochs eignet sich hervorragend als Brutstätte von Engeln und Teufeln, die in einem furiosen Endkampf alles in die Luft jagen, bis am Ende doch das Gute siegen darf.
Im postmodernen Kontext vermischen sich dabei christliche Elemente wie die heilige Familie oder Trinität mit fernöstlicher Kampfkunst und Spiritualität. Der Erlöser ist zwar meist Angehöriger der WASP-Familie, darf aber im Zeitalter der Globalisierung die Errungenschaften anderer Kulturen für seinen Kreuzzug gegen das amorphe Böse nutzen – insofern diese so massenkompatibel sind wie das Meditieren. So eröffnet sich ein Spielraum aus verschiedenen Realitäten und Bewusstseinsebenen, mit Verweisen aus Jahrhunderten von Kunst, Geschichte, Technik und Denken.

Der Messias des postmodernen Film- und Fernsehformats ist längst nicht mehr wie seine historischen Vorgänger an Belehrung und Bekehrung interessiert. Dennoch gestaltet sich seine Weltsicht ähnlich simpel durch die allumfassende Aufteilung in Gut und Böse, in ein Für-mich und ein Gegen-mich. Spirituelle Momente sind auf illustrative oder ideologische Zwecke reduziert, statt lehrreicher Gleichnisse herrscht rohe, dennoch gerechtfertigte Gewalt.

Der Messias, wie er uns durch die Hollywood-Brille entgegen tritt, ist zuerst und vielleicht schon immer ein Popstar – umfeiert und umjubelt, aber auch gehasst und gefürchtet. Er ist eine Projektionsfläche für die Hoffnungen und Ängste derer, die zu im aufschauen und vereint die Attribute und Fähigkeiten in sich, die dies widerspiegeln. In dieser Eigenschaft wird er zu einem entpersonalisierten Mythos, einem Gesicht, dem erst eine Geschichte gegeben werden muss, die dessen Funktion unterstützt. Als Popstar ist er allgegenwärtig und dennoch ein Phantom als Mensch – bekanntestes Exemplar dieser speziellen medienwirksamen Gattung fernab von Hollywood ist sicherlich Osama bin Laden.

Die Sehnsucht nach einer Heilsgestalt oder einem Helden ist so alt wie die Menschheit selbst, im Mythos findet sie eine formale Artikulation, die diesem Bedürfnis gerecht wird. Der Film als noch junge Erzählform des Mythos vermag dies auf die ihm eigene Weise zu bearbeiten. Er reproduziert die Ikonographie, aber er schafft auch neue Ikonen. Der Mythos wird durch ihn gebrochen, entlarvt, aber auch neu konstruiert und wiederhergestellt. Der Film gibt seinen Erlöserfiguren zwar stets neue Gesichter, der Mythos aber bleibt der alte. Als audiovisuelles Medium ist er das ideale Transportmittel sowohl für den Mythos als auch für aufklärerische Tendenzen. Im christlichen Kontext mögen dies The Passion of the Christ einerseits und The Last Temptation of Christ andererseits exemplifizieren.

So vielschichtig der Mythos selbst ist, so vermag auch seine filmische Form sich zu gestalten. Letztendlich lässt sich die allumfassende Erzählung von Begründung und Ende der Welt in unendlich viele Momentaufnahmen aus unterschiedlichsten Perspektiven und Zeiten aufspalten. Die Geschichte des Messias ist nur eine davon, die an ihren Peripherien an Dutzende anderer anknüpft.


Anmerkungen

(1) Hasenberg, Peter (Hrsg.) u.a.: Spuren des Religiösen im Film, S. 10
(2) Vgl. hierzu Campbell, Joseph: Der Heros in tausend Gestalten
(3) Campbell vergleicht in o.g. Werk die Mythen verschiedenster Völker auf der Erde, wobei sich erstaunliche Ähnlichkeiten finden lassen. Dies könnte ein Hinweis auf eine Art archaisches Kollektivbewusstsein sein, das die verschiedenen menschheitsgeschichtlichen Stufen der Entwicklung von Sein und Bewusstsein auf einer unterbewussten Ebene in Form von Mythen reflektiert.
(4) Eliade, Mircea: Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen. In: Barner, Wilfried (Hrsg) u.a.: Texte zur modernen Mythentheorie
(5) Eliade, S. 79
(6) Vgl. hierzu Pannenberg,Wolfhart: Die Weltgründende Funktion des Mythos und der christliche Offenbarungsglaube. In: Barner, Wilfried (Hrsg) u.a.: Texte zur modernen Mythentheorie
(7) Vgl. Eliade, S. 83
(8) vgl. hierzu: Goldmann, Alain: Die messianische Vision im rabbinischen Judentum. in: Stegemann, Ekkehard (Hrsg.): Messiasvorstellungen bei Juden und Christen
(9) Es existieren auch gegenteilige Auffassungen, die das gesamte Volk Israel als Heilsbringer für die Menschheit betrachten. Vgl. hierzu Goldmann, S. 65
(10) Vgl. hierzu: Stegemann, Wolfgang: Jesus als Messias in der Theologie des Lukas. in: Stegemann, Ekkehard: Messiasvorstellungen bei Juden und Christen
(11) deRosa, Peter: Der Jesus-Mythos
(12) Dies sind sicherlich nur einige wenige Aspekte, die zur Entwicklung des Christentums beitrugen.
(13) Bis heute kann man vielerorts eine in kleinen Flaschen verschlossene weiße Flüssigkeit erwerben, die eifrig als Milch der Mutter Gottes angepriesen wird, und pilgern stillende Mütter zur Bethlehemer Milchgrotte, in der Maria Jesus stillte, um ein weißes Pulver von den Wänden zu kratzen, dass sie zu einem heilsamen, den Milchfluss anregenden Getränk anrühren.
(14) Langenhorst, Georg: Jesus ging nach Hollywood, S. 40
(15) Ich beziehe mich auf die von Georg Langenhorst getroffene Einteilung der Bibelfilme in den altestamentarischen, den direkten und indirekten Jesus-Film, sowie Filme des Christus inkognito. Bruce Babington schlägt eine Unterteilung in „old testament epic“, „christ film“, sowie das „roman/christian epic“ vor.
(16) Mit dieser Konvention spielt Scorsese in The Last Temptation of Christ (1988) nach dem Roman von Nikos Kazantzakis, der genau an der Stelle des allen bekannten Ausgangs der Geschichte ansetzt und durch die Verhinderung der Kreuzigung durch einen Boten Satans den Gottessohn in seinen Wünschen und Hoffnungen erst menschlich erscheinen lässt.
(17) Vgl. hierzu Georg Seeßlens Artikel „Bad Religion im Popcorn-Palast“ in epd-Film 04/2004.
(18) Vgl. hierzu Bruce Babington: Biblical epics, S. 134
(19) Darstellungen der Kreuzigung orientieren sich wie in The Robe meist an den entsprechenden äußerst anschaulichen Passagen des Johannes-Evangeliums.
(20) An diesem Punkt ergibt sich ein theologischer Widerspruch. Sollte Jesus tatsächlich der im AT prophezeite Messias aus dem Hause Davids sein, ist eine unbefleckte Empfängnis unmöglich, da nur Josef aus dem Hause Davids abstammt, nicht aber Maria.
(21) Ein Themenkomplex, der sich u.a. auch auf faszinierende Weise in David Cronenbergs Spider (2002) spiegelt.
(22) Vgl. Sachs, Hannelore u.a.: Wörterbuch der christlichen Ikonographie, S. 65.
(23) Mel Gibson hat sich offensichtlich in einigen Punkten bei Ray bedient. So gibt es auffallende Ähnlichkeiten bei beiden Jesusfiguren, der Lichtsetzung während des Abendmahls, ebenso wie die Szene im Garten Gethsemane usw. usf.
(24) Peter de Rosa: Der Jesus-Mythos, S. 178
(25) Vgl. hierzu die Anmerkungen Georg Seeßlens zu den Gibsonschen Heldenfiguren in epd-Film 04/2004.
(26) Nach Voytilla, Stuart: Myth and the movies: discovering the mythic structure of 50 unforgettable films, Studio City 1999
(27) Jesus scheint, wie aus einigen Episoden der Bibel entnehmbar ist, seine Botschaft ausschließlich an das Volk der Juden gerichtet zu haben, die auch er als auserwählt betrachtete. Die Universalität des Christentums, das seine Mission auf alle Völker der Erde ausdehnte, ist demnach ein nachträglicher Zusatz der Evangelisten und anderer Autoren. Vgl. hierzu Peter de Rosa: Der Jesus-Mythos
(28) Christopher Lambert spielt den unsterblichen Highlander (1986), Bruce Willis verkörpert John McClane in der Die Hard – Reihe (1988 etc.) und Arnold Schwarzenegger gibt 1985 erstmals den Terminator.
(29) Angefangen bei Neo, ein Anagramm für „One“, womit auf die Universalität des Erlösers angespielt wird, bis hin zu Verweisen auf die griech. Mythologie mit Morpheus oder dem Orakel. Auch hier ist das Böse ein satanischer Meister der „Verkleidung“, der für einen geringen Lohn den Verräter Cypher dazu bringt, das Gute an die Finsternis auszuliefern.
(30) Vgl. Kenneth Duva Burke: Mythos, Dichtung und Philosophie. In: Texte zur Modernen Mythentheorie
(31) Pollnick, Yvonne: Der Terminator als Messias, S. 124
(32) Kwisatz Haderach stammt aus dem Hebräischen: ????? ???? (qfizat ha-derekh) und bedeutet wörtlich “der über den Weg hinausspringt”, also eine signifikante Abweichung oder einen bedeutenden Durchbruch.
(33) Historisches Vorbild für Herberts Aufstand eines Wüstenvolkes gegen ein mächtiges Imperium unter Führerschaft eines Fremden mag dabei die Revolte der Araber gegen das Osmanische Reich unter T.E. Lawrence gewesen sein.
(34) Als einführenden etymologischen Überblick der arabisch-islamischen Begriffe in „Dune“ sei http://baheyeldin.com/literature/arabic-and-islamic-themes-in-frank-herberts-dune.html empfohlen. Leider ist mir nicht bekannt, inwiefern Herbert sich an Ibn Khaldouns „Buch der Beispiele. Al-Muqaddima“ von 1377 orientiert. Ein ähnlicher enzyklopädischer Ansatz im Aufstellen von Herrschaftschroniken sowie dessen zyklisches Weltbild legen derartige Vermutungen jedoch nahe.
(35) Während im sunnitischen Islam (ca. 90% der Muslime) das Konzept eines göttlich inspirierten Erlösers eher abgelehnt wird und die Restauration des Islam den politischen Herrschern überantwortet bleibt, glauben die Schiiten, dass der erwartete Mahdi die Wiedergeburt des (je nach Sekte) 5., 7. oder 12. Imams in Nachfolge Alis, des Schwiegersohns des Propheten, sei.
(36) Der Begriff Jihad (????) bedeutet auf arabisch zwar keinesfalls Heiliger Krieg, wird von den meisten Orientalisten sowie islamischen Fundamentalisten aber synonym gebraucht.
(37) Georg Seeßlen: David Lynch und seine Filme, S. 83


Quellenverzeichnis


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deRosa, Peter: Der Jesus-Mythos: über die Krise des christlichen Glaubens, München 1991

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Fischer, Robert: David Lynch. Die dunkle Seite der Seele, S. 87-107

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Herbert, Frank: Der Wüstenplanet, 7. Auflage, München 1982

Heuermann, Hartmut; Medienkultur und Mythen. Regressive Tendenzen im Fortschritt der Moderne, Reinbek b. Hamburg 1994

Langenhorst, Georg: Jesus ging nach Hollywood. Die Wiederentdeckung Jesu in Literatur und Film der Gegenwart, Düsseldorf 1998

Meyer, Petra Maria: MATRIX: Körper und Medieninszenierung im postmodernen Film. In: Felix, Jürgen (Hrsg.): Die Postmoderne im Kino. Ein Reader, Marburg 2002, S. 297-320

Pollnick, Yvonne: Der Terminator als Messias. Amerikanisches Actionkino als moderner Kulturträger, Taunusstein 2000

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Seeßlen, Georg/ Jung, Fernand: Science Fiction. Grundlagen des populären Films, Marburg 2003

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