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Der schmale Grat zwischen Mondo- und Essayfilm
Killing of America von Sheldon Renan und Leonard Schrader
Von Nils Ehring
Während der Achtziger Jahre in den USA war der
Traum vom großen Geld für viele zum Greifen nah. Diese Wunschvorstellung
zerplatzte allerdings an der wirtschaftlichen Lage. Es war „ein
Jahrzehnt in dem der Yuppie-Wahn und die unzähligen Aufstiegsträume
in der Rezession zerkrachten. Man fühlte sich sozial und wirtschaftlich
höchst verunsichert.“(1)
Der Autor Bret Easton Ellis beschreibt die Lage der
Nation anhand eines Individuums in seinem Roman American Psycho. Die Hauptfigur
des Buches mit dem Namen Patrick Bateman ist Bestandteil der in diesem
Jahrzehnt aufkommenden Yuppie-Kultur. Niemand erkennt, dass sich hinter
dieser wirtschaftlich erfolgreichen Person ein Serienmörder verbirgt.
Der Protagonist mit zutiefst antagonistischen Zügen beschreibt sich
selbst folgendermaßen: „Mein Ich ist künstlich, eine
Anomalie. Ich bin ein unkontingentes menschliches Wesen. Meine Persönlichkeit
ist rudimentär und ungeformt, meine Herzlosigkeit geht tief und ist
gefestigt[…] Niemand ist sicher, nichts ist gesühnt.“(2)
Diese Erkenntnis spiegelt die gewinnorientierte und gefühlskalte
Mentalität der amerikanischen Gesellschaft in jener Zeit wider. Gleichzeitig
beschreibt sie die heillose Suche der Amerikaner nach Sicherheit. Bateman
verkörpert den amerikanischen Drang nach Freiheit und Erfolg, er
geht dafür sogar über Leichen.
Wie stark dieses Verlangen verbunden ist mit dem
plötzlichen Ausbruch von Gewalt, weist der Film Killing of America
auf. Er präsentiert uns die dunklen Seiten des American way of life,
indem er aufzeigt, dass der amerikanische Traum und dessen Ikonen durch
Gewaltakte zerstört werden. Bereits der Titel des Films impliziert
diese thematische Herangehensweise. Killing of America ist natürlich
ein Produkt seiner Zeit, geschaffen für einen Videomarkt, der immer
neue reißerische Dokumentationen über Gewalt hervorbrachte.
Der Film gelangte über Umwege nach England und in andere Länder
Europas. Ursprünglich war er nur für den japanischen Markt als
kommerzielles Sensationsprodukt vorgesehen. In den USA ist er gänzlich
unbekannt. Was ihn besonders von anderen exploitativen Mondo-Filmen unterscheidet
ist seine reaktionäre, ideologische und humanistische Botschaft.
Doch auch die Ästhetik des Films und sein Umgang mit unterschiedlichem
Archivmaterial differenzieren ihn von diesem Genre. Er ist zwar Bestandteil
dieser Filmgattung, da er für diesen sensationsgierigen Markt geschaffen
wurde, verwendet unter ästhetischen Gesichtspunkten allerdings essayistische
Techniken. Killing of America vollzieht somit eine Grätsche zwischen
exploitativem Mondo-Film und dem Essayfilm. Das Aufzeigen dieser Gratwanderung
zwischen den beiden Filmgattungen soll Thema dieser Arbeit sein.
Zunächst werde ich einen kurzen Einblick in die Welt der Mondo-Filme
gewähren. Dabei soll der Begriff genauer erklärt werden und
ästhetische Vorgehensweisen dieses Genres dargelegt werden. Dies
erscheint mir wichtig, da Killing of America ein Produkt darstellt, das
für den Mondo-Markt produziert wurde.
Im darauf folgenden Kapitel werde ich mich besonders
mit dem Essayfilm auseinandersetzen und genauer erläutern, was ihn
gerade unter ästhetischen Gesichtspunkten vom Dokumentarfilm unterscheidet.
Der zweite größere Teil der Arbeit befasst sich dann explizit
mit Killing of America. Hierbei geht es besonders um die angewandten Techniken
der vorher behandelten verschiedenen Filmgattungen. Ein besonderes Augenmerk
gilt dabei der Darstellung von Gewalt innerhalb des Films und dem essayistischen
Umgang mit Archivmaterial. Außerdem sollen in diesem Abschnitt der
Arbeit die einzelnen narrativen Ebenen von Killing of America genauer
erläutert werden.
Das Mondo Genre
„Es ist die Lust eines dumpfen,
animalischen Überlegenheitsgefühls, daß wir da auf dem
Film den Dingen endlich in die Augen sehen können, vor denen wir
immer die Augen schließen, wenn sie in Wirklichkeit erscheinen.“(3)
Der Filmtheoretiker Bela Balazs wies bereits im Jahre 1924
auf die Lust des Kinopublikums nach sensationellen und schockierenden
Bildern hin. Die Zuschauer konnten auf der Leinwand endlich das sehen,
was sie in der Realität nicht sehen wollten. Bereits in den frühen
Zeiten des Films gab es Aufnahmen von erschreckenden Ereignissen, gerade
die vor den Hauptattraktionen gezeigten Newsreel Serien beinhalteten gewaltvolle
Bilder. Die Wurzeln des Mondo-Films liegen bereits in der frühen
Blütezeit des Kinos:
„The mondo film has roots
throughout the history of cinema. Almost as soon as the medium of moving
pictures was established. Thomas Edison was filming An Execution by Hanging
and individuals unknown were producing the first hardcore sex reel towards
the end of the 1890s.”(4)
Das Mondo Genre hat seinen Ursprung in Italien. Erster
Film und Namensgeber dieser Filmgattung war Mondo Cane, was übersetzt
so viel wie Hundewelt bedeutet, aus dem Jahre 1962. Das Werk von Gualtiero
Jacopetti und Franco Prosperi betrachtet auf pseudo-dokumentarische Art
und Weise die angeblichen Unterschiede zwischen Urvölkern und dem
zivilisierten Menschen. Dabei kristallisiert sich im Verlauf von Mondo
Cane heraus, dass der moderne Mensch trotz seines technischen Fortschritts
in seinem Verhalten ein instinktgesteuertes Tier geblieben ist. Diese
misanthrope Ansicht gipfelt im Text auf dem Cover der deutschen Videokassette:
„Das grausamste Tier: Der Mensch.“(5) Der zynische Kommentar
des Films unterstreicht diese These. Die Rituale und Verhaltensweisen
der unterschiedlichen Stämme wirken dokumentarisch und suggerieren
ein bizarres, aber dennoch idyllisches Leben. Die Betrachtungen des zivilisierten
Menschen, die der Film präsentiert, wirken hingegen extrem artifiziell
und inszeniert. Mondo Cane war so ausgelegt, dass die präsentierten
Aufnahmen das Publikum erschütterten. Bald begann man, die exploitativen
Filme des Genres als Shockumentaries zu bezeichnen. Es handelt sich also
um Werke, die aufgemacht sind wie seriöse Dokumentarfilme, allerdings
hauptsächlich die Zuschauer schockieren wollen. Die Szenen des ersten
Mondo-Films sind im Vergleich zu späteren Produktionen noch sehr
milde und nicht besonders auf die explizite Darstellung von Gewalt und
Tod ausgerichtet. Dennoch war Mondo Cane ein Wegbereiter für dieses
Genre:
„Dieser bizarre Film beinhaltet
im Gegensatz zu späteren Mondo Filmen noch keinerlei menschliche
Todes- respektive Ermordungsszenen, stieß aber durch seine pseudo-dokumentarische
Art auch diesen Darstellungen, welche den Ansatz des Films lediglich weiterführten,
die Tür auf.“(6)
Der Film offenbarte bereits, was typisch für spätere
Mondo-Werke werden sollte. Die manipulativen Elemente überwiegen,
es gibt kaum Informationen für den Zuschauer. Häufig waren die
Filme so aufgebaut, dass sie ein ethnologisches Interesse suggerierten.
Produktionen wie Africa Ama oder Brutes and Savages gaukelten ein kulturelles
Interesse vor, um schockierende Bilder von Ritualen unterschiedlicher
Stämme zu präsentieren.
Die Mondo-Filme waren ausgelegt für ein Publikum,
welches gierig war nach neuen schockierenden Sensationen: „Wenn
Du geschockt werden willst, dann können wir das für dich tun
– so lautete das Credo der Produzenten von Mondo-Filmen.“(7)
Es schien die Zuschauer nicht zu stören, dass ein Großteil
der Szenen, wie zum Beispiel bei der Reihe Gesichter des Todes, von Special
Effects Teams inszeniert wurden. Für viele waren die auf Zelluloid
gebannten Ereignisse wahr. Eine wackelige Kamera und subjektive Perspektiven
täuschten Authentizität vor. Häufig wurden die gezeigten
Geschehnisse von polemischen und zum Teil extrem zynischen Kommentaren
begleitet.
Gegen Ende der Siebziger Jahre fand ein Wechsel innerhalb
des Genres statt. Das Publikum hatte über die Jahre hinweg einen
geschulteren Blick im Bereich der Special Effects entwickelt. Die Zuschauer
erkannten leichter, was echt und was inszeniert war. Also griffen die
Mondo-Filme immer mehr auf authentisches Archivmaterial zurück. Aufnahmen
von Obduktionen, Autounfällen, Massakern, Hinrichtungen und Tierschlachtungen
bildeten den Nukleus dieser Filmgattung. In diese neue Art der Mondo-Filme
reiht sich auch Killing of America ein. Im Gegensatz zu vielen anderen
Werken dieser Zeit, wie zum Beispiel True Gore oder Video Violence, offerierte
er allerdings keine bloße Aneinanderreihung von Ermordungen und
Todesopfern. Die modernen Mondo-Werke und das Material, auf welches sie
zurückgreifen, beschreibt Mikita Brottman in einem Aufsatz über
dieses Genre wie folgt: „The mondo films of the past two decades
[…] are composed of unedited police and news camera footage too
graphic to be shown on television.“(8)
Der Mondo-Film ist in seiner spezifischen Ästhetik
abgegrenzt zum gängigen Horrorfilm oder Splatterfilm zu betrachten.
Dennoch steht er in gewisser Weise im Bezug zum Horrorfilm, er stellt
eine Tabuzone dieses Genres dar: „In its focus solely on the moment
of real human death, the mondo movie is the hidden version of the mainstream
horror film.“(9) Diese tabubrechenden Filme stellen somit eine konsequente
Fortführung des Horrorgenres in Richtung Authentizität dar.
Heute ist der Mondo-Markt hauptsächlich nur noch im
Untergrund zu Hause, abgesehen von einigen Veröffentlichungen auf
DVD, die auf Filmsammlerbörsen unter den Tischen gehandelt werden.
Das Internet bietet völlig neue Zugangsmöglichkeiten zu Bildern
des Todes. Die für alle Nutzer zugängigen Exekutionen ausländischer
Journalisten im Irak und Afghanistan stellen nur einen Bruchteil der Fülle
an Videos dar, die im Internet verfügbar sind.
Der Essayfilm
Schlägt man den Begriff essay in einem englischen
Wörterbuch nach, findet sich dort folgende Erläuterung: „essay:
try (something); attempt; essay a task.“(10) Diese Beschreibung
erläutert den Terminus vor allem bezogen auf den literarischen Essay.
Es handelt sich dabei also um den Versuch eines Autors, sich einem bestimmten
Themenkomplex auf verschiedene Weisen zu nähern. Die unterschiedlichen
Gattungen der Literatur werden dabei vermischt und auch wissenschaftliche
Textformen werden angewandt.
Moderne Beispiele für diese essayistische Literatur
stellen die beiden Bücher Ausweitung der Kampfzone und Elementarteilchen
von Michel Houellebecq dar. In beiden Werken verschmelzen die fiktiven
Formen des Romans mit wissenschaftlichen Auseinandersetzungen aus der
Soziologie, Biologie und der Physik. Der Autor bezieht diese methodischen
Ansätze auf Situationen des Alltags und offeriert dem Leser somit
neue und andere Betrachtungsmöglichkeiten der Ereignisse. Die essayistischen
Romane von Houellebecq unterscheiden sich dadurch von handlungsbetonten
Werken der Literatur, sie präsentieren eine zutiefst subjektive Betrachtung
der Gegenwart und der Vergangenheit.
Ähnlich der Herangehensweise in der essayistischen
Literatur, stellt auch der Essayfilm einen Versuch dar, sich komplexen
Zusammenhängen auf subjektive Art und Weise zu nähern. Diese
Subjektivität wohnt dieser Gattung von Film inne, sie ist „eines
der zentralen Schlagworte der filmwissenschaftlichen Diskussion um den
Essayfilm.“(11) Der Essayfilm unterscheidet sich vom Spielfilm,
da er nicht einer stringenten nachvollziehbaren Narration folgt, er ist
weit entfernt vom Erzählkino. Außerdem steht er nicht im Bezug
zur Tradition des Dokumentarfilms, „da er auf eine stringent argumentative
Abfolge mit Beweischarakter verzichtet.“(12) Dennoch bedient der
Essayfilm sich bei Spiel- und Dokumentarfilm, er greift häufig auf
ihr Material zurück, setzt es allerdings in einen anderen übergeordneten
Kontext. Unterschiedliche Bruchstücke werden dabei zu etwas neuem
streng subjektiven Ganzem. Der Zuschauer steht dabei im Mittelpunkt, er
ist gefordert, aus dem scheinbar unkausalen einen kausalen Zusammenhang
zu entwickeln:
„Ein Essayfilm muss fragmentarisch
sein und darf nicht eine geschlossene Einheit bilden, damit dem Zuschauer
dramaturgisch eine Funktion eingeräumt wird, die über das passive
Rezipieren hinausgeht. Der Essayfilm lebt aus dem Fragmentarischen, und
zu diesem Leben braucht er den Zuschauer.“(13)
Diese Gattung des Films stellt den Betrachter also nicht
vor fertige Tatsachen zur einfachen Rezeption, sondern eine Struktur,
kausale Zusammenhänge und gewisse Bedeutungen evoziert der Zuschauer
selbst. Seine aktive Mitarbeit ist von großer Bedeutung. Dennoch
bleiben „Inseln des Narrativen zurück: abgrenzbare Sequenzen
oder Elemente, die in sich einheitlich sind.“(14) Auch Killing of
America weist einzelne voneinander thematisch abgegrenzte Bereiche auf,
die erst bei genauerer Betrachtung ursächliche Zusammenhänge
ergeben und in sich schlüssig erscheinen. Das betrachtende Subjekt
ist dem Essayfilm also nicht bloß ausgeliefert und wird mit einer
zusammenhanglosen Bilderflut konfrontiert. Der Regisseur gibt eine gewisse
Richtung vor, dies geschieht auf subtilere Weise als im Dokumentarfilm.
Der Essayfilm „gibt die Perspektive vor, unter der die Dinge und
Ereignisse betrachtet werden.“(15)
Er bezieht sich dabei nicht ausschließlich auf vorgefertigtes
Material, Ereignisse werden vom Filmemacher dokumentiert oder sogar inszeniert.
Außerdem bedient der Essayfilm sich auch bei anderen Kunstformen,
die Verbindungen zwischen den verschiedenen Ebenen schaffen, zum Beispiel
greift er häufig auf Literatur zurück oder verwendet zeitgenössische
Musik. Er stellt somit ein Konglomerat aus unterschiedlichen künstlerischen,
aber auch wissenschaftlichen Bereichen dar. Er ist ein zutiefst subjektives
Kunstwerk, das durch die Aneinanderreihung und Manipulation der ausgewählten
Fragmente durch den Regisseur besonders am Schneidetisch seine Form erhält.
Erst durch die individuelle Sinnsuche bei der Rezeption des Films durch
den Zuschauer entsteht eine Struktur.
Über den Regisseur und die Autoren
Im Vorspann des Films wird ein gewisser Sheldon Renan
als Regisseur angegeben. Er schreibt und lehrt über die Geschichte
des Experimentalfilms. Außerdem ist er Gründer und Vorsitzender
des Pacific Film Archives. Das Drehbuch des Films stammt von Leonard Schrader
und seiner Frau Chieko. Er ist der Bruder von Paul Schrader, einem bekannten
Drehbuchautor, Regisseur und Filmtheoretiker. Leonard Schrader schrieb
unter anderem das Drehbuch zu Sydney Pollacks Yakuza und zu dem von seinem
Bruder realisierten Film Mishima. Er lebt in Japan und kennt sich mit
der dortigen Kultur und den sozialen Verhältnissen des Landes genau
aus. Er wurde geboren in Grand Rapids im Bundesstaat Michigan. „Seine
Familie ist holländischer Abstammung. Von jeher ist sie streng calvinistisch
geprägt. Diese Religion schreibt ihren Gläubigen vor, sich weder
Alkohol noch Nikotin, weder Tanz noch Kino zu gestatten.“(16) 1968
machte er seinen Abschluss an der Universität von Iowa. Darauf begab
er sich nach Japan, wo er begann, amerikanische Literatur an der Universität
von Kyoto zu unterrichten. In Schraders Familie waren Waffen Bestandteil
des Alltags: „My uncles all had hunting guns and dogs. They went
bird hunting, deer hunting. I was always afraid of them, because they
made the possibility of suicide too easy when I was young.”(17)
Bereits in jungen Jahren entwickelte er eine Abneigung gegenüber
Schusswaffen. Sie waren für ihn, wie für die meisten amerikanischen
Kinder, Teil der familiären Umgebung. Auch wenn Renan als Regisseur
des Films genannt wird, so kann der final cut von Schrader zusammen mit
Lee Percy mindestens als Co-Regie gewertet werden: „Schrader insists
that most of Renans footage was unusable and the final cut was all his
work.“(18) Um Filmmaterial zu sammeln bereiste Schrader das gesamte
Land. Er kaufte das Material von Fernsehstationen und dubiosen Sammlern.
Der Prolog des Films
Bereits zu Beginn des Films wird dem Zuschauer eine Texteinblendung
präsentiert, die darauf hinweist, dass das gezeigte Material echt
ist und nicht inszeniert wurde. Es wird also keine Authentizität
suggeriert sondern reale Ereignisse werden gezeigt. Hier lassen sich auch
Parallelen zu anderen Mondo-Filmen erkennen. Die Werke dieses Genres wiesen
häufig auf die Echtheit des gezeigten Materials hin. Dadurch wird
deutlich, dass der Mondo-Film noch einen Schritt weiter geht als der fiktive
Horrorfilm. Hier klingt häufig an, dass die dargestellten Geschehnisse
auf realen Fakten basieren. Dies ist zum Beispiel so bei dem Film Deranged
von Jeff Gillen, der auf den schockierenden Fall von Ed Gein zurückgeht.
Es folgt eine Schwarzblende, aus dem Off erklingt die Stimme
eines Polizisten: „Drop the gun!“ Killing of America etabliert
hier bereits die Botschaft des Films: der Wunsch nach einer größeren
Kontrolle von Schusswaffen. Ironischerweise geschieht dies in den USA
wiederum mit verstärkter Waffengewalt. Der Film präsentiert
uns dann die Szenerie, zu welcher der O-Ton des Officers gehört.
Zwei Polizisten erschießen einen Verdächtigen, der sich weigert,
seine Pistole fallen zu lassen. Die Konturen des Bildes verschwimmen,
so als würde jemand die Tracking Funktion des Videorekorders bedienen.
Dies weist auf den reflexiven Umgang des Films mit dem Medium hin, für
das er geschaffen wurde. Von dieser Mikroebene wechselt Killing of America
auf eine Makroebene. Wir erblicken die Skyline einer Großstadt,
gefilmt aus einem Helikopter. Der Film springt nun zwischen den beiden
Ebenen hin und her. Die Luftaufnahmen wechseln sich ab mit dokumentarischen
Szenen von den Straßen der Stadt, die teilweise aus dem Auto aufgezeichnet
wurden. Gerade in diesen Einstellungen werden Erinnerungen an Taxi Driver
wach. Der urbane Raum wird hier etabliert als ein Ort der Armut und als
Treffpunkt sonderbarer Gestalten. Blinkende Lichter und Werbezeichen präsentieren
die Stadt als ein „Vieleck aus Zeichen, Medien und Codes.“(19)
Der Film legt ein hohes Tempo vor. Die Montage ist sehr schnell, der Zuschauer
wird von Bildern und Informationen überflutet. Erste Statistiken
und Kommentare von Polizisten und Politikern werden dargelegt. Diese Szenen
sind gepaart mit Aufnahmen von Obduktionen, Leichen, und Schießereien
zwischen Tätern und Polizisten. Besonders interessant innerhalb dieser
Sequenz ist eine Montage. Die Kamera fährt an aufgebahrten Leichen
entlang, darauf folgt eine Kamerafahrt die eine große Anzahl von
Schusswaffen präsentiert. Durch die Montage wird hier das Prinzip
von Ursache und Wirkung umgedreht. Zuerst werden uns die Opfer gezeigt
und dann die Instrumente zum Töten.
Amerika wird im Prolog des Films dargestellt als eine gewalt- und waffenliebende
Nation, deren blutige Geschichte bereits in den Gründerzeiten liegt.
Der Regisseur vermischt selbstgedrehtes Material mit Archivmaterial, gibt
diesem allerdings eine subjektive Note durch die Montage und den nüchternen
Kommentar, der zwar sehr sachlich wirkt, dennoch aber eine große
Suggestivkraft besitzt. Bereits zu Beginn von Killing of America werden
diese essayistischen Tendenzen offensichtlich. Sie fallen besonders auf
in der expliziten Auseinandersetzung mit dem Attentat auf Ronald Reagan.
Die Aufzeichnungen vom Reagan Attentat werden innerhalb
des Films seziert. Der Zuschauer wird zum Zeugen des Ereignisses. Er hört
die aus dem Off erklingenden Schüsse, die den Präsidenten und
seine Beschützer treffen. Der Regisseur lässt den Film in dieser
Sequenz in Zeitlupe ablaufen und hält das Bild in wichtigen Momenten
an, sogar die Schusswaffe wird markiert. Durch diese manipulativen und
essayistischen Elemente wird der Betrachter zu einem Teil des Geschehens,
so als stünde er in der Szenerie. Gerade durch die Langsamkeit der
Bilder erlangt er eine allwissende Position. Schrader vermischt hier die
Aufnahmen mit bekannten Fotografien des Attentats.
Killing of America konfrontiert das Publikum nun für einen kurzen
Augenblick mit einem anderen Amerika. Er zeigt uns bekannte Aufnahmen
der Nation aus den Fünfziger und Sechziger Jahren. Wieder vermischt
er Fotografien und verschiedenes Filmmaterial, zeigt uns den damaligen
Präsidenten Dwight David Eisenhower, eine feiernde Gesellschaft und
die Ikonen dieser Epoche wie James Dean und Elvis Presley. In wenigen
Bildern vermittelt der Regisseur das Bild einer wohlhabenden und erfolgreichen
Nation. Dieses Hoch durchbricht er allerdings wieder mit Aufzeichnungen
von rassistischen Gewaltakten aus jener Zeit. Der Film weist damit auf
die Koexistenz zweier unterschiedlicher Seiten von Amerika hin und verdeutlicht
dies auch durch den Kommentar: „They now exist side by side. America
the beautiful and America the violent.“ Der wahre Wendepunkt zu
dieser Koexistenz liegt für Schrader in einem bestimmten Datum: der
22. November 1963. Der Tag an dem John F. Kennedy ermordet wurde.
Das Attentat auf John F. Kennedy und seine Folgen
„Probably the most prominent
death footage of alltime is that depicting the assassination of President
John F. Kennedy. Re-run countless times in documentaries and feature films,
and now available on CD-Rom, the sequence is one of the most graphic and
detailed murders on record.”(20)
David Kerekes und David Slater beschreiben hier sehr genau
den hohen Bekanntheitsgrad der von Schrader benutzten Sequenz. Sie ist
Bestandteil zahlreicher spekulativer Dokumentationen über das Attentat.
Dieses Ereignis führte zur Traumatisierung einer ganzen Nation, es
repräsentiert den Inbegriff der Zerstörung des amerikanischen
Traums. Es bedeutete aber auch einen revolutionären Wandel der Medienreflektion
des amerikanischen Volkes. Zwar wurde der Besuch Kennedys in Dallas und
die Ermordung nicht live im Fernsehen übertragen, aber Millionen
von Zuhörern wurden Zeugen des Attentats durch die Radioübertragung
der Ereignisse. Dies führte zur ersten großen medialen Traumatisierung
der amerikanischen Nation. Der Erschießung Kennedys widmet der Regisseur
sich besonders, sie hat eine Schlüsselfunktion innerhalb des Films.
Schrader sieht in den Geschehnissen dieses Tages den Ursprung für
den enormen Anstieg der Mordraten in den USA:
„Maybe the social fabric
was ripped or there was a sense that anybody can be killed and the old
rules don´t apply anymore. There´s a lot of posibilities if
you want to speculate, but if you look at the statistics, it´s pretty
clear the assassination of Kennedy radically changed murder in America.”(21)
Der Film rekapituliert auf präzise Art und Weise die
Ereignisse an diesem 22. November. Mit Hilfe von genauen Zeitangaben und
Archivmaterial seziert Killing of America die einzelnen Begebenheiten
des Tages. Wieder wird die Geschwindigkeit der Bildabfolge manipuliert.
Das weltweit bekannte Archivmaterial wird ergänzt durch nachgedrehte
Aufnahmen vom Ort des Geschehens. Auch die erst 1979 von einer Untersuchungskommission
geäußerte These, dass es noch einen zweiten Attentäter
gegeben hat, greift der Film auf. Wieder werden in dieser Sequenz unterschiedliche
Medien vermischt. Dem Betrachter werden Filmaufnahmen, Fotografien und
der Live Report aus dem Radio präsentiert. Durch diese mediale Ansammlung
wird der Zuschauer in die Geschehnisse hineingezogen, wird zum allwissenden
Zeugen. In dieser Sequenz wird besonders der chronologische Ablauf erkennbar.
Zuerst konfrontiert uns der Film mit der Aktion, dem Attentat, und dann
präsentiert er uns die Reaktion, das Traumata der Amerikaner und
das Attentat auf Lee Harvey Oswald. Die Musik in diesem Teil von Killing
of America ist zutiefst emotionalisierend und pathetisch gestaltet.
Die Erschießung des Täters Oswald ist ähnlich
in der Montage manipuliert wie in den beiden vorangehenden Attentaten.
Sie spielt im Kontext des Films eine geringe Rolle, hatte aber große
Folgen für die Rezeption von realer Gewalt der amerikanischen Fernsehzuschauer.
Die Nation war geschockt und eingeschüchtert durch das, was sie auf
dem Bildschirm sah. Der Komiker Denis Leary beschrieb diese Situation
folgendermaßen:
“We watched Lee Harvey Oswald
get shot live on TV one Sunday morning, we were afraid to change the fucking
channel fort the next thirty years. Hang on, someone might get shot during
a commercial!”(22)
Der Komiker spricht hier nicht nur die schockierende Wirkung
der Live Übertragung an, sondern besonders die daraus resultierende
Gier der Amerikaner nach live ausgestrahlten gewaltvollen Ereignissen.
So wurden zum Beispiel die Rassenunruhen nach der Erschießung von
Martin Luther King oder die Aufstände in Los Angeles in den Neunziger
Jahren live übertragen. Das amerikanische Fernsehen ist voll von
realen Bildern der Gewalt. Sendungen werden mittlerweile unterbrochen,
um Schießereien oder Verfolgungsjagden live zu zeigen. Die voyeuristische
Ader des amerikanischen Fernsehzuschauers hat ihren Ursprung in der Live-Übertragung
des Mordes an Lee Harvey Oswald.
Killing of America setzt sich nun weiter mit historischen
Ereignissen auseinander. Dies geschieht auf der Grundlage der chronologischen
Abfolge von Ursache und Wirkung. Bilder aus Vietnam werden kombiniert
mit Aufnahmen der Demonstrationen gegen den Krieg. Der Film zeigt hier
deutlich einen Kreislauf der Gewalt. Das Ganze ist unterlegt mit einem
der bekanntesten Lieder der damaligen Hippie-Bewegung: For what it´s
worth von Buffalo Springfield. Der Song beschreibt die in der Nation verbreitete
Konfusion. Auch dem Film gelingt es hier, die Anspannung des Landes während
des Vietnamkrieges darzustellen. Die Bilder der Gefechte und speziell
die Erschießung eines vietnamesischen Verdächtigen durch General
Loan, stellt der Regisseur in einen direkten Bezug zu den gewalttätigen
Demonstrationen im eigenen Land. Die Aufnahmen der Kriegsberichterstatter
aus Vietnam waren ausschlaggebend für die Aufmärsche der Friedensbewegung.
Zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte vermittelten die Bilder
eines Krieges eine brutale und unbarmherzige Armee. Seit diesem Krieg
werden die Berichterstatter aus Krisengebieten strengstens kontrolliert.
Die nächste Ebene des Films setzt sich mit Attentaten auf Kandidaten
der Wahl zum amerikanischen Präsidenten auseinander. Killing of America
macht hier deutlich, dass nicht mehr das politische Programm der verschiedenen
Kandidaten für die Wahl entscheidend ist, sondern die Attentate auf
die Politiker. Darauf befasst der Film sich mit einem besonders grausamen
Aspekt der amerikanischen Gesellschaft, den Serienkillern und Massenmördern.
Serienkiller und Massenmörder
„Es scheint als gäbe
es eine speziell amerikanische Tradition von irrationalen Gewalttätern.“(23)
Gerade in Amerika taucht das schockierende Phänomen
des Massenmörders immer wieder auf. Diese Tatsache steht sicherlich
in enger Verbindung zur Allgegenwärtigkeit von Schusswaffen in den
USA. Auch diese These vertritt der Film anhand verschiedener Statistiken.
Die Täter repräsentieren einen Aufschrei und ein störendes
Element in der nach außen hin funktionierenden amerikanischen Gesellschaft,
sowohl Serienkiller als auch „Amokläufer sind der Riss im gesellschaftlichen
Gewebe. Das unberechenbare Sandkorn im vernunftbestimmten Systemgetriebe“(24).
Der Massenmörder unterscheidet sich vom Serienkiller. Joel Norris
zeigt diese Differenz in seinem Buch Serial Killers: „Even mass
murders differ fundamentally fom serial killers. First mass murders are
almost always caught by the Police [...] They differ from the serial killer
in that they have a more tenuous camouflage of normalcy.”(25) Das
Auftauchen der Massenmörder innerhalb der amerikanischen Gesellschaft
ist auch Thema von Killing of America. Wieder leitet Schrader den Anstieg
der Massenmorde vom Attentat auf John F. Kennedy ab. Den Anstieg der Mordraten
während der Sechziger Jahre beschreibt auch Joel Norris: „Since
1960 not only have the number of individual serial killers increased but
so have the number of victims per killer and the level of savagery of
the individual crimes themselves.”(26) Zunächst widmet sich
der Film einer bestimmten Gattung des Massenmörders, den Scharfschützen.
Sie stellen eine besondere Form dar, da ihre gezielten Morde häufig
aus einem Versteck erfolgen, dies erlaubt ein scheinbar anonymes Vorgehen.
Der Täter steht dabei nicht in direktem Augenkontakt zu seinen Opfern,
er kann quasi ungehemmter agieren.
Zuerst wird der Fall Whittmann aufgerollt, der auch Inspirationsquelle
für den Film Targets war. Wieder wird eigens gedrehtes Material kombiniert
mit einzelnen Fotos des Tatorts und des Täters. Ebenso werden Live-Aufnahmen
des Fernsehens benutzt. Die Darstellung ist nicht exploitativ gestaltet,
dem Zuschauer werden hingegen Informationen und Tatsachen präsentiert.
Innerhalb der Sequenz wird deutlich, dass die Täter diese Morde nicht
immer grundlos vollziehen. Oft geschehen die Taten aus politischer Überzeugung
oder aufgrund einer verrückten Ideologie. In diesen Bereich fallen
auch die brutalen Taten von Männern wie Charles Berkowitz, Charles
Manson, oder Jim Jones. Killing of America zeigt in dieser Ebene auf,
dass der Waffenmissbrauch häufig in enger Verbindung zur Durchsetzung
von Ideologien oder individuellen Wünschen steht. Die Täter
missbrauchen indirekt das 2nd Amendment der Bill of Rights. Gerade in
dieser Ebene des Films fällt der essayistische manipulative Umgang
mit Fotografien auf. Oft werden die einzelnen Fotos unterschiedlich koloriert
präsentiert, zum Beispiel rot oder orange. Innerhalb der Montage
werden die Lichtbilder übereinander gelegt. Im Falle von Ted Bundy
wird somit der Täter gepaart mit seinen Opfern präsentiert.
Die unterschiedlichen Fotografien fungieren besonders als einfache Zeitdokumente,
die in den Rahmen der Handlung integriert werden. Häufig zoomt die
Kamera von den Augen des Täters zurück auf das gesamte Foto,
der Zuschauer erhascht einen kurzen oberflächlichen Blick in die
Seele, bevor er die gesamte Physiognomie erblickt. Auch wenn der Film
zu Beginn einen chronologischen Ablauf entwickelt, so wird der spätere
Teil immer sprunghafter und fragmentarischer. Dadurch entsteht für
den Betrachter das Bild einer Nation, die unaufhaltsam auf einen Strudel
der Gewalt zusteuert, aus dem es kein Entkommen gibt. Innerhalb der Serienmörder-Ebene
kehrt Killing of America noch einmal zur Atmo-Sequenz vom Anfang zurück.
Wieder präsentiert der Film Dokumentaraufnahmen von gewalt- und verbrechensverseuchten
Straßen. Junge Frauen und Männer prostituieren sich und erzählen
von ihren Erlebnissen. Der Zuschauer wird konfrontiert mit Schlägereien
und Fotos von Mordopfern auf offener Straße. Hier entsteht ein Bild
einer jungen Generation, für die Gewalt Bestandteil ihrer Umwelt
und ihres Alltags ist. Die Ebene endet mit einem Interview mit dem Serienmörder
Ed Kemper. Innerhalb des Gesprächs schließt Kemper mit folgender
Aussage: „I am a human being and I killed human beings. I did it
in my society.“ Er verweist damit auf die Ursache seiner Taten,
auf seine eigene gescheiterte Existenz innerhalb der amerikanischen Gesellschaft.
Er ist ein Produkt seiner Umgebung und kann nicht separat davon betrachtet
werden. Killing of America verlässt diese Ebene mit weiteren Aufnahmen
von Schießereien auf offener Straße. Der Kommentator transportiert
mit einer rhetorischen Frage die Hauptaussage des Films: der amerikanische
Traum wird zerbrechen, wenn es keinen kontrollierten Umgang mit Schusswaffen
gibt.
Epilog des Films
Der Film schließt mit der Erschießung von John
Lennon, einer Ikone des Pazifismus. Diese Sequenz stellt einen enormen
Gegensatz zum Rest des Films dar, sie ist extrem in die Länge gezogen
und pathetisch. Während wir die trauernde Gruppe der Fans bei der
Gedenkfeier erblicken, ertönt das Lied Imagine von John Lennon. Es
repräsentiert den Inbegriff des unerfüllbaren Ideals einer in
Frieden lebenden Gesellschaft. Die letzte Einstellung zeigt eine im Wind
wehende amerikanische Flagge. Der Film stoppt bei diesem Bild, die Flagge
verfärbt sich schwarz-weiß. Die Botschaft dieser Aufnahme ist
eindeutig. Der Traum von Freiheit und Frieden verblasst, er scheint unerreichbar,
die Morde gehen weiter, dies berichtet auch der Kommentator. Er weist
darauf hin, dass während der Gedenkfeier zwei Menschen starben und
fünf weitere ums Leben kamen während der Zuschauer den Film
sah. Hier wird die zutiefst pessimistische Sicht auf die amerikanische
Gesellschaft deutlich. Es gibt keine Hoffnung mehr für Amerika. Diese
letzte Einstellung ist angelehnt an ein Foto von Robert Mapplethorpe.
Er fotografierte 1977 eine zerfetzte Flagge der amerikanischen Kriegsveteranen.
Das Bild trägt den Namen American Flag.
In vielen Kritiken zum Film im
Internet wird gerade dieser Epilog als negativ beschrieben. So wird diese
Ebene zum Beispiel als nicht passend für den Film beschrieben: „This
footage seems out of place with the rest of the film.“(27)
In einem weiteren Artikel berichtet Schrader wie folgt über
die Endsequenz: „Schrader hints that he would like to change the
ending. The financiers insisted he rounded up the movie off with something
that wasn´t murder.”(28) Das an diesem Ende des Films etwas
positives ist lässt sich in keiner Weise nachvollziehen. Die Tatsache,
dass während der Gedenkfeier und während der Zuschauer den Film
betrachtete Menschen ermordet wurden, ist zutiefst pessimistisch. Der
Film baut im Publikum ein Gefühl von Hoffnung durch emotional aufgeladene
Bilder innerhalb der letzten Sequenz auf, um ihm am Ende einen Schlag
in die Magengrube zu verpassen. Die bittere Wahrheit ist offensichtlich:
es gibt keine Hoffnung für Amerika.
Fazit
Der Film Killing of America wirkt auf den ersten Blick
wie ein Dokumentarfilm, der sein Thema ausbeutet. Beim genaueren Betrachten
bietet sich allerdings ein anderes Bild. Dem Werk gelingt die Gratwanderung
zwischen sachlicher und gleichzeitig streng subjektiver Präsentation
einer spezifischen Thematik.
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, stellt Killing
of America ein Produkt dar, das für den Mondo-Markt produziert wurde.
Dennoch setzt der Film sich weit ab von einem Großteil der anderen
Werke dieses Genres, da er nicht einfach reale Gewalt- und Todesszenen
aneinanderreiht. Er nimmt keine menschenverachtende Perspektive ein oder
legt einen respektlosen Umgang mit den Toten an den Tag. Killing of America
hat eine zutiefst humanistische Botschaft. Hinter all den von Gewalt aufgeladenen
Bildern steht ein Bemühen um Humanität. Der Wunsch nach einem
kontrollierten Umgang mit Schusswaffen, um eine bessere, der Menschenwürde
entsprechende Gesellschaft zu gestalten. Der Film bemüht sich stets,
die Geschehnisse in einen historischen Kontext einzubetten. Niemals verliert
er dabei den roten Faden und schweift ab von seiner eigentlichen Thematik.
Zwar wirkt Killing of America bei einer oberflächlichen Betrachtung
zusammenhanglos, er ist aber nicht für diese einfache passive Rezeption
geeignet. Auch wenn der Film den Zuschauer durch seine Bilder häufig
schockiert, so ist er dennoch für die aktive Mitarbeit des Publikums
ausgelegt. Gerade deshalb muss der Film als ein essayistisches Mondo-Werk
betrachtet werden. Killing of America weist darüber hinaus noch weitere
Elemente auf, die ihn zumindest teilweise als einen Essayfilm klassifizieren.
So fällt besonders der unterschiedliche Umgang mit verschiedenen
Medien auf. Häufig vermischt der Film zum Beispiel filmisches Archivmaterial
mit Fotografien und mit Berichterstattungen aus dem Radio. Der Zuschauer
muss all diese Medien filtern und zu einem neuen Gesamtbild zusammenbauen.
Auch der manipulative Umgang mit dem Filmmaterial bei den Sequenzen, welche
die Attentate behandeln, und die unterschiedlichen Kolorierungen der Fotografien
müssen als Techniken des Essayfilms gewertet werden.
Vergleichen lässt sich Killing of America mit nur
sehr wenigen Filmen. Das beste Werk, das sich zu einer Gegenüberstellung
anbietet, ist Bowling for Columbine von Michael Moore. Auch hier handelt
es sich um einen zutiefst subjektiven Essayfilm. Beide Filme fordern eine
stärkere Kontrolle der Schusswaffen. Dennoch hat Killing of America
einen wesentlich pessimistischeren Unterton. Während in Moores Film
immer ein gewisser Glaube an das amerikanische Volk und eine Hoffnung
für das Land mitschwingt, lässt Killing of America diesen Optimismus
nicht zu. Dort wird das Land als eine von Gewalt verpestete Nation dargestellt.
Für Amerika gibt es darin keine Hoffnung mehr. Das Land hat den point
of return bereits überschritten.
Anmerkungen:
(1) Fuchs, Christian: Kino Killer – Mörder
im Film. 1995 Edition S Verlag Wien, Seite 170.
(2) Ellis, Bret Easton: American Psycho. 1998 Kiepenheuer und Witsch Verlag
Köln, Seite 519.
(3) Balazs, Bela: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films. 2001
Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, Seite 82.
(4) Kerekes, David; Slater, David: Killing for Culture - An illustrated
History of Death Film from Mondo to Snuff. 1995 Creation Books, Seite
80-81.
(5) Mondo Cane. 1984 VPS Video München Von Aster, Christian: Horror
Lexikon - Die Motive des Schreckens in Film und Literatur. 2001 Parkland
Verlag Köln, Seite 231.
(6) Von Aster, Christian: Horror Lexikon - Die Motive des Schreckens in
Film und Literatur. 2001 Parkland Verlag Köln, Seite 231.
(7) Paul, Louis: Inferno Italia – Der italienische Horrorfilm. 1998
Bertler und Lieber Verlag München, Seite 43.
(8) Brottman, Mikita: Mondo Horror:Carnivalizing the Taboo.In: The Horror
Film. Rutgers University Press 2004, Seite 167.
(9) Brottman, Mikita: Mondo Horror:…Seite 168.
(10) Cowie, Anthony: Oxford Advanced Learner`s Dictionary. Oxford University
Press 1998, Seite 408.
(11) Scherer, Christina: Ivens, Marker, Godard, Jarman – Erinnerung
im Essayfilm. 2001 Wilhelm Fink Verlag München, Seite 24.
(12) Möbius, Hanno: Das Abenteuer Essayfilm. In: Augenblick (Heft
10) – Versuche über den Essayfilm. 1991 Institut für Neuere
deutsche Literatur Marburg, Seite 10.
(13) Möbius, Hanno: Das Abenteuer…Seite 15.
(14) Möbius, Hanno: Das Abenteuer…Seite 13.
(15) Scherer, Christina: Ivens, Marker…Seite 28.
(16) Grob, Norbert: Zwischen giri und kinjo – Der Yakuza Mythos
in Paul und Leonardo Schraders Roman und Film The Yakuza. www.ikonenmagazin.de/artikel/Yakuza.htm
(17) Dynice, Benjamin: Interviews with Academy Award Nominated Writer
Leonard Schrader. 2001 www.leonardschrader.com/interviews/independant.shtm
(18) Dynice, Benjamin: Interviews with Academy…
(19) Baudrillard, Jean: Kool Killer oder der Aufstand der Zeichen, 1978
Merve Verlag Berlin, S. 21.
(20) Kerekes, David; Slater, David: Killing for Culture..., Seite 201.
(21) Dynice, Benjamin: Interviews with Academy...
(22) Leary, Denis: No cure for cancer. 1996 UMIS Universal Import.
(23) Fuchs, Christian: Kino Killer…Seite 124.
(24) Fuchs, Christian: Kino Killer…Seite 124.
(25) Norris, Joel: Serial Killers. 1988 Anchor Books, New York, Seite
17.
(26) Norris, Joel: Serial…Seite 19.
(27) Jane, Ian: Review of Killing of America. 2004 www.dvdmaniacs.net/Reviews/I-L/killing
of america.htmls.
(28) Dynice, Benjamin: Interviews with Academy…
Quellenverzeichnis:
Von Aster, Christian: Horror Lexikon - Die Motive
des Schreckens in Film und Literatur. 2001 Parkland Verlag Köln.
Balazs, Bela: Der sichtbare Mensch oder die Kultur
des Films. 2001 Suhr- kamp Verlag Frankfurt am Main.
Baudrillard, Jean: Kool Killer oder der Aufstand
der Zeichen, 1978 Merve Verlag Berlin.
Brottman, Mikita: Mondo Horror:Carnivalizing the
Taboo. In: The Horror Film. Rutgers University Press 2004.
Cowie, Anthony: Oxford Advanced Learner`s Dictionary.
Oxford University Press 1998.
Dynice, Benjamin: Interviews with Academy Award Nominated
Writer Leonard Schrader. 2001 www.leonardschrader.com/interviews/independant.
shtm
Ellis, Bret Easton: American Psycho. 1998 Kiepenheuer
und Witsch Verlag Köln.
Fuchs, Christian: Kino Killer – Mörder
im Film. 1995 Edition S Verlag Wien.
Grob, Norbert: Zwischen giri und kinjo – Der
Yakuza Mythos in Paul und Leonardo Schraders Roman und Film The Yakuza.
www.ikonenmagazin.de/ artikel/Yakuza.htm
Jane, Ian: Review of Killing of America. 2004 www.dvdmaniacs.net/Reviews/I-L/killing
of america.htmls.
Kerekes, David; Slater, David: Killing for Culture-An
illustrated History of Death Film from Mondo to Snuff. 1995 Creation Books.
Leary, Denis: No cure for cancer. 1996 UMIS Universal
Import.
Möbius, Hanno: Das Abenteuer Essayfilm. In:
Augenblick (Heft 10) – Versuche über den Essayfilm. 1991 Institut
für Neuere deutsche Literatur Marburg.
Norris, Joel: Serial Killers. 1988 Anchor Books,
New York.
Paul, Louis: Inferno Italia – Der italienische
Horrorfilm. 1998 Bertler und Lieber Verlag München.
Scherer, Christina: Ivens, Marker,
Godard, Jarman – Erinnerung im Essayfilm. 2001 Wilhelm Fink Verlag
München.
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