Medienkiller
Kodes eines medialen Mordes
Von San Fichtner und Wolfgang Sterneck
”Ich bin der, zu dem ihr mich macht. Was ihr
braucht, ist ein Teufel, ihr wollt einen sadistischen Besessenen, denn
das ist es, was ihr seid. Ihr projiziert nur auf mich was ihr selbst seid
...”
Charles Manson
„Die Art, wie Künstler und Killer in den
Medien behandelt werden, ähnelt sich. Ihr Ikonenstatus wird von den
Medien genährt.“
Marilyn Manson in: Süddeutsche Zeitung, Ostern 2003
Auf der Flucht wurde im Sommer 2001 das Ehepaar Manuela
und Daniel Ruda von der Polizei gestellt. Beide bekannten sich zu dem
gemeinschaftlich begangenen Mord an einem Bekannten im westfälischen
Witten auf den sie genau 66-mal einstachen und einschlugen. Den Auftrag,
so sagten sie übereinstimmend aus, habe ihnen Satan erteilt. Das
Opfer sei so ”von seinem unwerten Leben befreit und von seiner Schmach
erlöst worden”.
Der Ablauf des Mordes, die darauf folgende Flucht und insbesondere auch
die Gerichtsauftritte während des Prozesses waren voller Kodierungen,
voller Bezüge auf Kult-Filme wie ’Natural Born Killers’
und Ikonen der Gothic-Szene. Eine Hommage an vermeintliche und reale Vorgänger
in Zitaten und Symbolen, die weitgehend weder Justiz noch Presse entschlüsseln
konnten. Bewusste Inszenenierungen in denen Manuela und Daniel Ruda ihre
Rollen nicht nur spielten sondern lebten und dabei doch nur Kopien blieben.
Die Musik von Deicide und Wumpscut diente als klischeebeladener
Soundtrack, während der rote Schriftzug am Wohnungsfenster einer
Referenz an das mit Blut geschriebene ”Helter Skelter” der
Ritualmörder von Sharon Tate entsprach. Im Hintergrund stand dabei
stets der Bezug auf Charles Manson als inneren Begleiter. Auf der Flucht
wurden wie einst in den Film ’California’ die Tatorte von
rituellen Morden und Selbstmorden anvisiert. Dem Hauptdarsteller von ’Natural
Born Killers’ gleich rasierte sich Daniel den Kopf kahl und selbst
die Pistole lag im Fluchtauto an der gleichen Stelle wie im Film. Die
Auftritte während des Prozesses inszenierte das Paar dann wie die
eines Popstars. Als wäre es ein Symbol des Sieges wurden die Finger
Kamera-gerecht zum Satanszeichen erhoben. Betont stellte Daniel dabei
das überdimensionale Portrait Klaus Kinskis als Nosferatu auf seinem
Pullover zur Schau, während Manuella Outfits im Stile eines Gothic-Vamps
bevorzugte. Die Sonnenbrille diente ihren Aussagen zufolge zum Schutz
vor dem grellen Licht, welches sie einem Vampir gleichend nicht verträgt.
Wie auf der Kinoleinwand verklärte das Motiv des ”Wir
beide gegen den Rest der Welt” den bewusst gewählten Weg in
den Abgrund. Der verachteten Gesellschaft wurde in diesem Sinne der völlige
Egotrip entgegen gestellt. Über eine Kontaktanzeige hatten sie sich
einst gefunden: ”Pechschwarzer Vampir sucht Prinzessin der Finsternis.”
Es folgte ein kompromissloser Ausbruch aus allem vorgegebenen, geradezu
fatalistisch in seiner Konsequenz. Eine Begegnung die in einen bizarr-romantischen
Snuff-Film mündete, den man nicht länger von der Couch aus verfolgt,
sondern selbst darin zum Hauptdarsteller wird. ”Wir lieben uns,
bis wir ausgelöscht sind!” hieß es schon bei den NATURAL
BORN KILLERS von Oliver Stone.
Nach außen gaben sich beide stark, unnahbar und über
allem stehend. Neben der Liebe wurde der personifizierte Satan zum Halt
in einer Lebensperspektive, die keine mehr war. Vom völlig missverstandenen
Leitbild des Übermenschen ausgehend wurde gefühllos über
alles hinwegschritten, was nicht der eigenen Scheinwelt entsprach. Die
Verachtung von allem Mittelmäßigen, Durchschnittlichen und
Angepassten entsprach einer verschwommenen Huldigung an Nietsche und Crowley
als vermeintliche Väter im Geiste ohne sie verstanden zu haben. Entsprechend
fehlte jegliches Mitleid mit dem Ermordeten, er war schlichtweg egal.
Die Mitgliedschaft Daniels in Neonazi-Gruppen erklärt
sich vor diesem Hintergrund. Der Sozialdarwinismus diente hier als Ideal
eines Einzelgängers, den die Gesellschaft selbst an ihren Rand gedrängt
hat. Das vorgebliche Recht des Stärken wurde einmal mehr zu einer
Rechtfertigung für diejenigen, die sich nur dann selbst definieren
können, wenn sie auf vermeintlich Schwächere hinabblicken und
ihre eigene Unzulänglichkeit an ihnen auslassen können. Und
so war auch die einkalkulierte Wehrlosigkeit des völlig überraschten
Opfers kein Zufall, sondern Ausdruck einer inneren Haltung.
Doch unter der Oberfläche der äußeren Kodes
verbergen sich die Abgründe der realen Erfahrungen. Die vergebliche
Suche nach einem Platz in dieser Welt, den es für beide nicht gab.
Die angebotenen Wege verschmähend fanden sie den eigenen erst in
Verweigerung und Destruktion. Manuela entsprach dabei einem Mensch, der
an der Welt verzweifelte, sich gleichzeitig selbstzerstörend gegen
die gesellschaftlichen Werte aufbäumte und diese doch in ihren Bildern
nur bestärkte. Satan war dabei nur ein weiterer Versuch sich der
Frage nach der Verantwortung gegenüber dem eigenen Leben nicht zu
stellen. Wer sich nie bewusst mit den eigenen Verletzungen auseinandersetzt,
wer Enttäuschung und Sehnsucht nur unreflektiert in Aggression gegen
andere auslebt, der wird auch als Opfer selbst zum Täter.
Der Mord war letztlich weder Ausdruck eines Realitätsverlustes
noch die Ersetzung der vorgegebenen Realität durch eine andere, sondern
nur eine Verschärfung derselben. In diesem Sinne entsprach er einer
Verachtung des Bestehenden und bildete doch gleichzeitig dessen Adaption.
In seinem äußersten Extrem wurde das gesellschaftlich propagierte
Konkurrenzprinzip ausgelebt, gleichzeitig die zwangsweise erfahrene zwischenmenschliche
Kälte im Zuge eines grenzenlosen Egoismus auf die Spitze getrieben.
Für das Opfer blieb nur ein betont desinteressiertes Achselzucken,
der Schmerz der Hinterbliebenen hatte für die Täter ohnehin
keine Bedeutung. ”Who cares? Who cares in this fucking world?”
”Endlich lebe ich!” verkündet der mordende
TV-Reporter in NATURAL BORN KILLERS. Töten um sich selbst zu erfahren,
töten um das Leben zu spüren, um endlich einmal das eigene Leben
zu spüren. Töten um der Mittelmäßigkeit entfliehen
und sich von der Masse abzuheben. Töten um die emotionale Leere zu
füllen, um die eigenen Lügen mit Inhalt zu füllen, um von
der Unfähigkeit sich selbst zu finden abzulenken. Der Traum einmal
das eigene Bild auf der Titelseite zu sehen. Andy Warhol sprach einst
von der Möglichkeit eines jeden für 15 Minuten zum Superstar
zu werden. Die Frage, was nach diesen 15 Minuten folgt, ließ er
unbeantwortet.
Das inzwischen rechtsgültige Urteil lautete auf Einweisung
in die Psychiatrie. Sollte es dort irgendwann einmal zu einer, im Sinne
des Gerichts, erfolgreichen Therapie kommen, folgt eine 13- bzw. 15-jährige
Haftstrafe. Satan führte seine Jünger in die Abgründe einer
ganz irdischen Hölle. Und so sind Manuela und Daniel Ruda nach ihren
Tagen im Brennpunkt der Öffentlichkeit nur noch eine vage Erinnerung.
Eine Erinnerung, die in ihnen selbst verblassen wird. Mit Medikamenten
ruhig gestellt. Sediert. Vergessen.
Die Berichterstattung in den meisten Medien entsprach einer
verlogenen Doppelmoral, welche die Taten zutiefst verurteilte und sie
doch gleichzeitig profitgierig immer wieder präsentierte. Nur die
Sensation zählt, kein Interesse an den tatsächlichen Zusammenhängen.
Eine Effekthascherei für die Auflage, das Styling wird dabei wichtiger
als alles andere. Es ist das Prinzip des Serienmörders als postmoderner
Popstar, welches inzwischen auf dem Fernsehschirm genauso gilt wie in
der Hinrichtungszelle.
”Der Auftritt von Satansbraut Manuela (23) und ihrem Mann Daniel
(26) im Landgericht Bochum glich wieder einer Horror-Show.” schrieb
die Bild-Zeitung, die täglich von der Front im Gerichtssaal berichtete.
”Sie: Grell geschminkt, rote Strähnen, irres Lachen. Er: Unheimlicher
Blick, die Lippen mit seinen scharf gefeilten Fingernägeln blutig
geschnitten.” Und am Ende mit vorgespieltem Entsetzen: ”Unter
den Augen der Justizbeamten dann ein 10 Sekunden langer Kuss zwischen
Satans-Braut und dem Killer.” Ein Kuss der durch die Medien ging,
ein Kuss für die Ewigkeit, ein Kuss wie aus NATURAL BORN KILLERS.
Mit ihren Auftritten fütterten die Rudas diese Kultur
der medialen Verwertung, die derartige Figuren so sehr braucht wie die
beiden selbst das Blitzlichtgewitter ersehnten. Sie inszenierten sich
auf Kosten eines hilflosen Opfers und wurden gleichzeitig inszeniert.
Manuela und Daniel als Negativbilder dieser Gesellschaft, als Projektionsflächen,
als ein notwendiges Feindbild zur Selbstbestätigung des eigenen Wahns.
Für die Zeit nach dem Mord und während des Prozesses war es
ein gegenseitiges Benutzen. Auf der einen Seite die völlige Selbstinszenierung,
welche überhaupt nur durch ein Publikum eine Bedeutung erhält,
auf der anderen Seite die Höhe der Auflage. Und doch, wer letztlich
in diesem mörderischen Spiel verliert stand von Anfang an außer
Frage.
Ein Sündenbock war mit der Gothic-Subkultur, in der
sich die Rudas zum Teil aufgehalten hatten, schnell gefunden. Und so tümmelten
sich plötzlich Reporter und TV-Teams in den Clubs der Szene. Überraschend
war dabei nicht die weitgehend klischeehafte Berichterstattung, sondern
die Naivität mit der ein Teil der Szene vom Interesse an sachlich-objektiven
Informationen ausging und sich entsprechend als scheinbar skurrile Statisten
zur Steigerung der Auflagen und Einschaltquoten missbrauchen ließ.
Der in den meisten Berichten völlig überzogen
dargestellte Einfluss des Satanismus auf die Szene entsprach geradezu
einem Angriff auf die gesamte Gothic-Kultur. In der breiten öffentlichen
Wahrnehmung kam es zu einer diffamierenden Gleichsetzung des szenegerechten
schwarzen Kleidungsstils wie auch der Vorliebe für bestimmte Musikstile
mit einer satanistischen Orientierung. Das zu Grunde liegende Lebensgefühl
wurde dabei ebensowenig beschrieben, wie die zumindest in Teilbereichen
eigenständigen und innovativen Ausdrucksformen.
Die Szene-Magazine gingen nahezu wortlos über die Ereignisse
hinweg. Eine Ausnahe bildete die Zillo, die auf der plakativen Suche nach
Verständnis eine Ausgabe mit der banal anmutenden Aussage ”Wir
sind keine Mörder” betitelte und zumindest den Versuch machte
die Zusammenhänge etwas aufzuarbeiten. Die Sprachlosigkeit der Zeitschriften
drückte eine Grundhaltung großer Teile der Gothic-Bewegung
aus, die sich einer Hinterfragung gesellschaftlicher Entwicklungen genauso
entzieht wie einer Reflexion der eigenen Kultur, die über die Diskussion
der aktuellen CD-Veröffentlichungen hinausgeht. ”Die Szene
zeichnet sich durch extreme Friedlichkeit aus.” führte in der
Zillo ein Gothic-DJ geradezu duckmäuserisch aus, um dann die gesamte
Kultur inhaltlich völlig zu entleeren: ”Es ist ein Lifestyle
wie jeder andere”.
Die mangelnde Auseinandersetzung mit den Hintergründen
innerhalb der Szene trug jedoch wie die sensationsgierige Berichterstattung
nachdrücklich dazu bei, dass Manuela und Daniel Ruda zeitweise zu
Stars in einem Teil der Szene stilisiert wurden. Die betonte Selbstsicherheit
der Prozessauftritte als Ausdruck der Abkehr von einer verhassten Welt
wurde zum identitätsstiftenden Bezugspunkt. Gleichzeitig nahm die
Bedeutung des Satanismus als Protesthaltung, jedoch nur selten als durchdachtes
Glaubensbekenntnis, in der Gothic-Kultur zu.
Vor diesem Hintergrund wurde der ehemalige Pfarrer Manuelas
während des Prozesses zu einem begehrten Interview-Partner, der allerdings
den Geschehnissen recht verständnislos gegenüber stand. Gefragt,
ob der Teufel denn tatsächlich von Manuela Besitz genommen habe,
verwies der Pfarrer bezeichnender darauf, das dies erst nach dem Abbruch
des Kontaktes möglich gewesen sei. ”Als sie 14 war, lud ich
sie zur Firmung ein. Da hat sie sich nicht einmal mehr gemeldet.”
Noch platter wirken die altbackenen Aussagen von Thomas
Gandow, dem evangelischen Sektenbeauftragten in Berlin / Brandenburg zur
Einschränkung satanistischer Tendenzen unter Jugendlichen: ”Es
gibt leider kein Patentrezept, aber ich glaube, dass junge Leute die in
einer ordentlichen Jugendgruppe sind, bei den Pfadfindern, bei den roten
Jungfalken oder in der Ruderriege, dass die weniger in der Gefahr stehen
auf solche blöden, dummen und am Ende gefährlichen Gedanken
zu kommen.”
In den offiziellen Verlautbarungen der christlichen Kirchen
zum Teufelskult wird selbstverständlich ignoriert, dass das personifizierte
Bild des strafenden Gottes erst die Räume eröffnete in denen
sich der Glaube an einen Satan ausbreiten konnte. Der Autoaufkleber, der
davon spricht, dass Gott jeden liebt, wirkt in Anbetracht der historischen
Verbrechen der Kirche und dem allgegenwärtig bestehenden Leid bestenfalls
zynisch. Wenn es tatsächlich einen Gott gäbe, der irgendwo im
Himmel thront, er würde die Menschen nicht lieben sondern hassen.
Nicht einmal ein Jahr nach dem Prozess fand sich eine Randnotiz
in einigen Boulevardblättern: Die Anwälte der Rudas hatten die
Presse über die Scheidungsabsicht des ehemaligen Paares informiert.
Daniel gab nach mehreren Monaten Psychiatrie- und Gefängnisaufenthalt
an, Manuela verfallen gewesen zu sein und den Mord nur auf ihr Bestreben
hin begangen zu haben. Im Gegenzug verwies auch Manuela auf eine zeitweise
Hörigkeit gegenüber Daniel und versuchte so die Verantwortung
an ihn abzugeben. Die Anwälte betonten wiederum die Hoffnung durch
die Scheidung die Erfolgsaussichten der Therapien zu steigern. Auf der
Kinoleinwand gehen die NATURAL BORN KILLERS am Ende sinniger Weise als
Liebespaar Hand in Hand in eine ungeschriebene Zukunft. Ein dunkles Happy-End
als Affront gegenüber einer verlogenen Gesellschaft, die Realität
sieht jedoch anders aus.
Kontakt zu den Autoren: w.sterneck@sterneck.net
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